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zweiten Sieg Napoleons, der Krieg zu einer Entscheidung gelangte, wie sie Österreich nicht wünschte. Graf Metternich beschloß daher, den kriegführenden Parteien klar formulierte Bedingungen vorzulegen, unter welchen der Friede geschlossen · werden sollte. Diese Bedingungen, wie sie Graf Bubna dem französischen Kaiser Mitte Mai vorlegte, lauteten: Aufhebung der politischen Existenz des Herzogtums Warschau und Verwendung seiner gegenwärtigen Bestandteile zur Verstärkung der Mittelmächte; Rückgabe der illyrischen Provinzen an Österreich mit einer guten Grenze gegen Italien; Verzicht Frankreichs auf die oberrheinischen Departements in Deutschland. Sollten die Vorschläge Bubnas nicht den gewünschten Erfolg haben, so hatte er dem Kaiser Napoleon keinen Zweifel daran zu lassen, daß Österreich diese Bedingungen mit Waffengewalt verteidigen werde.

Der Empfang, den Graf Bubna bei Napoleon fand, war äußerst stürmisch. Der Kaiser erklärte nochmals, von einer bewaffneten Vermittlung Österreichs nichts wissen zu wollen, er drohte, er klagte über Treulosigkeit, er erinnerte an seine Gattin, an seinen Sohn Graf Bubna hatte Mühe, zu Worte zu gelangen. Endlich erklärte Napoleon sich bereit,,,für das Haus Österreich Opfer zu bringen", er wolle vorläufig einen Waffenstillstand annehmen, auch wenn er in der Zwischenzeit eine Schlacht gewonnen oder verloren haben werde. In einem besonderen Bericht an Graf Metternich legte Graf Bubna seine Ansichten über die in diesen Audienzen bei Napoleon gewonnenen Eindrücke nieder. „,So viel“, schrieb er,,,schließe ich aus der Konyersation, daß der Kaiser eine Abtretung einiger mit dem Reiche einverleibter Provinzen, Entsagung des Protektorates von Deutschland, eine paix déshonorable nenne, alle anderen gesetzlich nicht vereinigten Provinzen können ein Gegenstand von Unterhandlungen werden . . . Es liegt im Charakter des Mannes, nicht leicht nachzugeben, Drohungen Trotz entgegenzusetzen. Überdies mag er sich denken, hat Friedrich der Große mit kleinen Mitteln sich mit der Mehrzahl der Kontinentsmächte schlagen können, warum ich nicht? Er hält auf seinen Glücksstern und will vor allen anderen Staatsrücksichten seinem Biographen Stoff lassen, um einstens sagen zu können, Napoleon hat mehr getan, als irgend ein Sterblicher. Für die Geschichte zu arbeiten, ist sein ausschließlicher Wille, das, was hiedurch sein Reich leidet, selbst die Dynastie treffen kann, wenn es unglücklich ausfiel, ist sekundäre Betrachtung für ihn. Wenn man ihn über diese Abtretungen drängt, kämpft der Kaiser bestimmt gegen jeden, das glaube ich fest."

Man sieht, Graf Bubna hatte klarere Anschauungen als jene, die damals besorgten oder zu besorgen vorgaben, Napoleon könne sich einen Frieden von Österreich diktieren lassen.

,,Das Mißtrauen", fuhr Bubna fort,,,gegen uns ist dermalen auf einen hohen Grad; darüber ist sich ebensowenig Illusion zu machen, wie über dessen Folgen, wenn das Glück Napoleons Unternehmungen krönt... Aus allem sieht man, daß die bewaffnete Mediation dem Kaiser Napoleon lästig, sehr lästig ist - wie sollte sie es nicht sein, denn sie setzt die Beschränkung seines freien Willens voraus . . . Diejenigen, welche glauben, Unterhandlungen geben dem Kaiser von Frankreich Zeitgewinst, mögen bedenken, daß diese für die kriegführenden alliierten Mächte nicht weniger vorteilhaft, ja selbst dem Mediateur bei der Lage und Beschaffenheit unserer Streitkräfte nicht unerwünscht sein muß. Sollte die Mediation Österreich in den Krieg für Frankreich führen, so sind die dermaligen aufgestellten Streitkräfte hinlänglich, im Gegenteile aber muß der letzte streitbare Mann ins Feld, denn darüber kann man sich wohl nicht täuschen, daß die Hauptkraft gegen Österreich gehen wird."

Während im Hauptquartier der verbündeten Russen und Preußen noch über die von Österreich gestellten Friedensbedingungen beraten wurde, kam es zur Schlacht bei Bautzen (20. und 21. Mai), die bekanntlich auch mit einem Siege Napoleons endete.

Die Niederlage der Verbündeten hatte die ganze Furchtbarkeit Napoleons aufs neue gezeigt, und wenn der preußische Oberst v. d. Knesebeck nach der Schlacht bei Lützen verzweifelt nach Wien schrieb:,,Möchte sich doch der österreichische Hof erklären und unmittelbar handeln, so wäre die Freiheit Europas. gerettet. Es ist aber Zeit! O, mein Gott, wie kann man das nicht fühlen! Sollen wir denn der Übermacht erliegen?" so bezog sich dies gewiß nicht auf die ,,numerische Übermacht" Napoleons. Seine numerische Überlegenheit an Infanterie könnte nur dann als Grund für das Unterliegen der Verbündeten gelten, wenn man ihre dreifache Überlegenheit an Reiterei, die mehr als doppelte Anzahl von Geschützen, über die sie verfügten, endlich die Beschaffenheit der beiderseitigen Truppen vollständig außer acht läßt. Die Beschaffenheit einer Armee allein aber ist gewiß ein so mächtiger Faktor im Kriege, daß er nicht übersehen werden darf.

Moralisch gehoben durch die unerwarteten, beispiellosen Erfolge im Feldzuge von 1812, hatten die Russen die Erfahrungen

dieser Kampagne für sich. Ihre Abteilungen bestanden durchaus aus alten, gedienten Truppen, die sich von den Anstrengungen des letzten Feldzuges durch die fast übermäßig lange Ruhe in Preußen vollständig erholt hatten. Die Pferde ihrer Reiterei hatten den Winter gut überstanden und waren vollkommen kriegstüchtig.

Die Preußen hatten teilweise den russischen Feldzug mitgemacht und dadurch ganz unschätzbare Kriegsgewandtheit erworben; die übrigen waren seit Jahren eingeübt, zum Teil auch kriegserfahren, und selbst die Rekruten standen bereits seit einem Vierteljahr in ununterbrochener Übung mit den Waffen. Das preußische Heer, durchaus von einer großen Anzahl tüchtiger Offiziere kommandiert, enthielt, wie ein deutscher Historiker sagt, ,,die Blüte der Jugend, wie die reife Kraft des Mannesalters, alle von einer großen Idee des vaterländischen Kampfes begeistert, Offiziere und Soldaten aus einem Gusse eine Heerrüstung, wie sie edler und herrlicher niemals ins Feld geführt worden ist.“

Im Gegensatze zu diesen Heeren bestand die Armee Napoleons zum großen Teil aus blutjungen, physisch schwachen Rekruten, die wegen Mangels an Zeit fast gar nicht ausgebildet waren. Ebenso schlecht stand es um die Offiziere, von denen die wenigsten ihrer Aufgabe entsprachen. Besonders schlecht bestellt war es um den Generalstab. Einzelne Korps hatten überhaupt keinen. An der Spitze der Korps glänzten freilich noch die berühmten und bewährten Namen, aber ihre Träger zogen nur unwillig in den Kampf.

Noch ärger als um die Infanterie stand es um die Reiterei. Die starken Märsche und die ungewohnte Ausrüstung hatten gleich bei der ersten Formierung eine große Menge vierbeiniger Halbinvaliden erzeugt; zur Ausbildung der Reiter und Pferde hatte es an Zeit gefehlt.

Selbst die Elitetruppe Napoleons, die,,alte Garde", war in Rußland fast ganz zu grunde gegangen und was in der Hast an ihre Stelle als,,junge Garde" getreten war, hielt keinen Vergleich aus mit dem berühmten alten Korps.

Ganz bedeutend hatte es an Artillerie gemangelt, die erst im Entstehen begriffen war, da sogar die Geschütze zum Teil erst gegossen werden mußten und daher nicht zeitgerecht auf dem Kriegsschauplatz hatten erscheinen können.

Es unterliegt demnach gewiß keinem Zweifel, daß die preußisch-russische Armee jener Napoleons, wenn schon nicht überlegen, so doch gewiß gleichwertig war, und die Gründe des. Mißerfolges in dieser Kampagne dürfen deshalb nicht in der

,,numerischen", sondern in der geistigen Überlegenheit des Gegners gesucht werden, wie sie sich in der Kommandoführung glänzend manifestierte. Während an der Spitze der französischen Armee ein einziger Mann stand, der seine eiligst zusammengerafften, kaum dem Knabenalter entwachsenen, schwächlichen und unausgebildeten Soldaten mit überlegenem Geist und eiserner Faust leitete, erfreute sich das Heer der Verbündeten einer Anzahl von gering gerechnet zwanzig Kommandanten, von denen ein jeder etwas anderes wollte und, was noch schlimmer war, etwas anderes tat, als das, was ihm befohlen worden war

haupt jemand befahl.

wenn über

Die Folgen der beiden verlorenen Schlachten hätten zweifellos verhängnisvoll werden können; in eben dem Maße, als das Anschen Napoleons stieg, sank das der Verbündeten. Es zeigte sich dies darin, daß die Dänen, die entschlossen waren, der neuen Koalition beizutreten, ihre bereits vorgeschobenen Truppen zurückzogen und sie zur Verfügung Napoleons stellten, daß der König von Sachsen, der bis dahin mit der Entschließung gezögert hatte, zur Allianz mit Napoleon zurückkehrte, daß Schweden, trotz des bereits im April mit den Verbündeten geschlossenen Vertrages, wieder unschlüssig wurde.

Empfindlicher noch als der Verlust dieser Verbündeten, war der Rückschlag auf die Stimmung des opferwilligen preußischen Volkes und auf das Verhältnis zwischen dem russischen und preußischen Heer.

War die Einigkeit zwischen Russen und Preußen schon bei Beginn und während des Feldzuges keine große gewesen, so gewannen nach den verlorenen Schlachten Mißtrauen und Erbitterung vollends die Oberhand, und das Bündnis drohte in die Brüche zu gehen. Die Kampflust der russischen Generale war ja schon bei Beginn des Feldzuges keine sehr große gewesen, und die wenigsten waren mit dem Entschlusse ihres Zaren, den Krieg aus ,,Großmut" und für die ,,Unabhängigkeit Deutschlands" weiterzuführen, einverstanden; nach den erlittenen Niederlagen erlosch die Kampfesfreude der Russen vollständig. Rußland, so meinte. man jetzt, habe Deutschland Gelegenheit genug gegeben, das französische Joch abzuschütteln, aber die Fürsten des Rheinbundes hätten zur Genüge bewiesen, daß sie gar nicht befreit sein wollten und die Freundschaft für Preußen könne nicht so weit gehen, sich für das kleine Land aufzuopfern. Endlich erklärte der russische Oberbefehlshaber Barclay de Tolly, er müsse, um die Armee mit Hilfe der Reserven wieder herzustellen, nach Polen

zurückkehren. Auf die Frage der preußischen Generale, was dann aus dem preußischen Heere werden solle, zuckte Barclay die Achseln und meinte: die preußische Armee müsse sich eben in der Zwischenzeit zu helfen suchen, so gut sie könne; in sechs Wochen kehre er zurück, um sie zu entsetzen.

In sechs Wochen! Mit einem in aller Hast zusammengerafften Heere unausgebildeter Infanterie hatte Napoleon binnen drei Wochen die Verbündeten geschlagen, über die Elbe geworfen, eine zweite große Schlacht gewonnen und unter beständigen Gefechten, fast ohne Kavallerie, eine rastlose Verfolgung geführt, welche wohl die Bedeutung einer dritten siegreichen Schlacht hatte und nun sollten die auf 35.000 Mann zusammengeschmolzenen Preußen dem siegreich vordringenden Helden sechs Wochen lang Widerstand leisten. Oder sollte man den Russen folgen und das eigene Land preisgeben? Gehe man nach Polen, sagte General York treffend, so sei es höchst unwahrscheinlich, daß die Russen jemals wieder eine preußische Provinz erobern würden, die sie jetzt nicht einmal verteidigen konnten oder wollten. Der Rückzug nach Polen gebe einen guten Teil der Heereskraft, die Hilfsquellen und Vorräte preis und nehme dem Volke den Mut zu jeder weiteren Anstrengung. Man dürfe daher nicht einem fremden Heere nachziehen, sondern müsse das Land bis auf den letzten Blutstropfen verteidigen.

So männlich kühn dieser Vorschlag auch war, seine Durchführung wäre doch nur gleichbedeutend mit vollständiger Niederlage gewesen. Denn war das verbündete Heer nicht im stande gewesen, dem Furchtbaren zu widerstehen, die 35.000 Mann erschöpfter und durch den Abzug der Russen entmutigter Truppen hätten es gewiß noch weniger vermocht. Das Schicksal Preußens schien besiegelt: nach einem möglicherweise glorreichen Verzweiflungskampf die Vernichtung! Rettung bringen konnte nur mehr ein Waffenstillstand, der die Russen in Schlesien zurückhielt, der gestattete, die begonnenen Rüstungen zu vollenden, die erschütterten Heere wieder herzustellen und eine neue gewaltige Macht, die, nach den Erfahrungen des Frühjahrsfeldzuges allein zu schließen, über das Schicksal entscheiden konnte, in die Wagschale des wieder beginnenden Kampfes zu werfen.

Der Vermittlung Österreichs war dieser Waffenstillstand zu danken. Auch auf ein Angebot Napoleons, Österreich den größten Teil Preußens für die Mithilfe im Kampfe gegen die Verbündeten zuzuerkennen, war Metternich bei seinem Friedensangebot verharrt, nur daß jetzt diese Mediation durch ein Heer von 77.000

Streffleur 1913, I.

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