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sprachlichen Eigenart) nicht noch besonders zu belegen brauchten. Ez sei uns aber gestattet, wenigstens noch ein paar kurze Zeugnisse für die beiden lezten Punkte hier anzuführen. Von seiner Art zu denken und zu urteilen giebt z. B. folgende Stelle aus einem Briefe aus Frankfurt vom 27. Januar 1853 in treffender Weise Kunde:

,,Wenn ich die Artikel der Kreuzzeitung über die Französische Heirath 1) lese, so werde ich lebhaft an das Mißbehagen erinnert, welches ich schon auf dem Gymnasium bei Lesung der ungehobelten Schimpfreden empfand, mit welchen die von mir übrigens sehr verehrten Homerischen Helden sich vor dem Gefecht zu regaliren pflegten. Wir sollten doch seit Hectors Zeiten einige Fortschritte in der Erziehung gemacht haben. Wem und wozu nüßt es, den Bräutigam der Fräulein Montijo zu nergeln, indem man ihm den Stock hinhält, wie einem bösen Kettenhunde! Wollen wir Frieden mit ihm, wie ich bis jezt denke, so ist es doch jedenfalls unrichtig, ihn nicht nur zu reizen, sondern seine Stellung zu untergraben, indem man ihn dem Gelächter seiner Unterthanen und dem Hohn seiner Gegner unter diesen designirt. Soll es aber Krieg sein, und das wird es schließlich wohl werden, so scheint es doch sowohl die Politik als der Anstand zu gebieten, daß wir uns provocirender Kundgebungen enthalten. Wenn man Streit findet, so ist unter allen Umständen das Bewußtsein angenehm, ihn nicht gesucht zu haben.“2)

Bismarcks Lebensanschauung tritt auch in dem folgenden Zeugnisse flar zu Tage (25. November 1853):

Ulanenregiment, in

,,Heut besuchte mich ein Major Katte vom Mainz Plazmajor, und war sehr zweifelhaft, ob er eine auf ihn ge= fallne Wahl zur zweiten Kammer annehmen solle, da er gehört habe, daß Se. Majestät es nicht gerne sähen, wenn Offiziere in die Kammer gingen. Ich habe ihm das ausgeredet, denn es wird ohnehin an anständigen Leuten dort fehlen. Er ist Gutsbesizer in meinem Kreise und ein wohlgesinnter Mann mit dem eisernen Kreuz und dem Johanniter. Werden wir denn eine erste Kammer haben, d. h. eine vollzählige, oder müssen wir auf einem Beine stehn? Es ist vortrefflich, daß die Kammern etwas von ihrem volksvertreterischen Nimbus verloren haben, aber wenn sie ganz auf den Hund kommen, so verliert der König ein brauchbares und in ruhigen Zeiten gesundes Correctiv für seine von dem Krebs republikanisch-heidnischer Bildung angefressene Büro

1) Napoleons III. mit Eugenie v. Montijo.

2) Es war später ein meisterlicher Zug Bismarckscher Staatskunst, stets den Gegner Deutschlands vor dem Ausbruche des Krieges so ins Unrecht zu seßen, daß die übrigen europäischen Mächte diesem nicht beistanden. Auf diese Weise isolierte Bismarck den Gegner.

kratie, die auf die Dauer mehr Elend ins Land bringt, als die Handvoll oppositioneller Kammerschwäßer.“

Von seiner wißigen Art zu schildern, geben folgende Stellen Zeugnis: ,,Es ist soeben", schreibt er aus Stolpmünde am 25. August 1856, ,7 Uhr Morgens, und ich merke an der Unbeholfenheit meiner Hand, daß diese nächtliche Stunde in der Oekonomie meiner Natur eigentlich nicht zum Schreiben bestimmt ist; aber in der geschäftigen Tagesordnung eines Seebades ist es schwer, zu einer andern Tageszeit in die Nähe des Tintfasses zu kommen. Wenn ich um 9 Uhr in einem Wasser von selten über 10 Grad Reaumur gebadet habe, so muß ich natürlich um 10 frühstücken, um 11 ausreiten, und wenn ich dann um 2 zum Essen komme, so gebe ich mich dieser Function so rückhaltlos hin, daß ich den torporem der Sättigung um 4 Uhr mit Aufwendung aller Energie meines Characters soweit überwinde, um mich in ein Segelboot zu versezen, aus welchem ich zur regelmäßigen Strandpromenade mit Sonnenuntergang, und demnächst zu einer abendlichen Vereinigung übergehe, welche von einigen Dußend Damen, die man nach Belieben entweder Puttkamer oder Zißewiß nennt, durch Gesang oder Tanz erheitert wird. Die Damen fingen besser, als sie tanzen; merkwürdig ist, daß sie unverkennbar den Männern nach allen Seiten hin geistig überlegen sind. Vielleicht ist das aber nicht bloß in Pommern so; bei den Rheinischen Bankiers und Fabrikanten machen die Frauen durchschnittlich auch den Eindruck, als ob sie einer höhern Klasse der Gesellschaft angehörten, wie ihre Männer. Bei Angehörigen der frühern Generation fällt das weniger ins Auge; es muß seine Ursache in der heutigen Erziehung und materialistischen Lebensrichtung der Männer haben."

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Aus Chambery schreibt er am 16. Oct. 1853: Es ist doch sehr glücklich, einmal 14 Tage so garnichts von Politik zu hören und zu sehn und sich über nichts zu ärgern und aufzuregen als über seine eignen Thorheiten. Verachten Sie mich auch wegen des studentischen Leichtsinnes, mit dem ich in der Welt umherdämmere, oder schäßen Sie diese Eigenschaft hoch an Diplomaten? Nach meinen Reiseeindrücken ist übrigens dieses Land unendlich viel mehr in der Civilisation zurück, als ich geglaubt habe, und die Rodomontaden der liberalen Partei über die Vortrefflichkeit der hiesigen Staatsmaschine und die Höhe der materiellen Entwickelung sind in unverschämter Weise aus der Luft gegriffen. Das Militär sieht gut aus, d. h. soldatisch, nicht elegant. Dagegen die Douaniers überzahlreich und bettelhaft corrumpirt, d. h. sie drängen privative Dienste auf und behalten Geld, was sie herausgeben sollen, bitten auch darum. . . Die Posteinrichtungen sind unglaublich liederlich. Man ist ganz der Willkür der Posthalter und Postillone preisgegeben u. s. w."

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So tritt uns überall die scharfe, durchdringende Beobachtungsgabe und die Neigung zu frischem Humor oder sarkastischem Wiz entgegen. Wenn er im Eingange eines Briefes schreibt: „Ich beeile mich, meine ungehobelten Schriftzüge Ihrem nachsichtigen Auge zu unterbreiten" (S. 1), oder wenn er eine politische Betrachtung mit dem Rufe unterbricht: Nur Muth, der Tobak raucht sich gut, steht auf dem Ufermärker Kanaster!" (S. 138), oder wenn er der Passivität und Thatlosigkeit der preußischen Regierung gegenüber in die Worte ausbricht: Die Melodie freilich, welche mir durch Privat-Correspondenzen aus den ministeriellen Regionen entgegentönt, ist ganz die des Liedes: Es seind einmal 3 Schneider gewesen, die waren soeben vom Fieber genesen"" (S. 148), oder wenn er in demselben Sinne äußert:,,Majestät müssen durchaus darauf halten, daß Allerhöchst Ihre Minister mehr Sect trinken; ohne eine halbe Flasche Crément im Leibe dürfte mir keiner von diesen Herrn ins conseil kommen; dann wird unsre Politik bald eine respectablere Farbe annehmen.“ (S. 148), oder wenn er bei Empfehlung der Heirat des Leutnants Afseburg mit Fräulein von Vrints schreibt: „Ich bin sehr für die Romane, bei denen sie sich kriegen, und ob sie für einander passen1), ist am Ende nur ihre Sache und bei großer Passion gleichgültig“, und dann mit schalkhaftem Humor diesem Briefe als Nachschrift hinzufügt: „Ist es nicht ein schönes Zeichen für mein gefühlvolles Herz, daß ich zwischen zwei Vorträgen im Militärausschuß, in dieser Orientalischen Zeit, mit Prokeschs übelriechendem Athem neben mir, Ihnen im Interesse zweier Liebender schreibe? ich kann mir wirklich meine Achtung nicht versagen!", so erkennen wir klar aus solchen Stellen Bismarcks Eigenart: ein Geist, der die verschiedenartigsten Angelegenheiten mit gleichem Anteil verfolgt, der auch in der verzweifeltsten Lage den Humor nicht verliert und mit souveräner Leichtigkeit über alle Hindernisse hinwegschreitet. Der Grundzug aber der ganzen Sammlung ist die Mahnung zu politischer That, der stete Hinweis auf die traurige Passivität Preußens in der damaligen Zeit und den Mangel an Mut. Was er einst Friedrich Wilhelm IV. bei einer Unterredung auf der Terrasse von Sanssouci zurief: Mut! Mut und noch einmal Mut! und Majestät werden fiegen!" das klingt auch aus jeder Seite dieser Briefe immer und immer wieder heraus. Und so empfinden wir bei der Lektüre dieses Werkes

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1) Er hatte beide am Tage vorher in einem Briefe an Gerlach in folgender Weise gekennzeichnet: „Er ist ein netter Junge, macht aber eine thörichte Partie; sie ist 3 Jahr älter, verwöhnte Salon - Blüthe und hat vor ihm schon mit Robert Golf, mit 2 Englischen und einem Belgischen Attaché Beziehungen ge= habt, die sich dicht um die Verlobung drehten oder wirklich dazu führten; was man,,eine hübsche Kröte" nennt.“ (S. 131).

Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Von Otto Lyon. 429

lebhafte Freude über die starke und gesunde Männlichkeit, die sich hier offenbart.

Wir müssen uns mit dieser dürftigen Skizze begnügen; es tritt uns eine Fülle von Gedanken und Anregungen entgegen, und ich kann nur wünschen, daß diese Sammlung von Bismarckschen Briefen nicht nur in jede Schulbibliothek, sondern vor allem in jedes deutsche Haus ihren Einzug halte. Wer solche Bücher in seinem Schranke stehen hat und von Zeit zu Zeit auch wirklich darin liest, um dessen Geisteskultur ist es gut bestellt. Für solche Werke und deren Verbreitung in unserem Volke einzutreten, sollte sich jeder deutsche Mann und jede deutsche Frau zur Aufgabe machen. Das deutsche Geistesleben kann sich in solchen frischen Seelenergüssen unseres großen Staatsmannes gesund baden. Denn hier ist alles Frische und Leben, Kraft und Gesundheit. Und unsere theoretische Kleingeisterei und übergelehrte Blödigkeit kann eine solche Auffrischung und Entschüchterung sehr nötig gebrauchen. Dank darum dem Herausgeber für seine verdienstliche That!

Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.1)
Von Otto Lyon in Dresden.

In unserer besten und gesündesten deutschen Wochenschrift, in den Grenzboten, hat auch Rudolf Hildebrand, der getreue Eckart unseres deutschen Geisteslebens, eine Reihe von Auffäßen erscheinen lassen, denen er die gemeinsame Überschrift „Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen“ gab. Einen Sonntagsphilosophen nannte er sich, sowie sich jemand etwa als Sonntagsjäger bezeichnet. Er wollte damit sagen, daß er sich nicht berufsmäßig, sondern nur nebenbei einmal mit Philosophie beschäftige, und er wollte durch diese zugleich mit einem gewissen gesunden Humor gewählte Bezeichnung seine Ausführungen als unsystematische Betrachtungen über Gegenstände, die ihm am Herzen lagen, aufgefaßt wissen. In Wirklichkeit barg sich aber hinter der Benennung „Sonntagsphilosoph" noch ein tieferer Sinn. Rudolf Hildebrand hatte schon als Student erkannt, daß alles Systematische von der Wahrheit abführt und daher die Erkenntnis der Wahrheit nicht fördert, sondern hemmt. Er wollte dem wirklichen Leben so nahe als möglich kommen und darum verwarf er alle Systematik. Auch die Philosophie beging nach seiner Auffassung den Hauptfehler durch ihren systematischen Betrieb und mußte daher

1) Rudolf Hildebrand, Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Gesammelte Grenzbotenauffäße. Leipzig, Fr. Wilh. Grunow 1896. VIII, 385 C.

immer weiter von der Wahrheit hinwegführen. Viel näher mußte man der Wahrheit kommen, wenn man die Systematik aufgab und von Fall zu Fall entschied. So, meinte er, solle eigentlich jeder Mensch seine eigene Philosophie haben und die Dinge nach seiner Weise betrachten. Im Gegensatz zu dem Fach- und Schulphilosophen wollte er so auf seine Art, gelegentlich und außerhalb aller theoretischen Systeme, Welt und Leben betrachten und dadurch die Wahrheit weit eher und klarer erkennen als der in systematischen Theorien befangene Fachphilosoph. Goethe war hier sein großer Lehrmeister, der gleichfalls alle Fachphilosophie als wahrheitshemmend verwarf und dabei doch ein philosophischer Kopf ersten Ranges war. Auch Rudolf Hildebrand besaß hervorragende philosophische Begabung, die uns namentlich in seinen Artikeln im Grimmschen Wörterbuch entgegentritt. In seiner Jugend hatte er eine philosophische Arbeit über Spinoza geschrieben, die leider nicht gedruckt worden ist, und in seinen Vorlesungen über Schillers oder Goethes Dichtungen kam sein hoher Gedankenflug in weitschauenden philosophischen Erörterungen aufs herrlichste zur Geltung. Er ging auch in seiner Philosophie von ge= schichtlicher Betrachtung aus, hielt er doch die Kulturgeschichte für die Königin aller Wissenschaften. Selbst unangenehme und widerwärtige Erscheinungen der Gegenwart rückte er sich durch geschichtliche Betrachtung in objektive Beleuchtung, und die innere Harmonie seines ganzen Wesens beruhte besonders auf dieser Fähigkeit, alle Dinge in ihrem Entwickelungsgange zu schauen und für alles Bestehende den geschichtlichen Hintergrund aufzurollen. In dieser geschichtlichen Betrachtungsweise fand er Ruhe und Frieden, und er ruhte nicht eher, als bis er für jede neue Erscheinung, für alles, was ihn befremdete oder ihm merkwürdig erschien, die geschichtliche Lösung gefunden hatte. So hatte er nach und nach eine Lebensphilosophie gewonnen, aus der heraus ein unendlicher Frieden, eine Beruhigung und Versöhnung strömte, welcher sich niemand entziehen konnte, der in seine Nähe kam. Anzuziehen und festzuhalten verstand keiner so, wie Rudolf Hildebrand. Von dieser großartigen Lebenskunst, die sich auf seiner geschichtlichen Betrachtungsweise aufbaute, hat er nun in diesen Tagebuchblättern eines Sonntagsphilosophen auch weiteren Kreisen einiges mitgeteilt, und wenn man diese Blätter liest, so scheidet man nur mit dem lebhaften Wunsche von ihnen: Hätte uns der sonnige Blick dieses Sehers doch noch mehr Dinge der Welt und des Lebens mit diesem eigenartigen Schimmer beleuchtet! Doch bereits das in diesen Auffäßen Gegebene enthält eine solche Fülle gesunder Lebensphilosophie, daß wir nur wünschen können: Möchte dieses Buch in die weitesten Kreise dringen, möchten es auch die lesen, die sich in maßgebenden und leitenden Stellungen befinden, damit sie ihre Macht und ihren Einfluß

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