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Sophokles betont, darf darum noch nicht Herakles betonen, nicht einmal Pátroklos, denn die vorleßte Silbe wird bei Homer lang gemessen. Und wehe demjenigen, der Krónion oder Orion betont! Gleichwohl haben die Wörter bei Homer das oft genug kurz. Man sieht also, daß die einzige Konsequenz hier die Inkonsequenz ist.

Und ich sollte der erste sein, der nach Konsequenz ruft? Wir haben ja schon längst schöne Bücher, in denen mit Stolz nur Aischylos, Aineias, Pheidias geschrieben wird. Wir werden es also auch vielleicht erwarten können, daß in einer Schulausgabe von Schillers Gedichten des Schülers Auge von einer pädagogischen Hand vor der Unform Jbykus weise geschützt wird, indem man das k in ein c oder das u in ein o verwandelt. Ich meine allerdings, daß es weiser ist Schiller das Seine zu lassen, für sich selbst aber nach einer Regel zu suchen.

Ehe wir nun den Ariadnefaden suchen und anknüpfen, der aus diesem Irrgarten heraushilft, wollen wir die Geseze prüfen, die in den verschiedenen Formen der griechischen und römischen Namen zur Erscheinung kommen. Es sind Geseze der griechischen, der lateinischen und der deutschen Sprache, Geseze des Schreibens und des Sprechens. Durch Weglassung der Endung werden die Eigennamen der deutschen Sprache näher gebracht, daher Ulyß, Anton, Achill, Telemach. Hier ist zu beachten, daß der Ton in den drei ersten Wörtern auf der Schlußsilbe steht, in Telemach zurückgezogen ist. Wir sprechen also Telemach aus wie Ungemach und hierin möchte eine weitere Assimilation an die deutsche Sprache liegen. Sagen wir dementsprechend Anton, so haben wir den deutschen Vornamen. Dasselbe gilt für die Unterscheidung von August und August. Der Monatsname ist uns mehr fremd geblieben, vielleicht wirkte auch die Absicht zu differenzieren mit. Dialektisch ist wohl auch hier der Ton zurückgegangen, sonst wäre die Form Aust = Ernte nicht zu erklären. Daß wir aber gerade Mark Anton verbinden, ist wohl Shakespeare und seiner Übersetzung zu verdanken. In Achill steht der Ton überhaupt nicht auf der Silbe, wo er im Griechischen (Ayıllɛós) stand, sondern wo ihn die Römer hinseßten. Wir würden die Schlußfilbe des vollen Namens kaum zu betonen wagen, müssen jedoch daran denken, daß Wilhelm Jordan in seiner Homer-Übersetzung dieses Wagnis unternommen hat (Kalydon, Idomeneùs).

Ich möchte es überhaupt für bedenklich halten, sich auf die griechische Betonung zu stüßen, denn die Stüße könnte wanken, sobald nachgewiesen ist, daß die Accente ursprünglich nicht die Tonstärke bezeichneten, also auch nicht immer auf der tonstarken Silbe standen.') Daß wir nun nach

1) Im Notensatz der delphischen Hymnen haben die Accentsilben Tonhöhe.

Weglassung der Endung die lezte Stammsilbe betonen, kann auch nicht als allgemeine Regel angesehen werden. Wir sagen zwar August, aber nicht Satyr. Wendet man ein, daß ja das y kurz sei, so paßt das nicht auf Barbár, wo das a ebenfalls kurz ist.

Nach dieser Betrachtung über das Deutsche gehe ich auf das Lateinische zurück. Die lateinische Sprache hat ihre Endungen der griechischen gewaltsam untergeschoben, was ihr durch die nahe Verwandtschaft der Dellinationen wesentlich erleichtert war. Für Kógvoos Corinthus, für '49 vai Athenae, für 4λpoi Delphi zu sehen, ist kein Kunststück. Die Vokale des Inlauts sind zweckmäßig gewählt und auch uns bequem: y für v, eu für ev u. s. w. J. H. Voß schrieb unnötiger Weise Odüßeus, Tälemach (Jordan sogar läson). Aber der Konsonantismus des Lateinischen ist ein anderer als der des Griechischen; dies zeigt sich deutlich beim Buchstaben c. Die Römer sagten Alcibiades für 'Akxißiáðns, dafür sagten die Griechen Kinéqov statt Cicero. Es war also ein Modus vivendi. Wir brauchen k und z in Lehnwörtern, also: Karzer, aber weder Kikero noch Zizero. In Karthago behielten die Römer ihr liebes altes K. In Corinthus steht ihr Can Stelle eines ursprünglichen Q (Koppa). Mit gleicher Freiheit behandelten die Römer die Betonung, indem sie ihr eigenes, vielleicht nicht ursprüngliches Betonungsgesetz auf die griechischen Wörter übertrugen. Sie sagten Corínthus und Délphi. Wir sind, was Betonung, Aussprache und Schrift anbetrifft, dem Auslande gegenüber in der Geographie außerordentlich gewissenhaft. Wenn ich die Leute, die Korinthos schreiben, darauf aufmerksam mache, daß sie auch nicht Florenz oder Mailand sagen dürfen, dann werden sie als gute Deutsche fortan Firenze und Milano sagen.

Aber zurück zu den starren Römern. Diese sagten nicht nur Corinthus für Korinth, sondern für Zeus einfach Juppiter. „Wer em pfände nicht ein Grauen", wenn ihm etwa aus Homer überseßt würde, daß Diomedes Mars und Venus verwundet habe? Und doch schreibt Lessing so. Und doch dichtet Schiller ähnlich. Er beginnt zwar: Nehmt hin die Welt, rief Zeus')

sagt aber weiter vom Poeten:

Warf sich hin vor Jovis Thron.

Als Lessing die Meißner Fürstenschule besuchte, übersezte man aus dem Griechischen ins Lateinische. Das that auch Schiller, das thaten auch unsere Väter und haben manches dabei gelernt. Die Römer haben die griechische Sage von den übermächtigen Etruskern empfangen, von diesen haben sie ihre Götternamen, von diesen die Umwandlung der

1) Sogar,,Zevs" (Horen 1795).

Heroennamen. Daher Aiax, Ulixes, Pollux für Alas, 'Odrooεús, Πολυδεύκης. Das Etruskische suchte mit einer recht unbeholfenen Orthographie dem Griechischen nachzukommen, in einer sehr alten Zeit, die uns für die griechische wie für die römische Aussprache gleich lehrreich ist. Wenn wir auch nicht annehmen können, daß das Etruskische in einer Periode so vokallos gewesen sei, wie die Schrift es erscheinen läßt, so ist doch anderseits nicht möglich, daß es in den Eigennamen eine betonte Silbe zu Gunsten einer unbetonten verdrängt hätte: Alexandros fonnte nicht Alchsantre werden, wenn die Silbe lex betont war. Wir sehen, daß das Etruskische und Lateinische recht selb= ständig in der Aufnahme der Eigennamen verfuhr, die Endungen, den Vokalismus, den Konsonantismus, die Betonung nach den Gesezen der eigenen Sprache regelte, so daß Livius und Ennius schon eine Tradition vorfanden. Wir können diese Selbständigkeit mit der Freiheit vergleichen, die im Englischen, Französischen und Italienischen in der Behandlung der Eigennamen herrscht. Die englische Aussprache ist oder war autonom, aber auch die Schreibung zeigt eine ähnliche Eigenschaft, 3. B. Mark Antony. Im Französischen erinnere ich an Phaéton, le Styx, le Léthé, im Italienischen an Ettore, Teseo, Girolamo.

Indessen findet doch diese Freiheit ihre Beschränkung durch die wissenschaftliche Arbeit, in welcher der Gelehrte das nicht wagt, was der Volksmund gewagt und die Tradition bestätigt hatte. Das galt für die römischen Dichter (docti), das gilt ebenso für die Franzosen. Seneca war ihnen längst populär, Firmicus Maternus weniger. Daher handelt ein neues Werk von „, Sénèque et Firmicus Maternus." Daß Schillers Brüderpaar Styx und Lethe aus der Vorherrschaft der französischen Litteratur und Umgangssprache stammt, dürfte klar sein. Heute hätte kein Dichter mehr das Recht zu schreiben: Hektors Liebe stirbt im Lethe nicht. Doch ich will mich nicht vom Gegenstande entfernen und mich begnügen zu den Gesezen der deutschen und lateinischen Behandlung der Nomina propria Analoga zu suchen. Auch im Griechischen finden wir fremde Namen, phönikische, persische, thrakische, denen wir ihre Herkunft oft nicht einmal anfeben fönnen: Αφροδίτη, Δαρεῖος, Κερσοβλέπτης u. a. Sie haben griechische Endung, zum Teil sogar scheinbar griechische Wurzel. Wir können auch in diesem Punkte den harmonischen Geist des Griechentums bewundern.

Daß die Griechen mit den lateinischen Eigennamen entsprechend verfuhren, haben wir bereits beim Lateinischen gesehen. Es ergiebt sich, daß beide Sprachen die fremden Namen nach den eigenen Gesezen mehr oder weniger schonend umformten. Nun haben wir die Mehrzahl der griechischen Namen durch die Vermittelung des Lateinischen erhalten,

wenige aus anderen Sprachen, wenige unmittelbar. Da uns aber die griechische Sprache ebenso zugänglich ist wie die lateinische und da die griechische Litteratur in einem innerlichen und geistigen Zusammenhange mit der unserigen steht, so haben wir ein Recht uns von dem Zwange des Lateinischen in gewissem Umfange zu befreien und wo das Lateinische weiter geht, als nach unseren Sprachgesehen nötig ist, zur griechischen Sprache zurückzukehren. Wir brauchen nicht statt der griechischen Endung die lateinische zu sehen, aber wir können die griechische Betonung nicht beibehalten. Wir nehmen also die lateinische Betonung an. Wir brauchen. nicht statt des griechischen Kappa ein lateinisches C zu sehen, aber wir müssen die lateinische Vokalisation annehmen, wenn die lateinische Betonung überhaupt einen Sinn haben soll. Also Patróklos, Änéas.

In einzelnen Fällen müssen wir von der lateinischen Vokalisation absehen. Wir können z. B. Poseidon nicht ändern, für Alas nicht nach der Analogie von Äneas „Äas“ sagen, da die Römer nie so gesagt haben, noch weniger Ajas, wie man seit Jordan mitunter lesen und hören muß sondern wir sind hier auf die Form Ajax angewiesen. Natürlich darf es auch nicht Jason heißen, während Jonier durch die deutsche Endung gerechtfertigt ist. Noch weniger hängen wir vom Französischen ab: „der" Styr,,,der" Lethe dürfte heute nur noch ein testimonium ignorantiae sein. Wir können endlich auf die Endung ver zichten, wo eine Abkürzung in Gebrauch gekommen ist: Korinth, Achill, Telemach, Mark Anton, und wollen nicht vergessen, daß wir diese Formen wesentlich unseren Dichtern verdanken. Sonst werden römische Namen am besten beibehalten. In der Betonung würde ich Melpoménen, Polyrénen nach Analogie von Heléne für nicht nachahmenswerte Ausnahmen halten, während Iphigénie beizubehalten ist. Ebenso glaube ich auch, daß die Betonung Hérakles durch die Dichtung Bürgerrecht erlangt hat. Doch dies sind Einzelheiten. Das einfache Gesamtergebnis, nach welchem wir konsequent verfahren können und zugleich dem Sprachgebrauche am nächsten kommen, lautet also: Griechische Konsonanten, griechische Endung, lateinische Vokale, lateinische Betonung.

Bum,,Streit über das Wesen des Sahes".
(S. 181-187 dieser Zeitschrift 1895)

Von G. Hauber in Stuttgart.

Die Ausführungen, welche E. G. O. Müller im 3. Heft des Jahrgangs 1895 unter der Überschrift „Der Streit über das Wesen des Sates" gegeben hat, sind verdienstlich als Übersicht über die seitherigen Versuche,

den „Say“ zu definieren, und durch die größtenteils richtige Kritik dieser Versuche; dagegen ist seine eigene Definition,,Satz ist ein selbständiges Wortgebilde" evident unrichtig, denn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch kann man doch auch z. B. ein Substantiv: das Pferd, ein selbständiges Wortgebilde nennen. Die Definition ist also viel zu weit, der Ausdruck,,selbständig" trifft das Wesen der Sache nicht, bezw. reicht dafür nicht aus. Und weiter will Müller die neue Bezeichnung „Ursa" einführen für einen Saß, der nur eine Aussage enthält." Er findet es merkwürdig, daß diese Art des Sahes bis jetzt keinen Namen erhalten. habe, und hält es für unbedingt geboten, eine Benennung dafür festzusehen; man habe bisher immer vergessen, daß der Sah, welcher nur ein einziges Urteil enthält, doch immer nur ein einzelner Fall des Begriffs Sah, daß er nur eine Art der Gattung Saß sei und daß durchaus nicht alle Säge derartige Sprachgebilde seien.

Diese Anschauung, welche die ganze Ausführung von Müller beherrscht, halte ich für im Grunde verfehlt. Es ist gewiß nicht zufällig und verwunderlich, und nicht bloß Vergeßlichkeit aller seitherigen Grammatiker, wenn sie unter Saß das verstanden haben, was Müller unter „Ursaß“ verstehen will, und es wird auch ferner daran festgehalten werden müssen, daß ein Sah nur eine Aussage enthält, und daß also, wo mehrere Aussagen sind, eigentlich auch mehrere Säge sind. Müller hat leider für seine Aufstellung keine Beispiele gegeben, an denen man die Richtigkeit derselben prüfen, bezw. die Unrichtigkeit nachweisen könnte, sondern sich auf den allgemeinen Sprachgebrauch berufen, welcher,,Saß“ auch für mehrfache Aussagen anwende; aber bei genauerer Betrachtung löst sich eben ein solcher „Saz" in mehrere Säße auf, die in irgendwelcher Weise kombiniert sind. Als äußerliches Merkmal, angeblich ein allgemein anerkanntes, für das was Saz sei, bezeichnet Müller den Punkt. Troz der verschiedenen Erklärungen des Sayes" so sagt Müller S. 185 ist doch die sehr erfreuliche Thatsache nicht zu leugnen, daß man im einzelnen Fall nicht im Zweifel ist, ob man ein Sprachgebilde einen Sag nennen soll oder nicht. Die Bedeutung des Wortes Satz ist durch Jahrhunderte langen Sprachgebrauch geheiligt und an ihr zu rütteln wäre eine Sünde gegen den Geist der Sprache. Man hat ohne Zweifel ein allgemein anerkanntes Merkmal für das, was ein Sag ist, und dies ist der Punkt. Diejenigen Abschnitte einer sprachlichen Mitteilung, welche mit einem Punkte beschlossen werden, sobald sie durch die Schrift fixiert werden, sind Sähe. Natürlich ist die Angabe dieses äußerlichen Merkmals keine Definition, sondern nur die Feststellung der Thatsache, daß wir unbewußt alle über das Wesen des Sages einig find."

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