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volle Herrschaft in Deutschland auf Kosten Oester= reichs anstrebe. Deshalb wahre Desterreich seine Stellung in Holstein und laße das Augustenburgertum bestehen, um es nach Umständen verwerten und den Erbprinzen als Herzog anerkennen zu können. Die schleswig-Holsteinische Frage könne friedlich nur dann gelöst werden, wenn Preußen sich mit Oesterreich in einer großen gemeinsamen Politik vereinige und dem Wiener Hofe für eine auch diesem ersprießliche Entwickelung der deutschen Verhältnisse Gewähr leiste. In Wien sei die Stimmung gegen Preußen gereizter als vor Gastein; man fürchte einen Krieg nicht mehr, wo es sich um Behauptung der deutschen Stellung des Reiches handele; auch der Kaiser sei nicht mehr wie früher für eine Erhaltung des Friedens um jeden Preis.

5. Preußen hält Mitte Januar 1866 den Zeitpunkt für gekommen, um in Schleswig-Holstein Deutschland für sich zu erobern.

(v. Sybel, a. a. D. IV, S. 260—262.)

„Die drei Monate, schrieb er [Manteuffel] am 18. Januar [1866], welche wir damals in Gastein als Versuchszeit für Desterreichs wahre Gesinnung in Betracht nahmen, find herum; die legte Probe dieser Gesinnung steht jezt zur Entscheidung: die [von Preußen am 29. December 1865 zum ersten Male, am 20. Januar 1866 wiederholt verlangte, von Oesterreich dann abgelehnte] Ausweisung des Erbprinzen. Vollzieht Oesterreich dieselbe, so ist der moralische Effect derart, daß Preußen sich beruhigen kann. Wenn nicht, dann ist die Klarheit vorhanden, welche man haben wollte, ehe unliebsame Alliancen geschloßen würden, und dann schließe man sie."

Bismarck war längst dieser Meinung, und bereits seit einigen Tagen in der von Manteuffel angedeuteten Richtung tätig.

Es war die entscheidende Epoche in seinem mächtigen Lebensgang. Wir erinnern uns hier einer schon früher gemachten Ausführung. Seitdem Bismarck als Bundestagsgesandter die Wirklichkeiten der deutschen und europäischen Politik erkannt hatte, stand der Entschluß in ihm fest, Preußen von den Feßeln des bis

herigen Bundesrechts und dem österreichischen Drucke zu befreien und die Unabhängigkeit und Sicherheit seines Vaterlandes auf neue, unerschütterliche Grundlagen zu stellen. Dieses Ziel also lag unverrückbar vor seinem Auge. Der Wege aber, welche dahin führen möchten, sah er viele, und war mehrere Jahre hindurch bemüht, sich keinen derselben zu verschließen, sondern in jedem Zeitpunkt die Richtung seiner Schritte und den Umfang seines Begehrens den jedes. Mal gegebenen Verhältnissen anzupassen. Ein neues Preußen war nicht denkbar ohne ein neues Deutschland: die Kräftigung Preußens also hieng eng zusammen mit der Lösung der deutschen Frage. Hier aber boten sich dem Streben eines preußischen Statsmannes mehrere Systeme: eine wirkliche Beherrschung Deutschlands gemeinsam mit Desterreich, eine geographische Teilung wenigstens der deutschen Militärkräfte. zwischen beiden Mächten, endlich ein Hinausdrängen Desterreichs aus dem Bunde und Vereinigung des übrigen Deutschlands unter preußischer Leitung. Ohne Frage war die lezte Alternative die glänzendste und gründlichste, und so hatte einst die Majorität der Paulskirche sie für ihr Programm erklärt. Aber sogleich hatte auch Preußen die Schwierigkeiten und Gefahren der Sache empfinden und die Unmöglichkeit des Gelingens ohne einen Kampf auf Leben und Tod mit Oesterreich einsehen müßen. Klarer noch als seine Vorgänger erkannte jezt Bismarc die Unabsehbarkeit der europäischen Folgen eines solchen Zusammenstoßes, den allseitigen Argwohn gegen den preußischen Friedensstörer, die Möglichkeit fremdes Eingreifens von mehr als einer Seite. Bei ihm fielen Vorsicht und Kühnheit, Vorwärtsdrängen und Mäßigung. untrennbar zusammen, und so war er bereit, wenn ein großes Ergebnis sich im Frieden erreichen ließ, auf die kriegerische Erringung des grösten zu verzichten. Wir haben gesehen, wie er in Wien die Reform der Bundeskriegsverfaßung, d. h. die Teilung der deutschen Militärhoheit unter die beiden Mächte, und dann wieder das Zusammenwirken der lezteren für eine kräftige Leitung Gesamtdeutsch= lands empfahl. Beides war fehlgeschlagen; Preußen sah sich dem Dilemma gegenüber, entweder wie 1850 reumütig unter die Flügel des Bundestages zurückzukriechen, oder mit siegender Waffengewalt die Gedanken der Kaiserpartei von 1849 zu verwirklichen. Nun ist es schlagend, wie genau sich diese Lösungsversuche der großen deutschen Frage in dem engeren Kreiße der schleswig-Holsteinischen wiederholten. Zuerst hatte man dort die

Gemeinsamkeit der Herrschaft eingerichtet, und war dann binnen einem halben Jahre bis dicht an den Kriegsfall gelangt. Dann war man zur Teilung der Verwaltung geschritten, und wieder stand man, dieses Mal binnen noch kürzerer Frist, vor derselben Unmöglichkeit. Unaufhaltsam war man auf jedem der beiden bequemeren Wege vor den Rand des jähen Abgrundes geführt worden. Wollte man nicht feige verzichten, so blieb zur Erklimmung der Höhe nur der dritte, steilste Pfad, die kriegerische Action zur Beseitigung Oesterreichs. Der Schluß war einfach: Wenn man Holstein erlangen wollte, so mußte man ganz Deutschland fordern. Entweder ein zweites Olmüß oder der Krieg mit Desterreich: es gab keinen andern Ausweg mehr. Bismarck hatte den Krieg nicht gewünscht [! Vgl. das erste Kapitel d. Abschn.!], jezt aber [notabene: Mitte Januar 1866] war er zu einem Programm genötigt, [,,genötigt" doch nur deshalb, weil er, wie Sybel weiter oben gesagt hat, „Preußen von den Feßeln des bisherigen Bundesrechtes" und dem „österreichischen Drucke" befreien wollte], welches die Niederwerfung Desterreichs zur notwendigen Vorausseßung hatte.

Am 13. Januar 1866 schrieb er an Usedom in Florenz. Nachdem er die fortgeseßte preußenfeindliche Begünstigung der Augustenburger Agitation durch Oesterreich [d. H. aus dem Preußischen ins Deutsche übersezt: das Bestreben Oesterreichs, den von beiden deutschen Großmächten in Uebereinstimmung mit dem Deutschen Bunde am 28. Mai 1864 als den „die meisten Erbfolgerechte auf die Herzogtümer" besißenden Herzog von Augustenburg als rechtmäßigen LandesHerrn zur Anerkennung zu bringen und eine rechtswidrige Annerion der Herzogtümer durch Preußen zu verhindern] geschildert, sprach er die Ansicht aus, daß diese Differenzen wachsen würden. Solche Erfahrungen, sagte er, lösen uns von den Verbindlichkeiten, welche im Herzen des Königs das Ergebnis der Gasteiner Annäherung bildeten, und geben in der von mir vorausgesehenen Weise unsern natürlichen Beziehungen zu Italien wieder freiern Spielraum. Sie werden dort aussprechen, daß der Zeitpunkt der Krisis voraussichtlich näher gerückt sei; Sie werden hervorheben, daß der Grad der Sicherheit und der Umfang dessen, was wir von Italien zu erwarten haben, von wesentlichem Einfluß auf unsere Entschließungen sein wird, ob wir es zur Krisis kommen laßen oder uns mit geringeren Vorteilen begnügen. [Die mit Italien wieder angeknüpften Bündnis

verhandlungen wurden am 29. Januar 1866 durch Decorierung des Königs Victor Emanuel mit dem preußischen schwarzen Adlerorden auch äußerlich markiert.]

6. Vorbereitungen zum Bruche mit Oesterreich. Der österreichisch-preußische Depeschen-Wechsel vom 26. Januar und 7. Februar 1866.

[Am 23. Januar 1866 hatte zu Altona mit Genehmigung des österreichischen Statthalters eine Massenversammlung schleswig-Holstei= nischer Männer stattgefunden, welche die Einberufung einer schleswigHolsteinischen Ständeversammlung verlangte und für den rechtmäßigen, geliebten Fürsten Herzog Friedrich" demonstrierte. In Folge dessen richtete Graf Bismarck am 26. Januar eine Depesche an das österreichische Cabinet, in der er zunächst ausführte, daß Preußen in Gastein geglaubt habe, mit Oesterreich über die Notwendigkeit und den Plan des Kampfes gegen den gemeinsamen Feind, die Revolution", einig zu sein, und daß es darum den König um so schmerzlicher berühren müße, „revolutionäre und jedem Trone feindliche Tendenzen unter dem Schuße des österreichischen Doppeladlers entfaltet zu sehen." Daran knüpfte sich die Bitte an das kaiserliche Cabinet, „den Schädigungen, welche das monarchische Princip, der Sinn für öffentliche Ordnung und die Einigfeit beider Mächte durch das jest in Holstein gehandhabte System leiden, ein Ziel zu seßen." Die Depesche gipfelte sodann in folgenden drohenden Säßen: Eine verneinende oder ausweichende Antwort auf unsere Bitte würde uns die Ueberzeugung geben, daß die kaiserliche Regierung nicht den Willen habe, auf die Dauer gemeinsame Wege mit uns zu gehen, sondern daß die Preußen abgeneigten Tendenzen, daß ein, wie wir hofften, überwundener, traditioneller Antagonismus gegen Preußen, welcher sich jezt das Gebiet der Herzogtümer zum Felde seiner Wirksamkeit ausersehen hat, in ihr mächtiger ist, als das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der gemeinsamen Interessen! Es würde dieß für die königliche Regierung, es würde vor allem für S. M. den König selbst eine schmerzliche Entteuschung sein, welche wir wünschen und hoffen uns erspart zu sehen. Aber es ist unabweisbares Bedürfnis für uns, Klarheit in unsere Verhältnisse zu bringen. Wir mitßen, wenn die von uns aufrichtig angestrebte intime Gemeinsamkeit der Gesamtpolitik beider Mächte sich nicht verwirklichen läßt, für unsere ganze Politik volle Freiheit gewinnen und von derselben den Gebrauch machen, welchen wir den Interessen Preußens entsprechend halten." (H. Schulthess, Ergänzungsheft zum Europäischen Geschichtskalender 1865, S. 4 ff.)

In der vom 7. Februar datierten Antwort des Grafen Mens

dorff auf diese Drohung, wird zunächst der Versuch Preußens, sich in die österreichische Verwaltung Holsteins einzumischen, mit der bündigen Bemerkung zurückgewiesen: „Ihr [der kaiserlichen Regierung] Verfahren in Holstein hängt nur von ihren eigenen Eingebungen ab, und sie betrachtet jede einzelne Frage, welche im Bereiche ihrer dortigen Administration auftauchen mag, als ausschließlich zwischen ihr und ihrem Statthalter schwebend, jeder andern Einwirkung aber entzogen." Den Vorwurf der Begünstigung revolutionärer Umtriebe berührt die österreichische Note nur schonend in den Worten: „Und wenn die Klage gegen uns dahin lautet, daß durch unsere Lauheit und Passivität das monarchische Princip in Holstein geschädigt, der conservative Sinn, der den schleswig-Holsteinischen Volksstamm ausgezeichnet habe, umgewandelt und das Object der künftigen Verständigung deterioriert werde, so wird das Gewißen des gesamten Europa mit uns diese Anklage verwerfen, denn das gesamte Europa weiß, daß die Bestrebungen, die heute in Holstein vorherrschen, dieselben find, die zur Zeit der Gasteiner Convention und längst vor dieser Epoche bestanden, und aus welchen der Widerstand der Herzogtümer gegen Dänemark seine Kraft schöpfte." Dann aber dreht die österreichische Depesche den Spieß kräftig um und fährt fort: „Der Kaiser, unser allergnädigster Herr, beklagt diese ganze Polemik. Schwer wird Seine Majestät sich entschließen zu glauben, daß König Wilhelm den Maßstab für den Wert, welchen der Kaiser auf Seine Beziehungen zu Preußen legt, von Desterreichs Einwilligung oder Nichteinwilligung in den Wunsch der Annexion der Herzogtümer an Preußen werde entnehmen wollen. Ein so einseitiger Anspruch steht den Gedanken des Königs sicher ferne. Dennoch spricht die fgl. Regierung zu uns, als ob unsere so natürliche Weigerung, diese Annerion sich vollziehen zu laßen, nicht anders als durch eine Rückkehr zu einer Politik verderblicher Eifersucht und Rivalität erflärt werden könne. Ja, sie spricht, als ob sie von Oesterreich im Kampfe gegen den gemeinsamen Feind, die Revolution, verlaßen und dadurch an der Ausführung ihres Willens gehindert sei, auf die Dauer mit uns gemeinsame Wege zu gehen. Möge die königliche Regierung einen unbefangenen Blick auf die jüngste Vergangenheit werfen. Betrachtet sie Deutschlands Zustände, so tritt ihr die Tatsache entgegen, daß wir, weit entfernt, eine Coalition gegen Preußen bilden zu wollen, unsere Verhältnisse zu den Mittelstaten der Alliance mit Preußen entschieden nachgesezt, ja so ernstlich benachteiligt haben, wie dieß die durch die Anerkennung des Königreichs Italien geübte Vergeltung bekundet. Wirft sie die Augen auf die Verhältnisse zwischen den europäischen Cabinetten, so wird sie bekennen müßen, daß wir überall als deutsche Macht und als Bundesgenoße Preußens gehandelt, niemals durch auswärtigen Druck auf Preußen zu wirken gesucht haben, und selbst die in Berlin so viel geschmähte Wirksamkeit unseres Botschafters in Paris hat stets nur den Zweck gehabt,

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