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der Wörterbuchsarbeit gefunden habe und müßte noch ganz anders, in anderer Fassung vorgetragen und gezeichnet werden, als es im Wörterbuchsrahmen thunlich ist.... Ja die „alte gute Zeit", ein Begriff, der jezt von den sog. Gebildeten vorzugsweis gern mit Spott verfolgt wird! wie elend gestaltet Ihr die - heilige Muttersprache, die die alte Beit so wundervoll an und ausgebaut hatte.

4.

8. März 1884.

Wie auch an längst verdunkelten Worten und Wendungen doch der ursprüngliche Kern oder Geisteshauch deutlich fort: lebt, zeigt u. a. gelassen, eig. gote gelâzen, sich Gott ganz hingebend, aus der Mystik des 13. 14. 15. Jahrh.: noch jezt z. B. Schmerzen geLassen ertragen, mit geduldiger Hingebung oder Verzichtung auf sich selbst, es ist der ursprüngliche Kern noch immer deutlich gefühlt und angewandt. [Näheres s. im Deutschen Wörterbuch 4,2865 ff.]')

Mich sezt an dem unbewußten Sprachleben kaum etwas so in Erstaunen, als diese unverwüstliche Dauer von einem so zarten Geisteshauch über Jahrhunderte hinweg, durch Tausende oder Millionen von Mündern und Geistern hindurch, wie er in fortwährender Wandelung oder Verwitterung begriffen doch im innersten Kern derselbe bleibt, mit Worten kaum scharf auszusprechen und doch in den Gebrauchenden ganz im ̧Unbewußten versteckt sicher wirkend wie die Idee' einer Pflanze in allen ihren manigfachen Abformen, die sie in der Weite von Raum und Zeit annimmt: man steht dort wie hier dicht beim Räthsel des eigent lichen Lebens an sich -.

22. Aug. 1884.

Wie auch Hochgegriffenes sich abbraucht2) und Ersaß von oben fordert, zeigt 3. B. verehren im Alltagsleben, noch im 18. Jahrh. von Göttern, Geliebten, großen, edlen Menschen nun als ver: ehrter Freund schon ganz unten. Vor ein paar Jahren antwortete

1) Wie auch in ungefähr, eig. âne geværde, gevære (auflauerndes Nachstellen, wie im Kriege, auch im Gericht, als Kampf gedacht), aus der Rede vor Gericht, einer Angabe, Aussage, Behauptung beigefügt, bei der man sich gegen etwaige böswillige Auslegung des Gegners und schädliche Ausbeutung damit sicherte: und noch jest z. B. es sind noch ungefähr 100 Thaler in der Kasse', d. h. ich kann für die Zahl nicht genau einstehen, ich will mich vorsichtig ausdrüden. [S. auch im deutschen Wörterbuch unter gefähr und gefährde.]

2) Oder der Fronie verfällt, wie z. B. gemüthlich (s. im deutschen Wörter: buch 4,3382.5 flg.]. Das Heiligste am liebsten zum Wiß gebraucht (d. H. das wohlfeilste und wirksamste Mittel), s. z. B. Uhland B. L. 571, Kirchhof Wendunmuth 1,269 fig.

mir ein Herr, den ich unbekannt auf der Straße um Feuer ansprach: Ja wol, verehrter Freund. Gestern im Bade sagte ein Badegast zum Bademeister: Ich bin abonnirt, Verehrtester, also wie sonst Lieber, d. h. mit wolthuender Herablassung, den Herren vom Hofe nachgemacht.

Was nun aber von oben Neues, wieder mit Sinn und Kraft Versehenes geholt werden wird?

Ich fühle immer den Drang, gegen solches Abbrauchen, Misbrauchen des Hohen mich zu stemmen, mich darüber zu beunruhigen, zu ärgern, ja daran zu leiden! frage mich aber auch manchmal, ob ich damit nicht philiftrös gegen ein Naturgesez anstrebe und nur mir selber schade, die Entwickelung hemmen möchte! Aber es sind die Schwachen, nicht die Guten und Tiefen, die das thun und betreiben. Und wer sollte in der Entwickelung Herr und Führer sein?

5.

Der Humor in der Sprache

7. Aug. 1878.

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ist so entwickelt, so reich, so manigfaltig, so glänzend, so treffend, so welttief - aber die Philologen haben im Ernst der Studierstube den Sinn nicht dafür; ich weiß aus eigner Erfahrung zu gut, wie gerade das treueste Arbeiten aus der lebendigen Erscheinung den Lebenssaft hinausdrückt, daß man die trockene Hülse in Händen behält als das wissenschaftliche sichere Ergebniß, als das eigentlich Existierendel Ganze Wissenschaften bestehen wesentlich aus aufgehäuften, allenfalls in Fächer gelegten solchen todten Hülsen der Gedanke in diesem Bilde ängstigte, ärgerte mich vor mehr als 30 Jahren schon, man gewöhnt fich dran, aber er kommt glücklich immer wieder. Wie Humor übersehen wird auch von gescheiden, freien Köpfen, stieß mir gestern einmal auf bei der Arbeit an gelten.

Wie nämlich die Sprache die Erscheinungen auch auf die schärfsten Verstandesbegriffe zurückführt und dann auch damit spielt, das fiel mir vor Jahren wol zuerst auf an dem englischen in less than no time, wie z. B. in London ein Hutmacher das Aufkrämpeln eines Hutes mit großer Schrift im Hause verspricht: in weniger als keiner Zeit! im nüchternen Geschäftsernste Wiz! der sich bald abnußt so daß man den Wiz und Unsinn gar nicht mehr fühlt.

Nun stieß mir das in mhd. Rede auf, und richtig von dem gescheiden Beneke in seinem Humor nicht erkannt:

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also: nicht wenig und nicht viel (worin sich sonst die vorkommenden Fälle theilen), sondern Alles damit ist das Alles (die Ehre) mit einer begrifflichen Schärfe zum Ausdrucke gebracht, die etwas Mathematisches hat,') etwas Philosophisches.

Es ist aber eigentlich ein bitteres Wizeln, d. h. von der Denkschärfe bitterster Stimmung eingegeben, was noch deutlicher wird bei Wolfram: ir strît galt niht mêre

wan freude, sælde und êre. Parz. 742, 21,

d. h. nicht mehr als Alles, wie noch jederman sagt und merkt wol selten dabei: mehr als Alles? kanns das geben? Aber das Alles wird damit begrifflich in einer anschaulichen Schärfe gewonnen, die man als 'genial' bewundern muß. Es ist aber die äußerste Bitterkeit der Stimmung, die bei dem, der das zuerst gesagt hat, das begriffliche Denken in eine Schärfe hinausgetrieben hat, die eigentlich Überschärfe ist, aber eben diese sagt voll und wirksam worauf es ankam. Solche Dinge müßten in der Schule gebraucht werden zur Bildung unsrer Geister, und fehlen noch auf der Universität!

6.

Schulmeisterei in der Sprache.

1. Apr. 1883.

Das wäre ein großes Capitel, von großem Werthe. Ich übrigens möchte das Wort Schulmeister in seiner verächtlichen Anwendung nicht befördern. Doch wird sich dagegen kaum etwas thun lassen, während doch Meister wie Schule durchaus noch nicht herabgezogen sind von ihrer Höhe.

Wie verschieden aber auch der gewöhnliche Begriff gewendet oder angewendet werden kann, stieß mir bei Hugo Schuchardt (auf Anlaß des Volapüks, Berlin 1888) auf.

Er nimmt da das liebe Volapük scharf in Schuß und geht besonders der arischen Sprache zu Leibe als einem fälschlich gepriesenen vollendet schönen Organismus, meint, wenn, wie er angeblich nachweist, darin,,unwillkürliche Anomalie" ihr Wesen treibe, müsse auch „willtürliche Analogie" zu Hülfe kommen können — also Sprache machen, wie im Faust der Homunculus, ein Vergleich, den er selber mit beibringt.

1) Derselbe Rechenwiß, bitter wißiges Rechnen steckt auch in unserm nichts, urspr. nihtes niht, d. h. das Nichts getheilt (beim Austheilen an Berechtigte), wie spaßhaft! und: auch von diesen Theilen keinen (erhält einer beim allgemeinen Austheilen), nichts von Nichts: auch das konnte nur aus bitter aufgeschraubten Wize kommen, der 'genial' wird.

Da heißt es S. 14:,,Wer über Aristarchs Vorschlag, von Zevs den Gen. und Dat. Zɛós und Zɛt zu bilden, aus einem andern Grunde lacht, als weil derselbe keine Aussicht auf Erfolg hatte, der ist mehr Schulmeister als Denker. Die Analogie mag undurchführbar sein, die innere Berechtigung der Anomalie wächst dadurch nicht im mindesten. Wenn nun aber die Anomalie vor allem an der Flexion haftet, wie kann man diese Flexion als die Krone der Sprachschöpfung ansehen“ — dies als Probe, wie der gescheide Mann da auf die Spur advocatischen Denkens kommt.

Der Schulmeister, den sich Sch. da denkt, ist der Lehrer des Griechischen in Quarta, dem Zevs, Gen. 4iós usw. so eingewachsen heilig ist, daß ihn jede Abweichung zum Lachen nöthigt, der Denker aber der, der sich mit geistiger Freiheit über die brutale Thatsache hinaus schwingt und sie von oben als unsinnig sieht. Ja, was ist solche geistige Freiheit an sich werth! und wie sollte, könnte sie schon auf der Schule ausgebildet werden, gerade an der Hand der Sprache.

Und doch läßt sich der Spieß umkehren, und ich mußte mir das sofort thun, als ich die Stelle las.

Dann ist Aristarch der Schulmeister, der das wichtige Wort nur vom Schulstandpunkt ansah und über die Schulwände nicht hinaussah. Hätte er das gethan, so wurde er Denker, d. h. der in die griechische Welt, seine Welt hinaus und in ihr herum dachte an die ungezählten Fälle, wo seit Jahrhunderten, bis zu seinem Homer zurück erkennbar, nein fühlbar, Aiós Ait Aía die heiligen Klänge waren, an denen in Zeit und Raum so unendlich oder unübersehbar das Leben von Geist und Gemüth in höchsten Augenblicken hieng - das würde ich denken nennen.1) Er aber hat zunächst wol nur an die Schüler und ihre Grammatik gedacht — aber die kannten die „Anomalie“ sicher schon alle aus dem Leben, wenn sie unter die Hände des Lehrers kamen, hatten sie schon im Gemüth fest und unentbehrlich, ganz gewiß! so daß sie wol schon über des Schulmeisters Einfall zu lachen geneigt

waren.

Da soll wieder einmal der kahle kurzsichtige Verstand der Denker sein, der mit seinem kleinen Maßstab eine Einzelheit scharf mißt, 'falsch' findet und zu einem Schaden aufbauscht, den lebendigen Zusammenhang aber zu sehen hat er nicht Kraft und Größe. 29. März 1888.

1) Dies Denken würde über die bloße Form hinaus oder hinein das große alte Leben darin gesehen haben, das wäre Freiheit, die den Geist über das Äußerliche erhöbe, den Anstoß nehmenden Verstand zur Vernunft, die von der freien Höhe zugleich die Weite und Tiefe sieht — vergl. Goethe an Schiller 2, 887.

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Sachliches und Sprachliches aus dem Heliand.

Von R. Windel in Halle a. S.

Daß uns Scherer von der Notwendigkeit befreit hat, für Heliand zu schwärmen, ist nicht das kleinste Verdienst des schönen Buches,“ sagt Ziegler in der Geschichte der christlichen Ethik.1) Es ist richtig, daß Scherers Urteil über Heliand, das er in seiner Litteraturgeschichte*) fällt, für das große Publikum maßgebend geworden ist, aber eine ganz andere Frage ist es, ob dieses überaus ungünstige Urteil des großen Forschers über den Heliand nicht ein einseitiges ist und nur mit großen Einschränkungen angenommen werden darf. Ich bin entschieden der leztern Ansicht, solange ich den Heliand lese, und es war mir erfreulich zu sehen, wie neuerdings Kögel in seiner „Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Ausgange des Mittelalters" sich bemüht, eine gerechtere Würdigung des Heliand anzubahnen. Mit Recht sagt er:3),,Scherer wird überhaupt dem Heliand und seinem Dichter nicht gerecht. Weil Vilmar das Werk etwas überschäßt hat, so brauchen wir es darum doch nicht für ein schwaches Produkt zu erklären. Der Dichter hat geleistet, was er leisten konnte." Und Braune in seiner Ausgabe der Bruchstücke der alt= sächsischen Bibeldichtung, die wir der glücklichen Findigkeit Zangemeisters danken, und die sicherlich vom Verfasser des Heliand stammen, stimmt dem) bei. Übrigens bleibt Scherers Verdienst auch auf diesem Gebiete immer noch groß genug. Die einseitige, romantische Überschäzung des Werkes, wie sie uns in Vilmars Litteraturgeschichte entgegentritt, hat er ein für allemal endgültig beseitigt. Das Gerede von dem Volksdichter muß verstummen vor der Wahrheit der Thatsachen. Wir wissen durch die Untersuchungen von Windisch und Sievers,5) daß der Verfasser ein gelehrt arbeitender Geistlicher gewesen ist, daß seine Hauptquelle die sogenannte Evangelienharmonie des Tatian) bildet, daß er außerdem vor allem auch das steht durch Sievers gegen Grein:,,Heliand - Studien“ fest - den Kommentar des Hrabanus Maurus zu Matthaeus, den des Alkuin zu Johannes, sowie Kommentare des Beda zu Lucas und Marcus benugt hat. Hätte Vilmar allein schon diese Abhängigkeit des Verfassers

1) S. 359, Anm. 2.

2) In der zweiten Ausgabe S. 46 flg.

3) A. a. D. S. 288, Anm 1.

4) G. 29-30.

5) Vergl. Haupts Zeitschrift für das deutsche Altertum 1876 S. 1 flg.

6) Am bequemsten ist die Ausgabe von Grein nach dem Codex Casselanus

in Grein: Die Quellen des Heliand S. 125 flg.

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