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seiner Praxis, wie sie sich Lessing zurechtgelegt hat, nicht in Widerspruch zu kommen; und zwar soll dieser Kunstgriff in dem Gleichnis bestehen. In solchen Mitteln, um auf die Phantasie zu wirken und die Anschauung lebendig zu machen, in solchen „Wendungen, die alles gut machen", wie Lessing von gleichartigen Schilderungen bei Anakreon und Ovid sagt, sollte man jedoch nicht,,Kunstgriffe" erblicken, sondern poetische Formen, wie sich deren jeder Dichter bedient. Keinesfalls kann die Anwendung des Gleichnisses als etwas Ungewöhnliches, als ein sehr merkwürdiger Kunstgriff bezeichnet werden.

Lessings Behauptung, daß die Elemente der Schönheit, nacheinander geordnet, unmöglich die Wirkung haben könnten, die fie, nebeneinander geordnet, haben würden, beruht übrigens auf einer ganz subjektiven Auffassung; denn wie oft kommt es vor, daß man sich nach der Beschreibung eines schönen Gegenstandes einen viel höheren Begriff von der Vollkommenheit desselben macht, als man später findet!

Das Wunderlichste an Auslegungskunst, um seine Theorie mit der vermeintlichen Praxis Homers in Übereinstimmung zu halten, findet sich aber in Abschnitt XXIII, wo sich Lessing über die Schilderung der körperlichen Häßlichkeit ausspricht. Er sagt hier: „Nur die körperliche Häßlichkeit darf nach ihren Teilen nebeneinander vom Dichter ge= schildert werden. So hat Homer die äußerste Häßlichkeit in dem Thersites geschildert, und hat sie nach ihren Teilen nebeneinander ge= schildert. Warum war ihm bei der Häßlichkeit vergönnt, was er bei der Schönheit so einsichtsvoll sich selbst untersagte?"

Lessing beantwortet diese Frage dahin: Die Häßlichkeit werde bei dieser Art der Schilderung zu einer minder widerwärtigen Erscheinung körperlicher Unvollkommenheit, sie höre gleichsam von der Seite ihrer Birkung auf, Häßlichkeit zu sein; sie werde so dem Dichter brauchbar, um gewisse vermischte Empfindungen hervorzubringen: Homer habe den Thersites häßlich gemacht, um ihn lächerlich zu machen.

Man fragt sich hier verwundert: wie kann jemand im Ernst be= haupten, daß ein häßlicher Mensch, wenn man seine körperliche Unvollkommenheiten näher angiebt, dadurch aufhöre, häßlich zu erscheinen? Wenn Lessing in Abschnitt XX die Ansicht ausgesprochen hatte, daß die Elemente der Schönheit, nacheinander geordnet, unmöglich die Wirkung haben könnten, die sie nebeneinander geordnet haben würden, so konnte hieraus doch nur folgern, daß es sich mit der Häßlichkeit ähnlich verhalte, und daß dieselbe durch Aufzählung ihrer Elemente ebenfalls nicht dazu gelange, ihre volle Wirkung zu äußern.

Daß aber die Häßlichkeit durch ihre bloße Schilderung zu einer minder widerwärtigen Erscheinung körperlicher Unvollkommenheit werden, Zeitschr. f. d. deutschen Unterricht. 10. Jahrg. 4. Heft.

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daß uns ein Mensch, von dem erzählt wird, er sei lahm, bucklig, schielend, uns nun nicht als häßlich erscheinen solle, besonders wenn dieser Mensch zugleich als ein verächtlicher geschildert wird, ist eine zu Bei seltsame Behauptung, als daß man sie ernst nehmen könnte. einem häßlichen, aber zugleich liebenswürdigen Menschen wäre es denkbar, daß man über seine guten Gemüts- und Charakteranlagen seine Häßlichkeit vergäße; ein solches Aufhören, Häßlichkeit zu sein" würde dann auf einem ganz anderen Grunde beruhen, als Lessing hierzu annimmt. Troß der völligen Grundlosigkeit in Lessings Behauptung hat dieselbe doch manche Anhänger gefunden. Namentlich ist hier Hugo Blümner zu nennen, der in seinem bekannten Werke, das besonders von Schulmännern gelesen wird und vorzugsweise dazu beiträgt, daß dem,,Laokoon“ auf den Schulen die Bedeutung eines ästhetischen Kanons" erhalten bleibt, den Ansichten Lessings hier wie in den meisten anderen Fragen vollkommen beistimmt. Mit Bezug auf die vorstehende Frage ist er der Meinung: Homer habe nicht gewollt, daß wir uns den Thersites in seiner abstoßenden Häßlichkeit vorstellen sollten, und habe aus diesem Grunde die coexistenten Teile dieser Häßlichkeit schildern dürfen. Blümner übersieht dabei, daß Homer nach Lessings eigener Angabe gerade beabsichtigt hat, im Thersites die äußerste Häßlichkeit“ zu schildern. Homer wird daher nicht bemüht gewesen sein, durch die Art seiner Schilderung dieser Absicht geradezu entgegenzuwirken. Aus welchem Grunde hätte er uns auch verhindern sollen, uns den Thersites in seiner ganzen abstoßenden Häßlichkeit vorzustellen! Ein Grund hierzu mußte ihm um so ferner liegen, als er uns zugleich den bösartigen Charakter desselben schildern wollte.

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Es würde sich gar nicht lohnen, auf so wunderliche und haltlose Behauptungen näher einzugehen, wenn dieselbe nicht die Autorität eines Lessing für sich hätten und nicht noch heute fortgesezt durch gelehrte Werke und durch eine Anzahl von Schulausgaben des „Laokoon“ verbreitet und in Ansehen erhalten würden.

Über Lessings Behauptung, Homer habe den Thersites lächerlich machen wollen, mag noch bemerkt werden, daß „ein Scheusal, ein schmähsüchtiger, von hämischer Verkleinerungssucht erfüllter Mensch“, wie Leffing den Thersites nennt, nicht lächerlich, sondern widerwärtig und verächtlich ist.

Was jene Schulausgaben anlangt, so sind dieselben nach Art der alten Klassiker unter dem Text meist mit Anmerkungen versehen, die sich aber lediglich auf Wort-Erklärungen und archäologische oder biographische Notizen beschränken und nirgends auf eine Beurteilung der von Leffing aufgestellten Säße eingehen. Nachzurühmen ist jenen Ausgaben, daß sie, im Gegensaz zu den sonst im Buchhandel erschienenen Ausgaben, Lessings Weisung gemäß, den ganzen den borghesischen Fechter

betreffenden Abschnitt weggelassen haben, nachdem sich die im,,Laokoon" enthaltene Deutung der Statue als Irrtum herausgestellt hat. Um so auffallender ist es, daß in einer weit verbreiteten Ausgabe, der Cottaschen, in der Einleitung zum X. Bande (Laokoon) noch zu lesen steht: „der sogenannte borghesische Fechter ist die von Corn. Nepos beschriebene Statue des Chabrias." Sollte der Verfasser der Einleitung wirklich hierüber nicht besser unterrichtet gewesen sein? Jedenfalls beweist jene Notiz, wie notwendig es ist, daß Lessings Weisung (antiquar. Briefe Nr. 38, Schluß) endlich von allen Herausgebern befolgt wird, damit fich derartige Irrtümer nicht wie eine ewige Krankheit forterben.1)

Wenn übrigens Lessing, nachdem er in den antiquarischen Briefen seinen Irrtum betreffs der Deutung der Statue endlich eingeräumt hat, zulezt sagt: die Parallelstelle des Diodor entscheide wegen des Sages: τὰς ἀσπίδασ πρὸς τὸ γόνυ κλίνοντας alles, uns entfceive alles allein, so hat er entschieden unrecht. Er behauptet hiermit, daß er mit seiner Deutung dennoch recht behielte, wenn jene Parallelstelle nicht vorhanden wäre. Er seßt sich aber hierdurch in Widerspruch mit dem, was er über seine Deutung in dem antiquar. Briefe Nr. 36 gesagt hat, wo es heißt: „Hätte ich mir hingegen den rechten Schenkel des Fechters vorgeworfen und den ganzen Körper auf diesem ruhend lebhaft genug vorgestellt, so glaube ich nicht — wenigstens glaube ich es jezt nicht daß mir die Lage des Chabrias so leicht dabei würde eingefallen sein.“ Es wäre eine interessante Aufgabe für die Primaner eines Gymnasiums, wenn sie einmal den Nachweis zu führen hätten, warum Lessings Behauptung: jene Parallelstelle entscheide alles, und entscheide alles allein, unzutreffend ist, und aus welchen Gründen Lessing überhaupt dem Gedanken, die Statue sei Chabrias, niemals hätte Raum geben sollen.

Sprechzimmer.

1.

Nachträge zu dem Ausdruck „Schau haben“. (Jahrg. VII S. 567 flg. und VIII S. 775 flg.)

Bei C. Molbech, Dansk Dialect-Lexikon, Kjöbenhavn 1841, S. 477 findet sich das Verbum siuve, siyve (das i ist hier wie i zu lesen) in der Bedeutung,,vor Freude laut schreien“, und dies Wort wird vom Verfasser als spezifisch zu den schleswigschen Mundarten gehörig aufgeführt. Zugleich bemerkt Molbech, daß er in den handschriftlichen Sammlungen des gelehrten Predigers N. Dußen, die ihm durch Vermittelung des

1) Der Abschnitt über den borghesischen Fechter würde passender als Anhang zu den antiquarischen Briefen unterzubringen sein.

Prof. Fald zu Kiel im Jahre 1828 zur Benußung übersandt worden seien (vergl. die Vorrede S. XX flg.), die Bemerkung vorgefunden habe, daß das Wort mit got. sifan (Joh. 8, 56) identisch sei. In dem Glossarium der friesischen Sprache desselben N. Dußen, herausgegeben von L. Engelstoft und C. Molbech, Kopenhagen 1837, findet sich das Wort auf S. 310 erklärt durch folgende Wendung: „mit einem pfeifenden und kreischenden Geschrei nach einem Entfernten rufen". In Aagaard, Beskrivelse over Törning Lehn, Kjöbenhavn 1815, wo sich eine Anzahl von speziell nordschleswigschen Ausdrücken und Redeweisen findet, wird das Wort nicht genannt; auch kommt es weder in Molbech, Dansk Glossarium, Kjöb. 1857. 66. (2 Bde.), noch in desselben Verfassers Dansk Ordbo g2, Kjöb. 1859, vor. Das Wort,,Schauermann" findet sich in einer von Hamburg aus an die „Tägliche Rundschau“ gerichteten Zuschrift vom 26. Oktober 1893 (Nr. 252, S. E) und wird in Klammern durch Hafen-Arbeitsmann" erklärt. In der norwegischen Zeitung Dagbladet, gedruckt in Christiania, 26. März 1896, lese ich in einem Theaterbericht folgende Stelle: „Teatrets Maskinfolk er i fuldt Sjau med Dekorationer og Sætstykker", wo das Wort „Sjau“ nur „Arbeit“ bedeuten kann.

Hadersleben.

2.

R. A. Schröder.

Böten, dabei wieder etwas vom Besprechen der Krankheiten. Zur Ztschr. f. d. dtsch. Unt. VII, 1, S. 63.

Teez führt aus der Uckermark und Pommern für das Besprechen als ausschließlichen terminus technicus das Wort „böten" an. 3. B.:,,Lat di de Swaer, de Back böten", also mit der Krankheit bezw. dem kranken Körperteil als Objekt, nicht wie bei püstern u.s. w. mit der Person des zu Heilenden. Vorkommt derselbe Ausdruck im südlichen Meklenburg auch, wenn auch selten. büßen hat

Böten

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in Wismar aber noch heute die im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen allgemein gebräuchliche Bedeutung von „abhelfen“, „heilen" in dem Straßennamen Altböterstraße". Das niederdtsch. bôtan heißt: heilen, ausbessern, flicken. Nach diesem Wort war im Mittelalter in Wismar die Zunft der Altböter" benannt, d. h. Altflicker. Bartsch (Sagen,

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Märchen und Gebräuche aus Meklenburg, II, S. 318 flg.) schickt seiner Sammlung von Stillformeln eine kurze Einleitung vorauf, worin sich allerdings manches nach neueren Forschungen anders darstellt. Die Anwendung der abergläubischen Kuren bezeichnet das niederdeutsche Volk mit den Ausdrücken „böten, stillen, segnen, besprechen". Daß man den Ausdruck stillen" nur noch selten hört, ist nicht richtig, ich habe ihn selbst häufig gebraucht und gehört. Daneben kommt auch „jemandem

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etwas gebrauchen" vor. ,,Segnen" ist im Volksmunde selten geworden, ,,besprechen" hört man häufig. Statt,,böten" sagt man jezt allgemein „blutstillen“. Das Stillen im engeren Sinne, die Wortsympathien, werden nach Bartsch vorzugsweise nur gegen innere und äußere Krankheiten angewendet, wobei als Krankheit nach dem Volksbegriffe allerdings auch Zustände zu betrachten sind, die strenger genommen nicht dahin gehören. Früher wurden wahrscheinlich auch gegen äußere nachteilige Zustände und Ereignisse Wortsympathien angewandt, wo man sie jezt nicht mehr gebraucht oder wo sie sich aus dem Gedächtnisse des Volkes verloren haben. Einige gegen Feuersbrunst, gegen Diebe, gegen böse Pferde u. a. angewandte Sprüche sind uns erhalten. Andere abergläubische Gebräuche, die man noch jezt anwendet, lassen ihrer ganzen Fassung nach vermuten, daß sie früher von Worten begleitet worden sind. Die Worte werden natürlich lautlos und mit kaum merklicher Bewegung bloß durch das Gedächtnis wiederholt. Wenn die Sympathie helfen soll, so darf man keine ungehörige Bewegung machen, am wenigsten lachen (vergl. Bartsch a. a. D. II, S. 318). Oft ist es auch notwendig, daß der Stillende genau denselben Weg zurückkehrt, auf dem er zu dem Kranken gegangen ist; die Formel muß stets buchstäblich richtig ge= sprochen werden. Bartsch meint, es sei erst seit neuerer Zeit gebräuchlich, daß der Stillende Geld für seine Mühe nehme; früher erhielt er Lebensmittel. Auch fordert er nicht, sondern läßt sich nur schenken. Eine mir bekannte weise Frau nahm stets nur eine Stecknadel oder einen ,,Witten" (d. i. der vierte Theil des alten Rostocker Schillings). Daneben wird nun aber in den meklenburgischen Städten und auf dem Lande ein wirkliches Gewerbe aus dem ,,Stillen“ gemacht. Es ist nichts Außergewöhnliches, daß man folgende Frage und Antwort hört: „Wûrvon lêwt dis oll Wittfru? Sê gêt up't Stillen." Wovon lebt diese alte Wittwe? Sie geht aufs Stillen aus. Die Anwendung der Sympathien muß dreimal zu möglichst gleicher Tageszeit an drei aufeinanderfolgenden Tagen oder an den gleichen Tagen der folgenden drei Wochen geschehen, das letztere habe ich sehr selten gefunden, einmal beim Stillen einer nassen Flechte. Bartsch (a. a. D. II, S. 319) weist auf das Sprichwort hin:,,Dreemal hett Recht", der Bürger in den Städten sagt: „Dreemal is Börgerrecht." Daß dieser Gebrauch natürlich mit der Dreieinigkeit zusammenhängt, ist klar. So sagt Joach. Schröder 1563 (bei Wiechmann, Meklenburgs altn. Lit. 2,50): „Etlyke ick weth nicht wat vor Thōverers, Warsager edder Christallenkykers, de mit grotem Holde unde Gaven besocht werden, dat se den Krancken van der Thöverye helpen schölen. Desse geven sonderliken Radt und Arstedye dem Krancken, dat he nicht anders denn up dremal solckes moth ge

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