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Bei der Sicherheit und Schnelligkeit, mit der die Neuwurzelbildung an der Schnittstelle älterer Wurzeln vor sich geht, war die in praktischer Hinsicht nicht unwichtige Frage naheliegend, ob die Wurzeln der Rebe auch in isoliertem Zustande ihre Ergänzungsfähigkeit bewahren. Man wußte zwar, daß Stammstücke der Rebe äußerst leicht die ganze Pflanze zu regenerieren vermögen, dagegen war nichts. darüber bekannt, wie sich ihre Wurzeln in dieser Beziehung verhalten, auch fehlten alle zuverlässigen Angaben über die Frage, ob die Reben unter normalen Bedingungen Wurzelknospen, d. h. also Wurzeladventiv-Sprosse hervorbringen können.

Da diese Fragen besonders in Anbetracht der herrschenden Art der Reblausbekämpfung Beachtung verdienen, wurde, um einen Beitrag zu ihrer Klärung zu liefern, zunächst auf das Auftreten von Wurzelknospen geachtet und an einigen älteren Stöcken von Riesling und Sylvaner, die infolge einer Neuanlage in den Anstaltsweinbergen in genügender Auswahl zur Verfügung standen, auch experimentell zu prüfen versucht, ob eine Regeneration der Rebe durch Wurzeladventivsprosse zu ermöglichen ist. Die Versuche ergaben in einer Beziehung ein durchaus negatives Resultat. Adventivknospen bildeten sich nämlich nur an den Stammstücken der Reben, mochten dieselben auch noch so kurz gewählt werden. An den Wurzeln blieben sie dagegen immer aus, wie auch die Versuchsanstellung variiert wurde. Andrerseits aber zeigte sich dabei, daß Wurzelstücke der Rebe auch in isoliertem Zustande die Fähigkeit zur Entwicklung von Wurzelzweigen nicht ganz verlieren.

Anfang Mai 1906 waren 20 Wurzelstücke von 15-17 cm Länge und 4-7 mm Dicke von älteren, unversehrten Weinbergstöcken entnommen und sofort so in Blumentöpfe eingelegt worden, daß sich die einzelnen Stücke in sehr verschiedener Steilung befanden und meist völlig, in einzelnen Fällen aber nur zu etwa 4/5 ihrer Länge vom Boden bedeckt waren. Außerdem waren Wurzelstücke von ähnlicher Beschaffenheit in Erdkästen bis zu einer Tiefe von 30 cm versenkt worden. Eine 50 cm lange, 6-7 mm dicke Wurzel war in aufrechter Stellung so in einen Toncylinder gepflanzt worden, daß ein etwa 5 cm langes Stück über den Boden hinausragte. Der Kulturcylinder hatte auf einer nach Norden gelegenen Rampe des Versuchshauses frei gestanden, der größere Teil der Versuchsgefäße war sofort in freies Land eingegraben, der Rest der Töpfe aber in einem niedrigen Gewächshaus in einem Warmbeet aufgestellt worden.

Trotz sorgfältigster Behandlung der Versuchsgefäße durch regelmäßiges Gießen und Lockern der Erde war bis zum Herbst des Jahres in keinem einzigen Gefäß ein Adventivsproß entstanden, dagegen hatte sich sehr bald gezeigt, daß selbst die kleineren Wurzelstücke von 15 cm Länge eine Callusproduktion einleiteten, die jedoch bald zum Stillstand kam und nur zur Entstehung kleiner, knopfartiger Höcker führte, die kranzförmig den Wurzelquerschnitt umgaben und sich im Herbst in ihren äußeren Schichten verkorkt zeigten. Sehr bemerkenswert ist, daß diese Calluswucherung stets

nur an einem Ende, welches stets dem physikalisch unteren Teile der Wurzel entsprach, zur Entwicklung kam. Neben diesen Calluspfropfen hatten sich an den Schnittstellen in sehr vereinzelten Fällen auch kleine Anlagen neuer Wurzeln gebildet, die ihr Wachstum. aber sehr bald eingestellt hatten und im Herbst zum Teil schon in Zersetzung begriffen waren. In einem Falle war an einem 15 cm langen Wurzelstück unmittelbar hinter der Callus erzeugenden Schnittfläche ein Wurzelzweig entstanden, der Mitte Oktober eine Länge von 4,5 cm erreicht hatte, aber von Fäulnis gleichfalls nicht mehr völlig verschont war. Noch stärker war diese Wurzelneubildung an einigen Wurzel

stücken, die in der Nähe ihres physikalisch unteren Endes noch Stümpfe älterer Wurzelzweige trugen. An der terminalen Region der letzteren hatte sich fast ausnahmslos mindestens ein neuer Zweig gebildet, bei einem Stück waren sogar 3 neue, bis 8 cm lange Würzelchen vorhanden, die am 18. Oktober noch lebende Vegetationspunkte hatten und zum Teil selbst schwach verzweigt waren (Fig 45). Bei weitem am ausgiebigIsten war aber die Wurzelproduktion bei dem oben erwähnten 50 cm langen Wurzelstück. Hier waren, gleichfalls am Ende eines dünneren Zweiges, der bei

der Pflanzung inverse

Fig. 45. Riesling.

Stellung erhalten hatte, Ergänzungsfähigkeit eines isolierten Wurzelstückes. mehrere neue Seiten

wurzeln entstanden, die

nat. Gr.

sich selbst reichlich verzweigt hatten und am 18. Oktober, also nach etwa 5 Monaten, bis zu 40 cm lang geworden, aber dabei anscheinend noch ziemlich lebenskräftig geblieben waren (Fig. 46).

Stärkere Rebenwurzeln besitzen demnach auch in isoliertem Zustande die Fähigkeit, neue Wurzelzweige hervorzubringen, und es scheint die Stärke dieses Regenerationsvermögens von der Größe und dem Nährstoffreichtum der Wurzeln abhängig zu sein. Daß sich diese Regeneration auch auf die Bildung von Adventivsprossen erstrecken kann, ist wenigstens insoweit unwahrscheinlich, als Wurzeln des Rieslings und des blauen Burgunders in Frage kommen. Ausgeschlossen ist eine solche Möglichkeit auch nach den hier vor

liegenden Beobachtungen keinesfalls, namentlich nicht bei den amerikanischen Rebsorten.

Um den Wachstumsgang der Wurzeln und ihre Lage bei älteren Stöcken festzustellen, wurden wiederholt Nachgrabungen in Weinbergen der Gemarkung Geisenheim vorgenommen, wobei im allgemeinen Bodenschichten bis zu 2 m Tiefe zur Untersuchung kamen, in einem Falle jedoch bis zu 5 m Tiefe eingedrungen wurde. Es

Fig. 46. Riesling.

Wurzelneubildung an einem isolierten Wurzelstück von 50 cm Länge.

war zu diesem Zwecke zwischen 2 Zeilen eines auf Löß stehenden Weinberges ein Schacht in den Ausmessungen von 0,8 × 2 × 5 m so angelegt worden, daß man von seinen Wänden aus die Wurzelstränge von 6 Stöcken des blauen Burgunders leicht erreichen konnte. Der Boden bestand an dieser Stelle aus reinem Löß, der offenbar noch beträchtlich unter die Sohle des Schachtes hinabreichte, hier aber etwas sandiger wurde.

Die äußerste Wurzelgrenze des blauen Burgunders wurde in dem Schacht in Bodenschichten von 4,80-5 m Tiefe ermittelt. Daß

dieser Tiefgang nicht außergewöhnlich ist, zeigte sich an einem anderen Weinberge, der am Rande eines Steinbruches lag. Hier ließen sich Rebenwurzeln von 1-2 mm Dicke noch in den Felssprüngen einer 5,50 m tiefen Schicht nachweisen. Unter besonderen Verhältnissen dringen die Wurzeln der Rebe sicher noch tiefer in den Boden ein, wie schon an anderer Stelle (Weinbau und Weinhandel 1904 S. 91) ausgeführt wurde, und wie es auch die immer wiederkehrenden Mitteilungen aus der Praxis beweisen, nach denen steil absteigende Wurzeln von 10-12 m Länge wiederholt aufgedeckt wurden. Ein so außergewöhnlich großer Tiefgang der Rebenwurzeln wird augenscheinlich durch das Vorhandensein lockerer Bodenmassen begünstigt. Dafür spricht ein durch zuverlässige Mitteilungen sicher verbürgter Fall, in dem eine 10 m lange Rebenwurzel in der Ausfüllung eines verlassenen und wieder zugeworfenen Schachtes des Geisenheimer Kaolinwerkes gefunden wurde, und ebenso eine Notiz, die über eine ganz ähnliche Beobachtung an Rebenwurzeln berichtet, die in das Geröll eines alten, verschütteten Brunnens bis zu 12 m Tiefe eingedrungen waren. (S. W. u. W. 1907 S. 60.)

Über den Wachstumsgang der Wurzeln ließ sich im übrigen folgendes feststellen: Die Fußwurzeln der Stöcke wurden in einer Tiefe von 35-40 cm angeschlagen. Im allgemeinen hatte jede Pflanze 2-4 starke, stammbürtige Wurzeläste, die am Fuß oder dem nächsthöheren Knoten des Stammes inseriert und an der Basis gewöhnlich 2-3 cm dick waren. Meist verliefen diese alten Wurzeln vom Stock aus zunächst eine kleine Strecke, z. B. 2-1 m weit, ziemlich flach im Boden, wandten sich dann aber immer steil nach abwärts und waren in dieser Stellung bis in Bodentiefen von 2,50 bis 3 m meist leicht zu verfolgen. An diesen Hauptwurzeln traten meist erst in einiger Entfernung vom Stamm, in Bodenschichten von. etwa 1 m Tiefe stärkere Seitenwurzeln I. Grades in relativ spärlicher Zahl auf, die sich in ähnlicher Weise weiter verzweigten und auch annähernd dieselbe Wachstumsrichtung hatten wie die Hauptwurzeln. Feinere Wurzelfasern waren in den älteren Teilen dieser Wurzelstränge im ganzen selten, sodaß die Wurzeln wenigstens in den oberen Schichten ziemlich kahl erschienen. Der Durchmesser der beim Ausheben des Wurzeigrabens gefundenen, derartigen Hauptwurzelsträngen angehörigen Wurzeln betrug in Bodenschichten von annähernd

1,00-1,50 m Tiefe annähernd 0,5-2 cm

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Die feineren Wurzelfasern der Fußwurzelstränge lagen also in Bodenschichten von 2-4,75 m Tiefe. Sie hatten ebenso wie die stärkeren Wurzeln meist steile Richtung und waren dabei ziemlich grade gewachsen, ohne stärkere Krümmungen zu zeigen. Besonders oft fanden sie sich in Regenwurmröhren, die sie einzeln oder in Form der von Goethe beschriebenen Wurzelzöpfe durchzogen. Sehr

Geisenheimer Bericht 1906.

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vereinzelt waren sie auch in den Wachstumsgängen vermorschter, stärkerer Wurzeln anzutreffen. Bei weitem die meisten dieser feineren Tiefwurzeln waren zur Zeit der ersten Untersuchung, d. h. am 19. Juli gebräunt und auch ins Sekundärstadium übergegangen. Daß sie aber noch alle lebensfähig waren, ging am besten aus der Tatsache hervor, daß sie noch im Laufe des Sommers fast ohne Ausnahme in der früher geschilderten Form Ergänzungswurzeln anlegten, die im Oktober auffallend häufig in Bodenschichten von 3,30-3,50 m zu finden waren, aber auch in größerer Tiefe nicht ganz fehlten. Neugebildete Wurzeln mit weißen im Wachstum begriffenen Spitzen waren beim Ausheben des Grabens an den Hauptwurzelsträngen seltener. Sie wurden mit Sicherheit erst in einer ziemlich stark durchwurzelten Schicht von etwa 2 m Tiefe nachgewiesen und ließen sich dann in spärlicher Zahl bis zur Tiefe von 3,25 m verfolgen. Die Bodentemperatur des Untersuchungsgebiets betrug um diese Zeit (19. Juli 1907 mittags) bei 15 cm Tiefe 23o C., bei 25 cm 20° C., bei 3,90 cm 10,70° C.

Neben den oben beschriebenen alten Wurzelästen wurden an allen Stöcken, und zwar sowohl beim Riesling wie auch beim blauen Burgunder, schwächere Wurzeln sehr verschiedenen Alters angetroffen, deren Durchmesser im allgemeinen 5-6 mm nicht überstieg. standen am Stamm in sehr verschiedener Höhe, häufiger jedoch in der Fußregion als in den oberen Teilen des Stockes. Gewöhnlich verliefen sie flach im Boden entlang, waren an den älteren Partien kahl, dafür aber am Ende und zuweilen auch noch in der Mitte auf einer kurzen Strecke äußerst fein verästelt. Sie waren gewissermaßen mit Saugwurzelnestern ausgerüstet, deren dicht stehende Fasern verhältnismäßig kurz geblieben und in der bekannten, für die meisten Wurzeln charakteristischen Weise wellig gekrümmt waren. Von den feineren Ausstrahlungen der Tiefwurzeln unterschieden sich also diese Verästelungen, die immer in den oberen Bodenschichten, etwa bis zu einer Tiefe von 1 m anzutreffen waren, in der äußeren Form wesentlich. Sie glichen dagegen den Verzweigungen der Langwurzeln, wie sie sich an Blindreben oder jungen Wurzelreben in lockerem Boden und bei sonst günstigen Bedingungen im ersten Jahre nach der Pflanzung zu bilden pflegen. Zuweilen standen sie unmittelbar am Stamme und konnten dann, nach der Dicke ihrer Hauptwurzel zu urteilen, kaum älter als 2 Jahre sein. Beachtenswert ist die Beobachtung, daß in einem mit Riesling bepflanzten Weinberge in einer gegen 15 cm dicken Schicht verwitterten Schiefers, der früher auf den Weinberg aufgetragen und später bei einer Neuanlage noch mit einer 25-30 cm dicken Bodenschicht überfahren worden war, gerade Wurzeln der eben besprochenen Art auffallend zahlreich anzutreffen waren.

Obwohl diese Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind und durch weitere Beobachtungen ergänzt werden müssen, so lassen sie doch bereits den Schluß zu, daß bei der Rebe die Wurzeln der oberen Schichten in der morphologischen Ausgestaltung etwas von den Wurzeln der tieferen Bodenregionen abweichen können.

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