Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

nächsten Tag bei dem ehrlichen Kerl, der in dieser rauhen Schale steckt, für die Rettung vor einem französischen Überfall bedanken. Eine Bekehrung zu echt deutscher Gesinnung auch in adligen Kreisen enthalten die Ungeschriebenen Briefe: eine adlige Verlobte heilt darin ihren fürstlichen Bräutigam, der zur Vollendung seiner Ausbildung auf die Pariser Kavalierstour gegangen ist, von seiner durch kalte Berechnung eingegebenen undeutschen Politik, indem sie in ihren knappen und spärlichen Antworten auf seine vielen ausführlichen Briefe aus Paris über diese von ihr als Verrat am Vaterlande empfundene Politik unter Schmerzen zu schweigen weiß, bis sie den Heimgekehrten durch die be= gehrte Begründung ihrer Zurückhaltung zu einer Staatsweisheit bekehrt, die aus der Begeisterung des Herzens geboren ist und von der Liebe zum Vaterlande bestimmt wird.

Wieder bürgerliche Treuherzigkeit ist der gemeinsame Grundzug der Hauptgestalten in den Novellen: Die Hochschule der Demut, Der Hausbau, Burg Neideck, Der Stadtpfeifer und Meister Martin Hildebrand. Gleich dem Stadtpfeifer, für den auf S. 3 und 10 verwiesen sei, ist Burg Neideck ein Preis gemütsinniger deutscher Genügsamkeit, für die, wie in der Novelle die verfallende Burg Neideck für den Schulmeister Balzer, die unscheinbarste Sache das vollste Glück bedeutet, wenn nur unser Gemüt und Empfinden daran haftet. Meister Martin Hildebrand lernt auf der Wanderschaft nicht nur Welt und Leute kennen, sondern auch Ehre und Treue wahren, vor allem seiner Geliebten Anna Elisabeth Schaufflerin gegenüber, an die ihn in allen Versuchungen ihre in seinen Arm geäßten Anfangsbuchstaben wie an einen guten Schußgeist erinnern. Im Hausbau kann es ein ob alten Grenzstreites zürnender Nachbar gleichwohl nicht mit ansehen, wie dem Feinde seine Bauleute Zeit und Tagelohn stehlen; und sein Töchterlein wächst sich gar in aufkeimender Liebe zu dem nachbarlichen Bauherrn zu einer so trefflichen Hausverwalterin aus, daß sie selbst den verwilderten Soldaten der Reichsarmee, die in dem halbfertigen Bau einquartiert sind, Achtung abgewinnt und uns die Gewißheit giebt, mit solch' einer Schaffnerin werde der Bauherr nicht bloß sein Haus, sondern sein Lebensglück bauen.

Riehl müßte nicht der echte deutsche Sozialpolitiker sein, der den deutschen Staat von Grund aus nur durch Verinnerlichung des deutschen Familienlebens erneuern zu können glaubt, wenn er nicht auch die erziehende Kraft des Lebens in der Ehe zum Problem seiner Novellen gemacht hätte. Mehr als der Stadtpfeifer und die Liebesbuße gilt dessen Lösung das Gegenstück der letteren: Die Hochschule der Demut: in Duldsamkeit gegen seine Frau, die aus lauter Liebe, Güte und Tugend in Selbstgerechtigkeit alles verschraubt und überspannt, muß hier ein gut

herziger Ehemann sein äußeres und inneres Glück fast erst zu Grunde gehen lassen, ehe diese lernt, statt in anerzogener Weltflucht über der Erde zu schweben, schlicht und recht wie ein natürliches Menschenkind zu leben.

Auch die zwei Musikergeschichten, die der Musikliebhaber Riehl außer dem Stadtpfeifer noch in die Rokokozeit verlegt hat, durchweht derselbe Zug biederer Wahrhaftigkeit und ehrenhaften Familienfinnes. In Amphion wird der Lautenspieler Baronius vor Virtuosendünkel zu Künstleredelmut und natürlichem Menschentum bekehrt. Im Demophoon von Vogel findet Friedrich Vogel die Stimmung zum Komponieren, der er in Einsamkeit und lustigem Junggesellentreiben gleich vergeblich nachgejagt ist, erst im Hafen der Ehe, in der er den Vater vor dem Künstler beschäftigen lernt und nur noch zur Erhebung über die Wirklichkeit komponiert.

Selbst Riehls Fürsten der Rokokozeit in Fürst und Kanzler, Ovid bei Hofe und im Leibmedicus sind bei aller selbstherrlichen Launenhaftigkeit und allem alamodischen Äußeren „gut frizßische“ Landesväter.

In der ersten dieser drei Novellen verzeihen wir dem Markgrafen Philipp gern seine Rauheit und Härte, vollends als sie sich im wesentlichen gegen die Machenschaften seines Kanzlers wendet, der den Zusammenbruch des markgräflichen Hauses fürchtet, wenn sein Herr die beabsichtigte Verbindung mit einer bürgerlichen Geliebten durchseßt; und doch ist der dünkelhafte Hofjurist selbst der Sohn eines bürgerlichen Emporkömmlings. Dieser erhält denn nur die gebührende Abfertigung, wenn ihm sein Fürst, wie er für sich selbst der Stimme des Herzens Gehör schafft, einen bürgerlichen Schwiegersohn und in diesem zugleich einen Nachfolger giebt. Der Leibmedicus führt uns in die gutmütig nichtige Wichtigthuerei einer deutschen Duodezhofhaltung, die er als „ein wahrer Freund des Fürsten wider Willen" wahrer und besser gestaltet. In Ovid bei Hofe wächst ein jung verheirateter Fürst mitten in den rauschenden Festlichkeiten seines Hofes zu selbstherrlichster Selbst= bestimmung empor, faßt aber deren Zweck mit einem alten Ahnen in den Wahlspruch zusammen: Aliis inserviendo consumor. So vergessen wir denn über der launigen Geschichte gern die großen Verwandlungen, die an diesem Hofe ehedem die Liebe zum Schlechten hervorgebracht hat, und freuen uns der größeren und schöneren, die mehr noch als die Liebe zum anderen Geschlechte die Liebe hervorzaubert, die ein zur Wahrheit bekehrter Fürst dem Rechten und Guten entgegenbringt.

Die einzige Novelle, die noch übrig bleibt, Die Lüge der Geschichte, ist zugleich die einzige, deren positiven Vorwurf die undeutsche Verleugnung der Ehe bildet. In einem Kloster der bayerischen Alpen

sucht ein niederrheinischer Graf, den die ungesunde Pariser Aufklärung zum frivolen Spötter über alles gemacht hat, Rettung vor dem Überdruß am nichtigen Treiben der Salons und noch mehr Aufschluß über die Wahrheit der Geschichte, in der ihn Kenntnisse, Forschungstrieb und einschneidendes Urteil nur Lüge auf Lüge entdecken lassen. In der Einsamkeit des Hochgebirges und am Herzen einer Sennerin verspürt er wohl einen Hauch von der wahren Größe der Natur und von der schlichten Wahrheit eines unverdorbenen Naturkindes; aber nachdem er dem naiven Mädchen seine Unschuld genommen, treibt es ihn auch von da fort. Als er nach zwanzig Jahren gleich unbefriedigender Arbeit und Genußsucht von einer geheimnisvollen Unruhe wieder in die Berge getrieben wird, findet er im Gespräch mit seinem eigenen Kinde, dem unerkannt zu bleiben er sich in hartem Kampfe abringt, dem er aber seitdem aus der Ferne ein Ebner seines Lebensweges wird, endlich den gesuchten Aufschluß: die Wahrheit der Geschichte, des Einzel- wie des Völkerlebens, liegt in dem sittlichen Kerne des Handelns, den das eigene Gewissen bestätigt und das fremde Urteil erkennt.

So stehen die Gestalten der Riehlschen Novellen von der ersten bis zur legten als lauter vorbildliche oder warnende Typen deutschen Innenlebens vor uns. Daß sie aber in 50 Geschichten statt in nur einigen wenigen breit angelegten Romanen auftreten, kann die Wirkung nur erhöhen. Denn anstatt daß nur einzelne Hauptideen in die besser der Geschichte vorbehaltene grelle Beleuchtung der Hauptereignisse selbst träten, können sich so die treibenden Kräfte aller Höhe und Wendepunkte unserer Geschichte in ihrem anheimelnderen Wiederscheine auf dem Grunde des häuslichen Lebens biederer Vorfahren von unserem Fleisch und Blut spiegeln. Möchten die Strahlen solcher Beleuchtung deutscher Gegenwart und Vergangenheit bald immer reichlicher auch in die deutsche Schule dringen! In englischen, amerikanischen und canadischen Schulen sind z. B. schon die Ganerben und die Gerechtigkeit Gottes dem deutschen Unterrichte durch Schulausgaben dienstbar gemacht. In anderer Weise könnten und sollten auch wir sie nüßen, sei es für die ersten Vorträge, sei es, indem vom Lehrer des Deutschen oder der Geschichte der Hausfleiß der Schüler darauf hingelenkt wird; freilich ist dazu die erste Bedingung, daß jede Schulbibliothek alle fünfzig Novellen wenigstens zwei, dreimal besitzt.

Zur Einführung in die deutschen Altertümer 2c. Von Arnold Zehme.

29

Bur Einführung in die deutschen Altertümer im deutschen Unterricht, besonders der Tertia.

Von Arnold Zehme in Düsseldorf.

Die Forderung, die Schüler im deutschen Unterricht in die deutschen Altertümer einzuführen, sie mit den Kulturverhältnissen unserer Vorzeit vertraut zu machen, ihnen das Leben und Treiben unserer Vorfahren anschaulich und lebendig zu schildern, ist nicht neu. Schon Schiller') verlangt, daß bei der antiken und deutschen Sagengeschichte die verschiedenen Seiten des öffentlichen und Privatlebens in anschaulichen Bildern vorgeführt werden, also z. B. Kriegswesen, Bewaffnung, Schlacht, Belagerung, Erziehung, Lebensweise, Kleidung, Wohnung, Spiele, Jagd. Er fordert auf allen Stufen,,klare Bilder der jeweiligen Zeit" und empfiehlt,,Gruppierung aller Andeutungen zu einem schildernden Bilde", sodaß z. B. bei dem Lesestück „Der Trifels“ von Alexis zulezt dem Schüler die Ritterburg und das Leben auf derselben zum Eigentum geworden sein müßte. Auch Lehmann') wünscht eingehende und häufige Schilderungen dieses ritterlichen Lebens mit seinen Festen und seiner hösischen Pracht mit Recht besonders in Tertia im Anschluß an die Lektüre des Nibelungenliedes und der Gudrun, indem er das anschauliche Verständnis als Ziel auf dieser Stufe betont; auch giebt er (S. 196) als Probe für die Vertiefung und Ausnüßung der Lektüre durch Auffäße zwei kulturgeschichtliche Themata an (Reisen und Gastfreundschaft im Nibelungenlied; Schilderung eines höfischen Festes). Mit größerem Nachdruck aber ist die Einführung in die deutschen Altertümer zum ersten Male von dem Herausgeber dieser Zeitschrift3) vor zwei Jahren als eins der Ziele des deutschen Unterrichtes hervorgehoben und begründet worden. Er bezeichnet es als die besondere Aufgabe des Realgymnasiums, den Schüler in den Geist des deutschen Altertums einzuführen. Daher sei bei der Lektüre Berücksichtigung der Kulturverhältnisse unserer Vorzeit von selbst geboten, ohne welche das Verständnis der altdeutschen Litteratur unmöglich sei. An der Hand der Quellen solle der Schüler in lebendiger Schilderung erfahren, wie unsre Vorfahren ihre Häuser bauten, wie sie sich kleideten, wie ihr geselliges Leben verlief. Mit dem Bau der Ritterburg müsse der Schüler des Realgymnasiums so vertraut sein, wie der

1) Handbuch der Pädagogik 2. Aufl. 1890, S. 308 flg.

2) Der deutsche Unterricht 1890, S. 163.

3) Zeitschr. f. d. deutschen Unterr. 1893, 705 flg.

Gymnasiast mit dem Bau des griechischen Theaters. Diese Forderungen werden, wie alle die übrigen, so recht aus dem Vollen geschöpften Winke für einen fruchtbaren Betrieb des deutschen Unterrichts, so einleuchtend begründet, daß jeder Lehrer des Deutschen zustimmen wird. Nur scheint uns der deutsche Unterricht des Gymnasiums dabei allzu stiefmütterlich behandelt zu werden, und wir möchten so unbescheiden sein, diese Einführung in den Geist des deutschen Altertums uns als eins der idealen Ziele auch des gymnasialen deutschen Unterrichts auf allen Stufen vorschweben zu lassen. Oder wird der Gymnasiast nicht seinen Kameraden vom Realgymnasium um diese Vertrautheit mit dem Bau der Ritterburg beneiden, während er nur den Bau des griechischen Theaters kennt? Das ist sicher eher als das Umgekehrte anzunehmen. Und käme dann als Resultat des gymnasialen Unterrichtes nicht doch vielleicht jener mit Recht so gefürchtete,,junge Grieche" heraus? Also möge es nur gestattet sein, auch auf dem Gymnasium nach jenem idealen Ziele zu streben. Dabei wissen wir uns eins mit den neuen preußischen Lehrplänen, welche Belebung vaterländischen Sinnes verlangen, welche von uns erwarten, daß wir die Herzen der Jugend für deutsche Sprache, deutsches Volkstum und deutsche Geistesgröße zu erwärmen“ verstehen. In diesem Sinne spricht sich auch Koch') aus, welcher deshalb auch zu Aufsäßen Themata über Heimat, Vorfahren, Vaterland, die dem Schüler am Herzen lägen, angelegentlichst empfiehlt. Zuleht hat Drück) diese ganze Frage behandelt. Indem er an Ciceros Wort „,turpe est in patria vivere et patriam ignorare" erinnert, wünscht er, daß dem Schüler Gelegenheit gegeben werde, auch auf vaterländischem Boden heimisch zu werden und die Religion, die Kunst, das öffentliche und private Leben nnsrer Vorfahren kennen zu lernen. Aufgabe der deutschen Altertumskunde sei es, das Kulturleben der Vorfahren als den Nährboden deutschen Volkstums zur Veranschaulichung zu bringen. Dabei weist er mit Recht darauf hin, daß eine gewisse Bekanntschaft mit der deutschen Kulturgeschichte zur allgemeinen Bildung gehöre. Als Stoff bis Tertia bezeichnet er die Einrichtung einer mittelalterlichen Burg, das ritterliche Leben, Besiedelung der Gegend, Entstehung der Dörfer und Städte, Belagerung und Sturm 2c., wobei der deutsche Aufsatz sich leicht in den Dienst dieser guten Sache stellen lasse. Ganz aus dem Herzen spricht uns der Verfasser, wenn er nebenbei bemerkt, daß auf den Hochschulen dem Lehrer zu wenig Gelegenheit zur Ausbildung in der deutschen

1) Das deutsche Volkstum im deutsch. Unterr., Bl. f. höh. Schulwesen 1893, 32 flg. 2) Die vaterl. Altertumskunde im Gymnasialunterricht, Progr. Kgl. Gymn. Ulm 1894.

« ZurückWeiter »