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zu werden pflegte, so war der Dienst mühsam genug. Fortwährend wurde geput und exerziert, exerziert und gepußt; allerorten Militär, unter 6 Millionen Menschen beinahe eine Viertelmillion Soldaten; da mußte freilich dem italienischen Dichter Alfieri, der 1770 Berlin besuchte, die Hauptstadt wie eine große Kaserne und der ganze preußische Staat wie eine ungeheure, ununterbrochene Wachtstube vorkommen.

Vergleicht man die Berichte, welche fremde Besucher damals über den Charakter der Berliner entwarfen, so ist es interessant zu sehen, wie jeder etwas anderes zu tadeln weiß. Dem Engländer mißfällt der Mangel an Opposition gegen die unumschränkte Regierung, dem Italiener das uniforme soldatische Wesen; Hamann, der fromme Schwärmer, nennt Berlin, weil es voller Freigeister, ein „Babel"; Georg Forster spricht von der „Prasserei, fast Gefräßigkeit“ der Berliner 35) (eine Untugend, die man heut ihnen am allerletzten Schuld geben würde); in einem stimmen sie alle überein, daß die Sittenlosigkeit hier groß sei. Ohne Zweifel erschien sie noch weit größer als sie wirklich war, weil sie sich so breit machen durfte, weil kein Friedrich Wilhelm seinen Stock über sie schwang, und weil der regierende König das Franzosenthum in Mode gebracht hatte, bis er den übeln Folgen zuletzt selbst nicht mehr Einhalt thun konnte. Uebrigens besaßen die Berliner von damals auch manche gar löbliche Eigenschaft: man rühmte an ihnen die Geschliffenheit, die Liebe zur Geselligkeit, die Freiheit im Umgange, den scharfen Blick auf die Gegenstände, welche sie umgaben, und besonders den Hang zum Mitleiden und zum Wolthun. Es war ein leichtsinniges frivoles Völkchen, aber gutherzig und nachsichtig gegen andere wie gegen sich selbst, duldsam gegen Andersgläubige, aufgeklärt und milde und voll reger Vaterlandsliebe; dabei rührig und voll Intereffe für alles Bedeutende; nur mit Gauklern, Wundermännern, Kraftgenies und Schwärmern durfte man ihnen nicht kommen; sie fanden hier selten ihre Rechnung; dazu war man in Berlin schon zu kritisch, wenn auch sonst hier der Wahlspruch galt: „Leben und leben lassen."

Einsichtsvolle Vaterlandsfreunde konnten freilich der übrigen Nation nur Glück dazu wünschen, daß sie zwar nicht so zivilisirt wie die Hauptstadt, aber auch nicht so entartet war, daß sie sich ein gutes Stück des alten Ernstes, der alten Ehrbarkeit bewahrt hatte, daß die Provinzen troß des allgemeinen Preußenthums, das sie verband und das sich am bestimmtesten in der Verehrung des Königs ausdrückte, von ihren Eigenthümlichkeiten noch genug besaßen, um den giftigen Einflüssen der Unsittlichkeit, die nach Friedrichs Tode auf den Thron fam, nicht hoffnungslos zu erliegen.

Sechstes Buch.

Verfall der alten Monarchie.

Friedrich Wilhelm II.

Friedrich der Großze hinterließ keine Kinder. Es folgte ihm daher auf dem Throne sein Neffe Friedrich Wilhelm, der Sohn des 1758 verstorbenen Prinzen August Wilhelm. Das war freilich kein Mann, der die schwere Rolle eines Königs von Preußen wirdig hätte weiter spielen können. Friedrich Wilhelm II., oder Wilhelm der Dicke, wie das Volk ihn nannte, war ein „seelenguter" Mann, weichherzig und wolwollend, auch eine stattliche Erscheinung von sechs Fuß Höhe; aber dieses weiche Herz wurde von der zügellosesten Sinnlichkeit beherrscht, und in diesem großen Körper wohnten ein mittelmäßiger Verstand und ein schwacher Charakter. So fiel er, unfähig sich selbst zu beherrschen, früh Buhlerinnen und unwürdigen Günstlingen in die Hände, die das Edlere in ihm nicht aufkommen ließen und die großherzigen Anregungen, denen seine Natur zugänglich war, einen gewissen ritterlichen Geist, der in ihm steckte, irre führten. Und da das Alter - er war bei seinem Regierungsantritt 42 Jahre alt (geboren am 25. September 1744) - seinen Sinn nicht männlicher, sein Urtheil nicht reifer gemacht hatte, so blieb der in Wollüsten Erschlaffte, in mystischen Aberglauben Verstrickte auch als König ein Werkzeug der selbstsüchtigen und gewissenlosen Leute, die er zu seinen Vertrauten wählte. Welch verworfenes Gesindel umlagerte nun den Thron! Da war zuerst die Lieblingsmätresse des Königs, die er, obwol Gatte und Vater, als solche öffentlich anerkannte ein Aergerniß, das im hohenzollernschen Hause bisher nicht erhört war die Tochter des Kammermusikus Enke, die Friedrich Wilhelm zum Schein mit dem Kammerdiener Rietz verheirathet hatte und später zur Gräfin Lichtenau erhob. Diese Buhlerin,

Pierson, preng. Geschichte.

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die preußische Dübarry", hielt ihn mit allen Künsten ihres schändli de Ges werbes fest umgarnt und machte das Königsschloß zu dem Serail eines Sultans. Während diese Priesterin der Wollust mit ihren Gehülfinnen die Sinne des Königs in Ausschweisungen versenkte, welche an das Sündenleben Ludwigs XV. erinnerten, wurde sein Geist umnebelt, sein Wille geleitet von zwei Günstlingen, deren Ränke nur um so gefährlicher waren, weil sie sich in den Mantel der Frömmigkeit hüllten. Der eine war der Major v. Bischofswerder, ein feiner Intrigant und glatter Höfling, der die reizbare Phantasie und die romantischen Anwandlungen des Königs mißbrauchte, um ihm durch die Vorspiegelung übermenschlicher Vermögen zu imponiren. Geheimnißvoll, mystisch-feierlich trat er ihm in den Stunden entgegen, wo jener aus seinem zerfahrenen Leben nach Höherem verlangte, und enthüllte ihm die Mysterien eines Ordens, dessen übernatürliche Weisheit so alt wie die Pyramiden Aegyptens sei, des erhabenen Ordens der Gold- und Rosenkreuzer. Unter diesen Geheimnissen war das Goldmachen noch das kleinste. Bischofswerder vermochte weit größere Wunder. Auf seine Zauberbeschwörung erschienen die Geister, die Stimmen der Luft, die Bilder im Spiegel, und bekräftigten das Wort des Meisters. Wenn dann der tolle Spuk verschwand, so nahm der schlaue Betrüger wieder jene unergründliche Zurückhaltung an, die den König längst hatte ahnen lassen, daß er es hier mit einem tiefen und großen Geiste zu thun habe. Niemand unterstüßte dabei den Gaukler so gut, als der zweite Günstling des Königs, der Geheime-Rath Wöllner. Er war ein Mensch von ähnlicher Durchtriebenheit wie Bischofswerder; von Hause aus Theolog, hatte er wie ein Chamäleon die verschiedensten Masken getragen; erst Dorfpastor, dann Reisehofmeister eines jungen Edelmannes, eine Zeitlang sentimentaler und aufgeklärter Schriftsteller, darauf Lehrer des Prinzen von Preußen und nach dessen Thronbesteigung Finanzrath. Jezt verlegte er sich auf die Frömmelei; denn der König fühlte immer dringender das Bedürfniß, seine fleischlichen Sünden durch kirchliche Muckerei gut zu machen. Die beiden Günstlinge arbeiteten einander getreulich in die Hände, der eine als Hoftheosoph, der andere als Hoftheolog, beide die Häupter eines dichten Schwarms von Hofschranzen und Dunkelmännern; das waren jetzt die Räthe und Diener des preußischen Königthums.

Dennoch empfing die gedankenlose Menge den neuen Herrscher, wie sie pflegt, mit Jubel; sie versprach sich von einem Friedrich Wilhelm II. allerlei Wolthaten, die ein Friedrich der Große nicht hatte geben können! Anfangs suchte die neue Regierung die öffentliche Gunst, die ihr entgegengetragen wurde, zu verdienen. Sie hob die verhaßte französische Regie sammt dem Kaffee- und Tabaksmonopol auf, entließ die französischen Zollbeamten und ersetzte sie durch Inländer. Auch einzelne andere Schroffheiten des herrschenden Merkantilsystems wurden gemildert, und der Steuerdruck ein wenig erleichtert. Ebenso suchte man in den übrigen Zweigen der Verwaltung zu bessern. Bisher hatte der König persönlich die ganze Kriegsverwaltung geführt, jest wurde ein Kriegsdirektorium geschaffen, dessen Leitung der Herzog K. Ferdinand von Braunschweig und der Feldmarschall v. Möllendorf erhielten. Verordnungen erschienen, welche das Werbewesen im Auslande besser ordneten, gewaltsames Pressen von Rekruten, sowie die rohe Behandlung der gemeinen Soldaten untersagten. Auch für das Erziehungswesen geschah manches. Unter Leitung des alten Ministers von Zedlig wurde

Mirabeau über die alte preußische Monarchie.

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ein „Oberschulenkollegium“ aus praktischen Schulmännern errichtet, welches in den gesammten öffentlichen Unterricht mehr Plan und Zusammenhang bringen, namentlich auch die verschiedenen Bildungsarten, die klassische für das Gelehrtenthum, die reale für den Bürgerstand, die elementare für das niedere Volk klarer von einander sondern und jede nach ihren Bedürfnissen behandeln sollte (Februar 1787). Aber alle diese Maßregeln berührten nur die Oberfläche des Uebels. Es handelte sich um ganz anderes, es galt den Staat von Grund aus neu zu gestalten. Denn diese Großmacht Preußen seßte, um sich zu halten, einen Herr scher voraus von Friedrichs des Großen Gaben. Kein kleinerer Geist konnte den Mangel des Staats an natürlicher Kraft ersetzen. Die alte Monarchie hatte sich in dem Augenblicke überlebt, da Friedrich gestorben. war. Einsichtige Zeitgenossen, vor allen Mirabeau, fragten mit Recht: „Kann man hoffen, daß alle Nachfolger Friedrichs so unermüdlich sein werden wie er, daß sie jährlich, gleich ihm, in allen Theilen des Staats die Inspektionen vornehmen, daß sie alle Berichte über jedes einzelne Regiment lesen und prüfen, daß weder der Einfluß eines Höflings, noch eines Freundes, noch einer Geliebten einen Augenblick das Interesse des Heeres überwiegen, oder niemals irgend eine Parteilichkeit, Genuß oder Intrige auf die Leitung des Ganzen einwirken werden? Wenn nach dem Tode dieses Fürsten, dessen Genie allein dieses unvollkommene Gebäude erhält, ein schwacher König ohne Talent folgt, so wird man in wenigen Jahren das preußische Militär entarten und in Verfall gerathen sehen; man wird diese ephemere Macht in die Stärke zurückkehren sehen, welche ihre wirklichen Mittel ihr anweisen, und wird sie vielleicht einige Jahre Ruhmes sehr theuer bezahlen müssen.“ ' Nun folgte in der That ein schwacher König ohne Talent. Um so mehr hätte der weise Rath Mirabeaus befolgt werden müssen: „es sollte die militärische Sklaverei verschwinden, das Merkantilsystem mit seinen nachtheiligen Wirkungen beseitigt, die feudale Scheidung der Stände gemildert, das einseitige Vorrecht des Adels in bürgerlichen und militärischen Aemtern aufgehoben, Privilegien und Monopole vernichtet, das ganze System der Besteuerung verändert, dem Volke die Lasten abgenommen werden, die seine Produktion hemmten, Verwaltung, Rechtspflege und Schulwesen eine neue Förderung erhalten, die Zenfur fallen, überhaupt dem alten Soldaten- und Beamtenstaat ein frischer Antrieb politischen und geistigen Lebens mitgetheilt werden.“2) Aber solche Stimmen verhallten unbeachtet; man wiegte sich in Preußen in stolzer Selbsttäuschung; man hielt die alte Monarchie für unübertrefflich, obwol nur der alte Monarch es gewesen war; am wenigsten fühlte Friedrich Wilhelm II. den Beruf und die Kraft zu einer so großartigen Reform. Er besaß nicht einmal die Energie, die vereinzelten kleinen Verbesserungen, die er bei seiner Thronbesteigung vornahm, wirklich durchzuführen; er kam aus den Anläufen nicht heraus, und da sich denn bald zeigte, daß man ungestraft an dem überlieferten Staatswesen Einzelheiten nicht verändern konnte, daß z. B. die Abschaffung der Regie einen Ausfall in den Einnahmen herbeiführte, der von selbst sich nicht deckte, so griff man zu neuen Künsteleien, die fast ebenso drückten und doch weniger leisteten. Kurz, die Maßregeln der neuen Regierung waren nichts als eine wolmeinende Pfuscherei. Sie lenkte aber bald in eine Bahn ein, die geradezu verderblich war.

Zu den schlimmsten Schäden des damaligen Lebens gehörten ohne Zweifel

die Frivolität des Meinens und die Verkommenheit des Glaubens; sie erzeugten nicht bloß Gleichgültigkeit gegen alles Kirchliche und freche Religionsspötterei, sondern auch jene Gottlosigkeit im Handeln, die man unter dem neuen freigeistigen Geschlechte so häufig wahrnahm. Die ungezügelte Aufklärung hatte in der That zu einem „Aufkläricht“ geführt, einem widrigen Gemisch von Flachheit und Gemeinplätzen, vor welchem schon 1769 dem edelsten Vertreter der wahren Aufklärung, Lessing, ein Ekel ankam, wenn er sah, wie unverschämt jeder Windbeutel in Berlin seine Sottisen gegen das Unverstandene wie gegen das Unverständliche der überlieferten Religionslehren vorbrachte. Eine Regierung, welche das Volk wieder zur alten Glaubenseinfalt und Frömmigkeit erzogen hätte, würde sich den Dank aller Urtheilsfähigen erworben haben. Friedrich Wilhelm II. strebte nach diesem Verdienste. Aber er meinte, durch bloße Machtsprüche und polizeiliche Maßregeln herstellen zu können, was nur durch weise Zucht und durch ein erbauliches Beispiel zu erwirken war. Am 3. Juli 1788 ernannte er Wöllner zum Minister der Justiz und der geistlichen Angelegenheiten, Zedliß mußte sein Amt niederlegen, und am 9. Juli erschien ein Religionscdikt, welches allen Geistlichen und Lehrern befahl, sofort zur alten Rechtgläubigkeit zurückzukehren und nur die orthodoxe Kirchenlehre zu verkündigen. Auch das Kirchengebet für den König wurde wieder in den alten Stil verändert: Der König wurde nun Gott nicht mehr als dessen Knecht, sondern als Se. Majestät anempfohlen, auch die Bitte, daß ihm Gott königliche Gedanken, heilsame Rathschläge u. s. w. geben möge, fortgelassen. Die Hauptsache war, es wurde die strengste Ueberwachung der Pfarrer und Lehrer und die Zurückweisung aller Kandidaten angeordnet, welche irgendwie von dem alten Lehrbegriff abwichen. Während das Religionscdikt die Gewissen zu ketten bestimmt war, sollte das Zensuredikt (vom 19. Dezember 1788) die Presse kuebeln; die Freiheit derselben, soweit sie unter Friedrich dem Großen bestanden, wurde aufgehoben, und die Zensur Finsterlingen anvertraut, welche alle Schriften, wissenschaftliche wie populäre, in denen auch nur eine Spur von Freifinn zu finden war, mit gleicher Strenge unterdrückten. So gedachten Wöllner und seine Genossen der Aufklärung Meister zu werden. Aber das Gute, was man beabsichtigte, wurde verfehlt und nur neues Uebel angerichtet. Wer sind diese Leute, fragten sich alle Gebildeten, die uns Religion predigen und selber so gottlos leben? Dieser Hof, der in Sünden versinkt, ein König, der öffentlich Ehebruch treibt und jetzt, nicht zufrieden mit seinen Mätressen, sich noch ein Kebsweib „zur liuken Hand“ antrauen läßt; ein Gaukler Bischofswerder, ein Pharifäer Wöllner solche Menschen wollen die Richter über die Sitten und den Glauben sein? Es sind Splitterrichter, heuchlerische Frömmler und Mucker. Ein allgemeiner Unwille erhob sich also gegen die kirchliche Reaktion, und statt den Unglauben auszurotten, nöthigte sie ihn nur, sich, wo es nüßlich schien, in die Maske religiöser Heuchelei zu hüllen. Die Wirkungen des Zensuredikts waren nicht besser. Denn die Schandblätter und Schmähschriften, die man mit Recht fern halten wollte, kamen auf Umwegen doch unter das Publikum; es las sie nur um so begieriger, weil sie verboten waren; und die ernsten, tüchtigen Werke, die den großen Haufen weniger anzogen, hatten nun auch noch mit einer engherzigen und unverständigen Zensur zu kämpfen.

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