Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

zerstreuen sich beim Grasen, ab und zu verirrt sich so ein Stück. Im Moore treibt der Torfgräber sein Wesen. In das häusliche Leben führt uns der Hinweis auf die Spinnlenore und den Fiedelmann. Über das Ganze ist der geheimnisvolle Reiz des Gespensterwesens ausgegossen; Annette von Droste-Hülshoff hat ja mit besonderer Vorliebe und mit großer Virtuosität Stoffe aus dem Aberglauben ihrer Heimat behandelt. Für die Charakteristik der Volksseele ist dabei in unserem Gedichte der Umstand bedeutsam, daß sich in jeder dieser vier Geschichten (Str. 2—5) das sittliche Urteil des Volkes ausspricht: die Geister, die im Moore ihr Wesen treiben, sind zur Strafe für zeitliche Sünden dorthin gebannt.

Schon dieser kurze Überblick kann darthun, daß sich das Gedicht besonders eignet, die individuelle Art der Dichterin daran zu entwickeln. Gera. P. Polad.

4.

Anfrage.

1. Wie ist das Wort „Hochstapler" zu der Bedeutung gekommen, in der es jezt allgemein gebraucht wird?

2. Was bedeutet der beim Skat gebräuchliche, vor etwa 30 Jahren noch unbekannte Ausdruck,,einen Lachs spielen"?

Königsberg, Ostpr.

5.

Carl Boettcher.

Rägel (zu X, 219 flg.).

Bei der Besprechung des interessanten Wortes Rägel (Rätsel), mit dem Goethe einen Menschen bezeichnete, dem die Augenbrauen zusammengewachsen find, hätte zunächst das DWB. 8,197 zu Rate gezogen werden sollen, wo es dem allgemein geläufigen Rätsel, aenigma, an geschlossen ist, freilich mit der Bemerkung: „Ob diese Bedeutung [d. i. ovvopovs bei Theokrit] mit der vorigen [aenigma] zusammenhängt, erhellt nicht." Ebendort ist weiter auf das bayrische Wörterbuch von Schmeller (2. Aufl. 2, 194) verwiesen, der unser Wort mit dem Volksnamen Raize, Serbe, der griechisch – nicht unierten Konfession, verbinden wollte. Daß nämlich von diesem Namen die Bezeichnung Raizenbart für Schnurrbart (bei H. Sachs, anderwärts auch Raxel-, Raz-, Razelbart, s. Lexer, KWb. 15, Überfelder, KJdiot. 197, Schöpf, Tirol. Jdiot. 538) herstammt, schien für diese Deutung von Räzel zu sprechen.

Ich glaube mit gutem Recht diese zwei Etymologien nebst der bei Schmeller a. a. D. von Frommann hinzugefügten Anknüpfung des Wortes an das koburgische Räzel, Schaukel, wie auch die von H. Dünger in seinen Anmerkungen zu den bewußten Stellen in „Wahrheit und Dich

tung" gegebene Erklärung, daß eigentlich Rädsel, von Rad, geschrieben werden sollte, ablehnen zu können und mache dagegen aufmerksam darauf, daß wir in Räzel (die Schreibung Räthsel, Rätsel ist ganz zu vers werfen) nichts anderes als eine bezüglich der Wurzel des Wortes eng verwandte Nebenform von Schrägel zu erkennen haben. Der drückende Nachtgeist (Nachtmar, nightmare, der ursprünglich mit dem Marder nichts zu schaffen hat), den die zusammengewachsenen Augenbrauen verraten, heißt Schräßel oder Räzel, s. Mogks Mythologie in Pauls Grundriß 1, 1016 (vergl. bei Stieler 1914: Schreßel incubus, oppressio nocturna, Schönwerth, Aus d. Oberpfalz 2, 290, Bavaria 2, 245). Die Formen verhalten sich zu einander wie mhd. schrimpfen zu rimpfen oder wie engl. shrink zu cringe (Kluge, Etym. Wb. unter schrumpfen, Hildebrand im DWB. 5, 2023, c).

Zum Schlusse sei hier noch bemerkt, daß sich einer der besten Schriftsteller des niederdeutschen Stammes den von ihm bei Goethe gefundenen und meines Erachtens ursprünglich oberpfälzischen Ausdruck angeeignet hat. Die dunklen Brauen" der Elke Volkerts in Storms Schimmelreiter heißen auch „Räthselbrauen" (Storm, Gesamm. Schr. 19, 169 und 165); Elke wird also für ein „Räzel“ anzusehen sein. Leitmeriz. J. Peters.

[ocr errors]

6.

Zur Volksetymologie.

[ocr errors]

Schon oft ist in dieser Zeitschrift die Rede von volksetymologischen Ausdrücken gewesen. So führt Bartels (Ztschr. VII, 1, S. 56) Rhododendron de rotgeränderte" und "Pulverkeller" für Boule: vard-Keller" an. In Rostock war vor Jahren ein Segler beheimatet, der den Namen „Torquato Tasso" führte, von den Seeleuten aber stets Senator Passow" genannt wurde, ein in Rostock allgemein be kannter Herr. Daß meine robusten kerngesunden Landsleute die Influenza stets „dê Fûlenzia" (die Faulenzia) nannten, fällt weniger auf, als daß mein nun verstorbener Rostocker Barbier stets von einem „,,Delirium drequens" sprach, wobei er sicher an das Verbum „drehen“ dachte.

[ocr errors]

Doberan i. M.

7.

Zu Lessings jungem Gelehrten.

D. Glöde.

Im elften Auftritte des zweiten Aufzuges des jungen Gelehrten läßt Lessing Damis sagen:,,Kann ich keine Frau haben, die einmal ihren Platz in einer Abhandlung de bonis Eruditorum uxoribus findet, so will ich wenigstens eine haben, mit welcher ein fleißiger Mann seine Sammlung de malis Eruditorum uxoribus vermehren kann.“

In C. J. Webers Demokritos finde ich unter der Kapitelüberschrift „der Geist des scholastischen oder gelehrten Zeitalters" die Bemerkung: Hommel gab uns ein Register von Juristen, die Heilige waren, lange Nasen, Buckel oder böse Weiber hatten u. s. w." Sollte nicht Lessing in der eben angeführten Stelle an den von Weber erwähnten Hommel gedacht haben? Weber aber scheint mit Hommel auf den seiner Zeit hervor= ragenden Juristen dieses Namens hinzuweisen, der, 1722 zu Leipzig ge= boren, 1781 als Ordinarius der dortigen Juristenfakultät starb. Es könnte aber auch sein Vater gemeint sein, der ebenfalls Professor in Leipzig war. Bei den geringen Hilfsmitteln, die mir zu Gebote stehen, ist es mir nicht möglich, die Frage zu entscheiden und die Untersuchung hierüber zum Abschlusse zu bringen. Ich habe nur noch erfahren können, daß der erst erwähnte Hommel außer einer ungeheuren Menge juristischer Schriften auch mancherlei mikrologische Schnurrpfeifereien verfaßt hat. Vielleicht läßt sich mit besseren Hilfsmitteln, unter denen ich Meusels gelehrtes Teutschland und desselben Verfassers Lexikon der vom Jahre 1750-1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller nennen möchte, über die wissenschaftliche und schriftstellerische Thätigkeit dieser Hommel, sowie über Lessings Beziehungen zu ihnen oder zu einem von beiden noch Genaueres feststellen. Vielleicht ist der jüngere Hommel derjenige Ge= lehrte, dessen wichtigthuerisches Gebaren Lessing besonders viele Züge für die Person des Damis geliefert hat. Über die sachlichen und per= sönlichen Beziehungen des schon in Meißen begonnenen, in Leipzig dann umgearbeiteten und vollendeten Lustspiels finde ich in Adolf Stahrs Biographie des Dichters, der einzigen leider, die ich nachsehen kann, unter anderem folgende Angabe: „Er nahm den Entwurf zu seinem Lustspiele der junge Gelehrte wieder vor und machte sich daran, das Stück bühnenmäßig auszuarbeiten. Ein zufälliger Umstand begünstigte ihn dabei. Ein junger Gelehrter in Leipzig hatte sich vermessen, an die Berliner Akademie der Wissenschaften eine Abhandlung einzusenden, mit der er sich um einen von ihr eingesezten Preis bewarb. In seinem Hochmute hatte er dies nicht nur seinen Freunden mitgeteilt, sondern auch gegen dieselben eine feste Zuversicht auf das Gelingen seines Unternehmens ausgesprochen, als in demselben Augenblicke die niederschlagende Botschaft anlangte, daß seine Abhandlung als die schlechteste erklärt worden sei. Diesen Vorfall benutte Lessing für die Katastrophe seines Stücks." Man sieht, daß die zeitlichen und örtlichen Verhältnisse meiner Vermutung nicht widersprechen würden. Vielleicht veranlassen diese Zeilen einen Fachgenossen, dem reichere litterarische Quellen fließen, der angeregten Frage näher zu treten.

Perleberg.

Beitschr. f. d. deutschen Unterricht. 10. Jahrg. 7. Heft.

F. Mertens.

34

Laehr, Hans, Die Wirkung der Tragödie nach Aristoteles. Berlin, G. Reimer 1896. Mark 3.

Die Arbeit eines Arztes, - der Philologe hätte werden sollen! Man lese nur die gründlichen Einzeluntersuchungen über ¿vdovoiαorinós, καθεστηκότως, κάθαρσις, ἦθος, νοῦς im 2lnbang (G. 143-160)! freilid schenken wir ihm so um so leichter Glauben, wenn er die sogenannte medizinische Deutung der tragischen Reinigung, wie sie besonders Bernays verfochten hat, verwirft, und wir empfinden es als einen reizvollen Gegensah, daß er, ein Vertreter der exakten Wissenschaften, Lessings Auffassung der Aristotelischen Begriffsbestimmung von der Tragödie wieder zu Ehren bringt, für die selbst der neueste Biograph des Hamburgischen Dramaturgen nicht mehr einzutreten wagte.

[ocr errors]

Laehr untersucht zunächst (S. 5—77), was Aristoteles unter der tragischen Katharsis versteht. Die tragische Katharsis hat ihr Gegenstück in der musikalischen Reinigung, über die sich Aristoteles im 8. Buche der Politik ausführlicher äußert. Diese besteht, was die durch sie bewirkte Verfassung des Gemütes betrifft, in einer Veränderung der Empfänglichkeit für den Enthusiasmus. Die Empfäng lichkeit wird bei denen, die minder zum Affekt neigen, erhöht, bei denen, die zu stark dazu neigen, herabgesezt, kurz, es wird bei allen die mittlere und rechte Gemütslage hergestellt“ (S. 24). Läßt sich hieraus der Schluß ziehen, daß es sich auch bei der tragischen Reinigung um die Herstellung des mittlern Zustandes des Gemütes handele - ein Schluß, der uns zu Lessings Auffassung des Wesens der Katharsis zurückleitet —, so giebt jene Stelle über die musikalische Reinigung doch nicht das Mittel, die Objekte zu bestimmen, die durch die tragische Reinigung entfernt werden.

Das letztere soll eine Betrachtung der medizinischen Reinigung ermöglichen. Betreffs dieser wird darauf hingewiesen, daß die Heilkunde der Alten drei Abschnitte der Krankheitsentwickelung annimmt: Rohigkeit, Kochung, Krisis. Reinigung durch ärztliches Eingreifen aber darf nicht stattfinden in der Krisis. Dagegen wird sie, vorgenommen, bevor es zur Kochung kommt, der weiteren Ausbildung der Krankheit unter Umständen vorbeugen; im Verlaufe der Kochung aber angewendet wird sie zwar die mit derselben verbundene Schüttelbewegung vermehren, aber doch eine dem Körper wohlthätige Ausscheidung bewirken können. Das Störende, das dadurch entfernt wird, ist etwas, das der naturgemäßen Mischung der Grundsäfte (Hippokrates!) oder der rechten Mischung des Blutes (Aristoteles!) fremdartig ist. Mit diesen pathologischen Vorgängen und medizinischen Maßnahmen vergleichen wir die musikalische Reinigung. Da ergiebt sich erstens, daß der körperlichen Schüttelbewegung im Seelischen der Affekt entspricht. Zweitens wird nun klar, daß bei der musikalischen

Reinigung das Ausgeschiedene der Affekt nicht sein kann: nicht die Be= wegung wird bei dem Krankheitsprozeß ausgeschieden sie dauert auch in der Krisis noch fort, sondern etwas der rechten Mischung der Grundsäfte oder des Blutes Fremdartiges. Der rechten körperlichen Beschaffenheit entspricht auf seelischem Gebiete die rechte Gemütsbeschaffenheit. Diese aber wird gestört durch die Neigung des Menschen zum Nüglichen oder Lusterregenden, soweit dadurch seine Richtung auf das Schöne, worin die rechte Gemütsstimmung besteht, beeinträchtigt wird. Diese Neigung ist also das Auszuscheidende, und sie ist es, die bei der musikalischen Reinigung entfernt werden muß, wenn wir aus den Vorgängen bei der medizinischen Reinigung das Entsprechende erschließen dürfen.

Mit der musikalischen Reinigung stimmt die tragische zusammen: das wird allgemein zugegeben. So ist nach der vorhergehenden Beweisführung auch einzuräumen, daß Aristoteles in seiner Begriffsbestimmung der Tragödie nicht eine Reinigung von den Affekten, sondern eine Reinigung der Affekte meint, und zwar denkt er dabei nach Laehr nicht an diese und dergleichen Affekte (Lessing!), sondern an die Affekte überhaupt. Daß der Wortlaut eine solche Deutung zuläßt, ist nicht zu bezweifeln. Sie paßt auch, wie Laehr mit Recht bemerkt, gut zu der Stelle der Politik: „Genau dasselbe muß notwendigerweise auch den Mitleidigen und Furchtsamen und den überhaupt zum Affekt Ge= neigten widerfahren."1)

Die Umänderung der in den Affekten sich äußernden Gemütsart zur rechten und mittlern Stimmung, in der dem

1) Es ist bedauerlich, daß Laehr, der sonst mit der einschlägigen Litteratur wohl vertraut ist, die leßte umfassende Behandlung der Aristotelischen Bestimmung der Tragödie nicht gekannt hat, die von Walter in seiner Geschichte der Ästhetik im Altertum (Leipzig, Reisland 1893). Walter faßt rav rolovrav nadquátov im Sinne Laehrs. Nur verwirft er die Deutung des Genitivs als Gen. objekt. Wenn er sich dabei auf den Sprachgebrauch Platos bezieht, so scheint mir dies der Beweisführung Laehrs gegenüber nicht durchzuschlagen. Mit der Bestimmung, die Walter für Platos Begriff der Reinigung giebt (S. 233): ,,Reinigen kann nach Platon nie heißen: eine Sache selbst, innerhalb ihrer eigenen Natur, durch extensive oder intensive Steigerung oder Herabseßung verändern; es heißt ausschließlich ein anderes, der Sache Fremdartiges, wegschaffen," verträgt sich Laehrs Auffassung des Katharsisvorganges ganz wohl; die von Walter angezogenen Stellen aber, wo von Reinigung des Staats, des Schönen, der Körper, der Seele, des Getreides die Rede ist, stüßen dieselbe und halten meines Erachtens der Bedeutung der für Walter entscheidenden Stelle, Phädon 69, die Wage. Übrigens verdient noch Erwähnung, daß Walter S. 620 ausdrücklich erklärt, daß, wenn man aus Aristoteles' Erklärung eine Reinigung der Affekte herauslesen wolle, darunter nur eine Zurückführung der Affekte aus ihren Extremen auf das normale Mittelmaß verstanden werden könne.

« ZurückWeiter »