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Nie wäre ihm das möglich gewesen, hätte er mit der Annahme der Ministerpräsidentschaft den Corpsburschen und Offizier, den schlichten Rittergutsbesizer, den jovialen Tollkopf, der in Frankfurt und an den Höfen zu Petersburg, Paris so manche Allotria getrieben, wie Schlangenhäute abgelegt und seine lebensvolle Persönlichkeit völlig in dem goldverbrämten Amtsmantel verschwinden lassen.

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Beim landläufigen Schablonenmenschen wird mit jeder höheren Lebensform die niedere als wertlos abgestoßen; beim inneren Wachstum einer wahren Natur legt sich organisch Ring an Ring. Alles, was er je erlebt, klingt in Bismarcks Reden wieder die Träume und Sentimentalitäten des frühen Jünglingsalters, die Fechtbodenerlebnisse des Corpsburschen, der freiwillige Dienst, die Stromtid des sogenannten ,,tollen Bismarck", das agrarische Stillleben auf eigener Scholle, der Bundestagskarneval der Eschenheimer Gasse, das Ränkespiel, die heiße Arbeit und der heitre Sport an Fürstenhöfen bis zu den Friktionen" und Ärgernissen in hohen amtlichen wie in parlamentarischen Kreisen.

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Am glanzvollsten tritt dieses sich Aussprechen bis auf des Herzens Grund in den sogenannten Junkerreden hervor, die darum in einem gewissen Sinn den Schlüssel zur ganzen Bismarckschen Beredsamkeit bilden, etwa wie die Schriften des jungen Goethe den Schlüssel zur eigensten und innersten Art des Dichters. Mag der Abgeordnete Bismarck über die Ablehnung der deutschen Kaiserkrone, die dänische Frage, Civilehe, Patrimonialgerichte, Mahl- oder Schlachtsteuer sprechen, mit Gneist, Waldeck, Virchow oder dem steten Widerpart Herrn von Vincke die Klinge kreuzen immer derselbe anstürmende Mut, dieselbe Frische in Gedanken und Worten, derselbe gesunde agrarische Erdgeruch, vornehmlich dieselbe vollste Natürlichkeit, die auf Momente sogar die Grenzen der Würde nicht einhält in dem stolzen Bewußtsein, auch ohne Pose und vornehmes sich Geben doch immer in voller Geltung sich behaupten zu können.

Infolgedessen üben die Reden auf alle einigermaßen gebildeten Deutschen auch unleugbar den Zauber einer gewissen Volkstümlichkeit aus. Bismarck hat Hunderte der schwersten Fragen behandelt, allgemeine und ganz spezielle, aber niemals als bloßer Fachmann für Fachmänner. Sogar den Schein der Zunftgelehrsamkeit hat er vermieden. Wann citiert er geschichtliche, staatsrechtliche oder nationalökonomische Werke? Kaum je und wenn doch so höchstens leise anstreifend. Wie ganz anders hierin die Lasker, Bamberger u. a.! Aber auch von sonstigem Bildungsflitter ist bei Bismarck so gut wie nicht die Rede. Eigentliche Citate aus der schönen Litteratur, bestimmt als Schönheitspflästerchen zu wirken, wüßte ich kaum anzuführen. Führt er im Ernst oder Scherz Dichterstellen an,

so verwebt er sie zumeist in seine Ausführung, modelt sie auch wohl frei um, mehr anklingend als citierend. Vereinzelt erscheinen so Erinnerungen an Lessing, romantische, schwäbische Dichter, auch an bekanntere französische Schriftsteller älterer Zeit; recht häufig wird an Shakespearesches angeklungen. Weitab am häufigsten aber wird auf Schiller und Goethe Bezug genommen, bei dem ersteren vornehmlich auf Fiesko, Karlos, Tell und vor allem auf die Trilogie Wallenstein, die zu dem in seiner Machtstellung immer bedrohten Reichskanzler noch in anderer Sprache redete als zu gewöhnlichen Sterblichen; von Goethe wird neben den Gedichten mit besonderer Bevorzugung und immer wiederkehrend der Faust, 1. und 2. Teil, herangezogen. Auf das Buch aller Bücher wird öfter angespielt, als es der nicht ganz bibelfeste Leser wohl merkt; besonders ins Gewicht darf dabei fallen, daß Anklänge an weniger bekannte Stellen des alten Testaments auch in solchen Aussprachen sich finden, die augenscheinlich ganz aus dem Stegreif entstanden sind.

Daß Bismarck es nach alledem vermieden hat, bei den schöngeistigen Zuthaten zu seinen Reden, wenn ich so nüchtern sprechen darf, über den Kreis des allen gebildeten Deutschen Geläufigen hinauszugehen, ist sicher nicht die Folge eines Grundsages gewesen. Er war thatsächlich nie ein Büchermensch und Zunftgelehrter; als selbständiger Geist fühlte er wenig Bedürfnis, auf Auktoritäten sich zu berufen, als geist voller Mann brauchte er Anleihen nicht zu machen bei anderer Leute Geist. An Schiller, Goethe, Shakespeare und andere große Schriftsteller knüpfte er an, so oft es ihm so in den Mund kam, weil gewisse Gedanken einmal von diesen mit einem Gepräge versehen worden sind, das sie in gebildeten Kreisen Deutschlands gangbar gemacht hat wie Scheidemünze. Gelegentlich eingestreute lateinische Brocken gehörten für den Juristen alter Schule nur zur Alltagsgewohnheit, ein dann und wann eingewobenes Citat aus Horaz, dergleichen sich ziemlich viele in den Reden finden, zu den Gepflogenheiten gelehrter Herren der früheren Zeit. Abgesehen aber von Zuthaten dieser Art, die sich nur zeilenweise da und dort einschmuggeln, sind Bismarcks Reden von einer bewundernswerten Gemeinverständlichkeit für deutsche Männer und deutsche Frauen, die nur die Arbeit des Denkens nicht scheuen. Abgerechnet eine Anzahl eingebürgerter Fremdwörter, deren Vermeidung ein begeisterter Patriot wie Bismard nur als Mückenseigerei angesehen haben würde, ist die Sprache der Reden deutsch durch und durch. Die ganze Kraft und Herzhaftigkeit, deren unsere Muttersprache fähig ist, aber auch die feinfinnige, gemütvolle, herzige Zartheit, die ihr eignet, kommt in den Reden voll zur Geltung.

Fanatiker des reinen Deutschtums mögen es beklagen, daß der Fürst beispielsweise der Symbolsprache der griechisch-römischen Mytho= logie sich oftmals bedient hat, daß das Nessusgewand, die Sisyphusarbeit, die Pandorabüchse, die saturnische Politik, der Erisapfel, das trojanische Pferd, das Penelopegewebe 2c. von ihm gelegentlich bildlich verwendet werden, anstatt daß er in der Edda nach urgermanischen Ausdrücken für dieselben Gedanken geforscht hätte. Wir begnügen uns mit der Feststellung der Thatsache, daß der politische Redner Bismarck auch bei derartigen Einkleidungen seiner Gedanken nie über das hinausgegangen ist, was jeder gebildeten deutschen Frau geläufig ist oder sein möchte.

Bekundet sich hiernach auch an solchen Stellen der Reden, die einigermaßen auf dem Kothurn einhergehen, das bewußte oder unbewußte Streben des Redners, aus dem Bereiche des Allgemeinverständlichen, Volkstümlichen nicht herauszutreten, so tritt dieses natürlich noch voller zu Tage, wenn er sich, wie oft, in Gedanken und Ausdrücken vornehm gehen läßt. Redensarten wie die folgenden: ,,die Suppe versalzen, das Reichsfaß anbohren, die Reichsbude zumachen, ein Wort über die Schnure hauen, den Deckel des Kastens offen lassen, den be: trübten Lohgerber spielen, schmutzige Wäsche von dem Auslande waschen, Pferdehandel in der Politik treiben" würden bei den meisten anderen Staatsrednern als Verstöße gegen die herkömmliche parlamentarische Stiletikette wirken. Der Günstling der feinen Hofkreise in Petersburg und Paris hat nie Bedenken getragen, vom Ministerplage aus, oft im unmittelbaren Anschluß an hochpathetische Auslassungen, sich in so volkstümlicher Weise auszudrücken, wenn es ihm gerade darnach ums Herz war. Gelegentlich hat er sogar Alltäglichkeiten von der Berliner Gasse nicht verschmäht, wie: I wo? schön raus, nicht hübsch finden; friß Vogel, oder stirb; haust du meinen Juden, hau ich deinen Juden, darum keine Feindschaft nicht, auf das Eis trete ich noch lange nicht“ u. dergl. Nicht einmal das Schwamm drüber" aus dem Bettelstudenten, den Grafen Derindur aus Müllners Schuld,,,Meine Mittel erlauben mir das“ aus unseres Räders Artesischem Brunnen und den nichtgeschenkten" Adler aus Kinds Textbuche zum Freischüß hat Bismarck sich gescheut der Ehre einer Anspielung von der Ministerbank aus zu würdigen.

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Überraschend start ist auch das deutsche Sprichwort vertreten, eine Behauptung, die ich durch eine Wolke von Beispielen zu erhärten vermöchte. Neben dem allerorts Gangbaren stößt man dabei auch auf viel Eigenartiges, wie:,,das leßte Geläute auf dem Dom ansagen, der Strohhalm, der dem Kamel den Nacken bricht, wer das Kreuz hat, segnet sich, wer den Daumen auf dem Beutel hat, hat die Macht, unter

den Blinden ist der Einäugige König," - auch auf Plattdeutsches, wie: ,,wat nich will dieken, dat mut wieken". Neu war mir:,,ein braves Pferd stirbt in den Sielen."

Den Agrarier mit Leib und Seele bekunden die zahlreichen Bilder aus diesem Lebensbereich von der Heckenschere, der melkenden Kuh, dem Absahnen des Milchtopfes, dem Töten der Henne, die goldene Eier legt, der Jagd hinter wilden Gänsen zu Pferde, dem „Auff“ vor der Krähenhütte bis zu den stets höchst sachkundigen Auslassungen des Gutsbesizers und großen Brenners vor dem Herrn über ländliche Wirtschaftsfragen.

Gleich ergiebig würde die Ausbeute sein, wollte man aus den zwölf Bänden die Stellen zusammensuchen, die des Fürsten lebhaftestes Interesse für jede Art von Waffenführung, Kriegsdienst und noblen Sport befunden.

Das alles untermischt mit hochpolitischen Ausführungen und nüchternen Erörterungen geschäftlicher Tagesfragen würde stilwidrig wirken, hätten wir es mit kühl vorher ausgearbeiteten, ausgefeilten Reden zu thun. So dient es nicht nur zur wohlthuenden Abwechselung, sondern verschafft uns die tiefere ästhetische Befriedigung, die wir stets empfinden dem freien, unmittelbaren Ergusse eines bedeutenden Menschengeistes gegenüber, der mit einem gebieterischen „hie bin ich“ uns entgegentritt.

Ein weiteres Charakteristikum der Bismarckschen Reden finde ich in der geradezu beispiellosen Schlagfertigkeit und der Unerschöpflichkeit an kühnen, frappanten Einfällen, die in ihnen uns entgegentritt.

Die idealen Höhepunkte der Staatsreden Bismarcks sind ja ohne Zweifel die Partien, in denen er seine überlegene staatsmännische Weisheit, seine Vaterlandsliebe oder bezüglich großer Staats- und Lebensfragen sein innerstes Fühlen und Denken mit Pathos ausströmen läßt. Die Eigenart seiner rednerischen Begabung kommt aber am glänzendsten zur Erscheinung, sowie er sich in die Parade legt, um Angriffe abzuschlagen oder seinerseits anzugreifen. Für vieler braver Deutschen Geschmack hat er dies ja nur zu oft und nachhaltig gethan. Auge um Auge, Zahn um Zahn, auch nicht das Geringste hinnehmen1), jeden Angriff auf seine Person und seine Sache zurückschlagen bis zur völligen Lahmlegung des Gegners das waren entschieden seine parlamentarischen Losungen. Man richte darüber, wie man wolle, man finde darin eine vom Göttinger Fechtboden her bewahrte Raufluft oder einen in seiner Natur zurückgebliebenen Rest vom unbekehrten Sachsenhäuptling; jeden

1) „Ich schlage wieder, wenn ich geschlagen werde" (30. November 1881). Zeitschr. f. d. deutschen Unterricht. 10. Jahrg. 1. Heft.

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falls sind Kampfeslust und Kampfeszorn wesentliche Charakterzüge des politischen Redners Bismarck, wie des großen Mannes überhaupt.

Was auch zur Beratung stand, Staats- oder Handelsverträge, Steuerprojekte aller Art, Riesenunternehmungen wie Gotthardtunnel und Ostseekanal, Arbeiterversicherung, Sozialistengeset, hohe Kirchenpolitik oder Bagatellfragen der inneren preußischen Verwaltung, immer erneut fühlte der gebietende Staatsleiter sich veranlaßt, mit gewissen,,Catonen" der Opposition, mit ganzen Fraktionen und Richtungen, wohl gar mit ganzen Teilen von Deutschland anzubinden und den Hohlspiegel seiner Kritik dabei gründlichst zu brauchen.

Die Erreichung des nächsten Zweckes hat er dadurch jedenfalls oftmals gefährdet, auch seine Aufgabe als Parlamentsredner in so ausgesezter Stellung sich arg erschwert. Hat er seiner innersten Natur nach so verfahren müssen oder geglaubt, zu Deutschlands Heil so verfahren zu sollen? Wer will das entscheiden? Ohne Zweifel hat er durch das hundertfältig widerholte ceterum censeo bezüglich bestimmter immer wieder von ihm herbeigezogener Streitfragen als Redner sich der Gefahr einer gewissen Eintönigkeit ausgesezt.

Nur ein Geist von seiner Unerschöpflichkeit und Schlagfertigkeit konnte es wagen, mit dem Partikularismus aller Spielarten, den ultramontanen Sondergelüften, der liberalen Überklugheit, den verschiedenen höfischen, geheimrätlichen, Fraktions- und Interessentenringen, wie mit gewissen durchaus unbefehrbaren Parteiführern sich immer erneut auseinanderzusetzen. Während aber andre sich verwirren, so wie sie leidenschaftlich werden, verfügt Bismarck nie mit souveränerer Sicherheit über sein ganzes Wissen, seine Lebenserinnerungen, seinen Citatenschaß, seine Dialektik, seinen sprudelnden Humor, als wenn er sich ausgelegt hat auf der rednerischen Mensur.

Einzelne Wiederholungen konnten dabei ja nicht ausbleiben. Der Abgeordnete Lieber. hat dies 1885 sogar einmal ausdrücklich festgestellt und Eugen Richter dem gehaßten Kanzler, wie schon gesagt, auch den Vorwurf nicht erspart, er halte immer dieselbe Rede. Der unparteiische Leser wird aber feststellen müssen, daß die Wiederkehr derselben Wendungen oder Citate auch bei dem amtsmüden und von neuralgischen Schmerzen gepeinigten Kanzler in keinem Verhältnis steht zu der geradezu verblüffenden Fähigkeit desselben, zehnmal schon Gesagtes in immer wieder fesselnden neuen Einkleidungen vorzubringen. Welch ein brillanter Einfall war es z. B., die Parlamentsreden Eugen Richters auf den eben erwähnten Vorwurf hin mit dem endlos erscheinenden Festzuge in der Jungfrau von Orléans zu vergleichen, bei dem immer die gleichen Statistengruppen wiederkehren!

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