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preußischen Erhebung; wenn jezt König Wilhelm nicht ganze Dynastien stürze, nicht in Sachsen das Ansehen des Souveräns durch Entziehung der Militärhoheit ruiniere, den festen Bestand der süddeutschen Staten sichere, so werde er eine große Machtstellung ge= winnen und jedem neuen Conflict mit Frankreich vorbeugen. Dieses könne keine Abtretung zu fordern wagen, wenn der König sich durch Schonung der dynastischen Erbrechte mit dem alten Europa im Einflang befinde. Interessanter für Manteuffel, der im Stillen für des Kaisers Ansichten empfänglich war, wurde eine Auslaßung Gortschatoffs über die Zukunft. Russland, sagte der Minister, begehre heute weder die Donaufürstentümer, wo sich die Dinge beßer zu gestalten schienen, noch Galizien, wo die Frage durch die Präliminarien erledigt sei, noch die Aufhebung des Pariser Friedens, dessen beide Russland verlegende Punkte beseitigt werden müßten, aber von selbst absterben würden; wenn der Moment komme, sie zu begraben, hoffe der Kaiser auf Preußens freundschaftliche Unterstüßung. Daß zur Zeit geheime Beziehungen zwischen Oesterreich und Frankreich beständen, durch welche die galtzische Frage wieder zur Frage werden könnte, glaubte Gortschatoff nicht.

Als Bismarck am Abend des 10. August eine telegraphische Inhaltsangabe dieser Gespräche erhielt, vermochte Gortschakoffs schöner Wunsch, ihn zum Firstern befördert zu sehen, seinen Aerger über den Tadel der preußischen Annerionen nicht zu beschwichtigen. Einem befreundeten Russland wollte er gerne freundliche Rücksicht zollen, aber ihm so wenig wie den Franzosen ein Einspruchsrecht bei wichtigen Fragen der deutschen Entwickelung gestatten. Gleich am Morgen des 11., noch ehe er die Friedensdepesche des Grafen Golz aus Paris empfangen, telegraphierte er an Manteuffel: „Wir sind mit Württemberg und Darmstadt auf billige Bedingungen, bewilligt aus Rücksicht auf Russland, so gut wie einig, reicht das nicht hin, uns Russlands Duldung wenigstens bezüglich der Annerion Hannovers, Kurhessens, Naßaus zu sichern, so schließen wir auch mit Stuttgart und Darmstadt nicht ab. Pression des Auslandes wird uns zur Proclamierung der Reichsverfaßung von 1849 und zu wirklich revolutionären Maßregeln treiben. Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden. Bedenken können wir nicht berücksichtigen. Verlangt Russland mehr

als höfliche Begrüßung, so halten Sie einfach am Programm, welches wir nächsten Montag in der Kammer proclamieren werden.“ Programm war eben der Gesezentwurf über die Annexionen.

Das

Diesen kräftigen Zuspruch empfieng Manteuffel mit Kummer, da er, wie gesagt, die legitimistischen Bedenken Kaiser Alexanders teilte. Indessen machte er Bismarcks Ansichten doch einigermaßen bei den Russen geltend, und verhehlte nicht, daß unter Umständen dem reizbaren und tollkühnen preußischen Minister alles Gefährliche zuzutrauen sei. Kaiser Alexander schrieb darauf [am 12. August] einen langen Brief an den König, enthaltend eine theoretische Abhandlung über die conservativen Grundsäße, schließend aber mit der warmherzigen Erklärung, daß, auch wenn seine Worte dieses Mal keine Rücksicht fänden, Russland sich nie den Widersachern Preußens zugesellen würde. Er sprach zugleich den Wunsch aus, daß das preußische Annexionsprogramm nicht vor der Ankunft dieses Schreibens dem Landtage vorgelegt werden möchte. Uebrigens gieng sowol der Kaiser als Gortschatoff dieses Mal viel ausdrücklicher als Tags zuvor über die ihnen lästigen Punkte des Pariser Friedens von 1856 mit der Sprache heraus, auch jezt in dem Sinne, nicht im Augenblick zur Action darüber zu schreiten, um so mehr aber in der Tendenz, von Preußen eine bindende Zusage der fünftigen Hülfe zu erlangen. Ez war ein deutliches Symptom des Entschlußes, mit Preußen auf gutem Fuß zu bleiben.

Hierauf verhieß Bismarck mit Vergnügen, die Vorlage an den Landtag über die Annexion erst nach der Ankunft des kaiserlichen Briefes festzustellen, und teilte dann am 14. August, nach der Zurückziehung der französischen Begehren, die darüber gepflogene Verhandlung dem General Manteuffel mit, welcher sofort keinen anderen Gedanken als Kriegserklärung nach einer solchen Unverschämtheit hatte. Bei den Russen aber stieg nach der Energie, mit welcher Bismarck die Pariser Zumutung abgewiesen hatte, die preußische Freundschaft im Werte. Obwol man es Bismarck nicht wenig verübelte, daß er auf die russischen Vorstellungen gleich mit der Drohung einer deutschen Revolution geantwortet hatte, wurde Gortschakoffs Auftreten immer freundlicher, immer zutunlicher; mehr als einmal vernahm Manteuffel Andeutungen über die Trefflichkeit eines preußisch-russischen Bündnisses, wobei dann Bismarck aller

dings sich zunächst mit guter Freundschaft ohne bindende Verträge begnügen ließ.

Der König empfieng Alexanders Brief vom 12. August, dessen Einwürfe gegen die gänzliche Beseitigung von drei souveränen Häusern doch einen gewissen Eindruck hervorriefen. Indessen überwogen in dieser Hinsicht immer wieder die uns bekannten Gründe; es wurde beschloßen, an der vollständigen Annexion der drei Territorien festzuhalten, dafür aber dem kurhessischen Tronfolger die von Darmstadt abzutretende Landgrafschaft Homburg1) anzubieten und dem Kronprinzen von Hannover die Erbfolge in Braunschweig zu gewährleisten, falls die beiden Prinzen im Uebrigen die neue Ordnung der Dinge anerkennen würden — eine Vorausseßung, welche sich bekanntlich nicht verwirklicht hat. Was die specielle Verwendung Rußlands für Darmstadt betraf, so war man bereit zu freundlichem Entgegenkommen, und sich statt der Einverleibung mit dem Eintritte Oberhessens in den Nordbund zu begnügen. Das Annexionsgeseß, welches am 17. August dem Landtage vorgelegt wurde, beschränkte sich demnach auf Hannover, Kurhessen, Naßau und Frankfurt.

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Troß dieser Schonung Darmstadts rief jedoch die Nachricht von dem Annexionsgeseß in Petersburg eine große Verstimmung und Niedergeschlagenheit hervor. Die depossedierten deutschen Fürsten hatten den Kaiser fort und fort mit ihren Klagebriefen bestürmt; soeben war der hannoversche Gesandte in Wien, Herr v. d. Knesebec mit einem Hülfsgesuche seines Königs eingetroffen, und der Kaiser

1) Die Landgrafschaft Hessen--Homburg, welche durch Aussterben ihres Regentenhauses am 24. Merz 1866 an Hessen-Darmstadt zurückgefallen war und von diesem jezt an Preußen abgetreten werden mußte, wurde am 14. September 1866 dem gefangenen Kurfürsten von Hessen selbst um den Preis des Verzichtes auf das Kurfürstentum angeboten und von ihm abgelehnt. (Denkschrift Sr. Königl. Hoheit d. Kurfürsten 2e. S. 59. Vgl. Kap. 6, Nr. 3). Wir wißen nicht, ob die obige Angabe Sybels ein Irrtum ist, oder ob der von ihm erwähnte Beschluß später geändert wurde, oder ob Homburg damals auch dem „kurhessischen Tronfolger" vergeblich angeboten worden ist, mit welcher Bezeichnung wol der mehrfach in diesem Buche erwähnte Prinz Friedrich Wilhelm von Hessen († 1884) gemeint ist, obwol der wirkliche Tronfolger zu jener Zeit noch dessen Vater, der Landgraf Wilhelm († 1867) war.

hatte geglaubt, ihm einige Hoffnung geben zu können. Was soll ich ihm jest antworten? fragte Alexander den General Manteuffel. Dieser meinte, die Stellung des Kaisers sei durch das Erscheinen des preußischen Gesezes erleichtert: er könne jezt bedauern, daß gegenüber der vollendeten Tatsache die hannover'sche Anrufung zu spät gekommen sei. Uebrigens, bemerkte der General, zeige doch die Weg= laßung von Oberheffen aus der Liste der Anerionen, wie sehr Preußen auf die Wünsche des Kaisers Rücksicht zu nehmen bestrebt sei. Der Kaiser konnte nicht umhin, dieß einzuräumen. König Wilhelm beantwortete dann am 20. August den kaiserlichen Brief vom 12. durch ein ausführliches Schreiben, aus dem wir einige Säße mitteilen, weil es die nationalen Auffaßungen Preußens in das hellste Licht sezt.

Es beginnt mit warmem Dank für die freundschaftliche Gesinnung des Kaisers, welche der König vollständig erwidert. Daran schließt fich der Ausdruck tiefes Bedauerns, daß die Höfe von Stutt= gart und Darmstadt, für welche der Kaiser sich interessierte, sich in der ersten Linie von Preußens Gegnern befunden haben; im Hinblic aber auf den Kaiser haben sie höchst günstige Bedingungen erhalten. Mit Württemberg ist der Friede gezeichnet. Was Darmstadt betrifft, schrieb der König, so habe ich mich nicht an die Person des Unterhändlers gestoßen, der Jahre lang die Politik seines Hofes in preußenfeindlicher Richtung erhalten hatte, sondern nur Euren Wünschen Rechnung getragen und bin auf Dalwigks Vorschläge eingegangen. Es war mir höchst peinlich, nicht ebenso schonend gegen die Dynastien von Hannover, Kurhessen und Naßau verfahren zu können. Aber ich habe meine persönlichen Gefühle dem Statswol zum Opfer bringen müßen. Ich mußte die Stimmung meines Volkes und meines Heeres berücksichtigen und die Mittel ergreifen, das Land gegen die Wiederkehr einer Situation zu sichern, wie wir sie durchgemacht haben. Jenen Fürsten einen Teil ihrer Staten zu laßen, hätte die Zerstückelung der letteren bedeutet, was mehr als alles andere den dortigen Bevölkerungen widerstreben würde.

Ihr fürchtet, fuhr der König fort, deutsches Parlament und Revolution. Glaubt mir, nichts hat dem monarchischen Princip in Deutschland mehr geschadet als die Existenz dieser kleinen nnd unmächtigen Dynastien, die ihr Dasein auf Kosten der nationalen Interessen fristen, ihre souveränen Pflichten sehr ungenügend erfüllen

und das Ansehen des monarchischen Princips ebenso compromittieren, wie ein zahlreicher und armer Adel das Ansehen der Aristokratie. Die öffentliche Meinung ist durchdrungen von der Ueberzeugung, daß diese kleinen Monarchien in natürlichem und notwendigem Gegensate zu den nationalen Interessen stehen. Bei einer neuen Krisis hätte der Verfall der nationalen Institutionen die schwersten Gefahren erzeugt; meine Regierung mußte dieselben auf dem Wege der Reformen abwenden. Die Revolution werde ich nach wie vor in Deutschland bekämpfen und mich übertriebenen Prätentionen des deutschen Parlaments nicht mehr als denen des preußischen Landtags unterwerfen.

Der König schloß dann: Ich hoffe, hiemit Euere Befürchtungen beruhigt zu haben. Nichts liegt mir mehr am Herzen als die Befestigung der Bande, die uns verknüpfen. In keiner meiner politischen Combinationen werden die russischen Interessen verlegt werden; im Gegenteil, ich werde mich glücklich schäßen, in der Zukunft eine Gelegenheit zu finden, Euch zu beweisen, daß ich diese Interessen stets als die ältesten und vertrautesten Alliierten Preußens betrachte.

Diese Hindeutung auf Russlands damalige orientalische Wünsche war nicht miszuverstehen. Nach allem Vorausgegangenen konnte man hienach auf die ungetrübte Bewahrung des alten Einvernehmens mit der nordischen Macht rechnen.

3. Die Stellung Englands.

(Bißthum von Eæftädt, London, Gastein und Sadowa, S. 259). [Regierung und öffentliche Meinung Englands, die bei Ausbruch des Krieges im hohen Grade antipreußisch gewesen, waren jezt unter dem Eindruck der preußischen Erfolge in's völlige Gegenteil umgeschlagen. Den Anschauungen des am 6. Juli in's Amt ge= tretenen Lory-Cabinets gab der Schazkanzler Disraeli dem Grafen Bißthum gegenüber, wie dieser unterm 29. Juli an der oben angegebenen Stelle berichtet, folgenden fast unglaublichen Ausdruck:]

Que voulez-vous? We do not care. Die Stimmung des englischen Volkes ist für unbedingte Nicht-Einmischung. Das jezige Cabinet ist genötigt, eine weit reserviertere Haltung zu beobachten als unsere unmittelbaren Vorgänger. Wir wißen nur noch aus den Zeitungen, was in der Welt vorgeht. Wir werden nicht gefragt, und die „Times" ist über die Friedenspräliminarien ebenso gut unterrichtet als Lord Derby (der Ministerpräsident]. Wir können uns

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