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Notlage eingetreten, daß es Oesterreich und dem Deutschen Bunde allein gegenüber zu stehen kam, so hätte Graf Bismarck aller Wahrscheinlichkeit nach jene Zumutungen" nicht definitiv abgewiesen. Da aber die Conferenz nicht zu Stande kam, Graf Bismarck also seinen italienischen Verbündeten behielt, und schon um dieses Willen der wolwollenden Neutralität" Frankreichs vorläufig wenigstens nach wie vor sicher sein durfte, so wäre es in der Tat eine an Wahnsinn streifende Dummheit gewesen, wenn er durch die offene Alliance mit Frankreich und die Abtretung des linken Rheinufers an den „Erbfeind" das deutsche Prestige, mit dem er gerade seine Unternehmungen der Welt mundgerecht machen wollte, von vornherein auch für die blödesten Augen dauernd zerstört hätte. Eine den elementarsten Interessen der Klugheit entsprechende Politik ist darum aber noch teine deutsche. Diejenigen, welche den Fürsten Bismarck als den Vertreter der letteren feiern, mögen es deshalb wenigstens unterLaßen, den hier besprochenen Zwischenfall zu diesem Zwecke auszubeuten.

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Dieß hat dann auch gerade derjenige Panegyriker Bismarcks wirklich getan, der über die genaueste Einsicht in die Geheimnisse der damaligen preußischen Politik verfügte: Sybel übergeht den in Rede stehenden Vertragsentwurf mit völligem Schweigen, den er sich doch sicherlich nicht hätte entgehen laßen, wenn er es nach Veröffentlichung des mehrfach erwähnten Nigra'schen Berichtes noch halbwegs für möglich gehalten hätte, ihn und seine Ablehnung zu einem Ruhmesblatt der Bismarck'schen Politik zu stempeln. Das ist auch eine, und zwar gerade wegen ihrer Stummheit vernichtende Kritik der obigen teuschenden Darstellung Bismarcks. 6) Von den hier erwähnten drohenden Mahnungen" weiß keine der bisher erschloßenen Geschichtsquellen etwas, auch das Sybel'sche Werk nicht. Die Angabe wird auch schon durch das in voriger Anmerkung Gesagte als ebenso trügerisch erwiesen wie die dort kritisierte Aufbauschung des Vertragsentwurfs selbst. Denn wenn dieser weder von der französischen Regierung noch von dem Kaiser selbst herrührte, so konnten beide seine Annahme auch nicht mit „drohenden Mahnungen" fordern. Es blieben demnach als Bedroher nur noch die Hrn. Nigra und Plon-Plon übrig. Ueber deren Drohungen aber, falls sie wirklich erfolgt wären, dürfte Bismarck damals wol nicht weniger gelächelt haben, wie die heutige Welt über das ganze Fechterkunststück der Circulardepesche vom 29. Juli 1870 lächelt, welches feinen andern Zweck hatte, als die öffentliche Meinung irre zu führen, den kritiklosen Massenpatriotismus zu erhißen und den Redacteur der Emser Depesche der Welt in der malerischen Pose des nationalen Tugendboldes vorzuführen.]

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H.
Recapitulation.

[Fürst Bismarck selbst hat in der Reichstagssitung vom 16. Januar 1874, in Folge einer auf die mitgeteilten Berichte Govones und Benedettis (Nr. 4B. und D.) gestützten Provocation des Abgeordneten v. Mallinckrodt, mit leidenschaftlicher Erregung in Abrede gestellt, daß er bei früheren Verhandlungen dem italienischen General Govone die Abtretung eines preußischen Bezirkes ... in Aussicht gestellt habe." „Die Sache", fuhr Fürst Bismarck dainals fort, „ist in lügenhafter, gehäßiger Weise erfunden worden, es ist auch nicht eine Silbe davon wahr. Ich habe niemals irgend jemandem die Abtretung auch nur eines Dorfes oder eines Kleefeldes zu gesichert oder in Aussicht gestellt."

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Schon die Heftigkeit, mit der dieses Dementi in die Welt geschleudert wurde, mußte gegen seine Stichhaltigkeit mistrauisch machen. In der Tat wird jeder unbefangene und ehrliche Leser ohne weiteres zugeben, daß in den von Govone und Benedetti unter dem unmittelbaren Eindruck des Gehörten und unter amtlicher Verantwortlichkeit ihren Vorgesezten berichteten Aeußerungen Bismarcks, ja daß selbst in der v. Sybel kunstvoll redigierten Form dieser Aeußerungen ein In-Aussicht-stellen" der Abtretung gewisser linksrheinischer deutscher Gebietsteile an Frankreich gefunden werden müße.

Nichtig ist, daß Bismarck diese Abtretungen nicht förmlich zugesichert" hat. Er konnte sich um so eher begnügen, sie bloß „in Aussicht zu stellen", als er von Napoleon gar nicht dazu gedrängt wurde, da dieser seinerseits ein formelles Bündnis mit Preußen wenigstens vor dem wirklichen Ausbruche des Krieges vermeiden wollte, weil er befürchten müßte, durch dasselbe Oesterreich von dem Kriege abzuschrecken, und da er sich überzeugt hielt, daß Preußen unterliegen und dann bereit sein würde, das französische Bündnis um jeden Preis zu erkaufen. Bismarck dagegen hoffte, mit der durch die italienische Alliance erworbenen wolwollenden Neutralität Frankreichs, ohne dessen directe Hülfe, siegen zu können. Die für den Fall dieses Sieges in Aussicht gestellten" Köder hatten daher zunächst nur den Zweck, die Franzosen bei der Neutralität zu erhalten, bis die Entscheidung zu Gunsten Preußens gefallen sein würde. Gelang dieß, so war Bismarck schon damals entschloßen, den Kaiser Napoleon um die „in Aussicht gestellten" Abtretungen wenn irgend möglich zu betrügen. Diese Rechnung ist ihm dann auch wirklich geglückt. Es wäre das aber, wie wir im IV. Abschnitt dieses Buches zeigen werden, troß aller preußischer Siege ganz unmöglich gewesen, wenn Napoleon sein Eingreifen im Juli 1866 auch nur mit dem geringsten Maße kriegerischer Energie unterstützt hätte. In diesem Falle, den Bismarck wol erhoffen, aber nicht bestimmen konnte,

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würde er genötigt gewesen sein, die jezt „in Aussicht gestellten“ Grenzberichtigungen ohne Widerrede zu realisieren.

Ebenso flar aber ist es auch, daß der abenteuernde preußische Statsmann im umgekehrten Falle, demjenigen eines ungünstigen Ausganges des Krieges gegen Desterreich, darauf angewiesen und im voraus entschloßen war, die Unterwerfung Preußens unter das Bundesrecht und den Sieg Oesterreichs durch ein um den Preis des linken Rheinufers zu erkaufendes Bündnis mit Frankreich abzuwenden. Wie vertraut ihm dieser Gedanke seit Jahren war, und wie fest er in ihm bei Ausbruch des Krieges stand, das beweisen die auf den vorausgehenden Blättern angeführten Zeugnisse Bernhardis, Rothans, Nigras, Govones, von Schachtens und des Prinzen Friedrich Wilhelm von Hessen.

Daß sich aber Bismarck das directe Bündnis mit Frankreich und den ihm wolbekannten Kaufpreis desselben für den Fall der äußersten Not aufsparte, kann ihm nicht zum Verdienste angerechnet werden, da er über das Eintreten dieses Falles nicht Herr war, und vor demselben, wie wiederholt gezeigt wurde, Napoleon selbst gar nicht daran dachte, dieses Bündnis zu schließen und den Preis für dasselbe zu fordern. Wol aber gehört es auf das Conto des „unheimlichen Glückes" Bismarcks, daß ihn die Ereignisse nicht beim Worte genommen und in die Lage gebracht haben, seine frivolen Versprechungen und desperaten Absichten zu verwirklichen.]

5. Oesterreich und Frankreich.

A.

Defterreichs Forderung an Frankreich.

(Andreas Memor [Herzog von Gramont], L'Allemagne nouvelle, p. 233).

Der Herr Graf Mensdorff sprach also die Wahrheit, als er der französischen Regierung folgendes erklärte: Wenn Sie den Krieg verhindern wollen, so können Sie das mit der grösten Leichtig= feit tuen. Erklären Sie, daß sich Frankreich gegen den Angreifer erheben werde, und der Frieden ist gesichert.... Was riskieren Sie, wenn Sie Sich offen gegen den Friedensbrecher erklären? Durchaus nichts, denn der Krieg wird dann unmöglich. Von unserer Seite ist kein Angriff zu fürchten, und Preußen kann im Hinblick auf das in zwei Lager geteilte Deutschland keinen Augenblick daran denken, uns nach Ihrer Erflärung anzugreifen. Dieselbe bedeutet also den Frieden. Liegt aber der Frieden Deutschlands im Interesse Frankreichs? Ich glaube das ganz bestimmt, denn wenn heute der Krieg zwischen Desterreich und Preußen ausbricht, so wird er nicht eher aufhören, als bis eine

der beiden Mächte, von der andern besiegt, auf Gnade und Ungnade dem Sieger preisgegeben ist und sich genötigt sieht, von der Bildfläche zu verschwinden. Das Ergebnis des Krieges ist also die Hegemonie Oesterreichs oder Preußens in Deutschland, das heißt unter allen politischen Combinationen genau diejenige, welche Frankreich am wenigsten wünschen muß.

B.

Neutralitäts-Convention zwischen Frankreich und Oesterrreich, 12. Juni 1866.

[Troß der Vereitelung des Congress-Vorschlags durch Desterreich, waren die Verhandlungen zwischen dieser Macht und Frankreich, die laut des Nigra'schen Berichtes an den Prinzen Carignan Anfangs Mai von Oesterreich zu dem Zwecke begonnen waren, um die preußisch-italienische Alliance zu sprengen und Frankreich und Italien zur Neutralität zu bewegen, fortgesezt worden. Da es nicht ge= lungen war, Preußen von Italien zu trennen, so war es Desterreich jest darum zu tuen, wenigstens der Gefahr einer preußisch-italienischfranzösischen Tripelalliance vorzubeugen, während dem Kaiser Napoleon es darauf ankam, neben Preußen und Italien auch Oesterreich zum Kriege zu ermutigen und für den Fall des österreichischen Obsiegens, an das er nach wie vor glaubte, sich die Einmischung in die Neuordnung der Dinge zu sichern. So kam die Convention vom 12. Juni zu Stande, die für Oesterreich das Zeugnis der Unfähigkeit seiner damaligen Diplomatie, für Napoleon 111. den stärksten Beweis seiner in dem ganzen damaligen Intriguenspiel an den Tag gelegten betrügerischen Absichten liefert. Napoleon war es gewesen, der die Italiener zu der preußisch- italienischen Offensiv- und Defensiv-Alliance vom 8. April angetrieben und so die lettere recht eigentlich zu Stande gebracht hatte. Er hatte dann deutlich genug Italten und Preußen gegenüber die Absicht zu erkennen gegeben, mit diesen Mächten, falls, wie er glaubte, die Oesterreicher siegen sollten, eine Tripelalliance abzuschließen. Nun gieng er den Desterreichern gegenüber die unter diesen Umständen natürlich niemals ernsthaft gemeinte Verpflichtung ein, nicht nur selbst neutral zu bleiben, sondern auch alles aufzubieten, um die Italiener in der Neutralität zu erhalten! Wenn ihn in der Folge dieser gewißenlosen Zettelungen das Schicksal des betrogenen Betrügers er= reicht hat, so kann darin nur ein gerechtes und zugleich trostvolles Walten der göttlichen Nemesis erkannt werden.

Die ihrem Wortlaute nach noch nicht veröffentlichte Convention vom 12. Juni 1866 hat nach G. Rothan, La Politique Française en 1866, p. 169 ss. folgenden Inhalt:]

Die französische Regierung übernahm der österreichischen gegenüber die Verpflichtung, eine absolute Neutralität zu beobachten und alles aufzubieten, um die italienische Regierung zu derselben Haltung zu bestimmen. Desterreich verpflichtete sich für alle Fälle den status quo ante bellum in Italien zu respectieren. Es willigte, wie auch die Ergebnisse des Krieges ausfallen möchten, in die Abtretung Venetiens. Es verzichtete außerdem auf eine Hegemonie, die Deutschland unter seine Alleinherrschaft bringen würde, und ver= pflichtete sich, keine Gebietsvergrößerung, die das Gleichgewicht Europas stören könnte, ohne Zustimmung Frankreichs vorzunehmen. Es waren das also die Mai-Vorschläge, mit Ausnahme der Clausel, welche die Abtretung Venetiens von der Eroberung Schlesiens abhängig machte, und ohne die Teilnahme Italiens, welches seine ganze Actionsfreiheit behielt. Der Kaiser [Napoleon] hatte nur für sich selbst Verpflichtungen übernommen. Er sollte bei Wiederabtretung der österreichischen Provinz an Italien folgendes stipulieren: 1) Aufrechterhaltung der weltlichen Herrschaft des Pabstes und Unverlezlichkeit des noch der Regierung desselben unterstehenden Gebietes, und zwar ohne damit den zu Gunsten der übrigen Rechte des Heiligen Stuhles gemachten Vorbehalten zu präjudicieren; 2) Anerkennung und Unverleglichkeit der neuen Grenzen zwischen Desterreich und Italien; 3) Entschädigung für die venetianischen Festungen [Festungsviereck] und die Ausgaben, die Oesterreich zur Sicherung seiner neuen Grenzen zu machen haben werde; 4) Verpflichtung Italiens, einen der venetianischen Bevölkerung entsprechenden Teil der österreichischen Statsschuld zu übernehmen; 5) Claufeln, welche verhindern sollten, daß der Hafen von Venedig eine Drohung für die österreichischen Küsten werde. Schließlich verpflichtete sich der Kaiser, daß die [italienischen] Bevölkerungen Herrn ihrer Bewegungen bleiben sollten, wenn sich eines Tages auf der Halbinsel eine Reaction gegen die italienische Einheit vollziehen sollte, und Oesterreich behielt fich im Falle territorialer Veränderungen das Recht vor, für die depossedierten Fürsten des kaiserlichen Hauses Entschädigungen außer= halb Italiens zu fordern. Der am 9. paraphierte Vertrag, wurde am 12. Juni unterzeichnet.

[Durch diese positiven, auf die Lectüre des Vertrages selbst gestüßten Mitteilungen Rothans aus dem Jahre 1883 erledigen sich von selbst die von Sybel (Begründung des Deutschen Reiches IV.,

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