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Staatsgewalt, die nach vorkonstitutionellem Recht ihrem Grunde nach bei dem königlichen Träger der Staatsgewalt ruhten und an sich auch nach dem Inkrafttreten der Verfassung da ruhen blieben, wenngleich nunmehr die Verfassung den König hinsichtlich der Ausübung dieser Funktionen an neue, bisher ungewohnte Formen band. Hatte man doch auch bereits in der vorkonstitutionellen Monarchie zum Teil in Anbequemung an die in Mode kommende konstitutionelle Theorie statt von Gesezgebung, Rechtsprechung, Verwaltung von legislativer, richterlicher, exekutiver Gewalt gesprochen. Hiernach war es also nach dem Inkrafttreten der Verfassungen in Preußen Rechtens, daß der König, weil nach § 1 II 13 des Allgemeinen Landrechts Träger der vollen einheitlichen Staatsgewalt, auch weiterhin Träger des staatlichen Gesetzgebungsrechts blieb, daß er aber die Ausübung desselben nach Art. 62 nicht mehr einseitig, sondern nur unter Mitwirkung der in zwei Kammern gegliederten Volksvertretung vorzunehmen habe. Es wurde ferner in Preußen Rechtens, daß die an sich beim König ruhende staatliche Funktion der Rechtsprechung hinfort „nur im Namen des Königs" durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesezes unterworfene Gerichte auszuüben sei. Es wurde endlich in Preußen Rechtens, daß die nach Art. 45 der Verfassung dem König allein zustehende ,,vollziehende Gewalt", d. h. die beim König ruhende staatliche Funktion der Verwaltung vom König nur noch mit Hilfe der die königlichen Regierungsakte kontrafignierenden, wenn auch vom König frei ernennbaren und entlaßbaren Minister zu handhaben sei.

So sah die preußische Verfassung nur neue Formen und Modalitäten für die Ausübung der Befugnisse der beim preußischen König vereinigt bleibenden Staatsgewalt vor. Mit diesen neuen Formen und Modalitäten, welche ein starkes Königtum bestehen ließen, kam aber auch hinfort das Prinzip der Volksfreiheit in Preußen zur verfassungsmäßigen Anerkennung. Der Inhalt der preußischen Verfassung verwirklicht durchaus das Wort Friedrich Wilhelms IV. am 6. Februar 1850 bei seiner Eidesleistung auf die Verfassung: „Ein freies Volk unter einem freien Könige, das war Meine Losung seit zehn Jahren, das ist sie heut und soll es bleiben, solang' Ich atme.“ Dem Prinzip der Volksfreiheit dient zunächst die in der Verfassung vorgesehene Einrichtung einer Volksvertretung, welche

durchaus den Anforderungen des modernen Konstitutionalismus entspricht. Allerdings eine solche Färbung ins Demokratische wie die Volksvertretung des Deutschen Reichs weist die preußische Volksvertretung nicht auf. Sie ist nicht eine Kammer, ein Haus und nicht auf Grund des allgemeinen, unmittelbaren, geheimen Wahlrechts organisiert. Die preußische Verfassung hat die Volksvertretung nach dem Zweikammersystem formiert, und von den beiden Kammern des preußischen Landtags ist nach gegenwärtigem Recht nur die zweite, das Haus der Abgeordneten, aus Personen gebildet, die das gesamte Volk selbst, aber in mittelbarer Wahlart in diese Stellung beruft. Dagegen ist für die Bildung der ersten Kammer, des Herrenhauses, nach gegenwärtigem Recht die Entscheidung des königlichen Willens die lezthin maßgebende Instanz. Die erste Kammer besteht aus den vom König berufenen volljährigen Prinzen des königlichen Hauses, sowie andererseits aus Mitgliedern, welche der König sei es mit erblicher Berechtigung, sei es auf Lebenszeit, berufen hat. Nichtsdestoweniger erklärt die preußische Verfassung (Art. 81) die Mitglieder beider Kammern für Vertreter des ganzen Volks" und darum für vollkommen frei nach oben und nach unten in Ausübung ihres Berufs. Abgesehen von der Mitwirkung bei der Gesetzgebung, hat jede Kammer des Landtags namentlich die Gesezesinitiative (Art. 64) und die Zustimmung zu dem für jedes Etatsjahr im voraus festzustellenden, alle Einnahmen und Ausgaben des Staats aufführenden Staatshaushaltsetat. Nach innen genießt jede Kammer volle Autonomie (Art. 78; 84). Die Herrenhausmitglieder versehen ein unentgeltliches Ehrenamt, die Mitglieder des Abgeordnetenhauses erhalten aus der Staatskasse Diäten und Reisekosten unter Ausschluß des Verzichts.

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Aber das Prinzip der Volksfreiheit äußert sich auch, seit dem Preußen die konstitutionelle Bahn betreten, in Vorschriften, welche dem einzelnen Individuum zugute kommen. Preuße, welcher die im Geseß näher gekennzeichneten persönlichen Merkmale voller Reife besißt, genießt die rechtliche Fähigkeit, zu der Konstituierung gewisser Staatsorgane, insbesondere der Volksvertretung selbst, durch ein Stimmrecht persönlich beizutragen, wie auch selbst Mitglied gewisser Staatsorgane zu werden (droits politiques der konstitutionellen Theorie). Andererseits ist jedem preußischen Staatsangehörigen schlechthin ein

individueller Rechtskreis verbürgt, in welchen die Staatsgewalt nicht eingreifen kann (ein System individueller Freiheits- und Grundrechte); Tit. II der Verfassung lautet,,Von den Rechten der Preußen".

In seiner Ansprache bei der Eidesleistung auf die Verfassung am 6. Februar 1850 erklärte Friedrich Wilhelm IV.: die Lebensbedingung der Verfassung sei, daß ihm, dem Könige, das Regieren mit derselben möglich gemacht werde; denn in Preußen müsse der König regieren. In der Tat ist auch nach Annahme des konstitutionellen Systems das preußische Königtum kein zum Gehorsam gegen die Majoritätsbeschlüsse der Volksvertretung oder gegen die subjektiven Meinungen der Minister verpflichtetes Schattenkönigtum. In Preußen regiert auch nach der Verfassung der König als eine das Staatsschiff nach eigenen Impulsen leitende Persönlichkeit. Allerdings erscheint dabei der königliche Wille in,,ministerieller Gewandung". Aber die Bindung der königlichen Willensentfaltung an diese Form verfolgt nicht den Zweck, die Selbständigkeit der königlichen Initiative zu verneinen und aufzuheben. Nur als ein Aushilfsmittel, die Person des Königs der unmittelbaren Verantwortlichkeit für die königlichen Regierungshandlungen zu entziehen, erscheint das Erfordernis der ministeriellen Kontrasignatur. Die persönliche Haftbarkeit des Herrschers würde stets zu einer heillosen Schädigung der Autorität der Staatsgewalt selbst führen und daher ist in Art. 43 der Verfassung ,,die Person des Königs für unverleßlich" erklärt, dagegen aber dem kontrafignierenden Minister die eventuelle persönliche Haftbarkeit zugewiesen. Freilich ist der Minister durchaus nicht verpflichtet, dem Befehl des Königs, einen Regierungsakt zu kontrasignieren, schlechthin nachzukommen. Die Kontrasignatur ist sein freier Willensentschluß, seine eigene Tat, und daher widerspricht es auch nicht der Billigkeit, daß der kontrasignierende Minister persönlich eventuell haftbar wird. Andererseits vermag der König, wenn auch an das Medium der ministeriellen Kontrasignatur gebunden, durchaus nach seinen eigenen Intentionen das preußische Staatsschiff zu lenken, da er das freie Ernennungs- und Entlassungsrecht der Minister besigt. Umgekehrt darf auch der Minister jederzeit seine Entlassung fordern.

Nach diesem Tatbestand ist die Regierung Preußens keine

parlamentarische d. h. eine solche, welche die bestimmenden Jmpulse von der herrschenden Parlamentsmehrheit empfängt, aus deren Mitte die leitenden Staatsminister zu nehmen sind. Das preußische Regime ist ein königliches d. h. ein solches, welches durch die individuellen freien Willensentschließungen des jeweiligen Herrschers bestimmt wird. Angesichts der fundamentalen Verdienste des Hohenzollernhauses um die Gründung des Preußenstaats erscheint auch ein parlamentarisches Regiment dem Geiste der preußischen Rechtsentwicklung diametral entgegengesetzt. Einen ernsten Kampf um die Einführung eines parlamentarischen Regiments hat es bisher in Preußen nur einmal gegeben: in der Konfliktszeit der sechziger Jahre. In dem „Konflikt" handelte es sich durchaus nicht nur um die Wahrung des Budgetrechts des Abgeordnetenhauses. Der eigentliche, wenn auch etwas verhüllte Grundgedanke des Ringens zwischen Abgeordnetenhaus und Krone war die Frage, ob Preußen zum parlamentarischen Regime übergehen solle. Die Führer der damaligen Abgeordnetenhausmehrheit hatten die Absicht, die damalige Situation zur Einführung des parlamentarischen Regiments in Preußen auszunuzen (vergl. Brug IV, S. 376), wenngleich dies eigentliche Ziel der breiten Öffentlichkeit nicht preisgegeben wurde. Aber am preußischen Throne wachte Bismarck Eckart und Siegfried zugleich. Er erkannte das eigentliche Ziel seiner politischen Gegner, die durch die preußische Verfassung selbst verbriefte Verteilung des politischen Einflusses zu verrücken und trat darum, wenn auch in Einzelfragen des Verfassungsrechts im Unrecht, so doch hinsichtlich des Endziels des „Konflikts“ in vollkommenem Recht, der Abgeordnetenhausmajorität entgegen, bis der Ansturm als abgeschlagen gelten konnte. Bismarck selbst wies damals nachdrücklich auf die Verschiedenheit des preußischen und belgischen Staatsrechts hin. In der Abgeordnetenhaussizung vom 5. Februar 1866 erklärte er: Der Art. 78 der belgischen Verfassung fehlt in der preußischen Verfassung und deshalb hat S. M. der König bei uns alle diejenigen früheren Rechte der Krone, welche nicht durch den ausdrücklichen Inhalt der Verfassung oder durch ein auf Grund der Verfassung zustande gekommenes Gesez auf andere Faktoren übertragen worden sind."

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