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Zur Auff. d. Charakt. v. Schillers,,Jungfrau von Orleans". Von Ed. Otto. 251

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gedeihlichen Sprachunterrichts in der Volks- und Bürgerschule“ (Öst. Schulbote Nr. I. II). „Vorbedingungen“ auf Seiten des Lehrers sind gemeint, und es werden als solche bezeichnet: Tiefe und Vielseitigkeit des Denkens Umsicht und Feinheit der Unterscheidung (bei Auswahl, Anordnung, Verbindung, Durchführung der Stoffe, Maßnahmen, Arbeiten) vollkommene Beherrschung der Sprachformen, ausgebildetes Sprachgefühl; klare Einsicht in die Sprachentwickelung; vielseitige, von einem selbständigen und geläuterten Urteil unterstüßte Litteraturkenntnis - bedeutende, von philosophischem Geist durchdrungene allgemeine und von warmer Begeisterung für Schule und Kinderwelt getragene pädagogisch-didaktische Bildung überhaupt. Mit der Kraft edler Überzeugung weist Ehrat die Unerläßlichkeit dieser Bedingungen nach; ferner zeigt er, wie für ihre Erfüllung vorgesorgt werden kann. Freilich der Volksschullehrer, welchen uns Ehrat vorführt, ist ein Meister, der in der Wirklichkeit äußerst selten zu finden ist; er selbst gesteht, daß die Vereinigung der von ihm gewünschten Eigenschaften „nicht so leicht bei einem und demselben Lehrerindividuum vorkommen kann“. Infolgedessen muß er notwendig eine von der gegenwärtig betriebenen wesentlich abweichende Lehrerbildung fordern: einen Bildungsgang, der nicht schon das ist in erster Linie zu bedenken (Ehrat spricht jedoch nicht davon) - mit dem 20. Lebensjahre abschließt. Denn das ist klar: ein Zwanzigjähriger kann jene Eigenschaften noch nicht besißen. — Mit dieser Anmerkung wollen wir den bedeutenden inneren Wert der Ehratschen Forderungen nicht im geringsten herabseßen; nur dürfen sie erst von einer ziemlich fernen, heute noch gar nicht absehbaren Zukunft Erfüllung erwarten.

Bur Auffassung des Charakters von Schillers
,,Jungfrau von Orleans".

Von Eduard Otto in Darmstadt.

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In den Berichten des Freien deutschen Hochstifts (Neue Folge 10. Bd, S. 19 flg.) hat Professor Dr. Veit Valentin einen gedankenreichen Vortrag über das künstlerische Hauptproblem in Schillers Jungfrau von Drleans" erscheinen lassen, der in folgendem Sage gipfelt: Eine reine Seele, wie sie auf dem Boden einer bestimmten Weltanschauung sich gestaltet, unterliegt zeitweilig den Verlockungen des eitlen Trachtens ihres Herzens und arbeitet sich, durch eine schwere Strafe getroffen und geweckt, zu dem erneuten Zustand höchster Seelenreinheit durch, der nun aber erhöhten Wert hat: was ursprünglich Naturanlage

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war, wird schließlich das Ergebnis eines sittlichen Handelns" (S. 37). Diese Auffassung unterscheidet sich von der gewöhnlichen wesentlich dadurch, daß sie die tragische Schuld der Heldin nicht in ihrer Liebesleidenschaft für Lionel sieht, sondern in dem „eitlen Trachten ihres Herzens. Darunter ist das Streben nach irdischer Größe, die Ruhmsucht zu verstehen, deren sie schon Dünger geziehen hat. Die ganze Darstellung Valentins ist so geistvoll und fesselnd, sie erscheint auf den ersten Blick so folgerichtig, sie giebt vor allen Dingen eine so ansprechende Motivierung der vielbesprochenen und vielangefochtenen Montgomeryscene, daß der Leser, der über das Problem der Dichtung vorher anders gedacht hat, für den Augenblick an seiner Meinung irre wird und sich zu einer Prüfung seiner eignen Auffassung und zu einem Vergleiche seiner Meinung mit derjenigen Valentins angeregt fühlt. So ist es wenigstens mir ergangen, als ich den Auffah las. Als Lehrer des Deutschen in der Obersekunda, für welche die Lektüre der „Jungfrau von Orleans“ vorgeschrieben ist, hatte ich besondere Veranlassung, mich mit den hier vorgetragenen Ansichten auseinanderzusehen. Das Ergebnis dieser Prüfung und Vergleichung möchte ich den verehrten Fachgenossen im folgenden darlegen.

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Nach Valentin (S. 26) muß die Jungfrau, die eines überirdischen Verkehrs gewürdigt wird, sich bevorzugt glauben und als Grund dafür annehmen, daß sie besser ist als ihre Umgebung. Damit", fährt er fort, ist der Keim des Dünkels, des Hochmuts in sie gelegt: die, die sie am besten kennen, sind sich auch dessen sehr wohl bewußt." Daß die Berufung zu einem hohen Werke auf den Menschen diese Wirkung ausüben kann, wird man ohne weiteres zugeben, ja vielleicht sogar, daß diese Folge wahrscheinlich ist; daß sie aber eine „, Notwendigkeit“ sei, wird man nicht beweisen können. Doch sehen wir, wie Valentin das Vorhandensein dieses Eigendünkels schon vor ihrem Eingreifen in die Geschicke ihres Vaterlandes nachzuweisen sucht. Er beruft sich zunächst auf das Zeugnis ihrer Angehörigen. Freilich wird in der Regel die Eigenart einer Persönlichkeit den Mitgliedern der Familie am meisten vertraut sein; bei Johanna aber trifft dies offenbar ausnahmsweise nicht zu. Sie ist so grundverschieden von den Jhrigen geartet, daß sie ihnen fast fremd gegenübersteht. Ihre Gedankenwelt ist eine völlig andere als die ihres Vaters und ihrer Schwestern. Ihr Gemütsleben ist von einer Tiefe, die gewöhnliche Naturen eben nicht zu ergründen vermögen. Ein Mann, der angesichts der Not seines Vaterlandes und der Bedrängnis seines Königs seine Nachbarn ermahnt, still gehorchend zu harren, wen der Sieg ihnen zum König geben wird, muß seiner von Vaterlandsliebe durchglühten Tochter fremd sein, kann für deren edle

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Leidenschaft kein Verständnis haben.,,Was für ein Geist ergreift die Dirn?" ruft er verständnislos, als sie ihre Begeisterung für die Sache ihres Königs und ihres Vaterlandes in hinreißenden Worten ausströmen läßt (Prolog 3). Ja, man darf sagen, der Nachbar Bertrand, der dem Vater Arc zuruft: Euch gab Gott eine wundervolle Tochter", steht dieser innerlich näher als Thibaut. Wie in andern Stücken Schillers - ich erinnere an den Präsidenten und Ferdinand, an Don Philipp und Don Carlos, an Octavio und Max Picolomini — stehen hier Vater und Kind in schroffstem Gegensaße, verkörpern sie einander entgegengesezte Weltanschauungen. Daß Johannas eigenartige, tiefangelegte Natur den Ihrigen unverständlich ist, beweisen die Worte Louisons: ,,Sie war uns fremd, da sie noch unser war“ (IV, 7). Es liegt kein zwingender Grund vor, aus diesen Worten mit Valentin den Schluß zu ziehen, Johanna habe sich durch Dünkel und Hochmut den Angehörigen entfremdet. Wohl hat sie zu einer Zeit, wo ihre Seele von schwärmerischer Vaterlandsliebe und von dem Wunderbaren, was sie erlebt, ganz erfüllt war, mit den Ihrigen nie,,so freundlich" gesprochen. Diese aber haben ihr Verhalten eben infolge des Unvermögens, ihren Seelenzustand zu erkennen und zu würdigen, falsch gedeutet. Auch Margots Verwunderung darüber, daß die Schwester nicht stolz" sei (IV, 9), kann nicht als Beweis für Johannas Überhebung gelten. Wer das Bauernvolk kennt, der weiß, daß es sich einen Menschen, der aus niederen Kreisen zu einer höheren Schicht der Gesellschaft emporgestiegen ist, gar nicht anders vorstellen kann als hochmütig, und daß es zu dieser Vorstellung gewissermaßen berechtigt ist. Das naive Landkind Margot kann sich die Schwester, die unter den Großen dieser Erde wandelt, nur stolz denken und ist überrascht, als diese ihr freundlich, ja zärtlich entgegenkommt. Daraus, daß die kurzsichtigen Ihrigen Johanna für hochmütig halten, geht wahrlich nicht hervor, daß sie es wirklich ist.

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Wir haben jedoch überdies ein direktes Zeugnis wider die irrige Auffassung der Angehörigen der Jungfrau aus dem Munde Raimonds, dessen tiefes und inniges Gemüt das Wunderbare in Johannas Wesen wenigstens ahnt. Er beurteilt sie offenbar gerechter als ihr Vater, wenn er diesem entgegnet: Wer hegt bescheidnern, tugendsamern Sinn als Eure fromme Tochter? Ist sie es nicht, die ihren ältern Schwestern freudig dient? Sie ist die hochbegabteste von allen, doch seht Ihr sie gleich einer niedern Magd die schwersten Pflichten still gehorsam üben". (Prolog 3). Und diesen Thatsachen vermag selbst der Schwarzseher Thibaut nicht zu widersprechen. Auch im ferneren Verlaufe der Handlung wird gerade ihr demütiger Sinn von andern

mehrfach erkannt und gerühmt. Der Erzbischof giebt ihr (III, 4) das schöne Zeugnis, daß sie verschämt den eiteln Blick gemeiner Augen meide (III, 3). Des Ruhmsüchtigen Art aber ist es nicht, sich den Blicken einer ihn vergötternden Menge zu entziehen. „Johannas schönster Schmuck“, sagt La Hire (III, 4), „, kenn ich sie recht, ist ihr bescheidnes Herz; sie strebt nicht schwindelnd ird'scher Hoheit nach“ (III, 4). Wollte uns der Dichter eine vom Streben nach irdischer Größe Bethörte vorführen, so that er wahrlich nicht wohl daran, ihre Bescheidenheit und Demut so nachdrücklich hervorheben zu lassen.

Ich glaube, die angeführten Zeugnisse sprechen laut für die Aufrichtigkeit ihrer eigenen Worte: „Will es der Himmel, daß ich sieggekrönt aus diesem Kampf des Todes wiederkehre, so ist mein Werk gethan, und die Hirtin hat kein Geschäft mehr in des Königs Hause“ (III,4). Es ist kein eitler Versuch, ihr Gewissen zu betäuben (wie Valentin meint), wenn sie spricht: „Mich treibt nicht eitles, irdisches Verlangen" (Prolog 4). Ein Anderes noch widerstreitet der Auffassung Johannas als eines durch Ruhmsucht geblendeten Weibes: ihre Todesahnung und die Art wie diese zum Ausdruck kommt. „Ich muß mich treibt die Götterstimme, nicht eigenes Gelüst — euch zum bittern Harm, mir nicht zur Freude, ein Gespenst des Schreckens würgend gehen, den Tod verbreiten und sein Opfer sein zuleßt." Diese an Montgomery gerichteten Worte (II, 6) sind wahrlich nicht Worte einer Prahlerin. Ein Gespenst des Schreckens"! Spricht so eine Eitle, eine Ruhmsüchtige? Vom Heldentode, den sie ahnt, müßte sie doch nicht im Tone düsterer Melancholie, sondern im Tone freudiger Ekstase sprechen, wäre Ruhm ihr Ziel.

Wie steht es nun aber mit ihrer Erhebung in den Adelstand? (III, 4). Ist die Annahme dieser weltlichen Ehre nicht als Beweis für das eitle Trachten anzusehen? -,,Das Glück wohnt droben in dem Schoß des ew'gen Vaters". Diese Worte, die sie unmittelbar vor ihrer Adelung spricht, sollten vor jener Auffassung warnen, wonach Johanna durch die schweigende Hinnahme dieser Standeserhöhung ihr Streben nach irdischer Hoheit bekunden soll. Wären sie nichts weiter als eine inhaltleere Phrase, so müßte die Heldin unsere Sympathie einbüßen. Geradezu verächtlich aber müßte sie erscheinen, wenn sie, fündigen Hochmut im Herzen, dem Könige zuriefe:,,Der Hochmut nur kann ihn (deinen Stamm) zum Falle bringen." Wie aber erklärt es sich, daß sie die Verleihung der Adelswürde schweigend hinnimmt? Gaudig1), der Düngers argumentum ex silentio mit Recht verwirft, sagt:,,Johanna

1) Aus Deutschen Lesebüchern, V. Bd. 3. Abt., S. 186.

schweigt, weil sie nicht ablehnen will und nicht danken kann."1) Aber das ist keine befriedigende Erklärung. Warum will sie nicht ablehnen? Eine Ablehnung würde der König, der das lebhafte Bedürfnis fühlt, Johanna zu belohnen, als eine unverdiente Kränkung empfinden. Das scheint die Meinung des Erklärers zu sein. Er mag recht haben, doch kommt auf diese Rücksicht auf den König wenig an, entscheidend ist vielmehr folgendes: „Johanna muß diesen Beweis königlicher Gnade betrachten als die Erfüllung der göttlichen Verheißung: Doch werd' ich dich mit kriegerischen Ehren, vor allen Erdenfrauen dich verklären“ (Prolog 4). Diese Ehre ist also für sie etwas von Gott Gewolltes, wogegen sie sich nicht sträuben darf, während sie ankämpfen muß gegen das Vorhaben des Königs, sie,,einem edlen Gatten zu vermählen“, weil es ihrem Bunde mit Gott widerstreitet. Daß Johanna dem Könige nicht dankt, erklärt sich sehr einfach daraus, daß die an die Adelung sich unmittelbar anschließende Brautwerbung Dunois' und La Hires das Interesse aller Anwesenden, vornehmlich aber der Jungfrau selbst, auf etwas ganz anderes ablenft.

Nach Valentins Meinung freilich ist jene göttliche Verheißung nichts als eine Ausgeburt von Johannas Phantasie. Über ihre Berufung berichtet sie bekanntlich zweimal, einmal im Prolog (4. Auftritt), ein andermal vor Karl (1, 10). Beide Berichte sind nach Valentins Meinung Erzählungen des nämlichen Vorgangs, nur daß der zweite Bericht die Thatsachen unverfälscht wiedergiebt, während das Selbstgespräch des Prologs den Hergang in der Färbung vorführt, den ihm Johannas hochmütige Selbstgefälligkeit gegeben hat. Es ist dies ein meines Wissens ganz neuer scharfsinniger Versuch, die manchen Ästhetikern verwunderliche, ja anstößige Thatsache zu erklären, daß sich überhaupt zwei derartige Berichte finden. Verwunderlich kann sie jedoch nur der finden, der sich von dem Vorurteile nicht zu trennen vermag, daß es sich hier nicht um zwei miteinander verwandte, aber doch unterschiedliche seelische Erlebnisse, sondern in beiden Fällen um das nämliche handle. Wenn man einem Dichter wie Schiller zutraut, daß er sich durch Achtlosigkeit und Ungenauigkeit mit sich selbst in Widerspruch sehe, so heißt das ihn beleidigen. Valentin hat also vollkommen recht, wenn er die zwischen beiden Berichten bestehende Verschiedenheit als eine vom Dichter gewollte betrachtet. Und doch irrt meines Erachtens auch er und zwar darin, daß er in der Erzählung des Monologs allerlei willkürliche Zuthaten erkennen will, die Johannas Eitelkeit und Selbsttäuschung ihre Entstehung verdanken sollen. Dazu gehört nach seiner Meinung die

1) Ebendas. S. 184, Anm. 1.

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