Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

nicht durch die geringste Aenderung im Sitzen auf andere Stellen des Körpers vertheilt und dadurch gemildert werden konnten. Der Gekreuzigte sass gewissermaassen unablässig und unverändert, nicht bloss Stunden sondern Tage lang, auf einem Folteresel, eculeus, auf dem das Kreuzbein allein fortwährend von der Schwere des Körpers gedrückt wurde, ohne durch das Fleisch des Gesässes irgendwie geschützt zu sein. Ferner erzeugten die Stricke, mit welchen der Gekreuzigte ans Kreuz gebunden war, schon an sich durch ihren Druck auf das weiche Fleisch, mehr aber noch durch die von ihnen veranlasste Stockung des Blutes und dadurch entstehende Anschwellung und Entzündung heftige Schmerzen. Sie erzeugten nothwendig allmählich den heftigsten Andrang des Blutes nach dem Kopfe mit allen seinen Folgen. Besonders wird aber auf die ununterbrochene Ausspannung der Arme, mit welcher die gleichmässige aufrechte überaus anstrengende Haltung des Körpers zusammenhängt, aufmerksam gemacht. Diese Stellung brachte allmählich Schmerzen hervor, von welchen wir uns dann eine kleine Vorstellung machen können, wenn wir versuchen nur 15-20 Minuten lang die Arme auszustrecken, sei es auch mit einer Unterstützung. Wie gross müssen die Schmerzen gewesen sein, wenn sie ohne die geringste Hoffnung auf Aenderung der Stellung Tage lang ertragen werden mussten.

Am meisten aber heben die christlichen Schriftsteller die schon von Manetho erwähnten Nägel hervor. Sie machten rissige Wunden, die an sich schmerzhafter sind als scharf geschnittene, und mussten unerträgliche Schmerzen verursachen, weil die von ihnen verursachten Wunden durch die Körperschwere fortwährend zur Erweiterung getrieben und doch von den seḥnigen Theilen der Hände und der Füsse in der Erweiterung gehindert wurden. Die Ränder dieser

XXX

XXIV

27

Wunden mussten daher die heftigste Entzündung erfahren und bei der geringsten Bewegung die grössten Schmerzen verursachen. Hierzu denke man sich den quälenden Durst, der durch den Verlust des Blutes und die stärkere Ausdünstung in freier Luft oft unter einer glühenden Sonne herbeigeführt und durch keinen Tropfen Wasser gelindert wurde. Dazu füge man die kleinen, aber in ihrer Wiederholung so empfindlichen Qualen, welche die im Süden so häufigen Insecten veranlassten, oder noch mehr die Angriffe, welche die Raben gelegentlich auf die Augen des Gekreuzigten machten, auch während er noch lebte (oben Anm. 2 S. 400. und Lips. de cruce 2, 13); endlich noch alle Einflüsse der Witterung bei Tag und Nacht in einer Stellung, welche dem ermüdeten und aufs Höchste an- und abgespannten Körper auch nicht die geringste Erholung gewährte. Das Alles zusammengefasst giebt uns ein schwaches Bild von der Gesammtheit von Leiden, die ohne eigene Erfahrung nie ganz vorgestellt werden können. Es genügt aber, um begreiflich zu machen, dass man die Kreuzigung die grausamste Todesstrafe nennen musste. Von einer Milderung dieser Qualen durch Darreichung eines betäubenden Trankes findet sich bei griechischen und römischen Profanschriftstellern keine Angabe. Bei der Kreuzigung unseres Herrn scheint nach Ev. Matth. 27, 34 eine derartige Milderung beabsichtigt gewesen zu sein.

Der Tod der Gekreuzigten war, wenn er nicht absichtlich beschleunigt wurde, ein sehr langsamer und schwerer, und er musste es sein, weil durch die Kreuzigung keine Organe verletzt wurden, deren Zerstörung den Tod unmittelbar oder wenigstens bald zur Folge haben musste. Daher sagt Seneca' von den Gekreuzigten, sie schwinden

'Seneca Ep. 101. Invenitur aliquis, qui malit inter supplicia tabescere, et perire membratim, et per stillicidia amittere animam. Euseb. H. E. 8, 8, oben Anm. 1, S. 397. Hilar. Pictav, de trinitate 10, 13 oben Anm. 4, S. 390.

dahin, sterben Glied für Glied ab und verlieren tropfenweise das Leben. Erschöpfung vor Hunger und Durst, Blutverlust, Wundfieber, vielleicht auch bisweilen Gehirnentzündung durch Blutandrang oder Sonnenstich führten allmählich den ersehnten Tod herbei'. Nur wenige hatten einen verhältnissmässig schnellen Tod, so der Karthager Bomilkar, welcher von der Höhe des Kreuzes wie von einem Tribunal aus den Puniern ihre Ungerechtigkeit und Grausamkeit hart und mit lauter Stimme verwies und darauf sogleich starb. Unser Herr starb 3 Stunden nach der Kreuzigung. Von den drei Juden, welche Josephus auf dem Rückwege von Thekoa am Kreuze als seine Freunde erkannt und durch seine Fürbitte vom Kreuze erlöst hatte, starben zwei noch an demselben Tage, obgleich sie auf das Sorgfältigste gepflegt wurden. Und doch konnten sie nur einige Stunden am Kreuze gehangen haben, da Josephus, der am Morgen nach dem 3 Stunden von Jerusalem entfernten Thekoa gegangen war, sie noch an demselben Tage auf dem Rückwege gesehen und bald darauf vom Kreuze erlöst hatte (Joseph. Vita 75). Bisweilen lebten die Gekreuzigten die ganze Nacht hindurch, sogar auch bis zum Abende des Tages nach der Hinrichtung. Die christlichen Märtyrer Timotheus und Maura sollen neun Tage am Kreuze gelebt haben. S. Origenes oben S. 352, Anm. und Lipsius de cruce, 2, 12.

Um dieses elende Dasein der Unglücklichen abzukürzen, beschleunigte man bisweilen den Tod derselben. Man

1 1 Vergl. Chr. G. Richter dissertationes quatuor medicae. Goettingae 1775. Friedlieb, Archäologie der Leidensgeschichte unsers Herrn Jesu Christi, S. 155. Winer, bibl. Realwörterbuch I, Kreuzigung. Herzog, theol. Real-Encyclopaedie, Kreuz.

Justin. 22, 7. Haec cum in maxima populi contione vociferatus esset, exspiravit.

zerschlug ihnen die Schenkel (crurifragium), was den Tod unmittelbar nach sich gezogen haben muss, wie sich aus Ev. Joh. 19, 31 ergiebt, oder man stach sie in die Armhöhle und führte auch dadurch einen schnellen Tod herbei. S. oben Anm. 1, S. 352.

Wenn wir nun aus Vorstehendem ersehen, dass die Kreuzigung eine sehr grausame Todesstrafe war, so sind Beispiele von solchen Gekreuzigten um so merkwürdiger, welche noch lebendig zeitig genug vom Kreuze abgenommen, geheilt und dem Leben erhalten wurden. Wir kennen deren zwei. Josephus rettete einem seiner gekreuzigten Freunde das Leben. Wir erfahren aber nichts von den weiteren Schicksalen desselben. Dagegen wissen wir, dass der gekreuzigte Perser Sandokes nicht nur am Leben erhalten worden ist, sondern auch noch lange nach seiner Kreuzigung seinem Könige gedient hat. Der König Darius Hystaspis hatte nämlich Sandokes, der in Geldsachen als Richter einen ungerechten Spruch gefällt hatte, kurzerhand kreuzigen lassen. Als er aber der übrigen treuen Dienste des Gekreuzigten gedachte, begnadigte er ihn, und liess ihn wieder abnehmen. Derselbe Sandokes hat im zweiten Perserkriege in der Seeschlacht bei Artemisium gegen die Griechen i. J. 480 v. Chr. den Heldentod gefunden. Her. 7, 194.

Hiermit schliessen wir unsere diesmalige Aufgabe. Die Behandlung der übrigen Abschnitte, der Geschichte und Sage des Kreuzes Christi, der Kreuzigung Christi, und der Formen, welche die Darstellung des Kreuzes und der Kreuzigung Christi im Laufe der Zeit angenommen hat, müssen wir uns auf andere Zeit versparen.

[ocr errors][merged small][graphic][ocr errors][merged small][ocr errors][ocr errors][subsumed][ocr errors][merged small][merged small][merged small]
« ZurückWeiter »