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solchen Landleuten habe ich wiederholt gehört: Afzeit. Das ist eine lautlich richtige Übertragung von Appetit ins Hochdeutsche, wie lateinisch porta Pforte, oder wie Tid

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Zeit.

Im Magdeburgischen hörte ich Staub für Stoff (Zeug) brauchen; eine ähnliche unbewußte Lautverschiebung der Konsonanten, wie Haber Hafer.

Noch einiges von Ortsnamen.

Mit einem Bekannten kam ich nach längerer Waldwanderung bei Glücksburg an ein Dorf, das Schausende hieß. Wir hörten oder lasen den Namen zum ersten Male und suchten ihn als imperativisch zu erklären. Freilich trauten wir unserer Erklärung selber nicht sehr, und bei tieferem Eindringen ergab sich denn, daß die erste Silbe früher Skov lautete, Wald; daraus hatte man denn frischweg Schau's ge= gemacht, einen Imperativ. Am andern Ende desselben Waldes liegt Schauenthal, und ich bin nicht zweifelhaft, daß dies mit schauen ebensowenig zu thun hat, sondern Waldthal heißt. Diese dänischen Namen bringen mir Klopstocks Ode Rothschilds Gräber in Erinnerung. Als Schüler wußte ich nichts damit anzufangen; unwillkürlich dachte ich an den Geldmann, der mit Frankfurt ebenso unlösbar verbunden ist wie Goethe. Unser Lehrer erklärte uns nichts, ging vielmehr um die Ode herum, konnte sie aber doch nicht aus dem Lesebuche tilgen. Später lernte ich Rothschild selber kennen; es ist Roskilde, die frühere dänische Hauptstadt, die Christoph der Bayer durch Kopenhagen ersetzte. Roskilde ist das dänische Speier oder Saint Denis; in seiner Domkirche ruhen die meisten Könige in teilweise prächtigen Kapellen. Die Zusammenseßung des Wortes ist aber Ros-kilde, Quelle des Roes, eines sagenhaften Fürsten.

In Flensburg nennt man die griechischen Levkojen hie und da Lakeien; ob man sich des Irrtums bewußt ist oder nicht, kann ich nicht angeben; nur in lezterem Falle könnte man von Volksetymologie reden.

Zum Schluß noch zwei Beispiele, die ich Herrn von Gayette Georges (so lese ich den etwas undeutlich geschriebenen Namen) verdanke. In Dürkheim in der Pfalz giebt es einen flachen Turm und einen Krummholzstuhl. Jenes soll eine Verstümmelung sein aus Flaggen= turm, dieses aus Brauholdstuhl.

Flensburg.

6.

Zu Schillers Tell (1, 3,70 flg.).

Wasserzieher.

Auf die Klagen Stauffachers über die „unleidliche" Gewaltherrschaft der Vögte mahnt Tell I, 3,70 flg. zu „Geduld und Schweigen“ und fügt die tröstenden Worte hinzu:

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Die schnellen Herrscher sind's, die kurz regieren.
Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden,

Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen

Eilends den Hafen, und der mächt'ge Geist

Geht ohne Schaden spurlos über die Erde.

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Vergebens sucht man in den Kommentaren eine Belehrung darüber, in welchem Sinne hier schnell" in Bezug auf die Vögte zu fassen ist. Haßt es die plöglich aufgetretenen, neuen Herrscher? Oder hat hier ,,schnell“ die Bedeutung: „vorschnell, ungestüm", wie hin und wieder im Mittelhochdeutschen? Auch dies befriedigt nicht. In meiner nordthüringischen Heimat pflegt man sich bei rauhem Wetter, besonders bei böjen Sturmtagen mit den Worten zu trösten: „Gestrenge Herren regieren nicht lange!" Die Redensart ist nicht örtlich beschränkt, denn auch in Westfalen pflegt man bei bösem Wetter zu sagen: „Strenge haerens dã richtet mitt lange" (s. Woestes Wörterbuch der Westfäl. Mundart. Norden, Soltau 1882, S. 214 unter richten, und S. 258 unter strenge). Daß Schiller diese volkstümliche Redensart, die er vielleicht in Thüringen kennen gelernt hatte, an dieser Stelle im Sinne hat, ist mir auch deshalb wahrscheinlich, weil sich so am besten erklären würde, wie er dazu gekommen, hier den Föhn mit der Tyrannenherrschaft zu vergleichen. Ich halte es deshalb auch nicht für unwahrscheinlich, daß schnellen hier nur ein Schreibfehler Schillers (oder ein übersehener Druckfehler der ersten Ausgabe) für strengen ist. Dafür, daß der Dichter oft flüchtig schrieb, finden sich ja mancherlei Beispiele. So ist in der von Jonas herausgegebenen Sammlung von Schillers Briefen im 251. Briefe Borbergers Konjektur abgebangt für das handschriftliche abgeborgt unbedenklich in den Text gesezt, und auch im 242. Briefe hätte das sinnlose ,,Unsere lieben Weimar grüße tausendmal" nicht im Texte stehen bleiben, sondern für Weimar Weiber gesezt werden sollen. Über die weitere Verbreitung der Redensart wären Mitteilungen aus dem Leserkreise erwünscht.

Northeim.

7. Flurgänge.

R. Sprenger.

In seinem trefflichen Auffaze „Der deutsche Wald in Religionsund Rechtsanschauung alter Zeit" kommt A. Freybe (Zeitschr. f. d. deutschen Unterricht, 9. Jahrg., 1895, 10. Heft, S. 648-649) auf die früher in ländlichen Ortschaften alljährlich einmal vorgenommene feierliche Beschreitung der Dorfgrenze durch Abordnungen der Dörfer und Flecken und führt dafür näheres aus Treisa in Hessen an. Auch in Thüringen war dieser Brauch gäng und gäbe; zum Beweise hierfür sei es mir gestattet, aus meiner Arbeit über Die

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Vergangenheit des ehemaligen mainzischen Küchendorfes Hochheim" [Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt. XIV. Heft. 1890, S. 108-109] folgendes mitzuteilen: Schon im Engelmann-Büchlein aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts) sind die Umzüge vorgeschrieben, und zwar mit folgenden Worten: Die amptleude sollen dem voidt bevelhen, das er allen meins gnedigsten hern vnderthanen in seiner churfürstlichen gnaden dorffen vmb Erffurdt iglichem bey einer buß fünff schill. gebiethe, das sie iherlich in der creuzwochen igliche in ihrem dorff, vmb den flore desselben dorfs gehen, szo vherre vnd weith sich derselb flore erstreckt, vnd eyn theil ihr szone mitgehen lasßen, vff das dieselben auch lernen vnd sehen vnd zu sagen wissen, wie weith iglicher flore sey vnd wo er wende."

Dominikus (,,Erfurt und das erfurtische Gebiet." Gotha, 1793, I, S. 59) beschreibt uns die Flurgänge folgendermaßen:,,Das Hegemahl (collegium fratrum arvalium) d. h. die Oberheimbürgen und die Vormünder- und eine große Menge Bauern und Kinder ziehen in einer Prozession um die äußersten Grenzen. Jenes geht voran, und diese sind das Gefolge. Bei jedem Gränzstein, Pfahl, Baum oder Graben intoniren lärmende Instrumente, schießt man mit Flinten. Man nennt dieses die Steine beblasen oder beschießen. Darauf zieht man den Kindern an den Ohrläppchen, oder giebt ihnen eine gelinde Ohrfeige, damit sie aufmerksam werden, wie weit sich die Gränzen erstrecken."

Daß noch am Anfange des laufenden Jahrhunderts die Flurgänge in Hochheim mit großem Gepränge und nicht ohne erhebliche Unkosten ausgeführt wurden, beweisen die Gemeinderechnungen dieses Ortes vom Jahre 1803 und 1806. Die Rechnung des zulezt genannten Jahres führt auf:

„Für Nüsse und Kugeln, die beim gerichtlichen Fluhrzuge unter
die Jugend bei den Gränzsteinen geworfen worden
1 Rthlr. 4 Ggr.

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20 gr.

Den Musikanten für ihre Aufwartung hiebey
Für das nach dem Fluhrzuge den hiesigen Einwohnern und den
angränzenden Feldnachbarn zur Ergöglichkeit gegebene Bier

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Auch die Stadt Erfurt kannte noch etwa vor einem Menschenalter die Flurgänge. Es gab in ihr sechs Hegemähler, d. h. ursprünglich Gerichte zur Entscheidung von Grenzstreitigkeiten; von Mitgliedern dieser ländlichen Behörden (dem Ober-Hegemeister, den Schöffen u. a.) wurden alljährlich einmal die ihnen unterstellten Fluren in ihrem ganzen Um

Zeitschr. f. d. deutschen Unterricht. 10. Jahrg. 10. Heft.

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fange abgeschritten; an die Last und Mühe dieses Tages schloß sich, wie in den Dörfern, eine Festlichkeit. Die Namen der einstigen Erfurter Hegemähler sind folgende:

1. Andreas - Brühler Hegemahl.

2. Johannes-Krämpfer - Jlversgehofener Hegemahl.

3. Hegemahl der elf Gemeinden.

4. Löber Hegemahl.

5. Schmidtstedter Hegemahl.

6. Sulzer-Hohenwendener Hegemahl.

Jedenfalls waren die Flurgänge nach Art kirchlicher Prozessionen von alters her von frommen Gesängen begleitet; hierfür spricht folgendes, allerdings aus jüngerer Zeit stammende

Flurzugs-Lied

(gedichtet von Stadtrat Pohle, Erfurt, 1832).

(Blatt in 8°, Name des Verfassers und Jahreszahl handschriftlich, das übrige gedrudt. Erfurter Stadt-Archiv XII, 2.)

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Goethes sämtliche Werke in 36 Bänden, à 1,50 Mark. Mit Einleitungen von Karl Goedeke (25.—36. Band). Stuttgart 1895. Verlag der J. G. Cottaschen Buchhandlung Nachfolger.

Zu dem nun erreichten Abschluß des neuen Goethe erübrigt es nur noch, da auf die einzig dastehenden Vorzüge dieser Ausgabe in dieser Zeitschrift wiederholt hingewiesen worden ist, die Empfänger und die Geber, nicht zum mindesten die Verlagsanstalt, zu beglückwünschen. Die Hempelsche Ausgabe, ebenfalls in 36 Bänden, enthält am Schlusse die

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von Riemer und Eckermann 1837 verfaßte Chronologie der Entstehung Goethescher Schriften. Um zu erkennen, welche Fortschritte die Goetheforschung seitdem gemacht hat und auf welcher wissenschaftlichen Höhe die vorliegende Ausgabe steht, vergleiche man beispielsweise diesen Abschnitt (36 Band, S. 308-322) mit dem bei Hempel, Bd. 36, S. 673-685. Hermann Unbescheid.

Dresden.

A. Marty, Über subjekttose Säße und das Verhältnis der Grammatik zur Logik und Psychologie. Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie Band VIII, S. 56 flg., 161 flg., 292 flg. Band XVIII, S. 320 flg., 421 flg. Band XIX, S. 19 flg., 263 flg.

Marty, der zu seiner umfangreichen Arbeit durch Miklosichs subjektlose Säge (2. Auflage 1883) angeregt worden ist, hat die ersten drei Artikel erst nach zehnjähriger Unterbrechung fortgesezt, und dieser Umstand hat natürlich auf die Gestaltung der späteren Artikel Einfluß gehabt. Diese Zwischenzeit ist nämlich an Arbeiten über den Gegenstand außerordentlich fruchtbar gewesen,') und Marty hat es für geboten erachtet, sich zunächst mit den einzelnen Gegnern auseinanderzusehen. Auf den Vorzug fortlaufender Darstellung mußte dabei verzichtet werden, und auch Wiederholungen ließen sich nicht vermeiden. Aber der Sache ist diese eingehende Behandlung der gegnerischen Ansichten nur dienlich gewesen. Die Beweisführung ist dadurch nur noch überzeugender geworden. Aus dem reichen Inhalte der Artikel kann hier nur das Wichtigste hervorgehoben werden.

Die sprachgeschichtliche Untersuchung ist eine Untersuchung für sich. Es ist etwas anderes, wenn ich frage: aus welchen Säßen früherer Sprachperioden hat sich der heutige unpersönliche Sag entwickelt? etwas anderes, wenn ich festzustellen suche, welches heute die Bedeutung eines solchen Sazes ist. Die Möglichkeit und Notwendigkeit, beide Fragen zu trennen, müßte jedem, der die Geschichte des Bedeutungswandels kennt,

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1) In den Kreisen der Sprachforscher sind wohl Kern, die deutsche Sazlehre 1888 und der betreffende Abschnitt in Pauls Prinzipien der Sprachgeschichte 1886 (S. 105 flg.) am bekanntesten geworden. Es kommen aber hinzu Sigwart, Logik (S. 77 flg.); B. Erdmann, Logik (I, S. 304 flg.); Wundt, Logik2 (I, S. 176 flg.); Sigwart, die Impersonalien, eine logische Untersuchung 1888; Schuppe, subjektlose Säße in der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft Band 16, S. 249 flg.; Puls, über das Wesen der subjektlosen Säße, Flensburg 1888 und 1889 (Programmabhandlungen) und endlich die mehr oder weniger ausführlichen Besprechungen dieser Arbeiten, besonders die der Sigwartschen Schrift durch Steinthal in der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft Band 18, S. 170 flg. und die der Miklosichschen durch Brentano, vom Ursprung sittlicher Erkenntnis 1889, Beilage, S. 109 flg. Vergl. ebenda S. 60 flg.

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