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Nun spielt aber das 3 der Zusammenseßung eine nicht geringe Rolle auch bei weiblichen Bestimmungswörtern. Unecht uneigent lich, d. h. eigentlich mit unechtem Bindekonsonanten" nennt Tobler,,diejenigen Komposita, die aus falscher Analogie der zahlreichen Maskulina und Neutra mit Genitiv-3 diesen Buchstaben auf Feminina übertragen haben." Zunächst freilich fallen uns hier Wörter ein, deren beide Teile durch ein subjektives oder objektives Genitivverhältnis, mithin uneigentlich, verbunden sind: Einbildungskraft, Festungsbau, Befestigungskunst, Verheißungsland, Krankheitssymptom, Wahrheitsliebe, Liebeserklärung, Liebesband (,,Band der Liebe“ M. Heyne, D. Wörterbuch). Doch eine Menge der gebräuchlichsten Wörter dieser Bildung geht über diese enge Bedeutung hinaus: Liebe-s-dienst ist, nach M. Heyne, ein Dienst, der aus Liebe geleistet wird, Liebe-s-kummer ein Kummer, durch Liebe verursacht, Liebe-3-schwur ein Schwur, durch den man jemanden seiner Liebe verfichert; Sizung-s-saal ist ohne Zweifel ein Saal, wo Sißungen abgehalten werden, Warnung-s-zeichen ein Zeichen, das zur Warnung dient u. v. a., denen nach Grimm volles Bürgerrecht nicht zu bestreiten ist; sagt doch der Altmeister ausdrücklich:,,Es hat sich zuletzt aus dem genitivischen -8, als der häufigsten uneigentlichen Komposition, für gewisse Fälle ein Analogon von Kompositionsbuchstaben zu eigentlicher entfaltet, das formell und materiell den Kasus verleugnet, daher sich auch an Feminina fügt."

Dennoch möchten wir nicht gern alles gutheißen, was seitdem auf diesem Boden erwachsen ist. An das obige,,Gesang-s-fest" schließt sich Boot-3-fahrt, an Recht-8-sprechung: Rücksicht-8-nahme und Auskunft-3-geber, an Gedicht-s-auswahl: Nachricht-s-blatt (,,Die Henne“ in Ilmenau) und Sammlung - 3-faal (für mineralogische und geologische Sammlungen im Bibliothekgebäude in Göttingen) würdig an. Mit dem Kompositum Bibliothekgebäude stehen wir schon nicht mehr auf der Höhe der Zeit, denn namhafte Schriftsteller reden neuerdings nicht bloß von Bibliothek - 3 - angelegenheiten, sondern eben auch von einem Bibliothek-3-gebäude und Bibliothek-s-wesen, sodaß auch gegen Fabrik-s-artikel kaum noch etwas einzuwenden ist. - Auch hier scheint ein Wort leicht das andere nachzuziehen; nachdem in unseren Städten (z. B. Hannover) Miet-s-tutscher festen Fuß gefaßt hatten, durften die Zeitungen beginnen, über Miet-s-wohnungen und Miet-s-kasernen zu berichten, und der preußische Herr Finanzminister konnte seine Steuerzahler über die Bedeutung von Miet-s-wert, Miet-3-preis und Miet-s-zins belehren; Weigand und noch Heyne haben lauter Zusammenseßungen mit der Form Mietund deuten nur erst leise an, daß man wenigstens auch Miet-s- mann und Miet-sleute sagen kann.

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Worin besteht denn der Vorzug der neuen Formen? Die Einführung der scheinbaren Genitivform an Stellen, wo sie nicht genitivisch genommen sein will, kann unmöglich dem besseren Verständnis dienen. Doch vielleicht dem Wohllaut? Das könnte ja als Geschmackssache dem individuellen Urteil anheimzufallen scheinen. Aber warum haben wir denn allgemein das Genitiv-s des starken Adjektivs fallen lassen? Zwar pflegen wir in heiterer Stimmung wohl noch gutes Mutes zu sein; der sprachlich genaue Uhland aber schreibt in seinen Gedichten: „jeden Opfers wert" und schweren Ganges", und wir alle lassen nach Schillers Vorgang ehrliche Leute an Räubern,,eilenden Laufes" vorüberfliehn. Nun schreibt zwar Grimm anno 1826 in anscheinend verdrießlichem Ernste:,,Solcher Verderbnis im einzelnen ungeachtet, dauert im ganzen die richtige und notwendige Unterscheidung zwischen eigentlicher und uneigentlicher Zusammensetzung bis auf den heutigen Tag fort. Mit Verkennung jeder derselben sind erst neulich unbefugte, hoffentlich erfolglose Angriffe gegen das genitivische-s ge= richtet worden; eingebildetem Wohllaut zu Gefallen sollte es aus den meisten Kompositis getilgt werden. Von so kränklicher Ansicht der lebenden Sprache wissen sich unsere Nachbarn frei zu halten; keinem Holländer.. wird es einfallen, sein koningszoon, vuursnood in koningzoon, vuurnood . . . zu verderben." Allein die Fälle von „Verderbnis“, auf welche der Meister bei seinen Worten zurückblickt Volkstum, Volkslied, Volkssage sind die allerärgsten scheinen nach unserm heutigen Sprachgefühl so harmloser Art, daß niemand mehr daran Anstoß nimmt; die Beispiele aus dem Holländischen zeigen, daß das, wogegen er Verwahrung einlegt, etwas anderes ist, als die Wucherung einer ,,unecht uneigentlichen Komposition", die wir hervorgehoben haben, und gerade die Berufung auf die Nachbarsprachen erinnert uns daran, daß mindestens das Holländische und Englische, des Französischen zu geschweigen, im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts nichts Ähnliches aufzuweisen haben. Kann nun im Entwickelungsgang einer Sprache nicht wohl von bloßer Modesache die Rede sein, so müssen bei der sichtlich wachsenden Neigung für das Kompositions - 3 andere positive Momente mitwirken, und ich glaube nicht in der Annahme zu irren, daß diese phonetischer oder vielmehr lautphysiologischer Art sind. Formen wie Frühling-3-tag neben Sommer, Winter, Herbsttag, das nicht mehr ungewöhnliche Mittag-s-essen neben Abendessen und Morgenbrot, Liebe-s-traum neben Dichtertraum (Uhland), Engel-3-bild (Eichendorff) neben Engelstimme und Engelzunge (Goethe und Luther), Gefecht-s-feld (Moltke) neben Kampffeld und Kampsplay u. v. a. Kampfplay u. v. a. scheinen darauf hinzudeuten, daß durch das eingeschobene-s den Sprachorganen der Übergang vom

ersten zum zweiten Teil der Zusammensetzung erleichtert werden soll, und das vor allem ist es, was ich einer kundigeren Feder zu näherer Untersuchung überlassen möchte.

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Immerhin freilich zeigen, neben manchen andern oben aufgeführten Formen wie Blut-s-freund für das richtigere ältere Blutfreund neben Braut-führer, Heimat-s-land neben heimat-lich, großmut-3-voll neben arbeit-voll (beide bei Schiller) und gar das fast beispiellose „beispiel-slos“ (Prof. Koch, Geschichte der deutschen Litteratur), daß auch die Analogie als blinder Trieb hier Einfluß übt nicht zu Gunsten einer einfachen und wohllautenden Sprache, und da gilt denn ein videant consules für alle, denen die Pflege der Muttersprache bei der Jugend obliegt. So gut ein Lessingisches Bewegungsgrund" dem einfacheren Beweggrund hat weichen müssen, wird auch das Eindringen von „Schreibungsfehlern" (Dr. Große, Äsops Fabeln) und andern unschönen Kompositionsformen sich hindern lassen. Noch besigen wir einen reichen Schatz rein erhaltener eigentlicher Zusammenseßungen - ich erinnere an die zahlreichen mit kausaler (Zweck-) Beziehung, wie: Jagdtasche, Kirchweg, Kopfkissen, Krautgarten, Leimtopf, Magentropfen, Maultrommel, Mordgewehr, Saumroß, Segeltuch u. s. w.; oder mit stofflicher, wie: Hanfsame, Heuschober, Holzgerät, Honigkuchen, Kornähre, Kreidefels, Lederfarbe, Lehmwand, Mohnöl, Pechkranz u. s. w., samt den vielen Zusammensetzungen mit Blech, Blei-, Blut-, Brot, Eis-, Eisen, Erz-, Gold, Sand-, Stahl- u. s. w.; oder auch mit räumlicher wie die meisten Komposita von Dorf-, Eck-, End-, Feld-, Grab-, Haus, Hof, Meer-, Wald-, Keller u s. w. — und mögen auch Dußende us. von unwillkommenen Eindringlingen, auf einen unbewachten Augenblick wartend, hart an der Grenze stehen wie: Hammelsbraten, Henkersmahl, Hutsfutter, Jahresgehalt, Kalbsfett, Kindsbett (Kindstaufe schon bei Gerod!), Mondsviertel, Nachbarshaus, Pflichtsteil, Branntweinsglas und andere, samt den verwandten geschmacks, teilnams-, gewissens-, rüdhalts-, kritiks-los, gemütsvoll, himmelshoch, fingersdick, kampfsunfähig, monatsweise und andere: da wir den Feind kennen und wissen, von welcher Seite er eindringen will, so wird es ja hoffentlich heißen können: Lieb Vaterland, magst ruhig sein!

Die revidierte Bibel.

Von Albert Heinze in Stolp.

Die im Auftrage der Deutschen evangelischen Kirchenkonferenz“ durchgesehene Ausgabe der heiligen Schrift, welche im Verlage der Cansteinschen Bibelanstalt (1892) erschienen ist, hat neuerdings in sprachlicher Hinsicht einen heftigen Angriff erfahren, und zwar von keinem Geringeren als Moriz Heyne, dem Mitarbeiter an Grimms Wörterbuch und Herausgeber eines besonderen, kürzlich vollendeten deutschen Wörterbuches. Heyne sagt (in der „Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Litteratur" Bd. 38, Heft 4, S. 350-52):

,,Nach dem Vorwort ist die bisherige gewöhnliche Bibelausgabe noch eine Lutherbibel und doch auch längst keine Lutherbibel mehr; diese Ausgabe soll nun eine echte jeßige" Lutherbibel sein, sie macht Anspruch darauf, das alte Sprachgut zu hüten und doch auch seiner Fortbildung zu neuem Sprachgut Rechnung zu tragen, ein Schullesebuch, ein VolksLesebuch und auch ein Behältnis unseres gegenwärtigen Sprach gutes zu sein, auch Rücksicht zu nehmen nicht nur auf die vielfach erstarrte Schulgrammatik, sondern ebenso sehr auf die flüssige Grammatik der lebendigen Volkssprache. Daß die Ausgabe leiste, was das Vorwort ver spricht, leugne ich entschieden; nicht einmal eine konsequente Stellung in ihrer Revisionsarbeit nimmt sie ein; viele Köche haben auch hier den Brei verdorben. Das kann man sozusagen aus jedem Kapitel der Arbeit nachweisen, und ich müßte ein Buch schreiben, wollte ich an jedem einzelnen Beispiel darthun, was verfehlt ist. Sprachlich natürlich; denn theologisch geht mich die Sache nichts an. Es ist nicht wahr, daß diese Bibel Rücksicht nimmt auf die Sprachgestaltung der Gegenwart: die Sprache in ihr ist eine Leiche. Die Kinder in der Schule verstehen sie nicht, und das Volk, soweit sie sie versteht, wird sie bespötteln."

Soweit Heyne. Nun habe ich diese revidierte Bibel doch auch häufig aufgeschlagen und verglichen, ohne daß sie auf mich einen solchen Eindruck gemacht hätte. Dieser Angriff hat mich daher sehr überrascht und veranlaßt, wie früher schon die sogenannte Probebibel, so jezt diese den Abschluß der ganzen Revisionsarbeit bildende Ausgabe von 1892 einer möglichst genauen Durchsicht zu unterziehen.

Daß eine gründliche Revision der Lutherbibel abgesehen von den mannigfachen Überseßungsfehlern, welche entsprechend der seit mehr als drei Jahrhunderten fortgeschrittenen Wissenschaft endlich eine Berichtigung erheischten, auch in sprachlicher Beziehung notwendig geworden war, wird

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wohl niemand, der ruhig die Lage der Dinge erwägt, in Abrede stellen. Allerdings war an Luthers Überseßung, um sie mit der weiterschreitenden Entwickelung der Sprache einigermaßen in Einklang zu erhalten, jahr: hundertelang geändert worden, aber keinesweges in gleichmäßiger und einheitlicher Weise.1) Infolgedessen waren einerseits Wörter, die niemand mehr versteht, wie Geren, thürstig, glum, endelich, lören, auch Unrat Vergeudung (Matth. 26, 8), erhaben aufgehoben (Apostelgesch. 8,33), enthalten aufrecht halten (Jes. 63,5) und viele andere fort und fort stehen geblieben, anderseits waren moderne Mißformen eingeschwärzt, wie unserer und eurer statt unser, euer (z. B. Psalm 79, 8: Erbarme dich unserer bald!"), verberge statt verbirg (Psalm 51, 11: „Verberge dein Antlig von meinen Sünden!"), hälfe statt hülfe u. a. Leztere Erscheinung mußte besonders unangenehm berühren; wenn irgendwo, so durfte man hoffen in der ehrwürdigen Lutherbibel auch das alte Schrot und Korn der deutschen Sprache bewahrt zu sehen, und nun war selbst hier die in der Tageslitteratur sich breitmachende Sprachverwüstung und Verwahrlosung schon eingedrungen.

So war denn, wie das Vorwort der durchgesehenen h. Schrift zutreffend bemerkt,,,die bisherige gewöhnliche Bibelausgabe wohl noch eine Lutherbibel, und doch auch längst keine Lutherbibel mehr."

Eine umfassende, gründliche Revision war also dringend notwendig geworden, und eine solche ist nun eben unter Mitwirkung der Kirchenregierungen und der Bibelgesellschaften, vor allen der Cansteinschen An= stalt, durch eine Kommission von Männern der Wissenschaft und der Praxis in einer Reihe von Jahren durchgeführt worden; 2) das Ergebnis hat dann in der sogenannten,,Probebibel" zwei Jahre lang vorgelegen, um vor dem Abschluß des ganzen Werkes jedem ein Urteil über die Arbeit zu ermöglichen."

Die zahlreichen infolgedessen eingegangenen Beurteilungen und Gut achten hat man sorgfältig in Betracht gezogen, und dann ist in einer allgemeinen Konferenz zu Halle (Januar 1890) die ganze RevisionsArbeit zum Abschluß gebracht worden unter der Gesamtleitung des Direktors der Franckeschen Stiftungen Dr. Frick.

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Betrachten wir nun diese durchgesehene Bibel, die seit 1892 vorliegt, in sprachlicher Hinsicht genauer, so werden wir sehr bald finden,

1) Es gab zuleßt 11 verschiedene Grundgestalten der Bibel, s. Kleinert (Mit

glied der Kommission), die revidierte Lutherbibel S. 10.

2) Daß dieses Werk nicht einem Einzelnen übertragen, daß nur an eine ,, gemeinsame Aktion Berufener" gedacht werden konnte (also an,,Kollektiv-Arbeit“ Heyne), darüber s. Kleinert a. a. D. S. 20 flg.

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