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Werfen wir nun auf alles bisher Gesagte noch einmal einen Blick, so werden wir unsere zu Anfang gestellte Frage allerdings wohl dahin beantworten müssen, daß ein moderner Held nicht erwarten darf, seine gesamte Thätigkeit, sein volles Verdienst, seine ganze Bedeutung in einem größeren Epos gewürdigt und erhoben zu sehen. Nur einzelne Großthaten werden noch durch das Lied gefeiert und im Gedächtnis der Nachwelt erhalten. Daran trägt jedoch nicht ein Mangel an hochbegabten Dichtern, sondern allein unsere ganze moderne Bildung und Empfindung die Schuld. Dafür schmückt aber auch die unparteiisch urteilende Geschichte, die jezt diese Dankespflicht der Völker ihren Helden gegenüber ausübt, kein unwürdiges Haupt mehr mit unverdientem Lorbeerkranze, wie es die Dichtung zuweilen gethan hat.

Bur Hygieine der Stimme.

Von W. Berg in Karlsruhe.

In seiner Schrift Some thoughts concerning education (1693) hat Locke zwar kein vollständiges pädagogisches System aufgestellt, aber eine Menge Gedanken über die Erziehung eines jungen Adligen ausgesprochen, von denen indessen viele für Erziehung und Unterricht eines jeden jungen Menschen großen Wert besißen. Mit Recht erscheint ihm als der wichtigste Sprachunterricht der in der Muttersprache, und dabei hat er nicht nur die grammatische und stilistische Seite des sprachlichen Unterrichts im Auge, sondern auch die praktisch-phonetische. Denn er flagt an einer Stelle, daß ein gebildeter Mann sich nicht darum kümmere, wie jemand in seiner Muttersprache spreche, und weist dabei auf das Beispiel der Alten hin, deren bedeutendste Männer sich täglich in ihrer eigenen Sprache übten. Wir wissen, daß in den Rhetorenschulen der Alten ein besonderer Wert auf die Reinheit, Schönheit und Zweckmäßigkeit der Aussprache gelegt wurde, nicht zum mindesten auf den lezten Punkt, der für die Gesundheit der Stimmwerkzeuge von unermeßlicher Wichtigkeit ist. Fraglos wird jeder einsichtsvolle Lehrer, vor allem der des Deutschen, keine Gelegenheit vorübergehen lassen, auch die Aussprache seiner Schüler zu verbessern und ihre Empfindung für den Wohllaut der Muttersprache zu vertiefen, aber so häufig und dankenswert auch Anregungen dieser Art sein mögen, sie genügen nicht, um den schweren Schädigungen der Gesundheit vorzubeugen, die durch fortgesezt falschen Gebrauch der Stimmwerkzeuge entstehen. Wie verbreitet der Mißbrauch der Sprachwerkzeuge ist, scheint in weiten Kreisen unsers Volkes nicht im entferntesten erkannt zu sein. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich

die Ansicht ausdrücke, daß unsere schulpflichtige Jugend bereits von der Kinderstube her eine falsche Aussprache mitbringt, deren fortgesezte Ausübung in vielen Fällen zu pathologischen Zuständen führt, die schon manchem den Lebensmut gebrochen haben.

Worin besteht denn nun aber diese mißbräuchliche Verwendung der natürlichen Stimmmittel? Das Verdienst, über diesen Punkt Klarheit gebracht und gleichzeitig die Mittel angegeben zu haben, mit denen das stimmliche Material, soweit es noch möglich ist, erhalten und gekräftigt werden kann, gebührt dem hochverdienten Lehrer für Stimmbildung in Karlsruhe, Herrn Engel. Vielfach begegnet man noch heutzutage der Meinung, die Sprache habe ein jeder und jeder spreche nach bestem Können. Diese Ansicht ist lebhaft zu bedauern; denn sie beweist, daß man in weiten Kreisen von dem hohen hygieinischen Werte der Stimmbildung eben noch keine richtige Vorstellung hat. Die Entstellung der Stimme beginnt schon in der Kinderstube, in der Zeit, wo das Kind sprechen lernt. Sprechen beruht auf Nachahmung. Der Sinn, der die Nachahmung der gesprochenen Laute überhaupt ermöglicht, ist das Gehör. Ein krankhafter Zustand in den Gehörwerkzeugen erschwert die richtige Wiedergabe der Laute. Leider sind solche krankhaften Zustände, die sich aus dem häufigen Mangel einer verständigen Pflege des Gehörfinnes ergeben, oder auch nach manchen Krankheiten des Kindesalters sich entwickeln, nichts Seltenes. Wie die kindliche Nachbildung der gehörten Laute vor sich geht, ist bekannt. Der Reiz wird durch das Ohr dem Gehirn zugeführt. Von hier wird er auf die motorischen Nervenbahnen übertragen, die in die bewegenden Muskeln der Sprachwerkzeuge führen und dieselben veranlassen sollen, diejenigen Bewegungen zu machen, welche einen dem gehörten Laute entsprechenden erzeugen. Dazu bedarf es einer unausgesetzten Übung, denn die Nervenwege, welche hier in Betracht kommen, sollen erst an ihre Arbeit gewöhnt werden. Da nun ferner die Fülle und Art der sprachlichen Laute ungemein groß, die Sprache mit anderen Worten sehr schwierig ist, kommt es unendlich häufig vor, daß das in der Nachbildung der gehörten Laute begriffene Kind unrichtige Nervenwege beschreitet, also seine sprachlichen Werkzeuge falsch benüßt. So kommt das Kind zu falschem Sprechen. Die Willenskraft bewußt richtig nachzuahmen hat das sprechenlernende Kind eben noch nicht. Dazu kommt ferner, daß dem Nachahmungstriebe des Kindes pon seiten der Eltern und Dienstboten, kurz von seiner gesamten Umgebung oft genug gewohnheitsmäßig falsch gebildete Laute als Objekt geboten werden. So gewöhnt sich das Kind allmählich daran die tiefer liegenden, zarteren Werkzeuge der Stimme, den Kehlkopf, die Stimmbänder, übermäßig anzustrengen, es gelangt zu der falschen gutturalen

Aussprache; andere Kinder fangen schon frühzeitig an zu näseln. Schon jezt beginnen sich infolge des einem Schreien ähnelnden Sprechens Halsentzündungen und krankhafte Zustände ähnlicher Art einzustellen. Dann kommt das Kind vielleicht in den Kindergarten. Hier wechselt mit Handarbeit und Spiel leider der Gesang ab, der der zarten Stimme noch viel mehr schadet, als das verkehrte Sprechen. Denn oft genug wird das Kind hier veranlaßt Töne zu bilden, die seine Stimme eben noch nicht hat, oder die es zum wenigsten noch nicht anzusehen versteht. Natürlich leidet die Stimme unter dieser Mißhandlung, fie verliert ihre natürliche Frische, wird heiser, abgenußt, verschleiert. Leider achten wir viel zu wenig auf solche Erkrankungen der Kinderstimmen, wir Legen sie allen möglichen anderen Ursachen zur Last, wohl deswegen, weil ja unser eigenes Ohr nicht an lautrichtiges Sprechen und Singen gewöhnt ist. Die Schädigung der Stimme nimmt später zu durch den Schulgesang. Auch hier ist die Ansicht, die Natur habe ja dem Kinde die Stimme auch für den Gesang verliehen, und man solle es singen lassen, wie ihm der Schnabel gewachsen sei, entschieden abzuweisen. Mit Recht erwidert hierauf Engel (,,Über die Notwendigkeit der Stimmbildung in den Schulen." Dresdener Anzeiger 1890 Nr. 180): „Allerdings läßt sich die Gabe nicht bestreiten, aber des Menschen Geist, Genie und Verstand schufen Kunst und Wissenschaft; diese haben uns gelehrt, wie die Stimmmittel zu verwenden sind, um die Stimme fürs Leben gesund und kräftig zu erhalten, und durch sie sind wir in stand gesezt zu beweisen, daß das Sprechen und Singen ohne vorhergehende Stimmbildung die Stimme verdirbt. In früheren Jahren, wo Vorschulen und allgemeiner Schulzwang uns noch fern waren, da wurde der Kinder Stimmmaterial besser geschont, da war das Wort ,,Naturgesang" auch noch am richtigen Plaße, heute aber kann bei uns hiervon nicht mehr die Rede sein, denn fast jedes Kind muß vom zartesten Alter bis zur Mutation, ja häufig selbst während dieser Zeit an Stimmmaterial mehr hergeben, als es in seiner „natürlichen Lage" besigt. Die Stimmen werden entstellt und überanstrengt. Deshalb behaupte ich, mit den Schulen sind die Anforderungen an die Kinderstimmen ganz bedeutend gewachsen, alles Natürliche ist ihnen genommen, und wenn die Kinder die Schulen verlassen, so sind ihre Stimmen durch die verkehrte Behandlung erkrankt und in den seltensten Fällen werden sie den natürlichen Umfang wieder erreichen. Diese Überanstrengung der Stimmen ist sozusagen zur allgemeinen Krankheit der jezigen Generation geworden, und ihr ist es zuzuschreiben, wenn der Mangel an guten, umfangreichen Stimmen immer fühlbarer wird. Als Krankheit zeigt sie sich uns in den meisten Fällen erst nach Verlauf der Mutation, und wer, wie ich,

Gelegenheit hatte, viele Stimmen zu prüfen, wird erstaunen über den wirklich traurigen Zustand derselben. Der Ansicht, nur ganz vereinzelte Personen seien mit besonderem Stimmmaterial begabt, muß ich entschieden entgegentreten; ich habe durch Prüfungen erfahren, daß die allgütige Natur das Material ziemlich gleichmäßig verteilt, jedoch wir selbst an der Erkrankung oder gar dem Verlust der Stimmen durch unbewußt falsches Sprechen und Singen die Schuld tragen." Man vergleiche hiermit die Ausführungen Engels in seiner Flugschrift: Über den Stimmumfang sechsjähriger Kinder und den Schulgesang." Hamburg 1889. Die Behauptung, daß durch verkehrten Gebrauch der natürlichen Mittel und durch Überanstrengung die Stimme erkrankt, findet ohne weiteres ihre Bestätigung in der überaus traurigen Thatsache, daß unzählige Lehrer aller Art, Pfarrer, Berufsredner, Offiziere und Unteroffiziere, Schauspieler, Sänger 2c. an dauernder Heiserkeit oder sonstigen Halskrankheiten leiden. Eine Besserung durch Bade- oder Inhalationskuren und dergl. tritt meist nur vorübergehend ein, oft bleibt sie ganz aus troz aller Opfer, troß peinlichster Schonung und sorgfältigster Befolgung der ärztlichen Vorschriften. Die Ärzte können ohne genaue Kenntnis der Stimmbildung diese Halsleiden nicht richtig erkennen, noch dauernd heilen. Ich habe aus dem Munde zweier Spezialärzte für Halsleiden gehört, daß sie nach schwerer und stets mit Mißerfolg bekämpfter Erkrankung an chronischen Rachenkatarrhen allein durch die Stimmbildung Genesung erlangt haben. Es möge mir gestattet sein, hier einen kurzen Bericht über die Erfahrungen einzuschalten, die ich am eigenen Leibe mit der Stimmbildung gemacht habe. Schon seit meiner Jugendzeit litt ich häufig im Winter und bei rauhem Wetter an Katarrhen, die mit zunehmendem Alter immer hartnäckiger wurden. Dabei war ich niemals ein verzärtelter Mensch, im Gegenteil an Luft und kalte Abreibungen gewöhnt. Als ich in das höhere Lehrfach übertrat, wurden die Belästigungen natürlich immer stärker. Kein Herbst oder Winter verging, ohne daß ich nicht für mehrere Wochen meine Thätigkeit aufgeben mußte. Es entwickelte sich mit der Zeit ein bedenklicher chronischer Kehlkopfkatarrh, der aller Therapie spottete. Kuren aller Art zeitigten nur vorübergehenden Erfolg, auch häufigerer Aufenthalt in Höhenluft erwies sich nicht als dauernd heilkräftig. Ich litt körperlich und seelisch sehr. Meine Stimmung war verdüstert, jedes laute Wort machte mir Schmerzen, ich war leicht gereizt und litt an Appetitmangel und Schlaflosigkeit. So kam es, daß ich schon ernstlich mit der Absicht umging meinen Beruf aufzugeben und mich mit dem Gedanken an die ungewisse Zukunft plagte. Da lernte ich auf Veranlassung meiner vorgeseßten Dienstbehörde Herrn Engel kennen, bei dem ich mich mit einigen Kollegen zusammen einem

Kursus in der Stimmbildung zu unterziehen hatte. Ungern und ohne jede Hoffnung widmete ich mich dem Studium der Sache, von dem ich nur eine Verschlimmerung meines Zustandes erwartete. Der Anfang schien denn auch meine Befürchtungen zu bestätigen. Ich quälte mich sehr und fühlte mich überaus erschöpft, später wich jedoch die Abspannung immer mehr, meine Stimme erhielt allmählich wieder größere Kraft und Klangfülle, soweit das eben das Material noch hergeben konnte. Mit Freude nahm ich wahr, daß ich eine ganze Stunde lang laut lesen, deklamieren und sprechen konnte, ohne mich wesentlich angegriffen zu fühlen. Ich ward nun darauf bedacht, auch im Unterricht meine Stimme sorgfältig zu überwachen. Es war keine leichte Aufgabe. Oft vergaß ich anfangs im Eifer der Arbeit die richtige Tonbildung anzuwenden, aber die sich bald einstellenden Reizerscheinungen machten mich auf den Fehler aufmerksam, sodaß ich immer seltener in die falsche Sprechweise zurückfiel und immer sicherer in der Beherrschung der stimmlichen Mittel wurde. Ermüdet war ich freilich oft genug nach solcher Thätigkeit, aber es war eine Ermüdung allgemeiner Art, die nach kurzer Zeit der Ruhe wich, eine Ermüdung, die eben jeder angestrengten Arbeit folgt. Dankbar bekenne ich daher an dieser Stelle, daß ich die wieder gesteigerte Leistungsfähigkeit meiner Stimme lediglich meinem hochverehrten Herrn Lehrer verdanke.

Gleich mir ist so mancher Lehrer, der die Methode der Stimmbildung kennen gelernt hat, zu der Einsicht geführt worden, wie hochwichtig es ist, daß unsere deutsche Sprache endlich einmal in der Schule auch von der technischen Seite her eine eingehende Berücksichtigung erfahre. Alle schulpflichtigen Kinder, wie verschieden sie auch in dem Gebrauche ihrer Sprachwerkzeuge sein mögen, haben ein unbestreitbares Recht auf Ausbildung der Stimme und stimmliche Pflege innerhalb der Schule. Denn, wie schon oben ausgeführt wurde, benut jedes Kind von der frühesten Jugend an falsche Nervenbahnen, sodaß eine Verbesserung der Aussprache, auf die der einsichtige Lehrer noch immer allein angewiesen ist, dem Übel nicht mehr steuern kann. Aus diesem Umstande ergiebt sich für die Schule die Verpflichtung, die mitgebrachten Sprachfehler zu verbessern, d. h. eben die Forderung einer methodischen Stimmbildung, die die Kinder zu lautrichtigem Sprechen führt, wodurch man neben dem ästhetischen Vorteil vor allem den hygieinischen Nugen erzielt, daß den im späteren Leben so häufig eintretenden Halskrankheiten nach Möglichkeit vorgebeugt wird. Ich verweise hier besonders auf den einschlägigen Aufsaß des Großherzogl. Bad. Oberschulrats Dr. v. Sallwürk: Die Kunstpflege in der Schule" (Daheim 1893, Nr. 4), in dem die Wichtigkeit der Stimmbildung auch für den Gesang betont wird, ferner

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