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den Werken aus dieser Zeit gleichzustellen ist, nicht; denn in der Blütezeit herrscht gerade die vollkommenste Harmonie zwischen Form und Ausdruck, und eben dadurch wird ihren Schöpfungen der Stempel höchster Vollendung aufgeprägt.

Mit besonderer Schärfe tritt das Einseitige in Lessings Behauptung hervor, wenn man sein Urteil über die Historienmalerei betrachtet, von der er (Kollektaneen zu Laokoon 10a und 10b) sagt: sie habe nur insofern Bedeutung, als sie dem Künstler die Gelegenheit biete, körperliche Schönheiten von mehr als einer Art zusammenzubringen; der Ausdruck, die Vorstellung der Historie sei für ihn nur ein Mittel, seine lezte Absicht, mannigfaltige Schönheit, zu erreichen u. s. w.

Es erscheint uns heute ganz underständlich, wie Lessing zu einer so äußerlichen, das geistige Empfinden so wenig berücksichtigenden Auffassung gelangen konnte. Man denke nur, abgesehen von vielen herrlichen Schöpfungen der neueren Kunst, an die Gemälde des Polygnotus, die gerade durch ihren geistigen Inhalt, durch das Ethos, das Aristoteles an den in ihnen dargestellten Personen rühmte, veredelnd auf die Gefühle des Volkes einzuwirken, die Gemüter zu erheben, das nationale Empfinden zu stärken geeignet waren! Wer hätte wohl vor solche Gemälde treten und lediglich den Lessingschen Maßstab der Würdigung an sie legen können! Würde wohl auch Aristoteles dem Protogenes den Rat erteilt haben, die Thaten Alexanders des Großen zu malen (vergl. Abschnitt XI), wenn die alten Künstler von dem Wesen der Historienmalerei eine Auffassung gehabt hätten, wie sie Lessing voraussetzt? Unmöglich konnte Aristoteles mit seinem Rat meinen, Protogenes solle jene Thaten, von denen damals alle Welt sprach und von welchen er voraussehen konnte, daß sie auch der Nachwelt unvergeßlich sein würden“, nur als ein Mittel benußen, um körperliche Schönheiten von mehr als einer Art zusammenzubringen.1)

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Weiter erweist sich als unhaltbar die Behauptung: der Künstler dürfe nie Affekte darstellen, die den ganzen Körper in so gewaltsame Stellungen sehen, daß alle die schönen Linien, die ihn in einem ruhigen Stande umschreiben, verloren gingen; namentlich dürften höchste Affekte nicht dargestellt werden, weil sie sich nur in häßlichen Verzerrungen der Gesichtszüge äußern könnten.

Es ist schwer zu begreifen, wie Lessing beim Anschauen der Statue des Laokoon, selbst wenn er sie nur aus Abbildungen gekannt hätte, nicht

1) Daß es in der Historienmalerei nur auf Darstellung,,schöner Körper in schönen Stellungen in einem der Kunst vorteilhaften Raume" ankomme, sagt Lessing auch in Abschnitt XVI.

von Zweifeln an der Richtigkeit einer solchen Theorie erfaßt werden konnte, denn wir sehen in der Gruppe die gewaltsamsten Stellungen und die höchsten Affekte dargestellt, also gerade das, was Lessing dem bildenden Künstler untersagt. Daß sich aber höchste Affekte nur in häßlichen Verzerrungen der Gesichtszüge äußern könnten, ist eine Behauptung, die, abgesehen von Laokoon, durch zahlreiche Werke der alten und neueren Kunst widerlegt wird. Man denke nur an die Niobe.

Auch die von Leffing im Zusammenhang mit obiger Behauptung aufgestellte Regel: der Künstler müsse im Ausdruck Maß halten, Zorn auf Ernst herabseßen, Jammer in Betrübnis, Schreien in Seufzen mildern u. s. w., kann Geltung nicht beanspruchen. Diese Regel ist wohl nur aus dem vermeintlichen Gesez, nach welchem der Ausdruck hinter der Schönheit zurückstehen müsse, hervorgegangen. Daß die alten Künstler eine solche Regel nicht beobachtet haben, daß sie vielmehr gerade von dem Bestreben erfüllt gewesen sind, den Ausdruck zu seinem vollsten Rechte gelangen zu lassen, geht aus den Nachrichten hervor, die über eine Anzahl hervorragender Gemälde auf uns gekommen sind. Hätten sie vorzugsweise der körperlichen Schönheit bei ihren Darstellungen gehuldigt und den Ausdruck dagegen zurücktreten lassen, so hätte z. B. ein solches Gerücht nicht entstehen können, wie das über den gefesselten Prometheus des Parrhasios, nach welchem der Künstler, um sein Werk recht wirkungsvoll zu gestalten, den als Modell benußten Sklaven zu Tode gemartert habe.

Das „Maßhalten“ aus äußeren Schönheitsrücksichten könnte übrigens nur zu kraft- und ausdruckslosen Darstellungen führen, zu Werken, die ein nachhaltiges Interesse nicht zu erwecken vermöchten, wenn sie auch noch so schöne Formen zeigten; solche Werke gleichen, wie Goethe in den Gesprächen mit Eckermann von Gemälden dieser Art sagt, Schwertern, die nicht hauen, und Pfeilen, die nicht treffen.

Eine weitere unhaltbare Behauptung ist es, wenn Lessing sagt: der vom Künstler gewählte Moment dürfte nichts ausdrücken, was sich nicht anders als transitorisch denken lasse. Wenn Laokoon schreie, so erhalte eine solche Darstellung durch die Verlängerung der Kunst ein widernatürliches Ansehen, da er, wenn er schon schreie, doch nicht unab lässig schreie.

Nach dieser Auffassung vom Transitorischen wäre die Gruppe des Laokoon ganz verfehlt. Denn Lessing läßt den Laokoon seufzen, also, nach seiner Auffassung, gemildert schreien —, Laokoon ringt in gewaltsamer Anstrengung gegen die Umstrickung der Schlange, der eine Sohn windet sich bereits im Todeskampfe, aber alles dies dauert doch nicht unablässig. Wir sehen also in der Gruppe nur Transitorisches, dessen Darstellung dem Künstler, wie Lessing sagt, nicht gestattet sein soll.

Auf das Frrige in Lessings Ansicht hierüber hat auch Vischer aufmerksam gemacht, indem er darauf hinweist, wie sehr der Spielraum der Bildnerkunst eingeengt werden würde, wenn es nicht erlaubt sein sollte, das Augenblickliche darzustellen, wie wir es doch in den meisten Bildwerken dargestellt finden.

Ferner soll nach Lessings Ansicht der Künstler den Ausdruck nicht aus dem höchsten Punkte der Handlung nehmen dürfen; denn, thue er dies, so nötige er die Phantasie, da sie über den finnlichen Eindruck nicht hinaustönne, sich unter ihm mit schwächeren Bildern zu beschäftigen.

Auch diese Ansicht wird durch die Laokoongruppe entschieden widerlegt, denn in dieser wird dem Auge zweifellos das Äußerste gezeigt, der dargestellte Moment konnte gar nicht furchtbarer gewählt werden, da er uns die Katastrophe unmittelbar vor Augen stellt.

Wenn man den vorstehend erörterten Irrtümern die Ansichten Lessings über die Porträt, Genre- und Landschaftsmalerei hinzufügt und dazu die geringschäßige Art in Erwägung zieht, mit der er über die neueren Künstler im allgemeinen urteilt, indem er ihnen z. B. auch empfiehlt, fie sollten sich den Dichter als Vorbild nehmen und die Gedichte als eine Art von Vergrößerungsgläsern betrachten, durch welche sie Dinge bemerken könnten, die sie mit ihren eigenen bloßen Augen nicht unterschieden haben würden (man denke dabei an das von Eckermann mitgeteilte Urteil Goethes über die genialen Zeichnungen zu Faust von Delacroix) — so kann man sich nicht wundern, wenn die Lehren des „Laokoon“ bei den Künstlern keine Beachtung gefunden haben.

Die Irrtümer, in die Lessing bei seinen Untersuchungen über die bildende Kunst geriet, konnten nicht ohne Rückwirkung auf seine Urteile über die Poesie bleiben, als er die Grenzlinie zwischen beiden festzulegen und sie zu diesem Behufe in engem Zusammenhange mit einander zu betrachten unternahm. Da er überdies bei Aufstellung seiner Geseze über die Poesie nur die epische ins Auge faßte, mußte eine weitere Quelle irriger Behauptungen entstehen.

In Abschnitt XVI stellt Lessing folgende Säße auf: Die eigentlichen Gegenstände der Malerei sind Körper; es können aber auch Handlungen von ihr dargestellt werden, wobei jedoch nur ein einziger Augenblick derselben genußt werden kann.

Die eigentlichen Gegenstände der Poesie sind Handlungen; es können aber auch Körper von ihr geschildert werden, wobei jedoch nur eine einzige Eigenschaft derselben genußt werden kann.

Abgesehen davon, daß Lessing hier der Poesie und der Malerei zu enge Grenzen anweist, zeigt sich bei näherer Betrachtung die leztere Behauptung auch als sachlich ganz unbegründet. Denn wenn der einzige

Augenblick der Handlung bei der Malerei der prägnanteste sein muß, wie Lessing sagt, damit aus ihm das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten werde, so müßte die einzige Eigenschaft, welche dem Dichter für die Schilderung eines Körpers zu wählen nur erlaubt sein soll, dieselbe wichtige Bedeutung für den hervorzubringenden sinnlichen Eindruck haben. Dies ist aber in keiner Weise der Fall, wie sich aus der Betrachtung der Beispiele ergiebt, die Lessing zur Begründung seiner Theorie aus Homer anführt. Denn ob man ein Schiff das schwarze, oder das hohle, oder das schnelle Schiff nennt: für den Grad der Anschaulichkeit, der nach Lessings Meinung hierdurch erreicht werden soll'), ist dies ohne jede Bedeutung; solche Beiwörter haben lediglich den Wert eines epitheton ornans, und auch Homer hat ein weiteres mit ihnen nicht bezwecken wollen, denn er hat für jede Sache, die öfter von ihm erwähnt wird, gewisse herkömmliche Beiwörter. Die von Lessing aus obigem Saße abgeleitete Regel von der Einheit der malerischen Beiwörter und der Sparsamkeit in der Schilderung körperlicher Gegenstände kann daher keine Geltung beanspruchen und findet in dem, was Lessing die,,Praxis Homers" nennt, keine Stüße.,,Wenn Homer ein körperliches Bild braucht, so schildert er's", sagt Herder, und demgemäß schildert Homer sowohl die Schönheit des Agamemnon in einer Reihe von Versen (Ilias ß, 478–483), wie die Häßlichkeit des Thersites.

Bevor näher darauf eingegangen wird, wie sich Lessing zur Aufrechthaltung seiner Theorie mit diesen Thatsachen abzufinden sucht, muß seine Ansicht über die Praxis Homers" noch einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

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Es heißt hierüber in Abschnitt XVI:,,Zwingen den Homer ja besondere Umstände, unsern Blick auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand länger zu heften, so . . . weiß er durch unzählige Kunstgriffe denselben in eine Folge von Augenblicken zu sehen, in deren jedem er anders erscheint, und in deren leztem ihn der Maler erwarten muß, um uns entstanden zu zeigen, was wir bei dem Dichter entstehen sehen. 3. B.: Will Homer uns den Wagen der Juno sehen lassen, so muß ihn Hebe vor unseren Augen Stück vor Stück zusammenseßen. Wir sehen die Räder, die Achsen u. s. w.

Lessing erwartet also von jenen „Kunstgriffen“ (Verwandlung des Koexistierenden in ein Successives), daß wir vermittelst derselben zu einem anschaulicheren und lebhafteren Begriff eines körperlichen Gegen

1) Leffing sagt in Abschnitt XVI ausdrücklich, daß durch die einzige Eigenschaft ein möglichst sinnliches Bild eines Körpers erweckt werden solle.

standes gelangen, als wenn uns derselbe nach seinen Teilen nebeneinander geschildert wird.

Weiter sagt Lessing hierüber in Abschnitt XVII: „Der Dichter soll immer malen, und nun wollen wir sehen, inwiefern Körper nach ihren Teilen nebeneinander sich zu dieser Malerei schicken: . .,,Gesetzt auch, der Dichter führe uns in der schönsten Ordnung von einem Teile des Gegenstandes zu dem andern; geseßt, er wisse uns die Verbindung dieser Teile auch noch so klar zu machen: wie viel Zeit gebraucht er dazu? Was das Auge mit einem Male übersieht, zählt er uns merklich langsam nach und nach zu, und oft geschieht es, daß wir bei dem lezten Zuge den ersten schon wiederum vergessen haben. Jedennoch sollen wir uns aus diesen Zügen ein Ganzes bilden.“

Widerlegt hiermit Lessing nicht mit seinen eigenen Worten das, was er über die Wirkung der „Kunstgriffe" sagt? Führt uns Homer, indem er uns den Wagen der Juno sehen lassen will, nicht in der schönsten Ordnung von einem Teile desselben zum andern? Zählt er uns die einzelnen Teile nicht merklich langsam nach und nach zu? Kann die Verwandlung des Koexistirenden in ein Konsekutives etwas daran ändern, daß wir die einzelnen Züge, ebenso wie bei der Beschreibung eines Körpers nach seinen Teilen nebeneinander, erst nach und nach erfahren und dadurch in die Lage kommen, daß wir bei dem lezten Zuge den ersten schon wieder vergessen haben? Jedennoch sollen wir uns aus den einzelnen Teilen den vollständigen Wagen, wie ihn uns nach Lessings Meinung Homer sehen lassen will, bilden.

Auch Herder tritt in dieser Sache der Auffassung Lessings entschieden entgegen und geht dabei auf die von ihm angeführten Beispiele, den Wagen der Juno, den Bogen des Pandarus u. s. w. ausführlich ein. Er schließt seine Betrachtungen damit, daß er unverhohlen durchblicken läßt, Lessing habe das Wesen der Homerischen Schilderungen völlig verkannt, namentlich sei das, was er über die Kunstgriffe" sagt, deren sich Homer bei seinen Schilderungen bedient haben solle, ganz verfehlt.

Was nun die Schilderung körperlicher Schönheit anlangt, so sucht Lessing wiederum aus Homer nachzuweisen, daß der Dichter sich einer eingehenden Ausmalung derselben zu enthalten habe, weil die Elemente der Schönheit, nacheinander geordnet, unmöglich die Wirkung haben könnten, welche sie, nebeneinander geordnet, äußerten. Homer sei hier wieder das Muster aller Muster. Er sage: Nireus war schön, Achilles war noch schöner u. s. w.

Gleichwohl hat Homer, wie schon oben bemerkt, die Schönheit des Agamemnon ausführlich geschildert. Aber hier soll es wieder „ein sehr merkwürdiger Kunstgriff“ sein, den Homer angewandt habe, um mit

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