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unterzuordnen, dazu hat meiner Ansicht nach selbst der König nicht das Recht, hat er aber vor Gott und nicht vor mir zu verantworten, wenn er es thut, und darum schweige ich über diesen Punkt.

Oder finden Sie das Princip, welches ich geopfert habe, in der Formel, daß ein Preuße stets ein Gegner Frankreichs sein müsse? Aus dem Obigen geht schon hervor, daß ich den Maßstab für mein Verhalten gegen fremde Regirungen nicht aus stagnirenden Antipathien, sondern aus der Schädlichkeit oder Nüßlichkeit für Preußen, welche ich ihnen beilege, entnehme. In der Gefühlspolitik ist gar keine Reciprocität; sie ist eine ausschließlich Preußische Eigenthümlichkeit; jede andere Regierung nimmt lediglich ihre Interessen zum Maßstabe ihrer Handlungen, wie sie dieselben auch mit rechtlichen oder gefühlvollen Deductionen drapiren mag. Man acceptirt unsre Gefühle, beutet sie aus, rechnet darauf, daß sie uns nicht gestatten, uns dieser Ausbeutung zu entziehn, und behandelt uns danach, d. h. man dankt uns nicht einmal dafür und respectirt uns nur als brauchbare dupe.

Ich glaube, Sie werden mir recht geben, wenn ich behaupte, daß unser Ansehn in Europa heut nicht dasselbe ist wie vor 1848, ich meine sogar, es war größer zu jeder Zeit zwischen 1763 und 1848, mit Ausnahme natürlich der Zeit von 7 bis 13. Jch räume ein, daß unser Machtverhältniß zu andern Großmächten, namentlich aggressiv, vor 1806 ein stärkeres war, als jezt; von 15 bis 48 aber nicht, damals waren ziemlich alle, was sie jezt noch sind, und doch müssen wir sagen, wie der Schäfer in Goethes Gedicht: ich bin heruntergekommen und weiß doch selber nicht wie.") Ich will auch nicht behaupten, daß ich es weiß, aber viel liegt ohne Zweifel in dem Umstande: wir haben keine Bündnisse und treiben keine auswärtige Politik, d. h. keine active, sondern wir beschränken uns darauf, die Steine, die in unsern Garten fallen, aufzusammeln und den Schmuß, der uns anfliegt, abzubürsten wie wir können ......

Wollen wir so isolirt, unbeachtet und gelegentlich schlecht behandelt weiter leben, so habe ich freilich keine Macht, es zu ändern; wollen wir aber wieder zu Ansehn gelangen, so erreichen wir es unmöglich damit, daß wir unser Fundament lediglich auf den Sand des deutschen Bundes bauen und den Einsturz in Ruhe abwarten. So lange jeder von uns

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1) Aus Goethes Gedicht Schäfers Klagelied" (Hempel I, 55), wo Goethe aber das Herunterkommen im wirklichen örtlichen Sinne meint: Der Hirt ist, indem er der weidenden Herde folgt, vom Berge heruntergekommen. Bismarck wendet hier diese Zeilen in wißigem Sinne auf ein moralisches Herunterkommen an. Er gebraucht diese Worte auch, in seiner Frankfurter Zeit, in Briefen an Malwine, an seine Frau u. a., so daß sie geradezu ein Stichwort für seine damalige Anschauung über die preußischen Verhältnisse bilden.

die Überzeugung hat, daß ein Theil des Schachbretes uns nach unserm eignen Willen verschlossen bleibt, oder daß wir uns einen Arm prinzipiell festbinden, während jeder andre beide zu unserm Nachteil benußt, wird man diese unsre Gemüthlichkeit ohne Furcht und ohne Dank benußen ... Unser Rezept für alle Übel ist, uns an die Brust des Grafen Buol1) zu werfen und ihm unser brüderliches Herz auszuschütten. Ich erlebte in Paris, daß ein Graf So und so gegen seine Frau auf Scheidung klagte, nachdem er sie, eine ehemalige Kunstreiterin, zum 24. Male im flagranten Ehebruch betroffen hatte; er wurde als ein Muster von galantem und nachsichtigem Ehemann von seinem Advocaten vor Gericht gerühmt; aber gegen unsern Edelmut mit Österreich kann er sich doch nicht messen.

Unsre innern Verhältnisse leiden unter ihren eignen Fehlern kaum mehr, als unter dem peinlichen und allgemeinen Gefühl unsres Verlustes an Ansehn im Auslande und der gänzlich passiven Rolle unsrer Politik. Wir sind eine eitle Nation; es ist uns schon empfindlich, wenn wir nicht renommiren können, und einer Regierung, die uns nach Außen hin Bedeutung giebt, halten wir vieles zu Gute und lassen uns viel gefallen dafür, selbst im Beutel. Aber wenn wir uns fürs Innre sagen müssen, daß wir mehr durch unsre guten Säfte die Krankheiten ausstoßen, welche unsre ministeriellen Aerzte uns einimpfen, als daß wir von ihnen geheilt und zu gesunder Diät angeleitet würden, so sucht man im Auswärtigen vergebens nach einem Troft dafür. Sie sind doch, verehrtester Freund, au fait von unsrer Politik; können Sie mir nun ein Ziel nennen, welches dieselbe sich etwa vorgesteckt hat, auch nur einen Plan auf einige Monate hinaus, grade rebus sic stantibus, weiß man da, was man eigentlich will? weiß das irgend jemand in Berlin, und glauben Sie, daß bei den Leitern eines der andern großen Staaten dieselbe Leere an positiven Zwecken und Ideen vorhanden ist? Können Sie mir ferner einen Verbündeten nennen, auf welchen Preußen zählen könnte, wenn es heut grade zum Kriege käme, oder der für uns spräche bei einem Anliegen, wie etwa des Neuenburger, oder der für uns irgend etwas thäte, weil er auf unsern Beistand rechnet oder unsre Feindschaft fürchtet? Wir sind die gutmüthigsten, ungefährlichsten Politiker, und doch traut uns eigentlich niemand, wir gelten wie unsichre Genossen und ungefährliche Feinde, ganz als hätten wir uns im Aeußern so betragen und wären im Innern so krank wie Destreich... Ich wundre mich, wenn es bei uns noch Diplomaten giebt, denen der Muth, einen Gedanken zu haben, denen die sachliche Ambition, etwas leisten zu wollen, nicht schon erstorben ist, und ich werde mich ebenso gut wie meine Collegen darin finden, einfältig

1) Österreichischer Ministerpräsident.

meine Instruction zu vollziehn, den Sizungen beizuwohnen und mich der Theilnahme für den allgemeinen Gang unsrer Politik zu entschlagen; man bleibt gesünder dabei und verbraucht weniger Tinte."

Liegen nicht in diesem Briefe schon die Grundzüge der ganzen Bismarckschen Politik im Keime angedeutet? Tritt hier nicht sein starker Wirklichkeitssinn, seine scharfe Beobachtungsgabe, seine zwingende Art, Gedanken zu entwickeln und zur Geltung zu bringen, seine hinreißende, mit geistvollen und wißigen Bildern erfüllte Beredsamkeit, seine glühende Sehnsucht Preußen zu erheben, sein Zorn über die passive und ohnmächtige Haltung der Regierung seines Vaterlandes leuchtend hervor? Und von solchen Briefen, die in vielen Punkten eine Ergänzung zu seinen Briefen an Manteuffel sind, ja diese von Poschinger veröffentlichten Berichte erst in die rechte Beleuchtung stellen, finden wir eine Fülle in diesem prächtigen Buche.

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2. Zeugnisse zur Zeitgeschichte und den damaligen Verhältnissen. In den Berichten an den Minister Freiherrn von Manteuffel findet sich auch eine genaue und lebendige Kennzeichnung der zur österreichischen Gesandtschaft in Frankfurt gehörenden Personen (Poschinger, Preußen im Bundestag IV.) Er schildert darin (26. Mai 1851) den Grafen Thun als einen Mann, der in seinem Äußeren etwas von burschikosem Wesen zur Schau trage, gemischt mit einem Anflug von Wiener roué;" von dem Baron Nell von Nellenburg sagt er:,,Er ist gegen 50 Jahre, zu Zeiten Dichter, sentimental, weint leicht im Theater, ist äußerlich gutmüthig und zuthunlich und trinkt mehr, als er vertragen kann." Den Baron Brenner nennt er einen großen hübschen Mann von etwa 40 Jahren, der den Eindruck eines geistig bedeutenden und unterrichteten Mannes mache, dem schönen Geschlecht huldige, gegen Herren, in specie auch gegen die preußischen, eine vornehme Zurückhaltung beob achte 2c. Zu diesen Mitteilungen bildet der Brief an Gerlach vom 22. Juni 1851 eine hübsche Ergänzung. So schreibt er unter anderm:

„Meine Frau ist noch in Pommern, theils um das Seebad zu ge= nießen, theils weil ich Kind und Kegel nicht eher übersiedeln will, als ich der Gestaltung meiner Zukunft offiziell sicher bin. Für eine puritanische und von ländlichen Vorlieben erfüllte Seele, wie die meiner Frau, bietet die hiesige Gesellschaft nachhaltigen Stoff für sittliche Entrüstung. Denn im Ganzen thut man den schönen Löwinnen von Frankfurt nicht unrecht, wenn man ihren Ton als nahe an Liederlichkeit streifend bezeichnet.1)

1) Schon in Goethes Jugend herrschte dieser Ton in Frankfurt; er hatte fich also bis dahin noch nicht verbessert.

Vor etwa 14 Tagen habe ich eine der sich hier eines stadtkundigen Rufs erfreuenden Landpartien des Grafen Thun mitgemacht, bei der ich selbst die Rolle des Joseph, zu meiner Schande muß ich es gestehn, nur bis zur Höhe des passiven Widerstandes durchgeführt habe. Die Theilnehmerinnen sind hübsche üppige Weiber der hiesigen Bankier-Aristokratie, von denen ich zwar nicht weiß, bis zu welchem Punkte sie einem der hiesigen diplomatischen Garçons oder Strohwittwer den Mangel eigner Häuslichkeit zu ersehen geneigt sind, deren Auffassung der gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Damen und Herren mich aber doch glauben ließ, daß ich es meiner Frau als abwesendem Theil schuldig sei, bei einer Einladung zu einer ähnlichen Excursion auf heut, Geschäfte vorzuschüßen... Er (Thun) ist ein Gemisch von ungehobelter Derbheit, die leicht für ehrliche Offenheit passirt, von aristokratischer Nonchalance und slavisch-bäuerlicher Schlauheit, hat stets,, keine Instructionen“ und scheint wegen Mangel an Geschäftskunde von seiner Umgebung abhängig zu sein. Unter diesen ist der Baron Brenner, ein romantischer beau, groß, schön und brünett, flug und unterrichtet, aber faul, in Gesellschaft schweigsam... Dann der Baron Nell, etwas älter, scheinbar mehr der Flasche als den Weibern zugethan, ersterer jedenfalls über den Durst; er besucht mich mitunter, sieht mich ununterbrochen und schweigend an wie die Schlange den Colibri und geht nach 10 Minuten fort, ohne ein Wort gesagt zu haben. Er soll geschäftlich routinirter, jedenfalls fleißiger als Brenner sein und hat dadurch entschiedenes Ascendant über Thun. Alle drei Herren von der Destreichischen Gesandtschaft haben durchaus nichts, was Vertrauen erweckt, Thun noch am meisten, . . . vorsichtige Unaufrichtigkeit ist der bemerkbarste Charakterzug in ihrem Verkehre mit uns."

Die hier gegebene Charakteristik des Lebens der Diplomaten in Frankfurt wird ergänzt durch einen Brief Bismarcks aus Frankfurt, 20. März 1857, in dem er Fonton, den russischen Gesandten, mit einigen kräftigen Strichen kennzeichnet:

„Ich habe gestern dem neuen Russen zu Ehren ein offizielles dîner im ächt Frankfurter Stile gegeben: über 20 Nummern auf dem Menu und ein Dußend der sonderbarsten Weine.1) Ich verabscheue eigentlich

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Les Les

1) Das gedruckte Menu lautete: Dîner le 19 mars 1857. Les huîtres d'Ostende Le potage à la bisque Le caviar de Russie aux plinis — Les truffes au vin de Bourgogne Les turbots, sauce aux huîtres pièces de boeuf de Hambourg Les pains de gibier à l'essence croustades à la financière Les langoustes à la remoulade rôties Les pâtés de foie gras Les asperges en branches potes Les gelées Les croquembouches à l'ananas Le dessert.

Les bécasses

Les com

Les glaces

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diese Stoff- und Geldverwüstungen, aber, ob Christian oder Jßig, 's G’schäft bringts halt so mit sich. Fonton ist ein bequemer Geschäftsmann, der ohne Vorurtheile und Umschweife mit geringschäßiger Leichtigkeit jede politische Frage tractirt; zum guten Diplomaten fehlt ihm die Fähigkeit, Zutrauen einzuflößen, zum guten Gesellschafter diejenige, mit anständigen Frauen zu verkehren. Sonst ist er geistreich und angenehm, für die etwas faisandirte Weiblichkeit der hiesigen Banquier-Gesellschaft wie geschaffen; für die jungen Leute ist er in seiner brillanten Liederlichkeit und wizigen Zotenreißerei ein gefährliches Beispiel. Grade heut erfahre ich, daß zwei Attachés, ein Däne und ein Holländer, um 6 Uhr früh von der Flasche kommend, eine gleichzeitig in die Frühmesse gehende Bürgerstochter derartig auf der Straße belästigt haben, daß sie sich unter den Schuß eines Preußischen Offiziers von der Wache geflüchtet hat; hoffentlich ist die Geschichte nicht ganz wahr, aber natürlich wird sie unter den Frankfurtern mit vielen Übertreibungen böslich erzählt, von der Diplomatie aber vertuscht."

Sehr bezeichnend ist auch eine Stelle aus Bismarcks Brief an Gerlach aus Frankfurt vom 20. Dezember 1853:

„Unsre Gesellschaft ist durch Damenkriege präoccupirt. Frau v. Vrints hat sich zur Aufgabe gemacht, eine Lady Rollington einzuführen; diese säuft und leidet an Ausschlag, die Bairische Gesandtin wollte sie deßhalb mit Recht nicht einladen, darüber hat ihr die Vrints Sottisen bis zu Thränen und Krämpfen gesagt, das haben die andern Gesandtinnen übel genommen, und nun spielen wir Montechi und Capuletti; darüber vergißt man seit 14 Tagen Coalition und Orient, und Sinope1) ist spurlos an uns vorübergegangen."

Am 3. Februar 1854 bemerkt er unter anderm:

"

Gestern erhielt ich die telegraphische Nachricht, daß Kisseleff 2) Paris verlasse. Ich war grade auf dem Club und besann mich, wen ich wohl am besten damit erschrecken könnte; mein Auge fiel auf Rothschild; er wurde kreidebleich, als ich es ihm zu lesen gab. Sein erster Ausruf war: hätte ich das heut früh gewußt"; sein zweiter: wollen wir morgen ein Geschäftche zusammen machen? Excellenz riskiren nichts dabei.“ Ich lehnte es freundlich dankend ab und überließ ihn seiner erregten Stimmung."

Schon aus den angeführten Stellen tritt zugleich Bismarcks ganze Persönlichkeit und seine Sprachgewalt klar und deutlich hervor, sodaß wir Punkt 3 und 4 (Offenbarungen seiner Persönlichkeit 2c. und seiner

1) Seeschlacht zwischen Türken und Russen, 30. Nov. 1853.

2) Der russische Gesandte in Paris.

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