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2.

Er hilft uns frei aus aller Not.

(Vergl. 11. Heft des 8. Bandes der Ztschr. Seite 770.)

Jeder Versuch, das Wort frei zu irgend einem Kasus zu konstruieren, muß fehlschlagen, da es eben ganz in der Luft schwebt. Dieser Gebrauch hat sich im bayrischen und fränkischen Dialekt bis heute erhalten und scheint auch Luther geläufig gewesen zu sein. Die Sache wird durch Beispiele am besten deutlich werden. Jemand will eine Geschichte erzählen, macht aber plöglich die Entdeckung, daß ihm die Nebenumstände aus dem Gedächtnis entschwunden sind. Nach langem vergeblichen Nachfinnen sieht er sich zu dem Geständnis genötigt: Das fällt mir jet frei nimmer ein.

Ein anderes Beispiel: Eine Gesellschaft wird in einem Gebirgsdorf von einem Sturm überrascht. Man schickt in dem ganzen Dorf herum, ob sich nicht ein Fuhrwerk auftreiben lasse, um nach dem Standquartier zurückzufahren. Alles umsonst; endlich entschließen sich die Sommerfrischler zur Resignation mit den Worten: Jezt müssen wir frei in dem verdammten Neste über Nacht bleiben.

Ein weiteres Beispiel: Eine Dame redet einem Herren, der in der Familie auf Besuch ist, zu, er möge doch noch eine Tasse Kaffee trinken. Als sie einsieht, daß der Gast durch keine Überredung von seiner Gewohnheit, nur eine Tasse zu trinken, abgebracht werden kann, bricht sie in die Worte aus: Er trinkt mir frei keine Tasse mehr.

In allen diesen Beispielen läßt sich unschwer erkennen, daß durch den Beisaß des Wortes,frei" der Sprechende dem Gefühl Ausdruck giebt, daß man durch das befreiende Wort aus dem Unklaren, aus dem Zweifel herausgekommen ist. Zu Luthers Zeiten mag „frei" noch in weiterer Bedeutung gebraucht worden sein, so daß man es einer Parenthese

frei herausgesagt gleichseßen kann. Damit wird denen, die den Ausdruck als zu weitgehend bemängeln möchten, versichert, daß er nicht zu stark, sondern völlig berechtigt sei. In den fliegenden Blättern vom 7. Januar 1895 steht so in einem Gedicht: Es is scho frei a Jammer. Solche ethische, d. h. die Stimmung des Sprechenden wiedergebende Adverbia, die außer allem Zusammenhang mit dem Saße stehen, haben wir auch im Hochdeutschen. So wäre gar nichts zu erinnern, wenn Luther geschrieben hätte: Er hilft uns rein aus aller Not. Nur gäbe das eine andere Nuance. Mit rein dialektisch reineweg die Allgemeingültigkeit der Behauptung gegen Zweifel oder Einschränkungen festgestellt. „gelt" in Fragen, spricht die Überzeugung aus, daß man eine bejahende Antwort erhalten werde: man geht eine Wette ein,

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gelte sie, soviel sie will, sei sie so hoch sie will. Die Adverbia,,halt, eben“ drücken meist eine Resignation aus. Das interessanteste von allen diesen ethischen Adverbien ist aber das im fränkischen Dialekt so überaus häufige, immer nasal gesprochene, selten geschriebene fein". Dieses aus dem Romanischen stammende (fino- dünn) Wort ist bei Luther einfaches Adverbium, z. B. Hiob 3, 26: War ich nicht sein stille? H. Gesangbuch 412, 7. Hier ist fein" eine adverbiale Bestimmung der Art und Weise, die nur zu,,stille" gehört, wie auch wir ähnlich sagen: Sei hübsch artig! Im jezigen fränkischen Dialekt dagegen fällt es ganz aus der Konstruktion heraus. Eine Wiedergabe dieses proteusähnlichen Ausdrucks durch andere Wendungen ist fast unmöglich. Beispiele mögen die Sache beleuchten. Man ruft einem lebhaften Kind zu: Fall fein net; einem zerstreuten: Merk fein auf. Man will damit ja nicht die Art der Aufmerksamkeit bezeichnen; auch ist „fein“ kein Flickwort, sondern ein ýðixóv.

Schweinfurt.

3.

Friedrich Spälter.

Zu „Da drobn aufm Berge."

Vielleicht interessiert es die Leser der Zeitschrift für den deutschen Unterricht, daß das auf dem linken Havelufer heimische Schnadahüpfl auch in Mittelfranken an der fränkischen Rezat gesungen wird und zwar in der von Herrn Wezel vermuteten ursprünglichen Fassung:

Doa drom afm Bergla,

Doa stät a Kapell,

Doa tanzt der Herr Pfarrer
Mit seiner Mamsell.

So hörte ich es in meiner Jugend in Windsbach, einem Landstädtchen, vier Stunden von Ansbach entfernt. Die Bevölkerung dieser Gegend, meist wendischer Abkunft, singt im allgemeinen wenig. Sie ist protestantisch wie diejenige in Deeß. Kleinere Berge sind wohl vorhanden, aber Kapellen find wenigstens heutzutage nicht mehr darauf zu sehen. Auch ein konkretes Bild eines ,alten ehrwürdigen Herrn" und einer „Mamsell" als Haushälterin ist mir aus meinem Heimatsorte nicht bekannt. Das Schnadahüpft ist sicherlich auf den katholischen Geistlichen gemünzt, dem auch sonst allerlei nachgesagt und nachgesungen wird – wozu ich aus eigener Erinnerung einen interessanten, zum Abdruck in dieser Zeitschrift jedoch weniger geeigneten Beleg beibringen könnte.

Darf ich noch eine Vermutung äußern über die Entstehung der Lesart,,Karßell"? In Mittelfranken bedeutet das Fremdwort karesfieren (caresser) viel mehr als „liebkosen“; es heißt vielmehr, „der Liebschaft nachgehen." Sollte vielleicht in früherer Zeit das Volk an der Havel

auch gedacht und in seiner Weise gedichtet haben, der Herr Pfarrer habe die Kapell zum Kareffell gemacht? Dabei tönnte immerhin die lautliche Verwandtschaft mit ,,Karussell" eingewirkt haben. Oder wäre vielleicht das Schnadahüpfl so zu paraphrasieren: „Da drobn aufm Berge, da steht ne Kapell? nein! ein lebendes Karussell: der wie ein Karussel sich mit seiner Mamsell im Kreise drehende Herr Pastor."

Dürrenmungenau.

4.

Habakul.

J. Steinbauer, Pfarrer.

Die Anfrage in Heft 5/6 S. 412 des vorigen Jahrganges kann ich in Bezug auf das rätselhafte Habakûl u. s. w. nicht beantworten, es müßte denn der Hinweis auf ein luxemburgisches Spielverschen zum sogenannten Sauspiele (bei Ed. de la Fontaine, Luxemburger Kinderreime 1877, S. 41, 7).

Mir gin dreîmol ronderem,

Dé kèng Kaul huot, dén as drem

doch vielleicht als eine Empfehlung des von dem Herrn Fragesteller abgewiesenen Zusammenhanges mit dem Zeitwort haben" angesehen werden. Entlehnung aus hochdeutschem Sprachgebiet wäre ja leicht möglich. Aber über das Spiel selbst weiß ich einige vielleicht erwünschte Auskunft.

Wie alle Kinderspiele nämlich, so findet sich auch dieses Ballspiel mehr oder minder ähnlich in wohl allen deutschen Landschaften. In meiner Heimat, dem Altenburgischen, geht es nach folgender Regel. Der Gummiball, klein und nur die Hand füllend, aber kernfest, wird zuerst von einem, wenn ich mich recht erinnere, durch Abzählreim bestimmten Knaben am Boden hingerollt auf eine Reihe kleiner, kreisrunder Gruben zu, die dicht hintereinander mit den Stiefelabsäßen in den Boden eingedreht sind und an deren jeder die Fußspiße eines Mitspielenden steht. In dem Augenblicke, wo der rollende Ball in einem der Löcher zur Ruhe kommt, bückt sich der daranstehende nach ihm, und alle übrigen stieben wie aus der Pistole geschossen nach den vier Winden auseinander, bis jener, sobald er zugefaßt und sich wieder aufgerichtet hat, einen bestimmten Ruf erhebt, der den Jungen da dem Wortsinne nach ebenso unverständlich sein muß, wie den Rheinländern ihr Habakul. Doch steht alles sofort still, dem Rufer mit dem Rücken zugewandt, und er wirft nun nach dem nächsten oder wagts mit einem ferner Stehenden. Saß der Wurf, so jagt der Getroffene dem zurückprallenden Balle nach, die anderen in entgegenseßter Richtung davon, bis sie nun durch dessen Anruf abermals gestellt werden. Wer aber beim Wurf sein Ziel verfehlt, hat

sich zur Sühne, rücklings an die Hauswand gestellt, von allen der Reihe nach mit dem harten Balle beschießen zu lassen oder auch durch die geschlossene Gasse Spießruten zu laufen. Dann beginnt er das Spiel von neuem, wie oben.

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Fast ganz stimmt damit der schweizerische Spielbrauch überein, den E. L. Rochholz (Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel, Leipzig 1857) S. 388 beschreibt; auch daß man sich nicht schont, sondern kräftiglich zu prellen sucht, gilt hier wie dort. Aber auch den Steh- und Nennruf des alemannischen Spiels, der ,,Vigoli" lautet, vermag ich nicht zu deuten, während das im Altenburgischen dafür übliche Stanto" doch wohl dem fröhlichen Latein ballwerfender Klosterschüler entstammt. Heißen doch auch bei der Schuljugend in Österreich-Schlesien die Steine, die den Umkreis des Feldes ebenfalls bei einem Ballspiele bezeichnen, noch heutzutage Meten: Schlagmeta, Laufmeta, Feldmeta (s. Peter, Volkstümliches aus Österreich-Schlesien, Troppau 1865. I. S. 165, 77) und ebenda muß auch beim „Frschtäcklas“ der Suchende den Gefundenen bei der Meta“ oder „Ankloppe“ anschlagen. In H. Handelsmanns Volks- und Kinderspielen aus Schleswig-Holstein (2. Aufl. Kiel 1874, 119), der übrigens auf Guts Muts Nr. 12 verweist, heißt entsprechend der Ruf zum Stillstehen: „Sta Ball“ oder „Staet" und ebenso das ganze Spiel, daneben aber auch Akkarbolspiel, lezteres nach Scherznamen“, auf die hin der Angerufene den aus der Höhe kommenden Ball fassen muß. Dieses Akkarbol" ist mir dunkel, wie jenes Habakul", mit dem es aber vielleicht nicht zufällig im Klange der Vokale so ziemlich über: einstimmt.

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Wie geheimnisvolle Worte im Kinderliede, besonders in den Abzählreimen, so sind rätselhafte Spielworte und Namen keine Seltenheit. Ich erinnere an einige der mannigfaltigen Benennungen und Schlagworte des altbekannten Sauspieles (bei Handelmann 118, aber auch bei Rochholz unter Mor-î-thue u.s.w.): Hudelum, Fudum, Studum, das lezte von Rochholz gedeutet als: die Staude umgekehrt!, ganz unglücklich, wie mir scheint, denn weder von Umkehren noch von einer Staude kann die Rede sein. Ein Laufspiel im Holsteinschen hat den unerklärlichen Namen ,,Gumm", und ein ebensolches auch mit einem sonderbaren Namen verzeichnet E. Meier in seinen Deutschen Kinderreimen und Kinderspielen aus Schwaben Nr. 430 und zwar mit dem richtigen Vermerke, es sei auch anderwärts bekannt, was z. B. für die Altenburgische Gegend zutrifft. Paarweise stellen sich die Spielenden hinter einander auf, nur Eins tritt einzeln an die Spize, Nase nach vorn. Auf dessen Ruf muß immer das lezte Paar sich lösen und eins links, das andere rechts an ihm vorüberlaufend sich vorn wieder zu vereinigen

suchen; der Rufer behält Plaz und Amt, bis es ihm glückt, jemand vor der Wiedervereinigung einzufangen. Stich- und Nennwort ist in Schwaben gewöhnlich Brillo", bei uns ebenso beides „Fangschong", daneben auch ganz anders geartet,,Böckchen, Böckchen, schiele nicht!" Daß dieses Brillo" aus einer ältern Gestalt des Wortes Brautlauf entstellt worden, kann man wenigstens vermuten, ist auch wohl bereits vermutet worden, besonders da die nebenher vorkommende Bezeichnung als,,Witwerspiel" ebenfalls auf einen solchen Rest und Nachhall dieses alten, schon im Mittelalter schwindenden Hochzeitsgebrauches hindeuten kann. Die Formwandlung hätte sich vielleicht unter dem Einfluß einer Vorliebe für fremdländischen Wortklang vollzogen. Aber für das möglicherweise ähnlich verwelschte Fanchon (aus: Fang schon??) findet sich auch unter Handelmanns ausgiebigen Bemerkungen kein Fingerzeig, während er z. B. das dänische „U baste“ mit „ud bageste“-,, heraus die leßten“, das russische ,,Garcilfi" mit: ,,es brennt" verständlich zu deuten weiß.

Vielleicht tritt noch ein Kundigerer vor, der uns Habakul und Affarbol und Fudum und Studum und Fanchon alle zusammen befriedigend auslegt.

Berlin.

5.

Oskar Streicher.

Zu dem Auffage Rudolf Hildebrands: Humor im Kinderliede (Jch saß auf einem Birnbaum) auf S. 285 im 5. resp. 6. Heft des 8. Jahrganges d. Ztschr. erlaube ich mir ein Seitenstück vorzuführen, das ich in der Gegend von Kulmbach aufgelesen habe; dasselbe lautet:

Bin i fer'n Kirschen ganga,

Da aß ich mein Bauch voll tage 1) Birn,

Da is der Bauer komma, dem die Holzäpfel sein warn,
Der sprach:,, Du Schelm, du Dieb!

Was thust du in mein gelbn Rubna?“

Da sprang ich von der Tanne, Kiefern runter,

Mittenhinein in die Stadt.

Da begegneten mir die tausend Pech - Soldaten,

Die fragten mich, wer der höchste sei in der Stadt.

Da sagte ich: Der Göckerhahn auf dem Turm.

Da gaben sie mir eine Maulschelle rechts und eine Maulschelle links

Und boten mir obendrein noch Schläge an.

Da sprang ich um die Ecke, wo die sieben Säck voll Wasser steha
Mittenhinein in die Kirche. Da stund ein Pfaff,

Der sprach:,, Römer am zwoten Kapitel,

Sing, sang, ich fang dich!“

1) teig.

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