Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

n

Das Echo, welches die Vorträge der vor den Türken flüchtigen griechischen Gelehrten in Italien hatten, wirkte mit der nationalen Politik, zu der sich damals die geistlichen Söhne des Papstthums aufrafften, zusammen. Man hörte zum ersten Male nicht bei Geistlichen, und lernte Vergleiche anstellen zwischen der Bildung durch die griechischen Laien und der ihres Saftes baaren Bildung durch den einheimischen Klerus. Eine von seitwärts kommende Ursache mischte sich der biographischen Entwicklung bei, brachte in die eherne Nothwendigkeit Bewegung.

Der Ansatz zur Gegenbewegung gegen die Macht des in seiner jurisdictionellen Obergewalt sich sicher fühlenden Papstthums war durch das verschwiegene Einverständniss zwischen Fürsten und Gelehrten gemacht. Der mediceische Hof stand im Vordergrunde. Obgleich P. Nicolaus V und ein halbes Jahrhundert später Leo X Förderer der geistigen Bewegung waren, mit der Absicht, an ihrer Spitze zu bleiben, so fuhr mit der Erstürmung und Plünderung Rom's (1527) unter Clemens VII dem Papstthum die Leitung der geistigen Bewegung aus der Hand. Das Papstthum, dem an dem Besitze seiner inzwischen erträglich organisirten weltlichen Fürstengewalt Alles lag, suchte zwar die Bewegung, die im Gange war, durch die Eingebungen einer kleinlichen Politik zu hemmen und ihr die Ziele zu verlegen, konnte aber ihr Wesen nicht beseitigen, aus der im Laufe der Jahrhunderte der Staat, zuerst nach dem engherzigen Ideale der Souveräne und ihrer Werkzeuge, zuletzt nach dem erweiterten Ideale der Staatsbürgerschaft, worin das Oberhaupt das vornehmste Glied ist, sich entwickeln sollte.

Es ist nicht zu leugnen, dass der Staat auf diesem Entwicklungsgange viel von dem päpstlichen Vorbilde lernte, aber auch Vieles, was er erlernt hatte, wieder verlernen musste, so dass, wenn man von der Erbschaft des Staates spricht, man dabei an viel weniger zu denken hat, als was Papstthum für die Kirche vom alten Rom und von Byzanz geerbt hatte. Darnach gestaltete sich die Entwicklung des Staates im Kampfe gegen das Papstthum vielmehr zu einem Process der Enterbung als der Beerbung des letzteren, bis die Ebenbürtigkeit beider vor der Geschichte eine Thatsache wurde. Auf das Vorbild, welches das alte Rom mit seinem Kampfe der Plebeier gegen die Patricier um die bürgerliche Gleichberechtigung gegeben hatte, verglichen, schien das schliessliche Ziel des Kampfes seitens des Staates um die Anerkennung seiner Ebenbürtigkeit der Geschichte neue Aufgaben vorbehalten zu sollen.

Dritter Abschnitt.

Erzeugung der europäischen Periode.

I.

Eigenthümlichkeit.

Der Geschichte Europa's ist die Nation mit eigenartiger, aber solidarisch befruchteter Entwicklung eigenthümlich. Das war nicht der Charakter der asiatischen Geschichten gewesen; denn hier hatte, sobald eine politische Macht mit der Fähigkeit, es zu sein, auftrat, diese die Tendenz zur Vereinigung von Nationalitäten auf Kosten ihrer Eigenartigkeit, noch ehe sie zu Nationen ausreiften. Von den Hellenen, bei denen die eigenartige Entwicklung der einzelnen Stämme eine helle Thatsache ist, müssen wir beklagen, dass sie den Standpunkt der Eigenartigkeit übertrieben, indem sie vorwiegend die Stadtgeschichte repräsentirten, und dass, weil ihre politische Arbeit schliesslich ein Werkzeug makedonischer Tendenzen wurde, ihre Geschichte nicht den Sinn haben konnte, welche sich mit der Geschichte Europa's, wie wir sie seit dem Auftreten der Germanen verstehen, verbindet, wie denn auch nach dem Tode Alexanders ihre Geschichte an die Schicksale des makedonischen Reichs im engeren Sinne geknüpft blieb. Dieses nachalexandrinische Makedonien könnte als zeitlich früheste europäische Macht gelten, wenn nicht die Wurzeln derselben aus einer dem Orient zugewandt gewesenen Entwicklung datirten, und wenn eine einzige Nation statt verschiedener Nationalitäten den Bestand desselben ausgemacht hätte. 1) Was Rom betrifft, so ist nicht zu leugnen, dass seine Geschichte europäisch war, aber wir müssen den Vorbehalt machen, dass die Tendenz, alle Natio nalitäten vom Aufgang bis zum Niedergange sich zu unterwerfen, keine andere war, als die der Makedonier durch Philipp und seinen Nachfolger, als die der Perser und die der Assyrier gewesen war. Während die universelle Tendenz der letztgenannten an den Grenzen des Orients, der die ihnen bekannte Erde darstellte, ihre Schranke

1) Zwar in Europa gelegen und mit europäischer Geschichte verwachsen. führte nachmals Oesterreich wegen seiner vielgestaltigen Zusammengesetztheit mitten in Europa eine asiatische Existenz; das napoleonische Reich würde das Nämliche bei längerer Dauer dargethan haben.

hatte, begann freilich erst Rom den universellen Despotismus im schrankenlosen Sinne auszuüben.

Selbstständigkeit und Freiheit der Nation von dergleichen Neigungen ist die Tendenz der Geschichte, (welche wir europäisch nennen. Darum beginnt sie in politischer Hinsicht erst nach dem Untergange des römischen Reichs. Zwar machten die in den Provinzen dieses Reiches angesiedelten Nationalitäten in der Folge mit dem Versuche, den das Papstthum unternahm, sich alle Könige unterzuordnen, eine lange Bekanntschaft. Dieser Versuch, seiner äusseren Form nach nicht schlechter als der aus der Geschichte verschwunden geglaubte antike Despotismus im Grossen, wurde dafür aber auch die Ursache zu jener lehrreichen politischen Entwicklung, wozu die Könige um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts den Anstoss gaben, und deren Endrésultat der Staat mit eigenem Rechte gegenüber der Kirche mit ihren aus den universellen Anschauungen des Römerthums gewährten Rechtsgrundsätzen werden sollte.

Dass gegen die Politik des geistlichen Papstthums mit ihren irdischen Zielen der erwachte vielfache Antagonismus nationaler Existenz sich Bahn brach, war eine Nothwendigkeit, weil Kirche und Nationen, bei entgegengesetzten Bedürfnissen, da dort Unbeweglichkeit, hier Bewegung war, über die Grenzfragen in Widerstreit kamen.1) Dieser Streit verursachte einen Riss zwischen Beiden, zunächst zwischen Papstthum (dem Despotismus im Grossen) und den Königen, sodann zwischen Königthum (dem Despotismus im Einzelnen) und der Nation, endlich zwischen Papstthum und Staatenthum.

II.

Entstehung der Nation.

Wenn also die nationale Entwicklung sich als unterscheidendes Lebensprincip der europäischen Geschichte erwiesen hat, wie erklärt sich die Wirksamkeit desselben, die sich wie ein Verhängniss gegen die wendete, die entgegenstrebten, und welches

1) Vgl. Laurent, Hist. du droit des gens (T. X.: Les Nationalités) S. 15: ,,Le catholicisme a l'ambition d'être immuable et de satisfaire néanmoins les besoins de l'humanité à toutes les époques de la vie. C'est une prétention contradictoire, car les idées et les sentiments changeant, la doctrine qui veut leur donner satisfaction, doit changer également; l'immutabilité, c'est la mort, et la mort ne peut pas présider à la vie; il faut donc ou que la religion se modifie ou qu'elle renonce à gouverner les âmes."

sind ihre inneren Ursachen? Die Namen, aus welchen die Karte Europa's durch die Völkerwanderung sich zusammensetzte, waren nur zum Theil nachrömische. Die Namen Italien, Spanien, Britannien (in Great-Britain 1)), Schweiz (Sequanorum maxima) waren schon vor der Umwandlung des römischen Europa in ein barbarisches bekannt. Nachrömisch sind Frankreich (per Francos) und England (per Anglos). Für Deutschland, das den Römern als das Land der Germanen galt, könnte man auf die Bezeichnung mit Teutoni sich berufen (vgl. Diutisk), an- deren Stelle die Franken die Bezeichnung Alemannia (vgl. Allemagne) treten liessen, weil dieser deutsche Stamm ihre Nachbarschaft war. Welche Ursachen erklären das Entstehen und mithin das Wesen zu einer italienischen, spanischen, französischen, deutschen u. s. w. Nationalität? Hat hierbei nur der Zufall gewirkt und ist die Entstehung derselben durch die Mischung der erobernden Einwanderer mit der vorfindlichen Bevölkerung hinreichend erklärt?") War es eine Mischung mit Franken, welche die Gallier zu Franzosen, mit Westgothen, welche die Iberer und Cantabrer zu Spaniern, mit Angeln, welche die Britanner zu Engländern oder Briten, mit Teutonen, welche die germanischen Stämme zu Deutschen machte? Auf diese Frage kann nicht rundweg mit Ja geantwortet werden. Wäre das die Erklärung, so wäre nicht zu verstehen, wie die allgemeinen Eigenschaften sich in den gegebenen Beispielen nicht im Laufe der Jahrhunderte verwischten. Denn es kann nicht geleugnet werden, dass z. B gewisse allgemeine Eigenschaften, welche die Gallier in ihren Kämpfen gegen Cäsar an den Tag gelegt hatten, und deren dieser in seinen Feldzugsberichten wiederholt erwähnt, 3) sich noch bei den Franzosen nachweisen lassen. 4) Darum bedarf es einer Erklärung, die tiefer greift, und die Ursache dieser Erscheinung, welche für Gallier und Franzosen die gleiche ist, in der Nahrung, die das Blut aus den Nahrungsmitteln erhält, und in dem Charakter des Klimas sucht, dessen Beschaffenheit sich das Temperament der Einwanderer assimilirte und heiligte. 5) Dieser

1) Vgl. Bretagne (Kleinbritannien).

2) Nach Macchiav. Discorsi II, 8 (S. 180 Ziegler) würde nicht mal eine Mischung denkbar sein.

3) Vgl. Köchly, Cäsar u. die Gallier. Berl. 1871.

4) Macchiav. Discorsi III, 36 (S. 370 u. ff. Ziegler) urtheilt für die Zeit des XV. u f. Jahrhunderts.

5) Vgl. ob. S. 6 u. ff.

Das Gegentheil eines Aufhörens der Assimilirung auf diesem Wege ist die Versandung der Mongolei, welche die Autochthonen ver

Ursache entsprang die Eigenart der Nationalität, diese Ursache gab der Nationalität das Recht, eine individuelle Existenz zu sein, diese Ursache machte es verhängnissvoll, ihr Recht anzutasten, da ihre Eigenart kein Element der Beunruhigung war, sie musste denn dazu von Ehrgeizigen benutzt werden. Ein Angriff auf sie, selbst wenn dieser die Tragweite einer Thatsache durch die Umstände erhalten hätte, würde durch diese Fortdauer kein Recht erzeugen.1) Die Eigenart der Nationalität ist ihre Idee, die sie von sich gewinnen lässt; darin wurzelt ihre Aufgabe, die die Geschichte ihr stellt, hinter welcher sie zurückbleiben, über welche sie hinausgreifen kann, je nachdem ihre elementare Kraft von Innen gehemmt oder gereizt wird.

Die Universalmonarchien der voreuropäischen Geschichte dürfen nicht darüber täuschen, dass die Nationalität individuellen Zug hat, es sei denn, dass man von nationaler Eigenart sollte nur bei europäischem Klima reden können. Aber die Nationalität der Babylonier und ihre Haltung gegenüber Alexander von Makedonien, als der Widerstand des Sultans gebrochen war, vermag nicht zu beweisen, dass asiatisches Klima der Ausbildung einer nationalen Eigenart entgegen ist. Wie wäre sonst die Nationalität der Judäer erklärbar? So viel mag feststehen, dass die entwickelte Eigenart in asiatischer Vorzeit Ausnahme, in europäischer Zeit Regel war,

III.

Die constitutiven Elemente der Nation; das ideelle Band der europäischen Nationen.

Welches sind die Constituentien der Eigenart?

Die Eigenart schliesst den Willen ein, sie zu bewahren. Daher Einförmigkeit die Geschichte auszeichnete, wo dieser Wille fehlte, und Mannichfaltigkeit, wo er Ausdruck fand. Die Geschichte befindet sich im Stadium der Jugendzeit.

Dieser Standpunkt der Nationalität hielt so lange vor, wie ihre Sprache disciplinlos war, wich aber dem Standpunkt der Nation, sobald aus diesem Zustande die Völker sich sprachlich disciplinirten, eine Epoche, deren Eintritt Jahrhunderte helfen mussten

trieb, und die Verödung der römischen Campagna durch die Fieberluft (Malaria), infolge wovon Orte wie Ninfa verlassen wurden. Vgl. „die Campagna Rom's" in d. A. A. Z. 1872. S. 224. B.

1) Z. B. anlässlich des Elsass, Schleswig-Holstein's u. a. m.

« ZurückWeiter »