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Abneigung gegenüberstehenden Bewohnern der verschiedenen Brovinzen das hehre Bewußtsein, Glieder eines starken, sieggewohnten Preußenvolks zu sein, erweckt und zwar eben durch ein konstitutionsloses", unter Umständen wohl energisch durchgreifendes, immerhin Recht und Gerechtigkeit im allgemeinen nach Menschenmöglichkeit verbürgendes Regiment. Und demgegenüber namentlich in Frankreich, von wo ja seit 1789 die konstitutionelle Bewegung auf dem europäischen Kontinent ausgegangen war, wieviel Regierungsumwälzungen seitdem, welche anscheinend nie endende Unruhe im Leben der Hohen und Niederen der Gesellschaft! Konnte da der Anschluß an das fonstitutionelle System nicht auch für Preußen nur der Anfang heillosen Wirrsals, ewigen bürgerlichen Unfriedens sein? Die Erfahrung zweier Menschenalter hat die Besorgnisse, die ehrenfeste Preußen während der Entstehungszeit der preußischen Verfassung hegten, enttäuscht, so sehr, daß man selbst bei der Erneuerung eines deutschen Gesamtstaats mit einem Hohenzollernkaisertum kein Bedenken trug, den Reichsbau auf der konstitutionellen Basis aufzuführen. Wer aber tiefer in den Geist der deutschen Geschichte eindringt, erblickt in der deutschen konstitutionellen Bewegung noch bei weitem mehr als eine bloße Nachäffung ausländischen Gebarens. Gewiß hatten zuerst im Ausland, namentlich in Frankreich und Belgien ausgebildete Verfassungstheorien ihren guten Anteil an der Entwicklung der deutschen konstitutionellen Bewegung: aber der Einfluß der aus der Fremde importierten Ideen hätte sicher allein der deutschen konstitutionellen Bewegung nicht die ihr eigene unwiderstehliche Kraft verliehen. Die konstitutionelle Bewegung mußte seinerzeit in Deutschland und in Preußen siegen, weil das absolute Fürstenregiment bereits die ihm vom Schicksal zugewiesenen Aufgaben vollauf erfüllt hatte, weil die konstitutionelle Idee überhaupt, weit entfernt, lediglich ein fremdländisches Produkt zu sein, sich mit einer unzerstörbar scheinenden Uranlage des Deutschtums, zu denken und zu handeln, vollkommen deckt.

Im Verlaufe der letzten zwei Jahrtausende, während welcher die Entwicklung des deutschen, einschließlich des als Vorläufer in Betracht kommenden germanischen, Elements uns bekannt ist, streben unausgesezt zwei Kräfte nach gegenseitiger Aussöhnung und Ausgleichung: Fürstentum und Volksfreiheit. Unter Fürstentum verstehen wir hier das Machtelement, dessen Siz das her

vorragendste Geschlecht in einem Staatsverband ist und durch welches das Haupt des Geschlechts auf die erste leitende Rolle (Fürst) hingewiesen wird mag auch rechtlich die Trägerschaft der Staatsgewalt ihm nicht gebühren. Während die Staaten des klassischen Altertums daran zugrunde gegangen sind, daß Fürstentum und Volksfreiheit nicht zur befriedigenden Ausgleichung miteinander gediehen, scheint es die Eigenart des deutschen Volkscharakters mit sich zu bringen, daß hier jene beiden zur Kollision miteinander leicht neigenden Elemente einen ehrlichen, erträglichen Frieden schließen können. Gewiß sind die Beziehungen zwischen Fürstentum und Volksfreiheit in der langen Entwicklungsreihe deutscher Geschichte nicht immer die nämlichen; die verschiedenen Zeitumstände lassen bald das eine, bald das andere Element in den Vordergrund treten. Aber das Deutschtum weiß doch kaum von einer Epoche, wo auf die Dauer die Fürstengewalt in die vollständige Vernichtung der Volksfreiheit und umgekehrt die Volksfreiheit in die vollstän= dige Beseitigung der Fürstengewalt ausartet. Urangeboren in gleichem Maße erscheint unserem Volkscharakter die treue Anhänglichkeit an das angestammte Fürstenhaus und die Liebe zur Freiheit.

Die Erkenntnis, daß die staatliche Beherrschung durch das Mittel des Fürstentums, doch unter Wahrung des wesentlichen Grundrechts des freien Mannes, ein entscheidendes Wort bei der Regelung der öffentlichen Angelegenheiten mitzusprechen, einer deutschen Uranlage entspricht, ist schon wiederholt ausgesprochen. Allerdings hat es im Bereiche des Deutschtums auch staatliche Gemeinwesen gegeben, in welchen der Gedanke eines leitenden Fürstentums nicht zum Vorschein kam, vielmehr die Entscheidung durchaus den gleichgestellten, auch rechtlich mit der Trägerschaft der Staatsgewalt ausgestatteten Vollgenoffen der staatlichen Gemeinschaft (Republik, Freistaat) oblag, und innerhalb des neuen Deutschen Reichs vertreten gegenwärtig die drei Hansestädte den freistaatlichen Typus. Aber die freistaatlichen Organisationen im Bereiche des Deutschtums sind doch mit dem Fluche zwergstaatlicher Bildung behaftet geblieben, und regelmäßig, wenn die politische Organisation beim Deutschtum ins Große gehen sollte, vollendete sich solches nur unter der Leitung eines hervorragenden Führers aus altem Hause. Fürstliche Absolutie verträgt freilich das deutsche Element auf die

Dauer auch nicht; sie ist nicht die demselben adäquate Form staatlicher Beherrschung: die Periode absoluter Fürstengewalt in Deutschland war eine relativ kurze, vorübergehende. Die Prinzipien der konstitutionellen Monarchie, welche gegenwärtig in der weit überwiegenden Mehrheit der deutschen Staaten zur Herrschaft gelangt und nach Möglichkeit auch bei der Erneuerung des deutschen Gesamtstaats gewahrt sind, werden, scheint es, am ehesten den in unserem Volkscharakter wohnenden Kräften und Bedürfnissen gerecht: sie lassen für das dem deutschen Mann so teure Gut der Volksfreiheit genügenden Spielraum und ermöglichen andererseits die Leitung der Volkskräfte durch einen einheitlichen, von dem angestammten Fürsten vertretenen Willen, ohne welchen nach Ausweis der Geschichte dem deutschen Element die politische Organisation im großen nicht recht gelingen will.

Die folgenden Blätter wollen ein Bild der wechselseitigen Berührung von Fürstentum und Volksfreiheit in der Geschichte des Deutschtums bzw. des als Vorläufer zu berücksichtigenden Germanentums entwerfen und den Weg zeigen, auf welchem diese Elemente zu dem in der Gegenwart geltenden wechselseitigen Ausgleich gelangt sind. Nur im Lichte der Geschichte kann der Wert des Verfassungsstaats der Gegenwart richtig erkannt werden. Zum Verderben hat es bisher stets Verfassungsbestrebungen gereicht, wenn sie der historischen Fundamente vergaßen. Eine der Hauptursachen des Scheiterns der französischen Revolution zu Ausgang des 18. Jahrhunderts war das schließliche Absehen von aller geschichtlichen Erfahrung, der unglaubliche Einfall, die öffentlichen Einrichtungen der großen französischen Nation den blassen, in Schreibstubenluft gezeugten Schemen Rousseauscher Vernünftelei anzupassen.

§ 2. Die altgermanische Verfallung. Das regnum Francorum. Das regnum Teutonicum.

Aus dem Dunkel der Urzeit tritt das Germanentum nicht in der Form eines großen nationalen Staatsverbandes, sondern in der Gliederung kleiner für sich bestehender Völkerschaften (civitates) in die geschichtliche Beleuchtung. Das Organisationsprinzip ist an sich das freistaatliche. Trägerin der öffentlichen

Gewalt in den völkerschaftlichen Gemeinwesen ist die von allen wehrfähigen Männern gebildete Landesversammlung (thing, mallus). Dabei war das Königtum bereits bekannt, wenn auch noch nicht überall vertreten. Die Völkerschaften zerfielen in solche mit einem König (rex) und in königslose. Bei den lezteren gab es an der Epiße der Gaue (pagi), der Unterabteilungen der civitas, Fürsten (principes), welche als „Völkerschaftsrat“ die entscheidenden Beschlüsse der Landesversammlung vorbereiteten. Das Königtum fand erst mit der Zeit von den Ostgermanen aus bei den Westgermanen Eingang und stellte eine stärkere Modifikation des freistaatlichen Gedankens als die Prinzipatsverfassung dar. Der eine König der Völkerschaft verwaltete die in der königslosen Völkerschaft dem Fürstenrat obliegenden Geschäfte, er hatte Berufung und Leitung der Landesversammlung selbst und das ständige Heerführeramt, während die königslose Völkerschaft bei Kriegsfall einen besonderen Heerführer (dux, Herzog) wählte. Immerhin blieb auch dem Königtum gegenüber die Volksfreiheit gewahrt, der König selbst der Landesversammlung unterstellt (Tacitus: nec regibus infinita aut libera potestas; Gotones regnantur . . nondum tamen supra libertatem). Der Wahl der Landesversammlung dankte der König selbst seine Stellung, jedoch in besonderer Weise. Gewiß sah man auch in der königslosen Völkerschaft bei der Wahl der principes tatsächlich auf hervorragende Abkunft, aber in der Völkerschaft mit Königtum verband die gemeine Rechtsanschauung dasselbe mit dem adligsten Geschlecht und die Landesversammlung gab im Vakanzfall nach freiem Ermessen ein Urteil darüber ab, welcher der vorhandenen Geschlechtsgenossen für die Königstellung am taug= lichsten sei (Tacitus: reges ex nobilitate, duces ex virtute Gregor von Tours: reges.. creavisse de prima et, ut ita dicam, nobiliore suorum familia). Doch blieb das Recht des königlichen Geschlechts gegenüber der Landesversammlung ein relatives. Dieser stand bei der Berufung eines Königs an sich auch das Abgehen von dem bisher königlichen Geschlecht frei, wie ferner die Aburteilung und Absetzung des aus dem königlichen Geschlecht berufenen Königs.

sumunt.

Seit dem 3. Jahrhundert nach Chr. erscheinen größere, durch Verschmelzung der alten civitates entstandene Stammesverbände: die Ost- und Westgoten, die Langobarden, Bayern,

Thüringer, Burgunder, Alemannen, Sachsen, Friesen, namentlich die Franken. An der Spiße der einzelnen Stammesverbände standen Stammeskönige, nur die Sachsen hielten bis zur Unterjochung durch Karl den Großen an der Prinzipatsverfassung fest. Die Befugnisse des Stammeskönigs waren bei weitem umfassender als die des alten Völkerschaftskönigs. Die Römernot und das herkömmlich als Völkerwanderung bezeichnete territoriale Völkergeschiebe hatten die kleineren germanischen Völkerschaften von der Notwendigkeit größerer Einheit unter einem Willen überzeugt. In den von einzelnen germanischen Stämmen auf romanischem Boden gegründeten Reichen kamen überhaupt allgemeine Versammlungen der wehrfähigen Freien des Stammesverbandes als regelmäßige Verfassungseinrichtung nicht mehr vor. Schon die territoriale Ausdehnung dieser Reiche machte von selbst eine regelmäßige Wiederkehr solcher allgemeiner Volksversammlungen unmöglich. Das Stammeskönigtum wurde naturgemäß selbst Träger der öffentlichen Gewalt innerhalb des Stammesverbandes. Von besonderer Bedeutung für die spätere deutsche Entwicklung sind die Einrichtungen des regnum Francorum geworden, welches Chlodovech, ein Sproß des alten fränkischen Königsgeschlechts der Merowinger und ursprünglich ein dem fränkischen Stammeszweig der Salier angehöriger Völkerschaftskönig, um die Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert gründete. Im regnum Francorum, welches von Anfang an einen Rechtsunterschied zwischen Germanen und Romanen nicht kannte, entwickelte sich das fränkische Völkerschafts- und Stammeskönigtum zu einem einheitlichen, allen Staatsangehörigen gegen= über die Staatsgewalt gleichmäßig vertretenden Reichskönigtum. Der fränkische Reichskönig wurde nicht mehr vom Volk gewählt, nach strengem Erbrecht gelangte der Merowinger, mit dessen Geschlecht das fränkische Reichskönigtum zunächst als untrennbar verbunden galt, an die Spize des Reichs. An der Aufzeichnung einer Thronfolgeordnung fehlte es zwar, aber da die Gründung des regnum Francorum wesentlich eine Tat Chlodovechs selbst, nicht des Frankenstammes war und am Reiche demgemäß mehr ein Recht des Merowingergeschlechts als des Frankenstammes zu bestehen schien, wandte man auf die Thron= folge ohne Bedenken die Grundsäge des salischen Privaterbrechts an die Bestimmungen der bei den Saliern, wo Chlodovech ursprünglich Völkerschaftskönig gewesen, entstandenen lex Salica.

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