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Schillers Realismus. Von Dr. Hermann Conrad, Professor in Groß-Lichterfelde bei Berlin. Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge. Begründet von Rudolf Virchow und Fr. v. Holzendorf, herausgegeben von Rudolf Virchow und Wilhelm Wattenbach. Verlagsanstalt und Druckerei A.-S. (vormals J. F. Richter) in Hamburg. 44 S. Preis Mark 1. 1895. In den ersten Abschnitten,,,der unkünstlerische Realismus“ und „, der künstlerische Realismus“, kommt der Verfasser leider zu einer bedingungslosen Verurteilung „der Gründeutschen“ in der Litteratur. Gewiß find die Stümper dieser neuen Richtung, darin hat der Verfasser recht, ohne weiteres dem Spotte der Gegner preiszugeben. Aber in demselben Maße, wie in der Malerei der unmittelbaren Naturanschauung sich eine nach Neuem ringende Übergangszeit offenbart, nämlich der durch die naturwissenschaftlichen und volkswirtschaftlichen Umgestaltungen hervor gerufene Wirklichkeitsdrang, so spiegelt sich auch in der Litteratur der Gründeutschen die Gärung und das Licht- und Luftbedürfnis unserer Tage. Ebenso wenig also wie die Malerei eben genannter Richtung eine abgeschlossene Kunstperiode darstellt, wird die besonnene Kritik in den Erzeugnissen Jbsens, Hauptmanns, Sudermanns u. a. etwas anderes als die Kinder eines revolutionären Zeitalters erblicken, in welcher erst die Bausteine zu einer neuen deutschen Kunst zusammengetragen werden. Gewiß! die Überschäßung, mit der diese Herren auf die Alten herabsehen als solche, von denen sie nichts mehr zu lernen haben, ist oft beleidigend, obgleich Stürmer und Dränger eine gewisse Nachsicht verdienen. Wir aber, die wir den Alten unsere Bildung verdanken, wollen wenigstens daran denken, daß das Neue immer zunächst unbequem ift. Auch ein Meister wie Michelangelo konnte sich mit der erwachenden vlämischen Kunst nicht befreunden, und andere Beispiele ließen sich leicht anführen, daß der Kampf des Alten mit dem Neuen ein langwieriger ist. Aber nochmals! Gegen die Ausschreitungen der Gründeutschen ist ein scharfer Tadel jederzeit am Plaße, nur in ein unbedingt verdammendes Urteil möchten wir nicht einstimmen. Damit haben wir die Einwendungen, die sich gegen des Verfassers Ausführungen erheben lassen, im wesentlichen erschöpft. In den folgenden Abschnitten mißt Conrad Schillers Realismus an dem Shakespeares und weist dabei auf eine Seite seiner Kunstübung hin, in der er von dem großen Briten verdunkelt wird; nicht in der Organisation der Handlung ist dies der Fall, sondern auf dem Gebiete der Charakteristik. Posa steht in der finstern, eisigen Atmosphäre des spanischen Hofes als der seltsamste Anachronismus, aus der Verkappung des Wallensteinschen Reitersmannes, des Max Piccolomini, tritt der reine Schiller unbefangen hervor, und die Figur des als Mensch

und Soldat verzeichneten jungen Helden wirkt auf die Charakterzeichnung der übrigen Personen, die mit ihm in Berührung kommen, so auf Wallenstein, Octavio Piccolomini, Thekla,,degenerierend". Etwas nüchtern ist dagegen der Standpunkt des Verfassers gegenüber der nach seiner Meinung von Schiller zu weit ausgesponnenen Monologe. Um so wohlthuender berühren daher die mit Wärme vorgetragenen Schlußworte Conrads, denen hier noch gern eine Stelle eingeräumt sein mag: „Wie dem auch sein mag - die schwache Seite in Schillers Kunstübung, die ich hier zu entwickeln versucht habe, giebt keine Veranlassung zur Geringschäzung weder des Dichters, noch des Menschen; selbst diese Schwäche ist, wie alles an Schiller, zugleich liebenswert und groß. Über der Schönheit und Erhabenheit der Empfindungen, über der wunderbaren Harmonie, dem heiligen Feuer der Sprache, in die sie gekleidet sind, vergessen wir die Stelle, an der sie uns entgegentreten. Und wenn er dem strengen Beurteiler durch ein Gefühl des Widerspruchs zu Zeiten den reinen Genuß trübt, so weiß er ihn anderseits, nachdem der Anstoß überwunden ist, reichlich für die erlittene Störung zu entschädigen. Es sind wahre Zaubergärten der Poesie, in die er uns so unverhofft führt; wir verweilen in ihnen mit Entzücken und möchten uns um keinen Preis daraus vertreiben lassen. Die in Form und Inhalt herrlichen Chorreden der,,Braut von Messina", von denen zahlreiche Sentenzen in den idealen Gemeinbesig unsers Volkes übergegangen sind, würde niemand darum entbehren wollen, weil die Einführung des Chores in unser modernes Drama durchaus als ein verfehltes Beginnen zu bezeichnen ist. Und vor die Frage gestellt, ob wir im Wallenstein mit der Figur des Max die poetischen Ergüsse, die so reichlich, im Widerspruche seiner Zeit und seiner Lebensstellung, seiner Seele entströmen, missen möchten, würden wir alle antworten: Man lasse uns e ganze Fülle der Schönheit dieser Dichtung, und das andere Schälchen, auf dem ihre Fehler liegen, wird leicht emporschnellen.“

Der Begriff des Glückes in Schillers Braut von Messina. Ein Beitrag zum deutschen Unterrichte im Obergymnasium. Von Professor Maximilian Mühlenbach. 25 S. Ratibor 1896, Programm Nr. 207.

Mühlenbachs Arbeit will ein Versuch sein, ob nicht im Anschluß an die Lektüre, insbesondere an die gewisser Dramen, eine erfolgreiche Erörterung der einen oder andern wichtigen allgemeinen Idee sich anstellen läßt, die auch nach der Seite der „Erfahrungsseelenlehre“ fruchtbar wird. Auf diese Weise hofft er, werde der Forderung, der philosophischen Propädeutik im Unterrichte die alten Rechte zurückzuerobern,

wohl einigermaßen Rechnung getragen werden können. An einem Beispiel, der Braut von Messina, wird nun gezeigt, wie Lehrer und Schüler in gemeinsamer Arbeit eine Idee, hier die des Glückes, entwickeln können, welche diese Dichtung also nicht die dramatische Idee durchzieht und beherrscht. M. ist dabei besonnen genug, für diese Erörterungen nicht etwa in dem Unterricht einen zu breiten Raum zu fordern, da er ausdrücklich betont, daß die Dramenlektüre in erster Linie feststehende Aufgaben zu erledigen hat. Er hat aber aus der eigenen Praxis erfahren, daß die allgemeine Anregung, welche dem Primaner die Beschäftigung mit einem Dichterwerk unter einem eigenartigen einheitlichen Gesichtspunkt gewährt, nicht zu unterschäßen ist. Hierzu aber werde der nicht unbedeutende Gewinn an Vorstellungen und Begriffen, namentlich aus dem Gebiete der Erfahrungsseelenlehre kommen, der sich dem reifen Schüler, denn nur um einen solchen kann es sich handeln, bei sogearteter Arbeit leichter und vielfach als Frucht eigener Beobachtung und Denkthätigkeit erschließen wird. Die Idee des Glückes entwickelt nun M sowohl an den dialogischen, als auch an den lyrischen Abschnitten der für diese Erörterungen ja besonders geeigneten Braut von Messina. Er thut dies mit großer Klarheit und immer die Selbstthätigkeit des Schülers in Anspruch nehmend; man fühlt ferner aus dieser Arbeit heraus, daß sie aus fleißiger Vorbereitung des Lehrers für die Lektürestunde herausgewachsen ist, und daß sowohl in stofflicher wie formaler Beziehung die erörterten abstrakten Begriffe dem Verständnis und Bedürfnis der Lernenden angepaßt sind. Man darf deshalb dem Verfasser recht dankbar für die gegebenen Anregungen sein und muß dabei dem Wunsche Ausdruck verleihen, daß alle Lehrer des Deutschen bemüht sein möchten, die Behand lung der dramatischen Lektüre so ernst zu nehmen wie Mühlenbach.

Einleitung und Erklärung von Schillers „Glocke“. Von Ernst

Hasse, Oberlehrer. Beilage zum Programm des Königlichen
Gymnasiums zu Bartenstein 1896. 20 S.

Nachdem H. in seinem Aufsatz „Schillers Glocke und das griechische Chorlied" (abgedruckt in der Festschrift für Geheimrat Schade) dargelegt hat, daß Schiller das strophische griechische Chorlied, insbesondere in den,,Schußflehenden“ des Äschylus, in der „Antigone" des Sophokles und in der,,Alkestis" des Euripides für sein dramatisch angelegtes Gedicht sich zum Vorbild genommen hat, unternimmt er es in der vorliegenden Arbeit nachzuweisen, daß überall da in Schillers Glocke, wo ein Gedankenabschnitt ist, auch eine Strophe schließt. Für diese Gliederung spreche auch die Form, insofern auch aus der Symmetrie der Hauptteile der Glocke, aus dem verschiedenen Rhythmus und der Reim

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17. Wohl=

20. Leer=

26. Ach!

stellung fast immer die einzelnen Strophen zu erkennen seien. H. unterscheidet 44 Strophen in folgender Anordnung: Prolog; 1. Festgemauert2. Zum Werke- 3. Nehmet Holz- 4. Was in des Dammes tiefer Grube - I. Teil, I. Akt. 5. Weiße Blasen 6. Denn mit der7. Vom Mädchen reißt sich stolz der 8. D zarte Sehnsucht- II. Akt. 9. Wie sich schon- 10. Denn wo das 11. Lieblich- 12. Der Mann muß hinaus 13. Und drinnen- 14. Und der Vater 15. Rühmt sich mit stolzem Mund- III. Aft. 16. Wohl! Nun kannthätig ist 18. Wohl! Wenn sie 19. Hört ihrs wimmerngebrannt 21. Einen Blick- IV. Akt. 22. Jn die Erd' ist's - 23. Dem dunklen Schoß- 24. Von dem Dome 25. Ach! die Gattindes Hauses II. Teil, I. Akt. 27. Bis die Glocke - 28. Munter fördert 29. Schwer herein 30. Markt und Straßen- 31. Heil'ge Ordnung! II. Akt. 32. Tausend fleiß'ge Hände regen- 33. Holder Frieden! III. Akt. 34. Nun zerbrecht- 35. Der Meister kann— 36. Weh', wenn sich— 37. Freiheit und — 38. Gefährlich ists— IV. Akt. 39. Freude hat mir 40. Herein! 41. Und dies sei- 42. Nur ewigen 43. Und wie der Klang- Epilog; 44. Jeho mit der Kraft des Stranges. Man kann sich freilich bei dieser Anordnung wiederholt nicht des Eindrucks erwehren, daß das, was dem Sinne nach zusammengehört oder verschieden ist, zerrissen bez. gewaltsam vereinigt wird.

Der falsche Demetrius in der Dichtung. (Schluß.) Von Prof. A. Popek. Vierundvierzigster Jahresbericht des k. f. StaatsGymnasiums zu Linz für das Schuljahr 1895. 33. S.

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Der dritte Teil von Popeks Abhandlung bringt die angekündigte Beleuchtung der übrigen Demetriuslitteratur. 1. Bodenstedts Drama Demetrius". Dasselbe ist zwar das Werk eines Dichters, aber nicht das eines Dramatikers. Die durch seinen Aufenthalt in Rußland gewonnene Kenntnis von Land und Leuten dieses Czarenreiches hat Bodenstedt zu einer übermäßigen Ausmalung der kulturhistorischen Verhältnisse verführt. Auch Schiller wollte, wie aus dessen Briefen an seinen Schwager Wolzogen hervorgeht, die Eigentümlichkeiten des russischen Volkscharakters dramatisch verwenden, aber er hätte es gewiß nicht in der Weise Bodenstedts gethan, die den Zuschauer von der Handlung abzieht und diese hemmt. Bodenstedt irrt aber auch darin, daß er glaubte, ein ganz selbständiges Drama geschaffen zu haben; denn sowohl im Aufbau, als auch im Charakter der einzelnen Personen hierin allerdings mit mehrfachen, nicht gerade vorteilhaften Änderungen ist er dem Urbilde gefolgt. 2. Hebbels „Demetrius“. Der Aufbau der Handlung entspricht ebenfalls dem Plane Schillers; aber in der Charak

teristik einzelner Personen geht Hebbel, der durch den Tod an der Vollendung dieses Dramas gehindert wurde, seine eigenen Wege. 2. Goldhann hat das Werk auf Grundlage der Andeutungen, die von der Frau Hebbels herrühren, zu Ende gebracht, und im Jahre 1869 wurde das Stück, das aus einem Vorspiel und fünf Akten besteht, am Berliner Hoftheater aufgeführt. Während Schiller seinen Helden gleich fertig in den Reichstag stellt, läßt Hebbel ihn aus seiner frühern Verborgenheit herauswachsen. 3. Hardts,, Demetrius", 1869. H. nimmt, wie Popek sagt, einen gewaltigen Anlauf, um ein selbständiges Drama zu schaffen, und wirklich hat er viele eigene Ideen und Motive, manches ist auch dramatisch recht wirksam. Doch verleugnet auch er Schillers Einfluß nicht. Der Eindruck des Ganzen wird aber durch das viele Beiwerk gestört. Oft kommen Szenen, wo man erstaunt fragen muß, was will er denn eigentlich damit? Noch mehr beeinträchtigt die Sprache die Wirkung. Oft spricht er so in Rätseln, daß nur Eingeweihte klug daraus werden können, und er wagt Konstruktionen, die an das Griechische erinnern. Der Dialog wird oft recht unverständlich; erst die nachfolgen= den Szenen gewähren dem Leser ein Verständnis, für den Zuschauer aber sind die vorausgehenden Worte längst verhallt! 4. Wilhelmis,,Dimitri Iwanowitsch", 1869. Der Dichter hat bloß den von Schiller beabsichtigten fünften Akt in ein fünfattiges Drama umgeschrieben, in dem viel geredet wird, aber fast gar keine Handlung ist. Die Liebe zu Xenia (Schillers Axinia) und die Verschwörung geben den Stoff für das Drama. Als Ersatz für die äußere Handlung soll die psychologische Entwickelung von Liebe zu Haß dienen, durch welch leztern der Untergang des Helden herbeigeführt wird. 5. Mosenthal; er benut als Grundlage für sein Drama „Maryna“ die geschichtlichen Ereignisse nach der Ermordung des Demetrius, namentlich die Geschichte des zweiten falschen Demetrius, des sogenannten Räubers von Tuschino, den Maryna als ihren Gemahl anerkannte. Er war, wie einige glauben, ein Schulmeister aus Sokol in Weißrußland; polnische Quellen bezeichnen ihn als einen Juden. — In allen diesen Bearbeitungen ist von einer Verwertung des ganzen Materials, wie es Goedeke in seiner Ausgabe von 1876 bietet, nichts zu bemerken. Ganz begabte Dichter haben sich Schillers Geist untergeordnet, und wenn sie auch nicht das Höchste erreicht haben, so sind es doch anerkennungswerte Leistungen, und Goethe würde es wohl nicht schlechter gemacht haben, wenn er seinen Vorsaß, den Demetrius zu vollenden, ausgeführt hätte. Noch das Jahr 1818 mochte ihn daran erinnert haben, als die Kaiserin von Rußland in Weimar war. Es kam aber nur zu einem Maskenzuge, in dem „einheimische Erzeugnisse der Einbildungskraft und des Nachdenkens" vorgeführt werden, vor allem die dichterischen Leistungen

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