Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Zur Charakteristik der polit. Reden des Fürsten Bismarck. Von Dr. Th. Vogel. 41

deren Zahl zu gering ist, durch mündliche Berichte, Erzählungen, Schilderungen, wie sie auch Lehmann1) empfiehlt, erfolgen. Völcker2) nennt sie,,mündliche Auffäße“. „Reden lassen" ist ja,,der rechte Durchgang zum Schreiben". Dieses Wort Rudolf Hildebrands kann nicht oft genug wiederholt werden. Am Schlusse des Schuljahres wird eine übersichtliche Zusammenfassung des besprochenen kulturgeschichtlichen Lehrstoffes zweckmäßig sein.

Wenn es dem Verfasser gelungen sein sollte, das Interesse für eine stärkere Betonung der nationalen kulturgeschichtlichen Altertümer im deutschen Unterricht etwas gefördert zu haben, so ist der Zweck dieser Zeilen erfüllt. Damit glaubt er keineswegs „im Überschwange nationalen Bewußtseins" gehandelt zu haben. Aber er möchte solche Schüler vorgebildet sehen, die stolz sind auf ihr Vaterland, weil sie nicht nur seine geschichtliche, sondern auch seine kulturgeschichtliche große Vergangenheit kennen und lieben gelernt haben. Wir müssen“ so schließt Lyon seinen oben erwähnten Aufsatz -,,uns der Wurzeln unserer Kraft und der Quellen unserer Eigenart allzeit bewußt bleiben."

Bur Charakteristik der politischen Reden des Fürßten Bismarck. Vortrag, gehalten den 13. November 1895 im Gemeinnüßigen Verein zu Dresden.

Von Geh. Schulrat Dr. Theodor Vogel in Dresden.

,,Zur Charakteristik der politischen Reden des Fürsten Bismard" lautet das von mir angekündigte Thema. Daß es sich nur um Beiträge zu dieser Charakteristik handeln werde, war schon aus der gewählten Fassung zu entnehmen. Bescheidentlich bekenne ich dazu, daß ich mehr als Beiträge zu liefern auch völlig außer stande gewesen wäre.

Als stiller Gelehrter und Aktenmann, der von hoher Politik herzlich wenig versteht, werde ich mich auf einen ganz anspruchslosen Ausschnitt aus dem schier unerschöpflichen Stoffgebiete beschränken, der meiner Art und Studienrichtung am nächsten liegt. Ich darf ihm vielleicht die Überschrift geben: Der Stilcharakter der Bismarckschen Beredsamteit", das Wort Stil dabei im weiteren Sinne genommen, wie die Kunstlehre es zu brauchen pflegt. Auf den ersten Blick erhellt darnach, daß ich das Politische und Staatsmännische (also gerade das Wesentliche

"

1) a. a. D. S. 189.

2) Bei Rethwisch, Jahresberichte Bd. VIII, Teil V, S. 42.

bei einem Staatsredner) nur leichthin streifen, überwiegend Ihre Aufmerksamkeit auf das Ästhetische und Menschliche hinlenken werde. Vielleicht lohnt es sich doch einigermaßen, bei dieser Seite zu verweilen, von der andere Staatsredner zu betrachten freilich wenig Aufforderung vorhanden sein möchte.

Nach diesen kurzen Vorbemerkungen befinde ich mich in der erfreu lichen Lage, sofort in die Behandlung der Sache eintreten zu können. Viele von uns können sich des Vorzuges rühmen, den Parlamentsredner Bismarck gehört zu haben, alle übrigen haben politische Reden des Altreichskanzlers durch Zeitungen und Sammelwerke genügend kennen gelernt. Die Merkmale dieser Beredsamkeit im Vergleich zu jeder andern sind aber so scharf ausgeprägt und darum so mächtig sich einprägend, daß es sich bei einer pedantisch gründlichen Behandlung des Stilcharakters" nur darum handeln könnte, das, was in uns allen lebt, in tönende Worte umzuseßen. Fruchtbarer und ergößlicher möchte es sein, durch Verweilen bei den und jenen Einzelheiten gewisse Gesichtspunkte der Auffassung zu gewinnen, die sich weniger von selbst darbieten und von manchen der verehrten Anwesenden vielleicht noch nicht mit Bewußtsein verfolgt worden sind. Kommt bei solcher Einzelbetrachtung auch sattsam Bekanntes mit an die Reihe, so darf ich mich dessen ge= trösten, daß niemand in diesem Saale mit der Erwartung erschienen sein dürfte, über Fürst Bismarck aus meinem Munde etwas Neues zu hören.

Vor 26 Landtagen und ebenso vielen Reichstagen, 7 norddeutschen und 3 Zollparlamenten hat Fürst Bismarck gesprochen. Von 1847 bis 1889 abzüglich der zehnjährigen Pause von 1852 bis 1862, also über ein Menschenalter im Sinne Herodots erstreckt sich dessen rednerische Thätigkeit als Abgeordneter, Ministerpräsident und Kanzler. Eine gewisse Ungründlichkeit haftet darnach von vornherein jeder Besprechung dieser Beredsamkeit on bloc an. Für mich war solche summarische Behandlung geboten. Zum Glück ist sie gerade bei Bismarck statthafter, als es bei jedem andern Redner der Fall sein würde. Wie viel jener in seinem so groß verlaufenen Leben auch hinzu- und umgelernt hat, im wesentlichen ist er derselbe geblieben. Was die erste größere Rede vom 1. Juni 1847 von der lezten am 18. Mai 1889 gehaltenen unterscheidet, tritt zurück hinter der stark ausgeprägten Familieneigentümlichkeit, die diese wie alle Erzeugnisse des Bismarckschen Geistes aufweisen.

Zudem stehen wir noch erst in den Anfängen einer litterar= geschichtlichen Würdigung der Bismarckreden. Schon bis jetzt fehlte es ja nicht an schäzbaren Beiträgen zur Erkenntnis der genialen Eigenart unseres großen Altreichskanzlers als Redner. Eine gründliche Behand

lung dieser Frage nach der Seite des Stilcharakters ist aber erst möglich geworden mit dem Anfange dieses Jahres, das uns den 12. und letzten Band der einzig vollständigen, kritisch verlässigen, mit gediegenen Sacherklärungen versehenen und - last, not least vom Fürsten selbst bevorworteten und durchgesehenen Ausgabe der Reden von Horst Kohl gebracht hat. Durch sie hat die wissenschaftliche Forschung erst eine ausreichende Grundlage gewonnen, durch sie die Bismarcksche Beredsamfeit erst einen würdigen Einzug in den Ehrentempel der deutschen Nationallitteratur gehalten.

„Ich mache nicht den Anspruch, ein Redner und ein Redekünstler zu sein. Ich bin Minister, Diplomat und Staatsmann und würde mich für gekränkt halten, wenn man mich einen Redner nennte", hat Fürst Bismarck am 26. März 1886 dem Abgeordneten Richter erwidert, auf dessen Vorwurf, daß der Kanzler sich zum öftern wiederhole. Ähnlich hat er sich auch bei andern Gelegenheiten geäußert. 1)

Laut müßte die ganze Nation dieser Selbstbeurteilung widersprechen, ergäbe sich nicht aus dem Zusammenhange, daß der Fürst nur den Redekünstler, den parlamentarischen Berufsredner hat ablehnen wollen. Das aber durfte er thun. Nach den Gesezen der Rhetorik aufgebaute und ausgeschmückte Reden hat Bismarck nie gehalten, auch nicht als Abgeordneter in der Zeit ausgiebiger Muße. Eine vorher ausgearbeitete Rede in einem Parlamente vorzutragen, unbekümmert um eben Vorausgegangenes und das augenblickliche Tableau der Redeschlacht, wäre Bismarck sicher nie fähig gewesen. Auch die dem Inhalte nach sicher reiflichst vorher erwogenen ein und zweistündigen Staatsreden (wie z. B. die vom 6. Februar 1888 mit 10 977 zu telegraphierenden Worten) find der Form nach augenscheinlich entweder ganz oder doch in wesentlichen Teilen improvisiert. Ausgefeilte Bismarcksche Redekunst liegt uns nur in den Thronreden vor, soweit er als Verfasser derselben mit einiger Bestimmtheit bezeichnet werden kann.

"

Gewisse Wendungen in diesen wie Feinde von der Landkarte wegfegen, berechnete Mißleitung für persönliche Zwecke, eine Ehrenschuld Deutschlands einlösen, des Krieges Feuerprobe bestehen, das wiederhergestellte Reich ein Wahrzeichen deutscher Größe" und Kraftfäße wie ,,solche Vergewaltigungen seines Rechtes und seiner Ehre ertrug Deutschland früher nur, weil es in seiner Zerrissenheit nicht wußte, wie stark es war" sind sicher nicht Kabinetts-, sondern Bismarckscher Stil. Überwiegend aber bewegen sich diese vom Königsthron verlesenen Reden

1) So am 3. Februar 1866: ich vermag nicht, mit Worten spielend, auf Ihr Gefühl zu wirken, um damit Thatsachen zu verdunkeln.

naturgemäß in den herkömmlichen Gleisen der Staatsetikette und kühler Geschäftsbehandlung, sodaß herzhaftere Wendungen wie die angeführten doch nur als vereinzelt aufgesezte Lichter wirken.

Kunstvoller Aufbau, rhetorische Figuren, wirkungsvoll abgerundete Perioden alles das ist Bismarcks Sache nicht, wie er auch allem Phrasentum gründlichst abhold ist. Wird er einmal pathetisch und braucht hohe Worte, so sind sie sicher voll zu nehmen. Je geringer sonach die Ausbeute für die schulmäßige Redekunst ist, um so wertvoller werden eben darum diese Reden, gerade durch das Unmittelbare, Impulsive an ihnen, für den, der Tieferem nachgeht, als den Regeln einer schellenlauten Kunst.

,,Martige, herzhafte Natürlichkeit" wird wohl jeder als das Hauptcharakteristikum dieser Beredsamkeit ohne Besinnen bezeichnen. Lassen Sie mich hierbei zunächst verweilen. Wodurch hat schon der jugendliche Abgeordnete als Redner Aufsehen gemacht, am 3. Dezember 1850 sogar nach gewichtigem zeitgenössischen Urteil die Krone des Tages davongetragen? An äußerer Beredsamkeit, Fachkenntnissen, vielseitiger Belesenheit waren ihm damals viele andere überlegen, auch an politischem Durchgereiftsein. Was schlug bei ihm durch? Ganz vornehmlich ge= wiß seine damals noch etwas junkerlich-burschikos gefärbte, dabei aber doch herzgewinnende, dazu mächtig - eindringliche Herzhaftigkeit und Natürlichkeit.

Bis auf Fürst Bismarck (so darf man sich wohl ausdrücken) war man gewöhnt, zu der unentbehrlichen Ausrüstung eines hohen staatlichen Würdenträgers neben einer gewissen Grandezza des Auftretens unpersönliche Sachlichkeit, kühle Reserve bis zum Orakelhaften zu rechnen. Die Kunst des Verschweigens wie des klugen Verhüllens seiner Gedanken hat Fürst Bismarck als Diplomat sicher geübt, so oft es not that, obschon es ein offenes Geheimnis ist, daß er auch als solcher durch verblüffende Offenheit mitunter große Erfolge erzielt hat. Als Sprecher in deutschen Parlamenten macht er auch in der Zeit, in der die Fäden der europäischen Politik seiner Hand zusammenliefen, überwiegend den Eindruck der Offenheit, des Kämpen, der, mit weit geöffnetem Visier auf sein Ziel losstürmend, sich geradedurch eine Gaffe haut. Nicht sorgt er dabei, wie der von der Rednerbühne donnernde Perikles, daß die züchtigen Falten seines Gewandes sich nicht verwirren. Ist er von einem Gedanken mächtig erfüllt, so läßt er auch als Ministerpräsident und Kanzler seiner starken Natur die Zügel schießen und redet eine Sprache, wie sie in gleicher Deutlichkeit vom Ministertische wohl selten vernommen worden ist, nicht einmal fremde Regierungen, ja hochgebietende Souveräne dabei schonend.

Ein paar Beispiele für viele. Wie geißelt er das Parlamentswesen und Unwesen! Ausdrücke wie:,,Reptilien, Berufsparlamentarier, Raschmacherarbeit, Angstprodukt, Hemmschuhpartei, Parteimarasmus, eine vernagelte Sizung, Abschlachtung eines Ministers, die Kommissionen Marterkammern der Regierungsvertreter, der Luxus der eigenen Meinung, Byzantinismus in der Anbetung der Majoritäten" 2c. sind teils Geschöpfe seiner sprachbildenden Phantasie, teils durch ihn wenigstens in Kurs gebracht worden.

Und was muß die Presse sich sagen lassen! Da ist die Rede von Preßbengelpolitik und publizistischen Klopffechtern, von Druckerschwärze auf Papier, vor der sich kein Mensch fürchtet, von moralischer Brunnenvergiftung durch die Presse u. dergl. Daneben Liebenswürdigkeiten, wie: Manches, was in den Zeitungen steht, ist doch auch wahr, lügen wie telegraphiert, bekanntlich", ein beliebtes Schlagwort für unbekannte Dinge.

Ermüdend müßte es wirken, wollte ich in dieser Weise dem Redner noch auf andere Gebiete folgen. Jeder meiner Hörer wird aus der Erinnerung manches der Art beizufügen wissen und ohne weiteres zugeben, daß man bei vielen Stellen der Bismarckreden an Luthers Tischgespräche und derbe Auslassungen des jungen Goethe sich ge= mahnt fühlt.

Die Wucht und Derbheit ist aber wahrlich nur eine, so zu sagen nur die zunächst in die Augen fallende Signatur dieses staatsmännischen Redners. Wie in Shakespeares Stücken Hohes und Niederes, Scherz und Ernst, Entsezliches und Anmutiges hart aufeinander folgen, so wechselt in Bismarcks Reden Ingrimm und heller Kampfeszorn wohlthuend ab mit liebenswürdig graziösen Bemerkungen, stachligen, aber auch völlig harmlosen Scherzen, ja gemütlichen Plaudereien aus der großen und kleinen Welt. Diese Ganzheit und Frische der Persönlichkeit, die selbst in der unbehaglichsten Situation, in der sich ein Redner be= finden kann ich meine die Stellung eines stets angefochtenen, vielfach verkannten und gehaßten Staatslenkers sich geltend zu machen weiß, hat etwas gewaltig Imponierendes und zu dem Respekte Nötigendes, den wir nur selten auserlesenen Geistern zollen.

Am bewundernswertesten ist mir immer das feste Infichgegründetsein dieser Vollnatur erschienen in der Zeit des Konfliktes. Woher hat der gewaltige Mann in diesen mit ungewohnter Amtsarbeit überbürdeten Jahren, in denen er als ein Gegenstand des Hasses und Hohns der Mehrzahl seiner parlamentarischen Hörer gegenüber stand, die Stimmung genommen, das ihm durchaus auffässige Haus in jeder Sizung wiederholt, oft vielmals zur herzlichen Heiterkeit zu stimmen?

« ZurückWeiter »