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gewiesen. Die angenommenen Part. müßten zudem anders lauten, sodaß ein Ausgleich zwischen Part. und Infin. undenkbar würde, und würden andere Bedeutung haben. — Man hat ferner die „,falsche“ Analogie herangezogen. In dem Beispiele: ich habe arbeiten sehen (heißen, lassen) war Infin. und das (augmentlose) Part. nicht zu unterscheiden. Davon beeinflußt, habe man dann auch gesagt ich habe arbeiten konnt" und dann ich habe arbeiten können". Aber weshalb hat denn die Sprache die vielen andern starken Verba, deren Part. praet. mhd. und später noch augmentlos sein durfte, nicht gleicherweise entwickelt, sodaß man sagte: ich habe geben (laufen, singen)" u. s. w.? — Nach Abweisung der erwähnten Erklärungsversuche stellt Verfasser seine eigene Ansicht auf. Das in Rede stehende können" u. s. w. ist nach ihm ein wirklicher Infinitiv und das Ergebnis eines syntaktischen formalen Ausgleichs - dieser Begriff „Ausgleich“ wird in dankenswerter Weise ausführlich erörtert und in seine Arten zerlegt, zu beurteilen, wie 3. B. „Ich trinke einen Becher alten Wein" statt des ursprünglichen partitiven Genitivs alten Weines". Stehen zwei Wortformen“, so heißt es S. 24, „im Saße unmittelbar nebeneinander und drängen sie sich in dieser Zusammenstellung dem Sprachgefühl mehr oder weniger als eine inhaltliche Einheit auf, so ist man bestrebt, ihre Formen einander zu nähern und dadurch Formenunterschiede zu verwischen: die eine Form wird der andern angeglichen." - Bei einer Angleichung sind immer zwei Fälle möglich, je nachdem die eine oder die andere Form obsiegt: so konnte aus, ich habe schreiben gemußt" werden 1.,, ich habe schreiben. müssen", 2. theoretisch,, ich habe geschrieben gemußt". Das S. 30 in dieser Richtung angeführte Beispiel scheint uns allerdings überaus merkwürdig. - Die Entwickelung der besprochenen Sprachform ist also nach Merkes kurz folgende (S. 33): 1. Bis ins 14. bez. 15. Jahrhundert fannte man die Satform,, er hat thun sollen" nicht, weil das Part. "gesollt" noch nicht gebildet war; mhd. half man sich mit der sonderbaren Verlegung des Praet.,,er soll gethan haben“. (Vgl. das Engl.) 2. Jm 14. bez. 15. Jahrhundert kam das Part. auf, also „er hat (ge)sollt thun“. 3. Im 16. Jahrhundert zeigt sich Schwanken zwischen dieser Form und der Ausgleichung er hat sollen thun“, die im 17. Jahrhundert gewöhnlich und heute allein üblich ist.

Wir müssen es uns leider versagen, gleich ausführlich auf die weiteren Darlegungen des Verfassers einzugehen. Er geht die so erklärte Satform in allen ihren möglichen Erweiterungen durch (z. B. die Typen: ,,er wird heute mit meinem Bruder in die Stadt haben gehen wollen"; ,,er hat das mögen thun wollen" u. s. w.), ferner ihre Wortstellung bei Haupt- und bei Nebensaz. Nur drei Punkte seien noch kurz herausZeitschr. f. d. deutschen Unterricht. 10. Jahrg. 12 Heft.

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gegriffen. Bekanntlich schreibt Lessing Säße nach dem Typus: Wenn er diesen Brief selbst schreiben können, will ich ihn anstellen, d. h. mit Auslassung des verbum fin. in dem Nebensaz. Dieser, vom Verfasser Lessing-Saß getaufte Typus ist zu belegen seit 1582-1850; heute gilt er wohl nur noch in der Form: „Wenn er das schreiben gekonnt,..." Mit Recht behauptet Verfasser S. 56 gegen Wustmann, daß die Auslassung des „hatte, war“ u. s. w. im Nebensaße nicht erst jüngeren Ursprungs ist; vielmehr ist die Auslassung älteren Datums, und deshalb auch der poetischen Sprache allein angemessen. Gleichwohl

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möchten wir, und glauben, der Verfasser ist derselben Meinung diese Auslassung abgesehen von wenigen Fällen (wo dadurch eine Kakophonie vermieden wird) zumeist tadeln und von der Schule eifrig bekämpft wissen. Interessant ist endlich (S. 67) die Bemerkung, daß der Sat: „Ich glaube es haben thun zu können“ dem zu eine falsche Stellung anweist, entstanden nach Analogie von:,,er behauptet es thun zu wollen" u. dgl. Das Niederländische hat hier noch das Richtige bewahrt: Ik geloef het te hebben kunnen doen. Der falschen Stellung werden wir uns jedoch gar nicht mehr bewußt!

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Die Anerkennung, die wir dem Verfasser im allgemeinen zollen, schließt natürlich nicht aus, daß wir in manchen Punkten abweichender Meinung sind. So find, nach meinem Sprachgefühl, durchaus fehlerund einwandfrei die von Merkel (S. 41) angezweifelten Säße: „Verkauft ist das Haus worden, nicht vermietet," oder (S. 42) „Schreiben hat er ausgezeichnet können, vortragen aber nur schlecht;" ebenfalls in der Form: Schreiben hat er ausgezeichnet gekonnt, ...“ wo ich stilistisch freilich vorziehen möchte: Schreiben konnte er..." Aus dem Saze ,,Er wird ausgezeichnet haben schreiben können“ (S. 43) wird mit ver änderter Wortstellung zwar nicht „Schreiben wird er ausgezeichnet haben können," wohl aber kann es heißen: „Schreiben wird er ausgezeichnet gekonnt haben." S. 50 halte ich doch mit Wezel die ältere Wortstellung in Beispielen wie: „Er hat das Haus müssen verkaufen Lassen," Ich hätte ihn hier sollen töten lassen," statt des modernen ,,Er hat das Haus verkaufen lassen müssen" auch heute noch für zulässig. Umgekehrt sind die S. 54 gebildeten Beispiele:,,Der Brief wird haben geschrieben werden können" und gar: „Wenn der Brief wird haben können geschrieben werden" durchaus undeutsch, um nicht zu sagen überhaupt unmöglich; ebenso ist entseßlich zu lesen wie zu hören, so richtig logisch an sich der Sah lauten mag:,,Wenn er das hätte können drucken lassen dürfen." Da sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht. Auch wird niemand eine Übersetzung wie S. 71,,Der Wunsch das thun gekonnt zu haben" - Le désir

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d'avoir pu faire cela in Wirklichkeit je bilden. In dem Sage, der Brugsch-Pascha einmal entschlüpft ist (S.72):,,Es war ein Schüler, der das Zeitliche gesegnet hatte, ohne seine Studien vollendet haben zu können," sehe ich keineswegs mit dem Verfasser ein „Nachwehen des mittelhochdeutschen Sprachgeistes,“ sondern einen gewöhnlichen, in der Eile des Schreibens begangenen Schnitzer; denn wie selten hört und prüft jezt noch das Dhr, was die Hand schreibt, im Verhältnis zu vergangenen Zeiten! Überhaupt gehören von den Formen, die in dem leßten Teile des Buches besprochen werden, die meisten nicht dem gewöhnlichen, schlichten Stile an, sondern sind ein Erzeugnis der gelehrten Buchsprache, kurz sie gehören zum papiernen Stil und verdienen keineswegs Nachahmung. Und hier finde ich mich mit dem Verfasser wieder zusammen, dessen Regel (S. 71, vergl. 64) ich vollständig unterschreibe und allen Lehrern zur praktischen Befolgung warm ans Herz lege: „Bei etwaigen Schwierigkeiten in der Konstruktion (nämlich der Modalhilfszeitwörter) bediene man sich statt des modalen Hilfszeitwortes einer gleichbedeutenden Redensart,“ 3. B. statt, können"= im stande, in der Lage sein, vermögen, u. ä.

Es erübrigt noch zu bemerken, daß von S. 76 an eingehende Belege zu der Konstruktion der einzelnen Verba (nämlich können, wollen, mögen, müssen, dürfen, lassen, machen, sehen, hören, lehren, lernen, helfen, heißen, brauchen, pflegen, suchen, wissen, vermögen, bedürfen, fühlen) unter Heranziehung einer reichen, von 1519 bis zum modernsten Tages- und Zeitungsdeutsch reichenden Litteratur gegeben sind. — Auffällig ist (S. 74 und 127 flg.), daß der Verfasser in der ganzen von ihm durchstöberten Litteratur, auch in keinem der großen Wörterbücher einen Beleg für die Perfekt-Form von fühlen" (,, ich habe sein Herz schlagen fühlen") hat finden können. Vielleicht veranlassen diese Zeilen seitens unserer Leser die Auffindung eines Beispiels oder die Aufklärung, weshalb solche Beispiele fehlen. Jedenfalls hat Grimm, wenn er im Wörterbuche unter fühlen" sagt, unsere Sprache sehe heute lieber: „ich habe sein Herz schlagen gefühlt“ sich von der manchmal bei ihm hervortretenden bewußten oder unbewußten Altertümelei verführen lassen.

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Zum Schlusse möchte ich nicht unterlassen, die schönen Worte anzuführen, womit Merkes die Stellung der (deutschen) Grammatik kennzeichnet und die mir, wie gewiß manchem Lehrer unserer Muttersprache, aus der Seele gesprochen sind (S. 68):,,Der Grammatik kommt eine höhere Würde zu, als die eines bloßen Beobachters und Berichterstatters. Ihre erste Aufgabe ist es allerdings, das ganze vorhandene Formenmaterial der Sprache festzustellen. Dann aber ist es ihre Pflicht, kritisch zu untersuchen und Widersinniges als durchaus Unberechtigtes ohne Nachsicht zu verurteilen. Bei schwankendem Sprachgebrauch soll sie sich nicht zum

Sklaven von Mehrheiten erniedrigen. Sie soll ein weiser Richter über Mehrheit und Minderheit sein und dadurch soviel als möglich verhüten, daß die blinde Menge, die allerhand guten und schlechten Einflüssen ausgesezt ist, Gutes verkümmern und Schlechtes üppig emporwuchern läßt. Sie soll unnötige und schlechte fremde Bestandteile aus der Sprache verbannen und soll die vorhandenen Ausdrucksmittel pflegen, und so viel an ihr ist, nicht vernachlässigen lassen."

Vreden i. W.

Arens.

Selmar Kleemann, Die Familiennamen Quedlinburgs und der Umgegend. Quedlinburg. Verlag von H. C. Huch. 1891. 264 . 8°. Der Verfasser hat die weitschichtige, zum Teil in Programmen und Zeitschriften zerstreute Litteratur über deutsche Familiennamen sorgsam durchgearbeitet und im einzelnen verwertet. Unsere bedeutendsten Forscher auf dem Gebiete der Namenkunde haben dem Buche ihre Hilfe nicht versagt: Ich weiß selber aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, die Familiennamen eines beschränkten Bezirkes auch nur annähernd vollständig zu sammeln, sie zu erklären und unter die einzelnen Stämme zu bringen ist eine Riesenarbeit. Ich habe das Material für Rostock und die umliegenden Dörfer noch immer nicht zusammen, obgleich ich schon seit drei Jahren sammele. In Urkunden, Kirchenbüchern, Steuerlisten, Urbarien, Zunfttabellen liegt der Stoff zerstreut, in Meklenburg kommt noch die zweifache Sprache, hoch- und niederdeutsch, hinzu. Mancher Forscher wird mit Freuden in dem Buche blättern und alte, liebe Bekannte werden sich ihm in neuer Beleuchtung zeigen, daneben wird diese Bearbeitung der Familiennamen Quedlinburgs auch ein ernsteres wissenschaftliches Interesse vollauf befriedigen. Das umfangreiche Buch ist gerade so entstanden wie meine Sammlungen, es ist nämlich die Erweiterung und Ausführung eines Vortrags, den Kleemann 1884 im Quedlinburger Beamtenverein gehalten hat. So begannen meine Studien mit Vorträgen über den Rostocker und Wismarschen Adreßkalender. Bei solchen Gelegenheiten merkt man erst, wie viel es troß unserer vielen Namenbücher noch auf diesem Gebiete zu thun giebt.

Das erste Kapitel ,,Zur Geschichte der deutschen Namengebung" giebt ein anschauliches Bild von der Entwickelung der deutschen Familiennamen. Nächst Jakob Grimm hat sich ja besonders Ernst Förstemann ein hohes, wissenschaftliches Verdienst erworben, indem er die ältesten deutschen Personennamen, männliche wie weibliche, bis zum Jahre 1100, weit über 12000 an Zahl, in seinem „, Altdeutschen Namenbuche", Band I. Personennamen (Nordhausen 1856), zusammengetragen hat. Sie sind der Haupt- und Grundstock unserer heutigen Familien

namen, die ihrerseits ihre Entstehung dem wirtschaftlichen Aufschwunge der deutschen Städte seit der Mitte des 13. Jahrhunderts verdanken. Jeder Deutsche führt heute mindestens zwei Namen, einen Familiennamen und einen Vornamen. Unsere Vorfahren haben sich Jahrhunderte hindurch mit der ausschließlichen Führung eines Namens begnügt. Wir finden keine Spur, daß in der vorchristlichen Zeit beim Feste der Namengebung, die wie bei fast allen Völkern so auch bei den Germanen ein bedeutungsvoller, feierlicher Familienakt war, dem Kinde doppelte Namen gegeben wären. Hieß der Vater Konrad, so konnte dessen Sohn Friedrich, dessen Sohn Otto, dessen Sohn Hildebrand u. s. w. heißen. Um die Pietät, die in der Kinder Namen die Erinnerung an geliebte Verwandte erhalten will, auszudrücken, wozu wir heute die Vornamen gebrauchen, besaß die älteste Zeit, so lange die Kraft der Namengebung noch lebendig war, verschiedene Mittel. Es wurde entweder, und das ist eine sehr alte Form, der Name durch Ablaut umgewandelt; die Mutter hieß Ada, die Tochter Oda, die Mutter Adalhilt, die Tochter Uodelhilt. Oder man band die Namen innerhalb der Sippe durch Stabreim, z. B. die Mutter Thusnelda, der Sohn Thumelicus; die Burgundenkönige Gibich, Gunther, Gêrnôt, Giselher; Hildebrand und sein Sohn Hadubrand, aus dem Hasdingenhause Godagisil und seine Söhne Guntharix und Geisarix; im fränkischen Stamme die Namen Sigeo, Sigufrid, Sigumund. Manchmal finden sich auch volle vokalische Reime, so in einer fränkischen Urkunde vom Jahre 635 die drei Brüder Ado, Dado, Rado. Dann wieder gingen gleiche Kompositionsglieder durch die Geschlechter hindurch, so im Epos von Walther und Hildegunde Alpheri (Vater), Waltheri (Sohn), Ratheri (Enkel); Geisarix und seine Söhne Hunarix und Theudarix. Oder endlich es wurde im Namen des Kindes der Name des Vaters und der Mutter zugleich berücksichtigt, indem aus jedem der zweigliedrigen Namen je ein Wort genommen, und diese beiden zu einem neuen Namen zusammengeschmolzen wurden; so ist z. B. eine Teutberta Tochter eines Teudulfus und einer Erkamberta; ein fränkisches Ehepaar Reinarius und Amalgardis haben die Söhne Raganharius und Amalharius, sowie die Töchter Raingardis und Angilgardis. So erklären sich die vielen Namen, in denen die Bildungsteile ihre Stelle getauscht haben: Gêrnôt und Nôtgêr; Gêrnand und Nandgêr; Walthari und Harialt; Fridugîs und Gîsfrid; Gîsloald und Waldegîsil; Fridamal und Amalfrid; heutige Namen z. B. Degener und Herdegen; Baldewein, Weinpold; Trautwein, Weintraut und viele andere (Vergl. auch Fic, die griechischen Personennamen, Göttingen 1874 S. XCIII flg.).1) Diese

1) Vergl. Kleemann, S. 2 flg.

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