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1862.

Aeußerung der officiösen Stern-Zeitung über die Be

schlüsse des Abgeordnetenhauses am 25. September:

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„Das Haus der Abgeordneten hat, wie seit Wochen vorauszusehen war, den Forderungen der Fortschrittspartei gemäß die gesammten Ausgaben der Militär- Reorganisation im Staatshaushaltsetat gestrichen und damit, wenn das Botum eine praktische Bedeutung haben soll, seines Theils die Desorganisation der Armee beschlossen. Wir behalten uns vor, in den nächsten Tagen genauer darzulegen, wie es sich praktisch gestalten würde, wenn das Votum des Abgeordnetenhauses in Wahrheit zur Ausführung gelangen, wenn das Herrenhaus an seinem Theil den zerstörenden Beschlüssen beitreten und die Regierung ihre Pflichten für das Heil und die Ehre des Landes so weit verkennen könnte, um solche parlamentarische Beschlüsse ohne Weiteres zu vollziehen. Doch das hat die Majorität des Abgeordnetenhauses auch nicht erwartet, sie hat vielmehr von vorn herein gewußt, daß sie ein Votum rein theoretischen Charakters abgebe, leider auf einem Gebiet von so unmittelbar praktischer Bedeutung, daß bloßes Theoretisiren auf demselben nur Verwirrung und unheilvolle Verwickelungen anrichten kann. Wenn die Verfassung vorschreibt, daß der Staatshaushalt in jedem Jahre durch ein Gesetz festgestellt werden soll, - so scheint es unzulässig und den verfassungsmäßigen Pflichten zuwider, bei der Mitwirkung zu diesem Gesetze Beschlüsse zu fassen, deren Unannehmbarkeit und Unausführbarkeit den Beschließenden selbst ganz klar bewußt ist ... Der Abgeordnete Twesten (der übrigens mit der Mehrheit des Hauses gestimmt bat) wies die praktische Nichtigkeit der beabsichtigten Beschlüsse mit folgenden Worten nach: „Hält man es faktisch für unthunlich, auf den Zustand von 1859 zurückzukehren oder will man es ernstlich gar nicht, will man nicht das, was man durch das Urtheil über den Etat scheinbar verlangt, dann stellt man sich auf den Boden eines formalen Princips, welches die realen Verhältnisse mißachtet und in der Politik niemals Dauerndes schaffen oder erhalten kann. Man sagt etwas, was nicht ist, man beschließt, was man garnicht ausgeführt haben will; es ist das eine Politik der Agitation und Demonstration, welche eine gedeihliche Entwickelung unserer parlamentarischen Zustände unmöglich macht. Statt materielle Vortheile für 1863 zu erreichen, ruft man jedenfalls für den Augenblick große Unregelmäßigkeiten in dem ganzen Staatshaushalte bervor. Man ruft aber auch durch einen solchen Beschluß außerhalb des Hauses die Täuschung hervor, als wenn nun das, was gestrichen und abgesezt wird, wenn nicht für den Augenblick, so doch für die Zukunft wirklich erspart werden sollte, und ich glaube, eine solche Illusion würde entweder später eine Enttäuschung hervorrufen, welche der Autorität dieses Hauses schweren Schaden bereiten würde, oder sie würde weiter und weiter zu Schritten treiben, welche einen immer schwe reren Bruch unvermeidlich machten." Im Anschluß an diese Worte wies der Herr Finanzminister v. d. Heydt nochmals auf die faktische Unmöglichkeit hin, daß an dem Budget für 1862 diejenigen Absetzungen stattfinden könnten, welche die Kommission vorgeschlagen, und hob die Gefahr hervor, daß „Umstände eintreten, unter denen irgend etwas geschehen müsse, was nicht ausdrücklich in der Verfassung geschrieben sei..." Wenn ungeachtet der klaren factischen Lage der Dinge und ungeachtet aller entschiedenen Mahnungen das Haus dennoch beschlossen hat, was nicht ausgeführt werden kann und „was man gar nicht ausgeführt haben will" so wird das Haus sich der Mitverantwortlichkeit für die daraus erwachsenden Zustände Angesichts des Landes nicht entschlagen können.“

Fürst Bismard.

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29. September. Erste Erklärung des Ministers von Bismarc im Abgeordnetenhause bei der Zurückziehung des Etats für 1863:

„Nachdem das hohe Haus alle in der Reorganisation des Heeres beruhenden Ausgaben aus dem Etat von 1862 abzusetzen beschlossen hat, muß die Königliche Regierung annehmen, daß dieselben Beschlüsse sich bezüglich des Etats für 1863 unverändert wiederholen werden, wenn derselbe gegenwärtig zur Berathung gelangt. Da die Königliche Regierung ihrerseits ebenfalls an den Auffassungen festhält, welche durch ihre Organe bei Berathung des Budgets für 1862 vertreten worden sind, so steht zu gewärtigen, daß die Ergebnisse einer sofortigen Beschlußnahme über den Etat von 1863 der zukünftigen Erledigung der streitigen Fragen nicht förderlich sein, sondern die Schwierigkeiten derselben erheblich vermehren werden. Die bisherigen Verhandlungen haben außerdem herausgestellt, daß eine den Bedürfnissen des Landes entsprechende Feststellung des Budgets erst durch die von der Königlichen Regierung für die nächste Sigungs-Periode in Aussicht genommene Verständigung über ein anderweites Gesetz hinsichtlich der Verpflichtung zum Kriegsdienste ermöglicht werden kann. - Die Königliche Regierung beabsichtigt nicht, den Grundsaß aufzugeben, daß die Etats in Zukunft zeitig genug vorgelegt werden, um ihre Feststellung vor dem Beginn des Jahres, für welches sie bestimmt sind, möglich zu machen. Sie hält nur in dem gegenwärtigen Falle für ihre Pflicht, die Hindernisse der Verständigung nicht höher anschwellen zu lassen, als sie ohnehin sind. Sie wird im Beginne der nächsten Sizungsperiode den Etat für 1863 in Verbindung mit einem die Lebensbedingungen der eingetretenen Heeresreform aufrecht erhaltenden Gesez-Entwurf zur Regelung der allgemeinen Wehrpflicht und demnächst rechtzeitig den Etat für 1864 dem hohen Hause zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorlegen."

Ende September. Vertrauliche Aeußerungen Bismarcks in der Budgetkommission:

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„Der Conflict werde zu tragisch aufgefaßt und von der Presse zu tragisch dargestellt; die Regierung suche keinen Kampf. Könne die Krisis mit Ehren beseitigt werden, so biete die Regierung gern die Hand dazu. Die große Selbstständigkeit des Einzelnen mache es in Preußen schwierig, mit der Verfassung zu regieren; in Frankreich sei das anders: da fehle die individuelle Selbstständigkeit. Eine Verfassungskrisis sei keine Schande, sondern eine Ehre. Wir sind vielleicht zu gebildet, um eine Verfassung zu ertragen; wir sind zu kritisch.“ Die öffentliche Meinung wechsele; die Presse sei nicht die öffentliche Meinung; man wiffe, wie die Presse entstehe. Es gebe zu viel katilinarische Existenzen, die ein Interesse an Umwälzungen haben. Die Abgeordneten hätten die Aufgabe, die Stimmung zu leiten, über ihr zu stehen. „Wir haben zu heißes Blut, wir haben die Vorliebe, eine zu große Rüftung für unsern schmalen Leib zu tragen; nur sollten wir sie auch nügen. Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht.

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Baiern, Würtemberg und Baden mögen dem Liberalismus indulgiren; darum wird ihnen doch keiner Preußens Rolle anweisen. Preußen muß seine Kraft zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einigemal verpaßt ist, Preußens Grenzen sind zu einem gefunden Staatskörper nicht günstig. Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden das ist der Fehler von 1848 und 1849 gewesen sondern durch Eisen und Blut."

Ferner: Diesen Olivenzweig habe ich in Avignon gepflückt, um ihn der Volkspartei als Friedenszeichen anzubieten; ich sehe jedoch, daß es noch nicht Zeit dazu ist.“

6. und 7. Oktober. Verhandlungen im Abgeordnetenhause.

Antrag der Budgetkommission auf eine Resolution:

1. Die Staatsregierung wird aufgefordert, den Etat für 1863 dem Hause der Abgeordneten zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme so schleunig vorzulegen, daß die Feststellung desselben noch vor dem 1. Januar 1863 erfolgen kann;

2. das Abgeordnetenhaus erklärt: es ist verfassungswidrig, wenn die Staatsregierung eine Ausgabe verfügt, welche durch einen Beschluß des Hauses der Abgeordneten definitiv und ausdrücklich abgelehnt ist.

Amendement des Abg. von Vince:

zu erklären, daß die Staatsregierung, falls sich die Feststellung des Staatshaushalts - Etats für das nächste Jahr nicht noch vor dem 1. Januar 1863 herbeiführen läßt, zur Aufrechterhaltung verfaffungsmäßiger Zustände verpflichtet ist, noch vor Ablauf des Jahres 1862 die Bewilligung eines vorläufigen extraordinären Kredits bei der Landesvertretung zu beantragen.

7. Oktober. Erklärung des Minister - Präsidenten von Bismarck im Namen des ganzen Staats- Ministeriums (formulirt und verlesen):

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Die Resolution Ihrer Kommission ist bestimmt, die Antwort zu bilden auf unsere Zurückziehung der Budgetvorlage für 1863. Wie die Regierung bei letterer erklärt und der Abgeordnete für Stargard gestern entwickelt hat, glaubte die Königliche Regierung, indem sie die Verhandlungen über den Etat für 1863 vertagte, in versöhnlicher Weise die künftige Ausgleichung zu erleichtern. Die Resolution weist die dargebotene Hand zurück, sie beantwortet den Vorschlag zum Waffenstillstand mit einer Herausforderung zu schleuniger Fortsetzung des Streites. Die Regierung nimmt von dieser Thatsache Akt, ohne sich durch dieselbe in ihren Entschließungen zur Herstellung des Einvernehmens der verfassungsmäßigen Gewalten beirren zu lassen. Sie wird die von ihr am 29. v. M. gegebenen Zusagen inne halten, und befindet sich hinsichts der regelmäßigen Vorlage der Etats in keiner prinzipiellen Meinungsver

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schiedenheit mit dem Hause. Sie hat zuerst in Abweichung von dem 12jährigen Usus den Etat für 1863 zeitiger vorgelegt, dasselbe für 1864 in Aussicht gestellt und für die Zukunft zugesagt. Die Streitfrage, welche uns beschäftigt, enthält zwei nicht nothwendig zusammenhängende Momente, das der Militairorganisation und das der Verfassungsfrage über die Kompetenz der verschiedenen Staatsgewalten bei Fest= stellung des Budgets. Die lettere wurde vor 12 Jahren in und zwischen beiden Häusern und der Regierung verhandelt, ohne ausgetragen zu werden.

Ich glaube, daß die damals nicht erreichte Lösung dieser Prinzipienfrage auch jest weder im Wege dialektischen Streites und persönlicher Vorwürfe gelingen, noch durch die beantragte Resolution gefördert werden wird. Rechtsfragen der Art pflegen nicht durch Gegenüberstellung widerstreitender Theorieen, sondern nur allmälig durch die staatsrechtliche Praris erledigt zu werden.“

Nachdem in der Kommission die Haltung angedeutet worden_ist, welche die Königliche Regierung annehmen würde, wenn sie eine praktische Verständigung nicht zu erreichen vermag, verspricht sie sich für lettere feinen Gewinn, wenn sie mit derselben polemischen Schärfe, welche die gestrigen Vorträge charakterisirte, die Theorie der Theorie, die Interpretation der Interpretation gegenüberstellen wollte. Dazu wird die Zeit kommen, wenn die Aussicht auf eine friedlichere Ausgleichung geschwunden sein sollte.

Das Amendement des Herrn von Vinde wurde uns erst während der gestrigen Sitzung bekannt, und da wir aus demselben die Hoffnung schöpften, einen Anknüpfungspunkt zur Vermittelung gewinnen zu können, so wünschte das Ministerium eine Vertagung der Verhandlung, um_sich über seine Stellung zu dem Amendement schlüssig zu machen. Demzufolge erlaube ich mir die Erklärung abzugeben, daß die Königliche Regierung in der Annahme des Binde'schen Amendements ein Unterpfand für die entgegenkommende Aufnahme ihrer Bemühungen zur Verständigung erblicken und, wenn die Annahme erfolgt, Vorschläge machen wird, welche auf den Antrag eingehen, ohne sich dessen Motive anzueignen und ohne die Frage wegen der verfassungsmäßigen Verpflichtung zu präjudiziren. Die im Amendement für 1862 in Aussicht genommenen Schritte würden erst dann den erforderlichen Boden finden, wenn ersichtlich wäre, daß ein Gesetz zur Feststellung des Staatshaushalts-Etats nicht rechtzeitig zu Stande

fäme."

Antwortrede des Abgeordneten Schulze - Delizsch

Schlußz:

„Gerade die ungeschickteste Handhabung der Geschicke unseres Vaterlandes in einzelnen Zeitperioden hat stets nur dazu gedient, Regierung und Volk mit zwingender Gewalt aus schweren Niederlagen wieder auf die rechte Bahn zu weisen.

Und wie die Dinge jetzt stehen, meine Herren, so mahne ich Sie ganz einfach an ein Gesetz, welches in der physischen so gut, wie in der politischen Welt ganz gleichmäßig gilt. Das ist das Gesetz der Bewegung. Die Dinge bleiben nicht auf demselben Flecke stehen; es ist die Grundbedingung alles Lebens, daß sie in steter Fort- und Umbildung begriffen sind. Und dann meine ich, meine Herren, wenn eben gerade einmal unsre öffentlichen Angelegenheiten

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oder die Leitung derselben in einer gewiffen Richtung, die wir als rückläufig zu bezeichnen haben, bis zu einem äußerst möglichen Punkte angekommen find, wenn es nicht gut möglich ist, Jemand an die Spiße der Geschäfte zu ftellen, der entschiedener diese Richtung vertritt: so liegt es in dem Gesetz der Pendelschwingung, daß, weil eine weitere Ausweichung nicht mehr nach dieser Seite möglich ist, die Schwingung nun nach der andern Seite hin erfolgen muß.

Meine Herren, ich habe die besten Hoffnungen und schiebe sie nicht auf gar zu lange hinaus.

Man hat von der Machtfrage gesprochen; Recht ist Macht, wenn Männer da sind, die in rechter Weise dafür einstehen. Stehen wir hier fest und steht das Volk hinter uns, mit seinem ganzen, tief sittlichen Ernst, für die Verfassung des Landes, dann hat es teine Noth. Interpretation gegen Interpretation, Theorie gegen Theorie“, rufe ich dann mit dem Herrn Ministerpräsidenten, und das, was dann, wenn dieser Conflict ausgetragen sein wird, die unbestrittene Braxis sein wird in diesem Hause, wie am Ministertische, das wird ganz gewiß nicht die Theorie sein, die uns von seiner Seite angekündigt wurde. (Stürmisches Bravo!)

Das Abgeordnetenhaus nimmt den Resolu= tions-Antrag der Kommission mit 251 gegen 36 Stimmen an.

Das Ministerium Bismarck.

8. Oktober. Ernennung des Staats- Ministers und interimistischen Vorsitzenden des Staats- Ministeriums von BismarckSchönhausen zum Präsidenten des Staats- Ministeriums und zum Minister der auswärtigen Angelegenheiten (an Stelle des Grafen von Bernstorff).

10. und 11. Oktober. Budgetverhandlungen im Herrenhause.

Antrag der Kommission: Bor Abgabe eines Botums von Seiten des Herrenhauses eine Zwischenverhandlung mit dem Abgeordnetenhause zu erneuter Erwägung der von diesem gefaßten Beschlüsse eintreten zu lassen. Antrag des Grafen Arnim-Boyßenburg:

a) den Gesetzentwurf, betreffend die Feststellung des Staatshaushaltsetats für das Jahr 1862, in derjenigen Fassung, in welcher derselbe aus den Berathungen des Hauses der Abgeordneten hervorgegangen ist, abzulehnen; b) denselben Geseßentwurf, wie derselbe von der Königlichen Staatsregierung durch Allerhöchfte Ermächtigung vom 25. Mai d. J. den beiden Häusern des Landtages zur verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorgelegt ist, anzunehmen.

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