Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Vermessenheit, eine Überhebung, die eine wahre Reue noch nicht aufkommen läßt. Erst muß sie zu der Erkenntnis kommen:,, Verdient ichs die Gesendete zu sein, wenn ich nicht blind des Meisters Willen ehrte?" (V, 4). Eine Läuterung ist notwendig. Sie vollzieht sich in der Scene, in der Thibaut die eigene Tochter als Teufelsdirne vor König und Volk verklagt (IV, 11) und in den Tagen, wo Johanna, von dem treuen Raimond geleitet, von den Ihrigen verbannt, verkannt und verstoßen, vom Kampf der Elemente umtobt, die Wildnis durchwandert.

Bestünde Johannas Schuld nicht in der Liebe zu Lionel, sondern im eitlen Trachten nach irdischer Größe und in der Überschreitung ihres Berufes, so müßten dies ihre Selbstanklagen im 4. Akte oder ihre Bekenntnisse im 5. Akte doch irgendwie andeuten. Das ist mit nichten der Fall. Überall empfindet sie als Schuld einzig den Bruch ihres Gelübdes, der irdischen Liebe zu widerstehen. Eine einzige Stelle könnte, obenhin angesehen, für Valentins Auffassung zu sprechen scheinen. Den wiedergefundenen Schwestern ruft die Jungfrau die Worte zu:,,Wie eine niedre Magd will ich euch dienen, und büßen will ichs mit der strengsten Buße, daß ich mich eitel über euch erhob" (IV, 9). Aber auch diese Selbstanklage kann, näher betrachtet, für Johannas Hochmut nichts beweisen. Im Gefühle ihrer schweren Schuld empfindet fie es schon als frevelhafte Überhebung, daß sie, das fündhaft geborene schwache Weib, der göttlichen Berufung gefolgt ist, anstatt bei dem demütigen Widerstreben zu beharren, das sie anfänglich der Himmelskönigin entgegengesezt hatte: Wie kann ich solcher That mich unterwinden, eine zarte Magd, unkundig des verderblichen Gefechts!“ (I, 10). Daß sie, die in der Heimat,,wie eine niedre Magd die schwersten Pflichten still gehorsam übte" (Prolog, 2), diesen niederen Dienst aufgegeben hat, um einem höheren Berufe zu leben, das schon dünkt ihr im Zustande ihres Schuldbewußtseins ein Frevel. Sonach kann auch das an Raimond gerichtete Bekenntnis: Doch in der Öde lernt' ich mich erkennen" (V, 4) nicht als ein Geständnis ihres früheren eitlen Strebens gedeutet werden. Die Worte sind ganz einfach auf den Streit zwischen Pflicht und Leidenschaft zu beziehen, den der Anblick Lionels in ihrer Brust entfesselt hatte. barsten am Tage der Krönung, wo sie am meisten zu beneiden schien." In der Einsamkeit hat sie sich erkannt, d. h. fie hat sich wiedergefunden, indem sie ihre Liebesleidenschaft überwand und ihr Murren wider die Schickung Gottes bereuen lernte.

"

[ocr errors]
[ocr errors]

Dieser Streit tobte am furcht

In engem Zusammenhange mit seiner Auffassung der tragischen Schuld der Heldin steht Valentins Ansicht, daß sich Johannas Sehergabe und der wunderbare Zauber ihrer Persönlichkeit nur da

rein offenbare, wo sich ihr Herz nicht von Eitelkeit getrübt zeige, z. B. da, wo sie zum erstenmale vor den König tritt (I, 10), und da, wo sie den Burgunder mit du Chatel versöhnt (III, 4). Die Annahme kann jedoch vor einer näheren Prüfung ebenfalls nicht bestehen. Bewährt die Jungfrau ihre Wundergabe nicht auch in der nach Valentins Ansicht für ihre Ruhmsucht besonders bezeichnenden Montgomeryscene? „,Furchtbar ist Deine Rede", sagt der Walliser, doch Dein Blick ist sanft, nicht schrecklich bist Du in der Nähe anzuschauen, es zieht das Herz mich zu der rührenden Gestalt." Also auch auf den erschreckten Feind, der das Furchtbare ihres Berufs am meisten empfinden muß, wirkt die ursprüngliche Milde ihrer weiblichen Natur mit magnetischer Anziehungskraft. Gerade diese Worte sind für die Auffassung von Johannas Charakter von größter Bedeutung und geben der denkenden Darstellerin den wichtigsten Fingerzeig, da hier der Dichter den Gegensag zwischen menschlichem Fühlen und übermenschlicher Pflicht, der später zum tragischen Konflikt sich gestaltet, schon in der äußeren Erscheinung der Heldin, in dem Kontrast ihres milden Gesichtsausdruckes zu der harten Rede dem Zuschauer feinsinnig zum Bewußtsein bringt. Gleich nach der Besiegung des Wallisers und nach dem angeblich selbst= gefälligen" Gebet offenbart sie ihre wunderbare Macht über die Gemüter auf das Herrlichste durch die Bekehrung des Burgunders zur Sache seines Königs und seines Vaterlandes. Ja, bewahrt sie den geheimnisvollen Zauber der Persönlichkeit nicht sogar im Augenblick ihres Falles? Ist es nicht ein wunderbares Etwas, das den besiegten Lionel zu den Worten hinreißt: „Mich faßt ein ungeheurer Schmerz um Dich und ein unnennbar Sehnen Dich zu retten"? (III, 10.) – Was nun Johannas prophetische Gabe anlangt, so ist es allerdings nicht leicht, sich von deren Trag= weite einen klaren Begriff zu machen, aber soviel leuchtet ein, daß sie nicht unbegrenzt gedacht ist. Inwiefern sind nun ihrem Seherblicke Grenzen gezogen? Der Länder und der Könige Geschick liegt sonnenflar vor meinem Kindesblick" (III, 10). Die Wahrheit dieser Worte bewährt sie da, wo sie dem Dauphin den Inhalt seiner Gebete nennt (I, 10), und da, wo sie ihm und dem burgundischen Herzog die Zukunft ihrer Häuser enthüllt. Dagegen weiß sie über ihr eignes Schicksal nichts Bestimmtes außer dem, was ihr verheißen ist. In dieser Beziehung geht ihre Sehergabe über ein gewisses prophetisches Ahnungsvermögen nicht hinaus. Wohl ahnt sie dunkel, daß sie das Opfer des Kampfes werden soll; dem fragenden Erzbischofe aber antwortet sie: „Ich weiß noch nicht zu sagen, was mir der Geist gebieten wird zu thun, doch, wenn die Zeit kommt, wird mir seine Stimme nicht schweigen, und gehorchen werd' ich ihr" (III, 4). Sie, die die fünftigen

Geschicke der Völker kennt, muß sich bezüglich ihres eignen Schicksals bei dem Wissen bescheiden, dessen Offenbarung sie von der Zukunft erwartet. Wie ihr der „schwarze Ritter" entgegentritt (III, 9), ahnt sie wohl, „daß ihr das Unglück an der Seite steht“, daß sie es mit einem Höllengeist zu thun hat, und insofern kann sie dem höhnenden Gespenste sagen, daß die Prophetenstimme laut in ihrer Brust rede; da aber das Erscheinen des Geistes und die gesamte Unterredung mit ihm ihr eigenes Schicksal zum Gegenstande hat, so zeigt sie konsequenterweise auch hier kein bestimmtes Wissen. Man wird demnach nicht behaupten können, es sei charakteristisch für die Entfremdung Johannas von ihrem eigentlichen Berufe, daß ihr hier die Stimme des Prophetengeistes schweige". Das Verfahren des Dichters, der die Heldin von ihrem eigentlichen künftigen Schicksal nur soviel wissen läßt, als ihr die göttliche Verheißung sagt, daß er ihr darüber hinaus nur ein unbestimmtes Ahnungsvermögen zuerkennt, rechtfertigt sich von selbst. Man seze doch einmal den Fall, Johanna wüßte bestimmt, daß sie den Bund nicht zu halten vermöge, daß sie der Liebesleidenschaft für den Feind erliegen werde, um sofort zu begreifen, daß alsdann ihre Befreiungsthat undenkbar und mithin das ganze Drama unmöglich wäre.

"

Wenn ich in dem vorstehenden Aufsaße die Bedenken mitgeteilt habe, die eine Nachprüfung der Beweisführung Valentins in mir wachgerufen hat, so will ich von dem Gegenstande meiner Betrachtung nicht scheiden, ohne eines Vorzuges der gedankenreichen Arbeit zu gedenken, der mich höchst sympathisch berührt hat. Es ist das grundsätzliche edle Be= mühen, den Dichter durch ein liebevolles Eingehen auf seine Eigenart zu begreifen und zu genießen, das glänzend absticht von dem Pharisäerdünkel vieler sogenannter Ästhetiker, die sich berechtigt glauben, über einen Schiller den Stab zu brechen, weil er die Welt anders gesehen und dargestellt, als sie sich in ihren Köpfen malt. Diese bescheidene Art der ästhetischen Betrachtung, wie sie Valentin in seinem jüngst erschienenen Werke über Goethes Faust" mit so schönem Erfolge bewährt hat, und die dem vortrefflichen Buche Bellermanns über Schillers Dramen einen so hohen Rang in der Schillerlitteratur anweist, sie geziemt wahrlich ganz vornehmlich gegenüber einem Werke, dem sein bescheidener Schöpfer das stolze Wort mit auf den Weg gab:

[ocr errors]

„Dich schuf das Herz, Du wirst unsterblich leben.“

Übungen zur Förderung des deutschen Aufsakes in Obertertia.

Von Oskar Uhlig in Schneeberg.

Mich beschäftigt, solange ich den deutschen Unterricht in Obertertia habe, besonders lebhaft die Frage: auf welche Weise hilft man der Klasse, daß sie im deutschen Aufsaß besseres leiste? Im Durchschnitt besseres, meine ich, denn unter 24 Schülern, das war etwa die Anzahl meiner Obertertianer in den lezten vier Jahrgängen, sind ja wohl der vierte bis dritte Teil tüchtig und geschickt, dafür aber sind die Hälfte fast immer nur ganz schwerfällige Arbeiter und der Rest ist einfach unbrauchbar, sofern man das von ihm verlangt, was vorgeschrieben steht, nämlich auch Erläuterungen von Sentenzen oder Sprichwörtern, Vergleichungen, leichte Charakterschilderungen.

Da bin ich nun von Jahr zu Jahr immer mehr der Überzeugung geworden, daß man nicht genug Zeit verwenden kann auf mündliche Redeübungen, wie sie ja auch in der Lehrordnung vorgesehen sind. Dort heißt es hierher gehörig: Leichte Übungen im freien Vortrag im Anschluß an Durchgesprochenes oder Gelesenes.

Auch sonst hat man auf derartige Übungen hingewiesen. Schmid in dem Abschnitte,, Auffäße in höheren Anstalten" (Encyklopädie I. S. 303) bezeichnet sie als eine wichtige Vorstufe der deutschen Auffäße in jeder Klasse. Matthias in einem Lemgoer Gymnasialprogramm (enthalten ist darin ein außerordentlich geschickter Lehrplan d. d. U.) sagt: „In Tertia müssen diese Uebungen den schriftlichen Arbeiten beständig vorarbeiten, so daß leztere organisch aus den mündlichen Stilübungen hervorwachsen. Man arbeitet auf diese Weise am erfolgreichsten an gegen das schon in TertianerArbeiten üppig ins Kraut schießende Tintendeutsch.“

Nun aber ist es bei den 2 Stunden, die dem deutschen Unterrichte zustehen, überaus schwer, für solche Übungen in mündlicher Rede ausreichende Zeit zu gewinnen. Marg in seinem Aufsaße,,Redeübungen“ (Encykl. VI. S. 888) empfiehlt, immer höchstens die vierte Stunde dazu zu verwenden. Damit kann ich mich aber nicht einverstanden erklären. Ich nähme am liebsten von jeder Stunde 10, auch 15 Minuten dazu. Leider läßt sich das nicht immer durchführen, und so habe ich seit ge= raumer Zeit einen Raub begangen an den lateinischen und griechischen Lektürestunden, die ich zu diesem Zwecke heranzog. Wer freilich nicht in der glücklichen Lage ist, außer in Deutsch, zumindest wenigstens noch in einer der beiden alten Sprachen in derselben Klasse zu unterrichten, wird wohl oder übel sich sagen müssen: es ist unmöglich, von zwei Stunden soviel Zeit auf jene Übungen zu verwenden, daß etwas dabei herauskommt, daß der Klasse damit geholfen wird.

Ich will nun in kurzen Zügen zeigen, wie ich diese Übungen, also vorzüglich auch während der altsprachlichen Lektürestunden, handhabe.

Zunächst lasse ich die Schüler im Anschluß an die Lektüre kleinere Referate geben. Ist also z. B. das Gedicht,, Der Kampf mit dem Drachen" gelesen und besprochen, so werden etwa folgende Themata gestellt: Entstehung des Johanniterordens, Geschichte des Johanniterordens bis 1312, Ordenstracht und Einteilung der Ritter, der Drache auf Rhodos, die Kapelle auf Rhodos, kurze Lebensgeschichte des Ritters und ähnliches. Unter diesen Überschriften referieren die Schüler über das, was ihnen mitgeteilt wurde und was ihnen aus dem Gedichte bekannt geworden ist. Den Einwurf, daß auf solche Weise dem Schüler der ungetrübte Genuß eines Dichterwerkes verleidet werde, weise ich zurück. Ich habe eine dahingehende Bemerkung nicht gemacht, habe im Gegenteil das regste Interesse beobachtet, eine Art Spannung der Klasse1): unter welchen Gesichtspunkten werden wir denn heute Bericht zu erstatten haben über das Dagewesene? Natürlich muß die Sache mit Frische betrieben werden, nicht sauertöpfisch. Wenn also X vorn steht und will nicht recht vom Flecke kommen, so hilft man ihm mit einem Saße auf die Sprünge, kommt ihm überhaupt gleich zu Hilfe, wenn er stockt, nicht in tadelnder Weise, sondern aufmunternd, das merkt der Knabe aus dem Tone. Ist er dann fertig, so kommt ein anderer an die Reihe, mit einem anderen Thema. In 5 Minuten muß jeder die Aufgabe erledigt haben. Kabinettstückchen unter den Überschriften, die's wohl werden könnten, find es zunächst natürlich nicht. Man muß viel Geduld haben, darf sich's nicht verdrießen lassen, immer und immer wieder anzukämpfen gegen das Unnatürliche, das Gezwungene in der Ausdrucksweise. Der Aufmunterung: erzähle so, wie Du etwa draußen einem Kameraden oder daheim jemandem berichten würdest, begegnen fie immer mit einem leisen Zweifel, sie trauen dem Landfrieden nicht, stehen lange Zeit unter dem Banne des Gefühls, als sollten sie etwas ganz besonderes leisten. Von diesem Banne aber müssen sie befreit werden, und deswegen habe ich je länger je mehr Zeit auf solche Übungen verwendet.

In den lateinischen und griechischen Lektürestunden lasse ich in derselben Weise, von verschiedenen Seiten betrachtet, mir kurz den Inhalt der gelesenen Kapitel wiedergeben. Also etwa so, daß, nach der Durch

1 Wir können dem nur beistimmen. Durch eine solche Behandlung des Inhalts wird bei den Schülern in den meisten Fällen überhaupt erst das Interesse an dem Lesestück oder Gedicht erweckt. Das müssen traurige Lehrer sein, die so wenig Kunst in der Behandlung eines Gedichts zeigen, daß dadurch dem Schüler das Gedicht verleidet wird. D. L. d. Bl. 18

Zeitschr. f. deutschen Unterricht. 10. Jahrg. 4. Hest.

« ZurückWeiter »