Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Über die Verwendung und Wirkungsweise der heutigen Feld-, Gebirgs- und schweren Feldartillerie und deren deren Zusammenwirken mit anderen Waffen. *)

Von Sigismund Hudler, k. u. k. Oberleutnant im Feldkanonenregiment Nr. 34. Mit 5 Beilagen (Nr. 28-32).

Die Umbewaffnung der Artillerie mit einem Geschützmaterial, auf dessen Konstruktion und Einrichtung die Erfahrungen der letzten Feldzüge und die rapide Entwicklung der Waffentechnik bestimmenden Einfluß nahmen, hat zu neuen Anschauungen über die Verwendung dieser Waffe geführt.

Die erhöhte Leistungsfähigkeit des neuen Geschützmaterials charakterisiert sich durch vergrößerte Portee, erhöhte Feuerschnelligkeit und Präzision und gleichzeitige Vereinfachung der Bedienung. Diese erhöhte Leistungsfähigkeit hatte eine beträchtlich gesteigerte Wirkung zur Folge, zu deren Erzielung und vollen Ausnützung man sich natürlicherweise anderer Mittel wie früher moderner Richtmittel bedienen mußte. In glücklicher Weise ging da die Vervollkommnung des Geschützmaterials mit der Ausgestaltung der Richtmittel Hand in Hand und Verbesserungen auf der einen Seite wurden ergänzt und begleitet durch Fortschritte auf der anderen.

Diese Neuerscheinungen haben naturgemäß auf die Art und Weise des Zusammenwirkens der Artillerie mit anderen Waffen nachhaltig eingewirkt und wie niemals vorher das Bedürfnis nach einem Zusammengehen, nach einer kontinuierlichen Fühlungnahme wachgerufen. Auf diesen Umstand muß ein großes Gewicht gelegt werden, denn hier berührt sich das Interesse aller Waffen.

Die Notwendigkeit des Zusammenwirkens der Artillerie mit den anderen Waffen oder anders ausgedrückt des vollen Einklanges

[ocr errors]

*) Vorliegende Studie war ursprünglich als ein im Militärkasino in Brassó

im Winter 1909 zu haltender Vortrag gedacht. Die Veröffentlichung konnte wegen Raummangel erst jetzt erfolgen.

Streffleur 1911, II.

84

der Tätigkeit derselben mit jener der anderen Waffen bedarf keines Beweises. Wie dieser Einklang herzustellen und aufrecht zu erhalten ist, dafür ergeben sich Gesichtspunkte, wenn die Eigenschaften der modernen Artillerie auf den Einfluß hin geprüft werden, den sie auf das Gefecht und auf dessen Leitung nehmen. Nur das Verständnis für die Leistungsfähigkeit moderner Geschütze und die Wirkungsweise ihrer Geschosse unter den verschiedensten Verhältnissen gibt die Möglichkeit, diesen Einfluß richtig zu bewerten, und es mögen daher zunächst die Eigenschaften der heutigen Artillerie in übersichtlicher Weise einzeln behandelt und durch Anführung der wichtigsten Daten illustriert werden.

-

Die Schlußfolgerungen, zu denen man hiebei gelangt, können an den bekannten Erscheinungen des russisch-japanischen Krieges nachgeprüft und bei Berücksichtigung und Abwägung der in diesem Kriege herrschend gewesenen besonderen Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade erhärtet werden es muß betont werden: bis zu einem gewissen Grade, denn es wäre ein verfehltes Beginnen, aus Einzelerscheinungen dieses Feldzuges Normen ableiten.

zu wollen.

[ocr errors]

am

Unter den Merkmalen der modernen Artillerie sticht die vergrößerte Portee insbesondere bei der Feldkanone meisten hervor. Die Porteekreise auf Beilage 28 mit den maximalen Schußweiten für:

[ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small]

gestatten einen raschen Überblick über die Leistungsfähigkeit der gewählten Geschützrepräsentanten hinsichtlich deren Tragweite. Hiebei geschah unseres alten Feldgeschützmaterials nur vergleichshalber Erwähnung; von den eingeführten Gebirgsgeschützen wurden die zwei modernsten herausgegriffen.

Die 8 cm-Feldkanone M. 5 ist ein Rohrrücklaufgeschütz mit Schutzschild; die 10-cm-Feldhaubitze M. 99 ein Lafettenrücklaufgeschütz mit Federsporn, ohne Schild; die 7 cm-Gebirgskanone M. 9 ein Rohrrücklaufgeschütz mit Schild; desgleichen die Gebirgshaubitze; die 15 cmHaubitze ist ein Lafettenrücklaufgeschütz ohne Sporn. Die Feldhaubitze und die 15-cm-Haubitze dürften in Bälde durch Geschütze moderner Konstruktion ersetzt werden.

Um den Ausführungen ein lebendigeres Interesse zu geben, sind die genannten Geschütze am Mühlberg *) 605 in Tätigkeit gedacht. Die Feldkanone beherrscht von dort aus den Raum: Talinen B.-Kirche in der Ortsmitte von Szentpéter-ca. 1500 m nördlich Villa Sterio vorbei-Vidombák - Fuß des Gräfen B.-Schuler Au- nächst Forsthaus südwestlich Bácsfalu-über Derestye hinaus-Kronerfeld— Talinen B. In ähnlicher Weise empfiehlt es sich, die übrigen Kreise in einem durch Anschauung und Erfahrung bekannten Terrain zu verfolgen, um sich die Portee in einem geläufigen Maße zu vergegenwärtigen und einzuprägen.

Das alte Feldgeschütz spielt unter diesen Größen im Reiche des Ertrages eine bescheidene Rolle und unser Interesse wendet sich der neuen Feldkanone mit ihrer gewaltigen Raumbeherrschung zu. Der Umfang ihres größten Porteekreises mißt bei 45 km, die von ihr beherrschte Fläche über 150 km2 oder nahezu 3 Quadratmeilen. In dieser ausgedehnten Zone muß der Gegner mit dem Feuer der Feldkanone rechnen ; er kann dieselbe nur unter dem Schutze von Deckungen oder in einer der Wirkung angepaßten, dieselbe tunlichst herabsetzenden Formation. betreten; die Gefährdung wächst mit seiner Annäherung und mit der Dauer seines Verweilens in diesem Raume. Vergleichsweise sei die vom Feldgeschütz M. 75 beherrschte Fläche mit 64 km2 angeführt. Hier stellt sich also das Verhältnis zwischen Feldkanone und Feldgeschütz etwa wie 5:2. Diese Verhältniszahlen mit Bezug auf die Fläche und nicht durch einfachen Vergleich der maximalen Schußweiten zu geben, erscheint viel anschaulicher, da hiedurch zum Ausdruck kommt, daß dank der modernen Richtmittel aus einer und derselben Stellung im allgemeinen alle Richtungen beherrscht werden können. Die 10-cm-Feldhaubitze steht was Tragweite anbelangt an zweiter Stelle, dann folgt die 15-cm-Haubitze und die Gebirgskanone. Die 10-cm Gebirgshaubitze M. 8 ist der Feldhaubitze als ballistisch äquivalent anzusehen.

Die volle Ausnützung der Portee hat noch manchen Gegner. Es wird vielfach darauf hingewiesen, daß das mit der größten Aufsatzstellung abgegebene Feuer nur geringe Wirkung verspricht. Noch vor wenigen Jahren - es war dies beim alten Feldgeschütz - konnte es geschehen, daß einen Batteriekommandanten bei einer Übung Tadel traf, weil er bereits auf 6000× das Feuer gegen eine in Doppelreihen aus einem Walde debouchierende Infanteriekolonne eröffnete. Die Feuereröffnung lag wohl in der Absicht des Detachementskommandanten, aber die Entfernung ließ nach damaliger Anschauung das Feuer wirkungslos erscheinen. Und doch konnte man mit dem Feldstecher

*) In der Spezialkarte ist nur die Kote eingetragen.

deutlich wahrnehmen, daß sich die sichtbar gewordenen Teile dieser Kolonne in die Breite zogen; es dauerte etwa 15 Minuten, bis wieder eine Vorwärtsbewegung konstatiert wurde. Das Weitfeuer hatte einen aufgezwungenen, störenden Aufenthalt des Gegners zur Folge und im Ernstfalle hätte sich diese Wirkung noch prägnanter geäußert.

Die den modernen Geschützen eigene große Raumbeherrschung befähigt die Artillerie, den Gegner auf weite Entfernungen anzufallen, ihn zu zwingen, die fließende Vorwärtsbewegung einzustellen, d. h. ihm einen Zeitverlust zu verursachen. Wenn er nicht rechtzeitig breite und schüttere Formationen aus eigener Initiative annimmt, so zwingt ihn das Feuer hiezu und er wird den Mangel an Verständnis für die Geschützfernwirkung mit einer Einbuße an Kraft und Ordnung bezahlen. Einem Feinde gegenüber, der nicht mit aller Konsequenz der großen Tragweite moderner Geschütze Rechnung trägt, werden Feldkanonen leicht in die Lage kommen, überraschend aufzutreten, sei es, daß sie ihr Feuer gegen eine eventuell nur als Staub wolke wahrnehmbare feindliche Kolonne richtet oder daß sie ihre Geschosse auf Meilenertrag in eine in der Flanke vorrückende gegnerische Seitenkolonne entsendet. In welch hervorragendem Maße Feldkanonenbatterien geeignet sind, unterstützend in den Kampf von Nachbarkolonnen einzugreifen, mag aus folgender Betrachtung erhellen:

Die Gefechtsfront eines Korps kann wohl nicht zahlenmäßig fixiert werden; es diene aber als Anhaltspunkt, daß dieselbe bei den Russen 1904/05 7 km und darüber betrug *). Eine günstig placierte Batterie kann somit unter Umständen die Gefechtsfront von nahezu zwei Korps beherrschen, und denken wir uns die gesamte Artillerie des Korps teils in Gruppen von Batterien, teils in einzelnen Batterien auf dem ganzen Gefechtsfelde verstreut, so ermöglicht der große Ertrag wenn von gewissen technischen und von eventuellen lokalen Schwierigkeiten vorläufig abgesehen wird die Feuervereinigung nahezu aller Batterien gegen den Angriffsraum.

Über die Batteriestellungen sei hier nur so viel gesagt, daß ihre Wahl nicht mehr die Qual von früher verursacht. Das ängstliche Aufsuchen einer Stellung, womöglich mit einer von vornherein genau bestimmten Schußrichtung, die sich überdies oft als unzutreffend erwies,

*) Im russisch-japanischen Kriege kamen Gefechtsausdehnungen vor, die als abnorm groß bezeichnet werden müssen. 5-6 km Breitenausdehnung für eine Infanterietruppen division war nicht selten. Derartige Ausdehnungen mögen in vielen Fällen in den Bedingungen, unter denen sich die Kämpfe abspielten, ihre Erklärung finden. Unter Zugrundelegung europäischer Verhältnisse haben sie keinen Sinn. Wenn in dieser Hinsicht unter dem frischen und sozusagen unverdauten Eindrucke der mandschurischen Feldzugserscheinungen hier und dort gefehlt wurde, so ermangelten die berufenen Kreise nicht, dieser irrgegangenen Praxis entgegenzutreten.

gehört der Vergangenheit an. Das Schwergewicht ist nunmehr von der Geschützstellung auf die Stellung des Beobachters (Feuerleitenden) übergegangen und es hängt von seiner Rührigkeit ab, in welchem Maße er die Geschütze innerhalb ihres großen Wirkungsbereiches zur Geltung bringt. Alles was in diesem vom Feuerleitenden direkt oder indirekt durch Vermittlung von Hilfsbeobachtern (eventuelle Zuhilfenahme einer Karte) wahrgenommen werden kann, unterliegt auch der Einwirkung des Geschützfeuers, vorausgesetzt, daß die allgemeinen Bedingungen für die Möglichkeit eines wirksamen Beschießens erfüllt sind. (Überschießen von Truppen und Deckungen, ausreichende Einfallwinkel u. s. w.)

Die Feuertätigkeit der Batterien ist von der Stellung unabhängiger geworden und deren Wirkungssphäre wird weniger nach der Batteriestellung selbst, sondern mehr nach dem Standpunkte des Feuerleitenden zu beurteilen sein.

Aus dem Gesichtspunkte der großen Portee betrachtet, erscheint die Notwendigkeit des Stellungswechsels auf weniger zahlreiche Fälle beschränkt; selbst bei der Verfolgung wird es oft zweckmäßiger sein - solange der Feuerleitende eine Wirkung beobachten kann — in der innehabenden Stellung zu verbleiben und lieber weiterzufeuern, als durch die Unterbrechung des Schießens dem Gegner eine Erleichterung zu gewähren.

Man muß bei einer allgemeinen Betrachtung der gegnerischen Artillerie billigerweise dieselbe Leistungsfähigkeit zumuten wie der eigenen. Sofern der Stellungswechsel nicht vollkommen gedeckt ausgeführt werden kann, ist er mit dem größten Risiko verbunden. Das frische Vorwärtsstreben, an sich eine Tugend, die jede Waffe an den Tag legen will, kann im Ernstfalle nur bestehen, wenn die Grundlagen für das Gelingen gegeben sind. So wertvoll z. B. das Begleiten. des Infanterieangriffes durch einzelne mitfolgende Batterien auch erscheinen mag, so darf doch nicht außeracht gelassen werden, daß dieselben zu einem äußerst dankbaren Ziel für die gegnerische Artillerie werden und leicht der Vernichtung anheimfallen, ohne genützt zu haben. Die Frage, was der eigenen Infanterie lieber ist: den Angriff durch ein unausgesetztes, in die feindlichen Linien schlagendes Schrapnellfeuer, das sich in Augenblicken der Entscheidung steigert, unterstützt zu sehen, oder mehr darin gewissermaßen eine moralische Stütze zu finden, daß die eigenen Feuerlinien nachrücken und den Geschützlärm nähertragen, wobei sie allerdings das Feuer zeitweise unterbrechen müssen, in einem Teile vielleicht ganz verstummen, kann leicht entschieden werden.

auch in

Die Infanterie wird jenes Feuer höher bewerten moralischer Beziehung von welchem sie eine bessere, eine aus

« ZurückWeiter »