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Manteuffel aber ließ es nunmehr an der bisher vermissten „Energie“ nicht fehlen. Durch Proclamation vom 10. Juni übernahm er jegt auch die oberste Regierungsgewalt im Herzogtum Holstein, erklärte die vom österreichischen Statthalter eingeseßte holsteinische Landesregierung in Kiel für aufgelöst und machte bekannt, daß der Baron Karl v. Scheel-Plessen „auf allerhöchsten Befehl zugleich als Oberpräsident für beide Herzogtümer, die Leitung sämtlicher Geschäfte der Civilverwaltung unter der Autorität der höchsten Militärgewalt" mit dem Size in Kiel übernehme.

Das war bereits die tatsächliche Annexion der Her3ogtümer an Preußen. Ihr entsprach dann auch, daß preußische Truppen am 10. Juni die Kirche und den Ständesaal zu Izehoe, wo die für den folgenden Tag einberufenen holsteinischen Stände Gottesdienst halten bezw. tagen sollten, beseßten, die sich gleichwol sammelnden Ständemitglieder auseinandersprengten und den von dem österreichischen Statthalter bestellten Landtagscommissar Lesser verhafteten. (H. Schulthess, Europ. Geschichtskalender, 1866, S. 72 ff.)

Den heiß ersehnten Kriegsfall aber brachten auch diese offenfundigen Gewalttätigkeiten immer noch nicht zu Stande, da Gablenz mit seinen Truppen am 11. Juni Holstein räumte und sich auf den hannoverschen, hessischen und bayerischen Bahnen nach Böhmen zurück30g. So mußte dann Preußen dennoch selbst den Conflict herbeiführen und als Angreifer, der es war und von Anfang an ge=. wesen war, endlich auch offen hervortreten. Dieß geschah in der Bundestagssitung vom 14. Juni und den ihr von Preußen gegegebenen Folgen.]

6. Protest Desterreichs gegen den Vorwurf des Bruchs der Gasteiner Convention und gegen das eigenmächtige Vorgehen Preußens in Holstein.

Aus der Depesche des Grafen Mensdorff an den kaiserlichen Gesandten in Berlin, dd. Wien, 9. Juni 1866. (Aegidi und Klauhold, a. a. D. S. 81.)

Wir erheben hiermit feierliche Einsprache gegen diese Behauptungen [die Gasteiner Convention gebrochen zu haben] und wir lehnen alle und jede Ver= antwortlichkeit für die ernsten Folgen des Entschlußes des Berliner Hofes, den Streit nunmehr auf das Feld der Tatsachen zu übertragen, von der Regierung Oesterreichs ab. Wir bemerken zur Begründung unseres Protestes erstens, daß die Vereinbarungen zwischen Oesterreich und Preußen die Rechte des Deutschen Bundes nicht alterieren

konnten noch sollten, und daß ein Bundesglied, welches erklärt, die verfaßungsmäßigen Beschlüße des Bundes anerkennen zu wollen, hierdurch nicht die Rechte eines andern Mitverbündeten beeinträchtigen könne. Wir müßen zweitens hervorheben, daß die königlich preußische Regierung ihrerseits längst die bindende Kraft jener Vereinbarung sowol durch Handlungen, wie durch ausdrückliche Erflärungen verleugnet, daher das Recht verloren hat, sich gegenüber Oesterreich auf Verbindlichkeiten, welche sie selbst nicht geachtet hat, zu berufen. Sie hat sich über das Princip, daß die schleswig-Holsteinische Erbfolgefrage nur im Einverständnisse mit Oesterreich gelöst werden solle, schon damals hinweggeseßt, als sie, nicht auf Grund einer Vereinbarung mit uns, sondern auf Grund des Gut achtens der preußischen Kronjuristen die Souveränetätsfrage in Schleswig-Holstein für gelöst erklärte und Strafverordnungen gegen die Anhänger jeder anderen Meinung erließ.

Ohne daß sie den Vorbehalt der Zustimmung Oesterreichs für nötig gehalten hätte, war sie später bereit, die streitige Frage bald einem deutschen Parlamente, bald einem europäischen Congresse zu überweisen. Wie kann sie darüber klagen, wenn Desterreich in Ermangelung eines Einverständnisses, welches die Forderungen Preußens unmöglich gemacht haben, sich entschließt, den geseßlichen: Organen des Deutschen Bundes alles Weitere anheimzustellen? Sic hat endlich in ihrer Depesche vom 26. Januar d. J. [S. S. 42] für den Fall einer ablehnenden Antwort die ausdrückliche Klausel aufgestellt, daß sie für ihre ganze Politik volle Freiheit ge= winnen müße und von derselben den Gebrauch machen werde, welchen sie den Interessen Preußens entsprechend halten werde" — und Graf Bismarck hat nach Empfang unserer Erwiderung dem kaiserlichen Gesandten erklärt, daß nunmehr für Preußen die Wirkung dieser Klausel eintrete [S. S. 44].

Somit war es Preußen, welches durch Wort und Tat, freilich ohne rechtmäßigen Grund, seine Freiheit von den gegenüber Oesterreich eingegangenen Verbindlichkeiten zurückforderte und sich eine Stellung gab, die dem durch die Gasteiner Convention geschaffenen Zustande nur noch den Wert eines völlig prekären tatsächlichen Besißstandes ließ. Oesterreich hat nichtsdestoweniger diesen Besißstand geachtet,

es hat die Gasteiner Convention nicht gekündigt, und die kaiserliche Regierung würde das durch die Artikel dieser Convention begründete Provisorium ungestört bis zur künftigen Entscheidung des Bundes haben fortdauern laßen. Indem Preußen nunmehr eigenmächtig an die Stelle dieses Provisoriums wieder den. früheren Zustand sezen will und zu diesem Zwecke seine Truppen in Holstein einrücken läßt, vollzieht es seinerseits auch tatsächlich den Bruch der Gasteiner Convention, und unser Protest gründet sich vaher drittens darauf, daß Preußen zur Selbsthilfe geschritten ist und durch die Beseßung Holsteins nicht nur sein Vertragsverhältnis gegenüber Oesterreich, sondern auch den Art. 11 der deutschen Bundesacte [S. S. 1] verlegt und den Fall des Art. 19 der Wiener Schlußacte [S. S. 3] herbeigeführt hat. 7. Urteil des kgl. preußzischen Apellationsgerichtspräsidenten Ludwig von Gerlach1) über den Conflict.

(Die Annexionen und der Norddeutsche Bund. Vom Verfaßer der Rundschauen. September 1866, S. 8-12.)

So standen die Sachen, als Desterreich am 1. Juni am Bunde erklärte: Da wegen der Elbherzogtümer keine Einigung mit Preußen zu Stande gekommen, so stelle es „in dieser gemeinsamen deutschen Angelegenheit alles weitere den Entschließungen des Bundes anheim.“ Der Wortlaut dieser Erklärung zeigt, daß sie keineswegs „eine Uebertragung der Rechte Desterreichs an den Herzogtümern auf den Bund" enthält. Sie war nicht einmal eine Aufforderung an den Bund, sich mit der Sache zu befaßen. Der Bund hätte in vollem

1) Ernst Ludwig von Gerlach, geb. 1795 zu Berlin, † daselbst, nachdem er auf der Straße überfahren worden, 18. Februar 1877, 1844 bis 1874 Oberlandes-(Apellations-)Gerichtspräsident zu Magdeburg, gehörte zu den hervorragendsten Begründern und Vertretern der conservativen Partei in Preußen, deren Grundsäßen er auch in dem großen Abfall von 1866 mit einigen wenigen Gesinnungsgenoßen getreu blieb und von denen aus er die Bismarck'sche Macht- und Opportunitätspolitik unerschrocken. bekämpfte. Wegen einer gegen die Culturkampfs-Politik der Regierung gerichteten Flugschrift im Jahre 1874 bestraft und aus dem Dienste ent= laßen, wurde dieser wahrhaft königstreue Preuße im Januar 1877 von einem hannoverschen Wahlkreiße (Osnabrück) in den Reichstag gewählt, wo er als Hospitant dem Centrum angehörte und während Ausübung seines Mandats den Tod fand.

Einklange damit beschließen können: er wolle sür jezt nichts tun; das Gasteiner Interim möge ruhig fortdauern. Auch war sie kein Bruch der Verabredungen mit Preußen. Mit diesen Verabredungen hatte es folgende Bewandnis.

Der Erbprinz von Augustenburg behauptete, der rechtmäßige Herzog von Schleswig-Holstein zu sein. Preußen hatte 1863, obschon er preußischer Officier war, geduldet, daß er den „Kieler Hof“ gründete. Noch nach Düppel hatten, am 28. Mai 1864, in den Londoner Verhandlungen Preußen und Desterreich gemeinschaftlich erklärt: „der Erbprinz könne in den Augen Deutschlands die besten Erbfolgerechte geltend machen: seine Anerkennung durch den Bund sei gewis, und er habe die zweifellosen Stimmen der immensen Majorität der Bevölkerung der Herzogtümer für sich." In demselben Sinne hatte eine große Zahl deutscher Universitäten wol die Mehrzahl sich ausgesprochen. Es lag also ein Rechtsstreit vor über das Bundesland Holstein zwischen dem Erbprinzen einerseits und andererseits dem Könige Christian, jest, nach dem Wiener Frieden, seinen Rechtsnachfolgern, Preußen und Oesterreich. Dieser Streit gehörte vor den Bund. Denn dieser hatte nach seiner Verfaßung solche Streitigkeiten zu vermitteln und, wenn kein Vergleich stattfand, die Entscheidung im Wege einer Aufträgal-Instanz einzuleiten. Diesem Bundesrechte gemäß hatte im December 1863 Se. Majestät der König von Preußen dem Abgeordnetenhause auf dessen Antrag, den Erbprinzen als Herzog einzusetzen, erwidert: „Die Successionsfrage wird durch den Deutschen Bund unter Meiner Mitwirkung geprüft werden, und dem Ergebnisse dieser Prüfung kann Ich nicht vorgreifen." Und in demselben Sinne hat kurz vor dem Bundesbruche im Juni dieses Jahres Oldenburg seine Successionsansprüche an die Herzogtümer beim Bunde angemeldet und geltend gemacht, ohne Widerspruch von Seiten Preußens. An dieser Bundescompetenz hat der Wiener Friede nichts geändert. König Christian hat nur die Rechte abgetreten und abtreten können, die er hatte. Ebensowenig konnten Preußen und Oesterreich durch Abreden unter fich daran etwas ändern. Sie konnten weder dem Erbprinzen noch dem Bunde etwas vergeben. Sie haben dieß auch nicht versucht. Die Convention vom 16. Januar 1864 unmittelbar vor Ausbruch des dänischen Krieges sagt zwar [S. S. 28]: die beiden Mächte würden über die Erbfolge „nicht anders als in gemeinsamem Einverständ=

nisse entscheiden“, das heißt: keine von ihnen allein. Ein Versuch, die Entscheidung mit Ausschluß des Bundes vor sich zu ziehen, in die Bundescompetenz einzugreifen oder daran etwas zu ändern, liegt in diesem Uebereinkommen nicht. Ein solcher Eingriff hätte im Widerspruche gestanden mit dem Rechte des Erbprinzen, mit dem Bundesrechte und mit der oben erwähnten, einige Wochen vorher öffentlich erklärten Anerkennung der Bundescompetenz von Seiten Sr. Majestät des Königs. Die Gasteiner Convention endlich enthält nichts über die Erbfolge und die Bundescompetenz.

Dagegen wirft, was 1865 über diese Convention am Bunde verhandelt worden, ein helles Licht auf die damalige Auffaßung der Bundescompetenz von Seiten der beiden Großmächte. Im Juni 1865 hatten nemlich Bayern, Sachsen und Großherzogtum Hessen bean= tragt, die beiden Großmächte zu befragen, was sie getan hätten und noch zu tun beabsichtigten, um die Lösung der Fragen wegen der Herzogtümer herbeizuführen. Darauf wurde am 14. August die Convention von Gastein beschloßen und am 24. August von Preußen und Oesterreich dem Bunde vorgelegt. Dabei erklärten beide Großmächte auf jene Frage nicht etwa: sie sei nicht Sache des Bundes, sondern nur Sache der beiden Mächte, vielmehr erklärten sie: „Daß die Verhandlungen zwischen ihnen fortdauern, und daß sie die Bundesversammlung ersuchen, dem Ergebnisse dieser Verhandlungen mit Vertrauen entgegen zu sehen."

Nach allem diesem war es wegen des geforderten „Vertrauens" sogar eine besondere Pflicht der Großmächte, wenn sie keine Hoffnung mehr hatten, einig zu werden über Holstein, davon dem Bunde Anzeige zu machen und ihm das Weitere anheim zu geben. Dieß, und nicht mehr als dieß, hat Oesterreich durch seine Erklärung vom 1. Juni getan. . .

Nun berief Desterreich am 5. Juni die holsteinischen Stände. Preußen erklärte diese Maßregel für eine Verlegung der zwischen den beiden Großmächten bestehenden Rechtsverhältnisse, rückte am 7. Juni ungeachtet des Protestes des österreichischen Statthalters in Holstein ein und verhinderte mit Gewalt die Versammlung der Stände. Die Oesterreicher verließen Holstein, indem sie der Uebermacht wichen.

Die Gasteiner Convention hatte die Ausübung der beiderseitigen Regierungsrechte in den Herzogtümern nicht sachlich, sondern territo

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