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Und sterbe ich noch heute,
So bin ich morgen tot,
Dann begraben mich die Leute
Beim (ums?) Morgenrot.

Drei Lilien, drei Lilien,

Die pflanzt' ich auf mein Grab,

Da kam ein stolzer Reiter,

Der brach sie ab.

Ach Reitersmann, ach Reitersmann,

Laß doch die Lilien stehn!

Sie soll ja mein Feinsliebchen
Noch einmal sehn.

Denn so wäre der Gedanke ganz in schöner und für die Art eines Volksliedes wenigstens, auch hinlänglich klarer Ordnung. Zuerst die Todesahnung und widerwillige Ergebung, aber auch schon Stunde und Vorgang des eigenen Begräbnisses lebhaft in die wehmütige Vorstellung eintretend und den weiteren Gedankengang nun veranlassend; darnach (Str. 2) die Zeit überfliegend und vergessend, der Anblick des künftigen Grabhügels mit den verstörten Blumen, so täuschend gegenwärtig, als wäre der Vorgang selbst lange schon schmerzlich überwunden, dann (Str. 3) gleichsam in der Erinnerung wieder aufsteigend die rührende Bitte, die damals unwirksam gewesen, und als Schluß der scheinbar noch nachklingende, in Wahrheit eben erst aufgehende zarte Wunsch, aus dem sie hervorkommt:

,Sie soll ja mein Feinsliebchen
Noch einmal sehn.“

Lauter Empfindung unter lauter Handlung versteckt oder richtiger durch freilich bloß vorgestellte Handlungen zum Ausdruck gekommen, und alles mit einer so reinen, tiefen Innigkeit vorgebracht, daß wir das Lied für eine Perle volkstümlicher Dichtung halten müssen, die einer Betrachtung wohl wert ist.

Daß dies aber der ursprüngliche Zusammenhang wirklich war und die Störung der Reihenfolge nur durch irgend einen Zufall im langen Laufe mündlicher Überlieferung hervorgerufen worden ist, das wäre nach dem Dargelegten wohl an und für sich schon keine allzuverwegene Vermutung, wenn man auch damit gerade auf diesem Gebiete nicht vorsichtig genug sein kann. Nun aber hat der verlangte Gedankengang ganz offenbar und unzweifelhaft dem westfälischen Kunterbunt oben wirklich zu Grunde ge= Legen und liegt noch vollkommen deutlich darin zu Tage: erst tot und unter Rosenrot begraben, dann die auf dem Grabe erwachsene Blume von unbarmherziger Hand gebrochen, zulezt, wie nachträglich, die unwirksame Bitte.

Und wo sonst das sinnige Gedicht von den Grabesblumen anklingt wenigstens im Bereich der genannten Sammlung, da fügt sich der Gedankengang dieser Ordnung oder stimmt gänzlich mit ihr zusammen. Ich finde es noch dreimal, immer aus der Rheingegend, aus Meurs (I 397), Elberfeld (I 425) und Lüttringhausen bei Dortmund (III 194) in ver= schiedenen Fassungen eines Schoß- und Reiterliedchens, die auch vermutlich daher entnommen in Simrocks Kinderbuch 3. Aufl. Nr. 154 und 155 stehen. Sie beginnen alle ungefähr so: Hans Pitterten liet sinn Perdschen beschlohn. leztenmal:

Er reitets zum

Stervt hei dann, dann es hei dood,
Begrawen öm onder de Rosen rot,
Wenn de Rosen fallen,

Sengen de Nachtigallen,

heißts in der einen, die dann rasch schließt; während die andere nun mit Worten fortfährt, die ganz ähnlich in der dritten Fassung gleich auf das Begraben folgen und auch im Blumennamen zu dem Liede stimmen:

Koamen drei Leljen wal op dat Grav,

Buur, breek de Leljen af (dann kömmt der Bur un plückt si af)
Buur, loot de Leljen stohn!

Und demnach scheint mir die oben vorgenommene Anordnung des Liedes wirklich und überhaupt seine ältere und echte Gestalt wieder herzustellen.

Die dumme Geschichte von einem Totschlage in der Schulstube findet sich übrigens, noch dazu mit vertauschten Rollen, auch sonst in der Überlieferung des Volkes und zwar in Holstein. In Ph. Wegeners volkstümlichen Liedern aus Norddeutschland wird nämlich unter Nr. 1065 ein Augusch'n" aufgefordert zur Schule zu gehen, und erhält auf die Ausrede,,nix öwer de Föt" zu haben, die Weisung, des Vaters Steweln mit einem halben Bund Stroh ausgestopft anzutrecken.

Un as Auguschn to School keem,

heißt es danach weiter Do wuß Auguschn ehr Lex ni;

Persepter nehm de Parlstock

Un sloog Auguschn op den kahln Kopp;
Auguschn nahm dat linker Been

Un sloog Persepter doot.

Die traurige Nachricht: Auguschn hat Persepter dootslahn, vertünden dann die Kinder, ihre Bücher unterm Arm, und lassen den armen Kerl begraben mit goller Bookstab'n." Was mag der ursprüngliche Sinn und Anlaß dieser jezt unsinnigen Erzählung gewesen sein?

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Nur die Beziehung zu dem oben behandelten Stück ist klar; und die Verknüpfung mit dem Gedankenkreis, der der eigentliche Gegenstand

unserer Betrachtung gewesen ist, fehlt auch hier nicht ganz. Denn eine nebenherlaufende Überlieferung, nach der der Schulmeister übrigens das mildere Geschick hat,,opn Schosteen" geworfen zu werden, schließt so: Mien Feller is witt, mien Black is swart.

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Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!

Hinducket das Knäblein zage.

(Annette v. Droste-Hülshoff, Der Knabe im Moor Str. 2.)

Bei der Erklärung des gesperrt gedruckten Verses auf mhd. brëhen = lärmen, brüllen zurückzugehen (Zeitschr. f. d. U., IX, Augustheft S. 556) ist nach dem Sprachgebrauch der Dichterin nicht nötig. Hierfür verweise ich auf folgende Parallelen:

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Besonders die letzte Stelle, die unserm Verse sprachlich und inhaltlich sehr nahe steht, läßt es außer Zweifel, daß das Verbum,,brechen“ nicht von dem Brüllen der Rinder gesagt ist. Wäre dies der Fall, dann hätte der Zuhörer keinen Augenblick über das Was?" im Unklaren

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sein können.

Aber vielmehr liegt die Sache so: Der Beobachter hört zunächst ein unbestimmbares Geräusch von Fortbewegung, deutlicher charakterisiert es sich ihm als „holprichter Galopp," nun hört er auch schon das Gebrüll, und endlich wird die Herde ihm auch sichtbar. Darnach läßt sich unser Vers einfach erklären: „Es bricht wie ein irres Rind," nämlich durch den Hag (3. 4). In betreff des absolut gesezten Simplex,,brechen" für hervorbrechen, durchbrechen" - es ist das eine sprachliche Eigentümlichkeit der Dichterin - vergl.

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Da schleift' es schwer wie Blei (heran durch den Hag).
(Die Verbannten.)

Glutpfeile, Feuerspeere schnellen (empor am Himmel).

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Durch diese Beispiele, die sich stark vermehren ließen, ist wohl der eigentümliche Gebrauch des Wortes,,brechen" an unserer Stelle genügend erklärt. Wie steht es nun um den Zusammenhang der Stelle? Bu= nächst scheint mir festzustehen, daß durch den Vers nicht eine neue Erscheinung neben dem,,Gräberknechte" eingeführt werden soll, sondern daß sich unser Vers eben auf diesen bezieht. Darauf weist schon die Interpunktion hin. Ferner läßt sich hierfür noch anführen, daß auch in Str. 3-5 nur je eine gespenstische Erscheinung auftritt. Wir erhalten so folgende Situation: Aus dem Hag, einem Gebüsch auf festem Boden, hört das Kind ein Rascheln; dies verstärkt sich und klingt endlich so, wie wenn ein verlaufenes Rind durch das Gebüsch bräche. In der Phantasie des Kindes ist das der „Gräberknecht", der durch den Hag streift. Fraglich kann es dann nur erscheinen, ob der Wind („Hohl über die Fläche sauset der Wind") oder wirklich ein verlaufenes Rind das Geräusch hervorgerufen hat. Ich möchte mich für lezteres entscheiden. Beide Verba, rascheln, besonders aber brechen, bezeichnen ein Geräusch, das durch ein lebendes Wesen verursacht ist; man hört das Knacken brechender Zweige, man merkt, wie die Büsche auseinander rauschen und wieder zusammen schlagen, man kann die bestimmte Richtung angeben, in der sich das Wesen fortbewegt. Aus dieser Erwägung komme ich zu dem Schlusse, daß wirklich ein Rind den Hag durchbrochen hat. Dem Kinde aber klangen diese Töne eines schwerfällig sich fortbewegenden Körpers wie das Schweifen des gespenstigen Gräberknechtes," der mit schwerem Tritte umgeht.

Zum Schlusse seien mir noch einige Bemerkungen allgemeinerer Natur über das Gedicht „Der Knabe im Moor" verstattet. Dasselbe

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enthält mehr als irgend ein anderes die stofflichen und sprachlichen Elemente, die für die Beurteilung der Eigenart unserer Dichterin von Wichtigkeit sind. So wird der Schüler leicht als Besonderheiten und Abweichungen vom gewöhnlichen Sprachgebrauche folgendes finden: 1. „es bricht wie ein irres Rind." Vergl. die oben angeführten Beispiele über den Gebrauch des Simplex. 2. „Hindudet das Knäblein zage.“ Unsere Dichterin bevorzugt den intransitiven Gebrauch solcher Verba der Bewegung: biegen „schrieb, daß die Feder knirrte und bog;" oder die Wendelstiege, die unterm Tritte bog;" beugen - ,,An seinem Kissen beugten zwei“ oder „Ich aber, beugend in des Denkmals Schatten, Hab seines Grabes feuchten Halm geküßt;“ bücken ein Weib Sah ich wie halbgebrochen bücken" oder „Scheint tröpfelnd über Arzenein zu bücken;" drehen -,,auf der breiten Tenne drehn Paar an Paar so nett;" ducen Die jungen Vögel duckten scheu,“ „Ich duct' in meinem Fach ... wie Vögel im Nest,“ „Igel im Grase duckt;“ neigen – „Mich dünkt, ich sah ihn neigen Mit Thränen auf ein Grab“ und „Siehst du .... Leises Quellengeriesel neigen?" Vergl. hierzu die betr. Artikel in Grimms Deutschem Wörterbuche; hier wird die intransitive Verwendung besonders von beugen und bücken als etwas Ungewöhnliches bezeichnet. 3.,,Gestumpf, Geröhre." Die Gedichte enthalten eine wahrhaft erstaunliche Fülle solcher Bildungen wie Garngestrehle, Geförn, Gewäld, Angstgeschrill, Geharf, Geschnaub, Geschwirr, Gegell, Geleucht, Geblize, Geblend u. a. m. 4.,,Wie es rieselt und knittert darin." Außerordentlich reich ist die Sprache der Dichterin an Ausdrücken für Geräusche der Luft, des Wassers, des Feuers, der Pflanzen, Tiere, Geräte: knirren (Röhricht, Totenkäfer, Muschel), knittern (Feuer), rispeln (Wald), furren (Flug der Biene, Libelle), quitschern (Kutsche), Angstgeschrill (Fliege). 5. Moorgeschwele.“ Die Ausdrücke schwelen, Schwelen, Moorgeschwele, die im gewöhnlichen Leben das Qualmen langsam brennenden Feuers bezeichnen, verwendet die Dichterin in weiterm Sinne nicht nur von der Cigarre, sondern auch vom Weihrauch, von der Dunstatmosphäre, die dem Gewitter vorausgeht, und von dem Wasserdunst, den das Schiff durchschneidet. -Interessant und für die Dichterin charakteristisch ist das Gedicht auch hinsichtlich seines Stoffes. Zunächst ist da ihre volle Vertrautheit mit der Natur ihrer Heimat hervorzuheben. Mit verhältnismäßig wenig Strichen zeichnet sie ein vollständiges, plastisch anschauliches Bild jenes Moor- und Heidegebietes. Auch auf die Menschen und ihr Treiben fallen helle Streiflichter. Wir sehen die einzelliegenden Höfe in der Heide, wir begleiten den Knaben auf seiner täglichen Wanderung zum fernen Schuldorfe. An den,,Heidekolken" weidet der Hirt seine Rinderherde; die Tiere

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