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Welches Kapital nicht nur politischer Sachkenntnis, sondern auch politischer Weisheit in den Reden beschlossen liegt, wird wohl erst die Zukunft voll ermessen. Wir stehen noch zu sehr mitten drin, soweit wir Parteileute sind, sogar nicht ohne Liebe und Haß. Um geistreich zu sein, braucht man nur vor nichts mehr Respekt zu haben", Leidenschaften frei zu sein, ist nicht immer eine öffentliche Tugend", „das gehäßigste aller Monopole ist das der politischen Einsicht und Tugend", ,,je konstitutioneller, desto teurer",,,Lautersprechen macht eine Sache nicht wahrer",,,alles Verfassungsleben ist eine Reihe von Kompromissen“, „Konsequenz ist das höchste Ideal nur für Politiker mit wenig politischen Gedanken“, „jedes Land ist auf die Dauer für die Fenster verantwortlich, die seine Presse einschlägt“, wie viel Beherzigenswertes liegt in diesen und ähnlichen, aufs Geradewohl von mir herausgegriffenen Säßen. Das sind ja alles keine absonderlichen Gedankenfunde, in großer Zeit von bedeutendem Munde ausgesprochen dürften sie aber nicht bloß vergängliche Eintagsgeschöpfe sein,,aus der Zeit für die Zeit!"

Besondere Beachtung gebührt natürlich den zahlreichen staatsmännischen Winken, die dem deutschen Volke für Gegenwart und Zukunft gegeben werden. Hierher gehören zunächst die zahlreichen Stellen, in denen Bismarck von dem Standpunkte des Patrioten zugleich und nüchternen Realpolitikers unserem Volke seine Geschichte ausdeutet, deren Verlauf ihm mit einer staunenswerten Klarheit und Sicherheit des Wissens immer gegenwärtig war. Mag er bei den Hohenstaufen, den Kämpfen zwischen Kaiser und Papst, dem Zeitalter Ludwigs XIV., des großen Kurfürsten, Friedrichs des Großen, bei Bildern deutscher Ohnmacht oder deutscher Erhebung verweilen immer derselbe Grundgedanke, daß das begabte und tüchtige deutsche Volk auf der großen Bühne der Welt eine ganz andere Rolle hätte spielen können, wenn es seine Kräfte nur entschlossener zusammengefaßt, in seiner Zerrissenheit auch nur geahnt hätte, wie stark es sei. Ein paar Beispiele auch hier. Daß Preußens König 1849 die Kaiserkrone abgelehnt hat, war durchaus nach dem Herzen des damaligen Abgeordneten für Westhavelland Bismarck. Wir alle wollen", sagt er am 6. September 1849, „daß der preußische Adler seine Fittiche von der Memel bis zum Donnersberge schützend und herrschend ausbreite, aber frei wollen wir ihn sehen, nicht gefesselt durch einen neuen Reichstag von Regensburg, nicht gestußt an den Flügeln von jener gleichmachenden Heckenschere aus Frankfurt, die erst in Gotha zu einem friedlichen Instrumente umgeschmiedet wurde, während sie wenige Wochen vorher in Frankfurt als drohende Waffe gegen das Preußentum geschwungen wurde." So der Abgeordnete Bismarck.

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Dem Ministerpräsidenten (das hatten Frankfurt, Petersburg und Paris gewirkt) schwebt wenigstens seit 1867 ein mächtiges Deutschland vor, mit preußischer Spiße und ohne Österreich, aber nicht als Einheitsstaat. Welche Herkulesarbeit nötig gewesen ist, um durch die Armeereorganisation ein starkes Preußen zu schaffen, nach 1866 die liberalen Gelüste der einen, die Annexionsgier der anderen abzuwehren, die zahlreichen Partikularismen, den preußischen voran, nieder: zuhalten, einen Bund und dann ein Reich mit einer genügend starken Centralgewalt durchzusehen unter steter Bekämpfung offenbarer Bundesund später Reichsfeinde im Innern, davon werden die Bismarckreden in ihrer lapidaren Sprache noch einer späten Nachwelt Kunde geben. Wie hoch oder gering meine geehrten Zuhörer die Verdienste des ersten Kanzlers auf kirchenpolitischem, finanziellem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiete einschäßen, kann ich nicht wissen, kümmert mich auch wenig. Ich sage nur das: wie viele Goldkörner tiefer Staatsweisheit in diesen Fachreden enthalten sind, ermißt ein späteres Geschlecht sicher besser als wir, pflegen doch auch die Irrtümer eines großen Mannes von der Art zu sein, daß sich aus ihnen vieles lernen läßt. Ein nationaler Besit von unbestrittenem Wert werden aber für immerdar die Reden von europäischer Bedeutung sein, in denen der größte Staatsmann der Zeit über weittragende Fragen der hohen Politik mit der ihm eignen mutigen Offenheit sich ausgelassen hat. Daß sich auch in dem Werden, Blühen und Vergehen der Staaten ein harter Kampf ums Dasein abspielt, in dem jeder Staat möglichst große Vorteile für sich zu erraffen sucht und der Kräftige die minder Kräftigen schließlich überdauert, daß man vor jedem Grenznachbar stets auf der Hut sein muß, daß Einwohnerzahl, Steuerkraft, Anzahl der Bajonette und Kriegsschiffe Gewichte in der Wagschale sind, welche nie außer Acht gelassen werden dürfen, — dies und derartiges hat der große Realpolitiker dem zu' idealen Selbsttäuschungen nur zu sehr neigenden Volke der Dichter und Denker hundertfältig nahegeführt. Seine staatsmännische Größe liegt aber vielleicht noch mehr darin, daß er nicht nur kühler Rechenkünstler und Statistiker war, sondern auch das, was er selbst Imponderabilien der Politik nennt, stark in seinen Calcul hereinzog, als da sind Glauben und Aberglauben, herrschende Vorurteile, tiefgewurzelte Zu- und Abneigungen, Grad der Begeisterung und Aufopferungsfähigkeit, die Fähigkeiten und Gesinnungen gerade tonangebender Persönlichkeiten. Das größte imponderabile für den ganzen Weltteil war freilich er selbst mit seiner löwenhaften Unerschrockenheit, seiner nicht zu beugenden Energie, seiner die lezten Absichten flug verhaltenden Offenheit und der meist so überraschenden Kühnheit seiner diplomatischen Schachzüge.

Und das End- und Strebeziel dieser Bismarckschen Politik ist seit 1871, was wohl jeder Bismarckfeind zugeben muß, ausschließlich Deutschlands Macht, Ehre und Heil gewesen; oft genug hat er den Vorwurf hören müssen, der Preuße sei bei ihm allzusehr aufgegangen in dem Deutschen. Wie hat er, unter dem schwarz-weiß - roten Banner stehend, von des Reiches höchster Zinne bei kräftigem Eintreten für jedes Bundesfürsten altererbte Rechte darüber gewacht, daß der Ausbau des Reiches nach innen ungefährdet sich vollziehe, wenn möglich ganz nach seinen Bauplänen, im Notfalle auch nach abgeänderten, daß nur ja der Main sich nicht vertiefe oder sonst eine Rückläufigkeit der Reichsflut sich bemerklich mache! Auf die Einrede von Bunsens am 11. Dezember 1867, die Waldecker, nunmehr Bürger keines Staates, würden in Arolsen ihren Mikado haben, in Berlin dagegen ihren erhabenen und mächtigen Taikun, erwidert er das schöne Wort:,,den Waldeckern bleibt der Ehrenname von Deutschen; einen anderen als den deutschen nationalen Patriotismus zu pflegen, haben wir keine Veranlassung; es ist nicht unsere Aufgabe."

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Den preußischen Vollblutpatrioten, die 1866 am liebsten die schwarz-weißen Grenzpfähle bis zum Main und Erzgebirge vorgerückt gesehen hätten, hält er die festen Worte entgegen (17. August 1866): Die Regierung denkt die Schwierigkeiten auf deutsche Art zu überwinden, durch Schonung der Eigentümlichkeiten und allmähliche Eingewöhnung, nicht, wie es bei romanischen Völkern üblich ist, mit einem Schlage. Je rückhaltloser Preußen zeigt, daß es seine Feinde von der Landkarte wegfegen kann, umso pünktlicher muß es seinen Freunden Wort halten. In Süddeutschland wird dieser Glaube an unsere politische Redlichkeit von großem Gewicht sein.“

Eine geradezu klassische Stelle aus dem Jahre 1867 (4. März) bitte ich noch im Auszuge anführen zu dürfen: Blicken Sie im Mittelalter von dem Russischen Reiche der Ruriks bis zu den westgotischen und arabischen Gebieten in Spanien, so werden Sie finden, daß Deutschland vor allen die Aussicht hatte, ein einiges Reich zu bleiben. Was ist der Grund, der uns die Einheit verlieren ließ und uns bis jezt verhindert hat, sie wieder zu gewinnen? Es ist der Mangel jener Gefügigkeit des Einzelnen und des Stammes zu Gunsten des Gemeinwesens, jener Gefügigkeit, welche unsere Nachbarvölker in den Stand gesezt hat, die Wohlthat, die wir erstreben, sich schon früher zu sichern. Liefern auch wir den Beweis, daß Deutschland in einer sechshundertjährigen Leidensgeschichte Erfahrungen gemacht hat, die es beherzigt.

In einer der leßten großen Reden, der denkwürdigen vom 6. Februar 1888, heißt es den russischen Preßdrohungen gegenüber:

„Wer den Frieden bricht, wird sich überzeugen, daß die kampfesfreudige Vaterlandsliebe, welche 1813 die gesamte Bevölkerung des damals schwachen, kleinen und ausgesogenen Preußen unter die Fahne rief, heutzutage ein Gemeingut der ganzen deutschen Nation ist, daß der, welcher sie angreift, sie einheitlich gewaffnet finden wird, jeden Wehrmann mit dem Glauben im Herzen: Gott wird mit uns sein."

War ich im Rechte, als ich dem großen politischen Lehrmeister und Züchtiger des deutschen Volkes eine Stellung anwies vergleichbar (natürlich mutatis mutandis) der alttestamentlicher Propheten? - Ich eile zum Schluß. Ein geistvollerer Mann als ich könnte bei solchem Stoffe um ein großartig wirkendes Schlußtableau, beispielshalber aus der Geschichte der politischen Beredsamkeit, nicht verlegen sein. Meinem Sinn und können entspricht es mehr, ganz schlicht des nach der menschlichen Seite erbauenden Eindrucks, den die Reden zurücklassen, abschließend noch kurz Erwähnung zu thun.

,,Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein“ sagt Faust unter dem fröhlichen Bauernvolke. Fürst Bismarck hat sich auch als höchster Würdenträger auf der Ministerbank, wo er es nach herkömmlicher Anschauung nicht durfte, immer als Mensch mit seinem Lieben und Hassen, seinen hohen Tugenden wie üblen Eigenschaften gegeben. War sie bedroht, so hat er alle Rechte seiner amtlichen Stellung bis zum Jota geltend gemacht und den major domus nicht sinken lassen, der er thatsächlich war. Dabei aber klingt unsäglich wohlthuend das nihil humani a me alineum esse puto durch alle Reden hindurch von 1847-1889. Wie gern plaudert er gelegentlich Selbsterlebtes aus! Aber auch das, was er dem Volke abgelauscht. Wie der deutsche Tagelöhner, Bauer und Förster denkt, wie dem Corpsstudenten durch die Mensurbrille die Welt erscheint, wie es in der Armee zugeht vom General bis zum Offiziersburschen hinab, was für Kurzweil junge Mädchen zu treiben lieben, was am Stammtisch geplaudert zu werden pflegt, worüber der großstädtische Pöbel seine Scherze zu machen liebt, was in Theatern eben gerade das Parterre und die oberen Ränge ergößt, bis hinauf zu dem Leben und Treiben in hohen, höchsten und allerhöchsten Kreisen alles kommt gelegentlich zur Aussprache, nicht selten in urkräftiger, oft aber auch in graziös zugespißter und menschlich in höchstem Grade liebenswürdiger Fassung.

Nach alledem ist es sicher nicht als eine Überschwenglichkeit ab= zuweisen, wenn Fürst Bismarck unter dem Gesichtspunkte der Prophetie im bezeichneten Sinne neuerdings öfters mit Luther und Goethe zusammengestellt worden ist. Die Vergleichung mit Goethe kann freilich nur dem einigermaßen einleuchtend sein, der den ganzen Dichter kennt,

insbesondere,,den jungen Goethe". Bei aller sonstigen Unvergleichbarkeit haben diese drei sicher das miteinander gemein, daß sie gott= begnadete Kernnaturen waren, daß sie dem in der Tiefe von ihnen erfaßten deutschen Volke auf ihren Gebieten leuchtendes Beispiel gegeben und auf weithinaus die Wege gewiesen haben. Für mich hat es immer nur einen einzigen Kompaß, einen einzigen Polarstern gegeben, nach dem ich steure, das gemeine Wohl" sagt Bismarck am 24. Februar 1881, wie es auf religiösem Gebiete Luther, auf ästhetischem Goethe von sich rühmen durften. Freuen wir uns, daß auch von dem großen Staatsmanne der Deutschen der Zukunft noch etwas anderes übrig bleibt als sein Nachruhm und die von ihm geschaffenen, dem Geseze des Wandels ja doch unterstehenden politischen Gebilde, daß wir neben zahlreichen Briefen die Reden besigen als Vermächtnisse seines Fühlens und Denkens, seines Deutsch- und Menschentums zur Erbauung für alle Zeiten.

Lassen Sie mich mit dem schlichten Wunsche schließen, daß der erleuchtete,,Prophet" des deutschen Volkes im Sachsenwalde uns noch recht lange bei frischer Kraft erhalten bleiben und auf seine alten Tage in dem Glauben an seine Deutschen nicht erschüttert werden möge, zu dem er sich in jüngeren Jahren troß vielfacher unerfreulicher Wahrnehmungen wiederholt in erhebender Weise bekannt hat.

Heinemanns Goethe.")

Von Otto Lyon in Dresden.

Die lezten Jahre haben uns zwar infolge des bekannten Preisausschreibens eine Zahl kurzer einbändiger Goethebiographien gebracht, aber eine umfassendere Biographie, die bei den einzelnen Entwickelungsstufen des großen Dichters eingehender verweilt und dem entsprechend überall mehr in die Tiefe dringt, fehlte uns, troßdem wir manche hübsche, abgerundete Darstellung des Goethischen Lebens besigen. Namentlich aber machte sich beim Betriebe des deutschen Unterrichts der Mangel einer Biographie, die den Stoff zugleich den Bedürfnissen des Unterrichts entsprechend gliederte und gruppierte, ganz nachdrücklich geltend. Auch ein Goethebilderatlas, der im wesentlichen die Forderungen erfüllte, welche Friedrich Zarncke im 11. Bande der philologisch-historischen Abhandlungen

1) Karl Heinemann, Goethe. Mit vielen Abbildungen in und außer dem Tert. Leipzig, E. A. Seemann 1895. 2 Bände. 480 S. und 448 S. Preis Mark 12.

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