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Valentin gewidmet ist. Die Schule darf sich der Aufgabe nicht entziehen, eine wenn auch bescheidene Anleitung zum Verständnis der Faustdichtung zu geben, dem Schüler wenigstens die Grundlagen zu sichern, auf denen sich seinem spätern Bemühen ein Verständnis aufbauen kann. Auf keinen Fall darf im Schüler die Meinung entstehen: Den Fauft haben wir auf der Schule,,gehabt," d. h. wir sind fertig mit ihm, wie mit so vielen anderen Schuldingen auch. Darum pflichte ich auch Hähnel vollständig bei, wenn er den zweiten Teil von der Lektüre in der Schule ganz ausschließt. Zwar ließen sich manche Szenen mit Schülern behandeln, und auf der diesjährigen Versammlung der sächsischen Gymnasiallehrer in Bauzen machte G. Klee Vorschläge im einzelnen; aber solche einzelne subjektiv herausgegriffene Stücke können doch nur den Eindruck eines Stückwerkes machen; wenn aber Faust einmal auf der Schule behandelt werden soll, dann müssen ihn die Schüler als ein Ganzes erfassen lernen. Darum pflege ich einen Überblick über den zweiten Teil, (vergl. Hähnel S. 40—47) unmittelbar an die Einleitung anzuschließen, die auch Hähnel giebt. Von der Faustsage war schon in Unterprima zweimal die Rede; was dort bei der Besprechung der Reformation und von Lessings Litteraturbriefen gesagt wurde, wird in Oberprima aufgefrischt, die Verschiedenheit der Goetheschen Auffassung vom Volksbuch wie von Lessings Behandlung aus der Stimmungswelt des Prometheusdichters abgeleitet und das allmähliche Werden der Faustdichtung ins besondere unter dem Einflusse Schillers, dann unter dem des Alters furz gekennzeichnet. Erst nach dem Überblick über den Zweck, Inhalt und Aufbau des zweiten Teils beginnt die Behandlung des ersten im einzelnen. Hähnel widmet ihr Seite 16-39. Sie besteht in einer Besprechung der als gelesen vorauszusehenden einzelnen Szenen. Mit dieser Art, wie mit den Darlegungen Hähnels überhaupt kann man sich im allgemeinen einverstanden erklären, über einzelnes hat ja jeder seine eigene Meinung, und der Anschluß an Valentins Buch braucht nicht gerade sklavisch zu sein. Am ausführlichsten behandelt Hähnel S. 16 bis 29 die Szenen bis zu der in Auerbachs Keller; mit Recht. Daß aber die Herenküche ebensowenig wie die Walpurgisnacht genau durchgenommen, sondern daß nur über ihre Bedeutung für den Bau des Ganzen gehandelt werden kann, gab selbst Klee in Bauzen zu. Läßt man aber einmal diese Szenen weg, dann sollte man sich auch bescheiden, den ersten Teil überhaupt nur bis zur Herenküche, also gerade die Hälfte des ersten Teils, aber diese ohne Weglassungen zu erklären. Einmal bedürfen die Szenen der Gretchentragödie der Einzelerklärung kaum, fie können ohne weiteres der Privatlektüre überlassen bleiben: gerade, weil Oberprimaner den heiklen Zusammenhang der Dinge selbst erkennen,

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empfiehlt es sich nicht, sie breitzutreten, und über alle die einzelnen Stellen, auf die man in der Schule nicht das Augenmerk sich richten Lassen mag, kommt man so am besten hinweg. Ich habe jedes Jahr die Einzelbesprechung mit der Szene in Auerbachs Keller abgeschlossen und, indem ich den Abiturienten die rechte Auffassung dieser Szene ohne Schwierigkeit ablockte, ihnen den eigenen Übergang in das akademische Leben zu vermitteln gesucht. An das lezte Ende der gesamten Schulzeit nämlich, in die von Weihnachten an noch verbleibenden Stunden verLege ich die Behandlung der Krone der gesamten modernen Dichtung," sie muß den Gipfelpunkt der gesamten Arbeit in den deutschen Stunden bilden. Ich halte es für unrecht, mit Faust etwa schon im Sommer zu beginnen, vielleicht um ihn für Aufsätze auszuschlachten, für ein Unrecht an den übrigen in Oberprima zu behandelnden Dichtungen Schillers wie Goethes. Wo bleiben diese, wenn ein großer Teil des kurzen Abgangsjahres durch Fauft besezt ist, gegen dessen Lektüre überhaupt doch immerhin so gewichtige Stimmen, wie die Lehmanns sprechen. Je näher die Prüfungsnöte rücken, um so leichter erlahmt das Interesse der Abiturienten, nach Faust werden ihnen Iphigenie und Tasso nicht denselben Reiz abgewinnen wie vor ihm, dem Höchsten, was die Schule ihnen bieten kann. Daß sie aber ohne Zuthun des Lehrers die rechte Schäßung jener „handlungsarmen" Stücke gewinnen könnten oder nach ihrem Abgange tiefer in sie einzudringen streben sollten, ist mir weniger wahrscheinlich, als daß der gereiftere Mensch einmal den Faust wieder vornimmt, der auf der Schule sein leztes Interesse erweckte: kurz bevor er selbst es so herrlich weit gebracht hatte und für „reif“ befunden wurde, durfte er einen ahnenden Blick in die geheimnisreichste Dichtung thun, deren tieferes Verständnis, das fühlte er, dem Manne vorbehalten bleiben mußte. Dresden. Carl Müller.

Kleine Mitteilungen.

Das gesamte Erziehungs- und Unterrichtswesen in den Ländern deutscher Zunge. Unter diesem Titel hat die Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Echulgeschichte, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz zahlreiche Mitglieder und angesehene Verbände hat, begonnen, der Ausgabe der „, Monumenta Germaniae Paedagogica“, den „Mitteilungen der Gesellschaft“ ein neues Unternehmen hinzuzufügen. Es handelt sich dabei um ein in Monatsheften erscheinendes bibliographisches Verzeichnis nebst Inhaltsangabe der Werke, Auffäße und behördlichen Verordnungen zur Deutschen Erziehungsund Unterrichtswissenschaft und um Mitteilungen über Lehrmittel. Es wird dadurch ein Nachschlagewerk geschaffen, das beim Schlusse des Jahrganges durch ein eigenartig eingerichtetes Namen- und Sachregister über alle Fragen des weiten Gebietes von Erziehung und Unterricht, die innerhalb des Jahres erörtert worden und über alle Arten von Lehrmitteln, die in dem gleichen Zeitraume entstanden und zur Veröffentlichung gelangt sind, Auskunft geben wird.

Ein derartiges Nachschlagewerk existiert bis jest weder innerhalb der Wissenschaft von Erziehung und Unterricht, noch auch innerhalb der anderen Wissenschaften. Der Umfang des Unternehmens, dessen vollständiger Jahrgang aus 12 Heften von je 4-6 Bogen, eng gedruckt, bestehen wird, erhellt schon aus der großen Anzahl von Abteilungen, unter die das Material gruppiert wird: Sämtliche Unterrichtsfächer, alle Unterrichtsanstalten von der Universität bis zur Dorfschule, Fortbildungs-, Fach- und Spezialschulen, Militärbildungswesen, Frauenbildung, Geschichte und Systeme der Pädagogik, die verschiedenen Arten der Erziehung, Gesundheitspflege, Schulorganisation und Verwaltung, Schulunterhaltung, Schulfeiern, Jugendschriften u. s. w.

Für wie weite Kreise das Unternehmen eine wesentliche Arbeitserleichterung und ein unentbehrliches Hilfsmittel darbieten wird, leuchtet ohne weiteres ein. Es ist daher erklärlich, daß noch vor Erscheinen des ersten Heftes aus den Kreisen der Regierungen, der Gelehrten und Schulmänner, der Verleger päda= gogischer Werke und Lehrmittel dem Unternehmen fördernde Teilnahme bewiesen worden ist. Je allgemeiner die Teilnahme ist, um so eher werden die Absichten der Gesellschaft verwirklicht werden können.

Wünschenswert ist, daß die Herren Verfasser von Auffäßen, deren leider so viele nicht zur allgemeinen Kenntnis gelangen, weil sie oft in weniger verbreiteten Zeitungen veröffentlicht werden, Sonderabdrücke, womöglich mit Auszügen, an die Geschäftsstelle der Bibliographie (Berlin SW, Lindenstraße 43) zu Händen des Herrn Professor Dr. Karl Kehrbach, der auch bei dieser Publikation der Gesellschaft die Oberleitung übernommen hat, gelangen lassen. Ebenso ist die Zusendung von bezüglichen Gelegenheitsschriften (Schulgeschichten, Biographien, Nekrologen u. s. w.) und der von städtischen, kirchlichen und Staatsbehörden bes wirkten Veröffentlichungen, die nicht im Buchhandel erscheinen, erwünscht.

Auf das soeben zur Ausgabe gelangte erste Heft mit ungemein reichem Inhalt, Druck und Kommissionsverlag von J. Harrwiz Nachf., Berlin (vierteljährlich 5 M.), werden wir demnächst zurückkommen.

Zeitschriften.

Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte. Neue Folge. X,1.: J. D. E. Donner, Richardson in der deutschen Romantik. A. Ludwig Stiefel, Zu den Quellen der Hans Sachsischen Schwänke. Emil SulgerGebing, Dante in der deutschen Litteratur des 18. Jahrhunderts. 2. Die Übersetzungen. Heinrich v. Wlislocki, Türkische Volksmärchen aus Anatolien. Paul Steinthal, Aus den Geschichten früherer Existenzen Buddhas (Jataka). Der Abschnitt von den Frauen. Franz Stutsch, Zu Hebbels Herodes und Mariamne. Rudolf Schlösser, Eine Dichtung in Jamben aus dem Jahre 1778. Die lateinischen Dramen von Wimphelings Stylpho bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Litteraturgeschichte von P. Bahlmann: Ref. Johannes Bolte. Michael Bernays Schriften zur Kritik und Litteraturgeschichte. Erster Band: Ref. Franz Munder. Neue Forschungen zur Geschichte des niederländischen und spanischen Dramas in Deutschland von Julius Schwering: Ref. Albert Dessoff. H. F. Müllers Beiträge zum Verständnis der tragischen Kunst: Ref. Alfred Biese.

Für die Leitung verantwortlich: Dr. Otto Lyon. Alle Beiträge, Bücher 2. bittet man zu senden an: Dr. Otto Lyon, Dresden- A., Ludwig Richterstr. 2 IL

Wie können wir auf eine höhere Stufe der nationalen
Aneignung der Goetheschen Faußt-Tragödie gelangen?
Von A. Freybe in Parchim.

Der sei noch nicht des Lorbeers wert gehalten,
Zu dessen Wohllaut Ohr und Herz sich neigen:
Dem Dichter sei der Blick des Sehers eigen,
Der fromm vertraut ist mit des Schicksals Walten.

Dann aber wird ihm alles zum Gedichte,
Denn alles wirkt und deutet mit im Ringe,

Und was er singt ist wie die Weltgeschichte.

Mit diesen Worten kennzeichnet Geibel den Dichter von Gottes Gnaden, den Dichter, der mit Seherblick in die Tiefe des Menschenlebens und des Völkermeers schaut, über welche des Lebens Marktschiff ahnungslos dahinfährt. Seherblick ist göttliches Gnadengeschenk, ist jenes Horazische munus, oder jenes Geschenk, wie es uns Schiller darstellt, wenn er in seinem „Glück“ denjenigen selig preist, welchem die Augen geöffnet, die Lippen von oben gelöst sind und das Siegel der Macht auf die Stirne gedrückt ist.

Ein solcher, Mann des geöffneten Auges' aber würde schwerlich mit seinem Seherblick die Zukunft durchdringen, wenn er nicht ebensosehr der Vergangenheit und der Gegenwart zugewendet wäre, nur daß er beide anders anschaut, als die ihn umgebende, vorwärts hastende Menge; gerade als vates, als der Mann geöffneten Auges vermag er in Vergangenheit und Gegenwart mit Seherblick die Keime und Wurzeln der Zukunft zu schauen; hier wirkt und deutet alles mit im Ringe, auch das scheinbar Unbedeutende, das scheinbar Zufällige und Unvermittelte, worüber die Zeitgenossen flüchtigen Fußes hinwegeilen. Wie könnte er sonst fromm vertraut werden mit des Schicksals Walten, wenn nicht sein Blick allem dem zugewendet wäre, was in der Geschichte der Vergangenheit und Gegenwart seines eigenen Lebens wie in dem seines Volkes, das er in sich mitlebt, die Zukunft irgendwie keimartig vorgestaltet.

So liegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für den wahren Dichter nicht auseinander, sondern ineinander, und so war es auch bei Goethe, so schon in seiner Jugend, als er sich die Worte über sein Bett schrieb: „Liegt das Gestern klar und offen, wirkst du heute kräftig frei, kannst auch auf ein morgen hoffen, das nicht minder kräftig sei." So Zeitschr. f. d. deutschen Unterricht. 10. Jahrg. 8. Heft.

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lange der Dichter, sagt Goethe, bloß seine wenigen subjektiven Empfindungen ausspricht und wäre es auch so, daß wie bei ihm zu der Worte Wohllaut Ohr und Herz sich neigen — ist er noch kein Dichter zu nennen, aber sobald er Vergangenheit und Gegenwart in sich verbindet, sobald diese sich ihm also erschlossen haben, daß er sie sich anzueignen und auszusprechen vermag, ist er ein Poet, ein Poet, der mit seinem Volke dichtet. Nun wird ihm alles zum Gedichte, denn alles wirkt und deutet mit im Ringe und was er singt ist wie die Weltgeschichte, die ja selbst das großartigste Drama ist, und in dieser ist's des eignen Volks Geschichte, die zugleich seine eigene Geschichte ist, welche aus seinen Werken zu uns spricht; die Geschichte des Volks, dem er angehört, des Volkslebens, in dessen Boden er mit tausend Fasern wurzelt, dessen Bodenkraft und Bodenfarbe in unverkennbaren Zügen er von Haus aus trägt, des Volksgeistes, der in ihm - bewußt, oder unbewußt und dann nur um so stärker pulsiert. So ist's bei Shakespere, so auch bei Goethe. Und was er singt ist wie die Weltgeschichte“, nicht etwa die Weltgeschichte selbst. Wie die Weltgeschichte bei aller scheinbaren Regel- und Biellosigkeit doch Plan, Norm und Zeit verfolgt und in großartigster Weise Gestalten darstellt, so auch der wahre Dichter. Der Dichter ist angewiesen auf Gestaltendarstellung", sagt Goethe,,,und das Höchste derselben ist, wenn ihre Schilderungen durch den Geist dergestalt lebendig sind, daß sie als gegenwärtig für Jedermann gelten können", so wie es in hervorragender Weise von den Gestalten der Goetheschen Faustdichtung gilt. Also die dichterischen Darstellungen sollen plastisch sein wie die der Weltgeschichte, ohne daß diese selbst darzustellen verlangt werden kann. Kann doch die Darstellung der Geschichte der gesamten Menschheit, vollends die der ganzen Welt dem einzelnen Dichter gar nicht zugemutet werden, und bietet doch selbst die germanische Volksdichtung nur einen, allerdings wohlgelungenen Versuch eines Weltdramas, jenen uralten der Edda.1) Dagegen gilt das Wort: „Und was er singt, es ist die Volksgeschichte“ ebenso wie in der griechischen Dichtung auch in unserer deutschen Nationallitteratur von gar manchen Dichtern, vornehmlich aber vom Volksepos eines Nibelungenund Gudrunliedes, wie anderseits auch von mancher sog. Kunstdichtung späterer Zeiten mit ihrer Darstellung individualisierten deutschen Volkslebens und deutschen Volksgeistes, wie er zumal in dem Goetheschen Faust leibhaftig erscheint. Und was er singt, es ist die Volksgeschichte, die Volksgeschichte nicht etwa in pragmatischer Folge, so daß uns eine poetische Chronik geboten würde, sondern die Geschichte der Entfaltung des Volks

1) Vergl. das Weltdrama in der deutschen Mythologie in meinem Altd. Leben, Gütersl. 1878, I, 50–87.

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