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schärferes Auffassen der Bewegungen in Frankreich und jene mehrerwähnte Beratung der Minister am 12. Juli, welche jedoch durch die offizielle Verkündigung per Verzichtleistung als so wenig dringlich angesehen ward, daß, wie wir wissen, Graf Bismarck an jenem Tage seine Reise nach Ems nicht fortsette.

In Paris gesellte sich zu der Aufregung nun eine Art von Verblüfftheit des Publikums. Man war nach den allgemein gehaltenen Mitteilungen Olliviers vollständig im Unklaren, und wie es die Minister vorausgesehen hatten, ward die Aufregung der Nation gerade dadurch auf das höchste gesteigert.

Am 13. Juli sprach der Constitutionnel. Er knüpfte an die Verhandlungen vom 6. Juli an und sagte: „Der Friede Europas wird nicht gestört werden. Vollständig sich ihrer hohen Stellung bewußt, welche sie der Ehre wert hält, ein großes Land zu regieren, haben die Minister fest und energisch gesprochen. Ihren gerechten Forderungen hat man Gehör gegeben. Der Prinz Leopold von Hohenzollern hatte die spanische Krone angenommen. Frankreich erklärte, daß es sich jedem Familienübereinkommen, welches seine Interessen verleze oder bedrohe, widersehen werde — und die Kandidatur wird zurückgezogen. Es wird kein Prinz von Hohenzollern in Spanien regieren. Mehr haben wir nicht verlangt, und von dieser friedlichen Lösung nehmen wir mit Stolz Kenntnis. Ein großer Sieg! er kostete nicht eine Thräne! nicht einen Tropfen Blutes!"

Es war eine der erbärmlichsten Heucheleien, die jemals ein offizielles Organ in die Welt hinaus rief. In gleicher Weise klatschten die übrigen offiziösen Journale dem Volke Frankreichs von dem unblutigen Siege vor, der niemand unwillkommener gewesen war, als den Machthabern in Paris.

Am 13. Juli begann der Herzog von Gramont seine Mitteilungen unter tiefstem Schweigen der Kammer. Er fing damit an, der Versammlung von dem in China stattgehabten Massacre zu berichten, dem eine Menge Franzosen erlegen seien. Ein ganz entsetzlicher Lärm erstickte seine Worte. Der Minister licß diesen Sturm einige Minuten toben, dann nahm er wieder das Wort und sagte: „Ich habe Ihnen von dem spanisch-preußischen Zwischenfalle Kenntnis zu geben. Der spanische Botschafter hat mir offizielle Anzeige von dem Verzichte des Prinzen von Hohenzollern auf die spanische Thronkandidatur gemacht. Die Unterhandlungen, welche mit Preußen geführt werden, sind noch nicht beendet. Es ist uns nicht möglich, über dieselben nähere Erklärungen zu geben.“ Damit war feineswegs dem Drängen der Kammer und des Volkes Genüge geleistet. Vielmehr schuf der Minister neue Ungewißheit, neuen Stoff zur Aufreizung. Man schrie nach einem „Ultimatum". Man rief von der Tribüne herab, daß der Beweis geliefert werden solle, wie die Regierung die Würde der Nation verlegt habe.

Es regnete Interpellationsmeldungen, deren Beantwortung der Minister für den nächsten Tag versprach. Gramont verließ die Kammer nicht ohne den Abgeordneten im Foyer seine Mißbilligung über Olliviers Schwazhaftigkeit auszudrücken, welche die Bombe früher als nötig gewesen zum Plazen gebracht habe. Die Komödie zwischen beiden Herren war gut in Scene gesetzt.

Nachrichten kriegerischer Art durchliefen Paris, Frankreich. Der Kriegsminister Le Boeuf sollte auf sofortiges Beginnen des Krieges dringen, die Preußen sollten keine Zeit zu Vorbereitungen gewinnen können. In der That zirkulierte schon ein Schreiben Le Boeufs, welches diejenigen Offiziere namhaft zu machen befahl, die wegen angegriffener Gesundheit längern Urlaub und eventuell Eintritt in die Mobilgarde wünschten.

Diese Nachrichten, sowie die Berichte der Vorgänge in Ems trafen in Berlin am 13. Juli ein. Sie erzeugten gewaltige Erregung, welche bis dahin noch nicht durch allgemeine Bewegungen im Volke sich kundgegeben hatte. Die Beleidigung, welche der Nation in der Person ihres Monarchen zugefügt worden war, forderte die größte Genugthuung. Hocherfreut, gehoben und mutvoll war alles durch des Königs festes und würdevolles Auftreten, das die Frechheit eines Agenten des französischen Kabinetts in gebührender, verächtlich abweisender Ruhe züchtigte; niemand zweifelte am 13. Juli mehr daran, daß der blutige Austrag dieser Sache, der Krieg, vor der Thüre stche. Man war empört über die beispiellose Zumutung, nach welcher König Wilhelm eine Versicherung geben sollte, daß er niemals sich seines Einflusses auf irgend eine Angelegenheit bedienen wolle, welche etwa die vermeintliche angemaßte Majestät der französischen Nation beleidigen könne.

Es herrschte in Berlin kein lauter, betäubender Jubel, da jedermann den ungeheuren Ernst der Lage wohl durchschauen konnte. Ein mächtiger, starker und fampflustiger Feind erhob seine Waffen, - aber es durchdrang alle das Gefühl, daß bei so gerechter Sache, welche König und Volk zusammenführen mußte, der endliche Sieg auf seiten desjenigen bleiben werde, der mit größter Milde so lange an sich gehalten, bis an seiner Ehre Schild geschlagen ward.

Es ist mit Gewißheit anzunehmen, daß Benedetti von der gefährlichen Stellung, in welche er versezt worden war, vollständig richtige Anschauung hatte, denn er telegraphierte am 13. Juli an Gramont um weitere Verhaltungsmaßregeln, weil man die schwierige Lage, in welcher er sich befinde, wohl begreifen werde; doch wolle er alles thun, um den Wünschen von Paris aus zu genügen. Auf diese Depesche traf von Gramont eine neue ein, welche abends um 93 Uhr am 13. Juli in Ems anlangte. Die Depesche lautete: „Ich habe Ihre Telegramme heute um Mittag und um 1 Uhr erhalten. Wie ich Ihnen angekündigt habe, ist das fran

zösische Gefühl (!) so überreizt, daß wir mit großer Mühe bis Freitag die Erklärung hinausschieben konnten. Machen Sie eine lezte Bemühung bei dem Könige. Sagen Sic ihm, daß wir uns darauf beschränken, von ihm zu verlangen, dem Prinzen von Hohenzollern zu verbieten, auf seine Verzichtleistung zurückzukommen. Er möge Ihnen sagen: Ich werde es ihm verbieten, und Sie ermächtigen, es mir zu schreiben, oder seinen Minister oder Botschafter beauftragen, es mich wissen zu lassen. Dies reicht hin. Wenn in der That der König keine Hintergedanken hat, so ist das für ihn nur eine Frage zweiten Ranges." Weiter sagte die Depesche: „Der Kaiser Alexander unterstüßt uns warm. Die übrigen Kabinette finden uns gerecht und gemäßigt. In allen Fällen reisen Sie von Ems ab und kommen Sie mit der bejahenden oder verneinenden Antwort nach Paris ich muß Sie Freitag vor 12 Uhr gesehen haben. Nehmen Sie notwendigen Falles Extrazug. Fahren Sie fort, alles, was Sie gehört, zu telegraphieren. Vielleicht können Sie, wenn Sie vom Könige die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen erhalten, ihm sagen: Sire, Eure Majestät steht als Bürge für das Wort des Prinzen von Hohenzollern ein, denn es ist derselben nicht unbekannt, daß wir als Macht keine Bezichungen mit dem Prinzen haben, und daß deshalb vor dem Lande unser offizielles Schirmdach in dem Worte des Königs liegt."

Diese Depesche ist höchst charakteristisch für die Situation, in welcher man sich zu Paris befand. Man war faktisch der Lage und der Masse nicht mehr Herr, die in unverantwortlicher Weise aufgereizt worden, - man mußte ihr einen Brocken hinwerfen oder den blutigen Krieg heraufbeschwören Diesen Machthabern in Paris war alles genehm, und sie allein trifft die furchtbare Verantwortung. Außerdem aber ist die Fassung der Depesche höchst bezeichnend für die persönliche Stimmung des Herzogs von Gramont. Man sicht aus der Ineinanderfügung der Säße, mit welcher fieberhafter Eile er die Entscheidung heranziehen will, wie er von einem auf das andre überspringt. Zuerst kurze drohende Schilderung der Lage, dann Brüstung mit der Zustimmung der Kabinette, dann Aufträge für Benedetti, die Aufforderung von Ems abzureisen, eine fast ängstliche Fürsorge, daß Benedetti pünktlich in Paris mit der Entscheidung eintreffe, der Rat, einen Extrazug zu nehmen und von diesem wiederum auf die Angelegenheit des Prinzen von Hohenzollern und den König. Benedetti ließ sich allerdings zu der schlechten und undankbaren Rolle gebrauchen, aber er erscheint doch als ziemlich wahrheitsgetreuer Berichterstatter seiner Regierung gegenüber, denn er schildert in seinen Depeschen die Lage durchaus als gefahrvoll und beweist, daß troß seiner Hartnäckigkeit der König von Preußen ihm mit größter Ruhe jede weitere Diskussion über die Sache abschneidet und durch die Einschiebung des Adjutanten unzweideutig

zu erkennen giebt, daß er nicht persönlich mehr verhandeln wolle. Benedetti säumt nicht, an Gramont zu telegraphieren: „Der König hat mir gesagt: Ich kenne die Vorbereitungen, die in Paris gemacht werden, und verhehle Ihnen nicht, daß auch ich meine Vorsichtsmaßregeln treffe, um nicht überrascht zu werden. Doch hoffe ich, der Friede wird nicht gestört werden, wenn man in Paris warten uud mir Zeit lassen will." Benedetti meldet also der Regierung in Paris, daß sie nicht allzuviel Glück mit einem Überfall haben werde. Wenn Napoleon daher den Rhein forcieren wollte, so mußte es schneller geschehen; aber der Kaiser und seine Näte hielten eine Niederlage der französischen Armee für ebenso unmöglich, als das ganze Volk solch Unheil nur zu denken wagte.

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Nach der von Gramont erhaltenen Depesche vom 13. Juli abends war Benedetti allerdings genötigt, noch einen Versuch zur Annäherung an Se. Majestät zu wagen. Die Art, wie Benedetti dies ins Werk seßte, war eine ziemlich geschulte. Er nahm die Ordre Gramonts, von Ems abzureisen, als Vorwand, und meldete dem Könige durch den Adjutanten, daß er abends (am 14. Juli) abreisen werde. Er erhielt darauf die Antwort, daß Se. Majestät Herrn Benedetti in dem Wartesalon auf dem Bahnhofe noch einmal vor Ihrer Abreise sehen werde.

Dem König war der furchtbare Ernst der Lage kein Geheimnis mehr, wenn er auch noch fortwährend Hoffnung auf Erhaltung des Friedens aussprach. Er hatte seine Abreise aus Ems beschlossen, und wollte den 14. Juli nach Koblenz reisen, um der Königin noch einen Besuch zu machen. Es scheint, als hätte der Langmütige Monarch in der zwölften Stunde noch ein Entgegenkommen Frankreichs erwartet, als er nach all den unangenehmen und beleidigenden Zudringlichfeiten nochmals Herrn von Benedetti zu sehen versprach. Vielleicht wollte der König auch dadurch zu verstehen geben, wie fern ihm jede persönliche Gereiztheit gegen Benedetti läge, dessen klägliche Stellung dem Könige wohl bekannt sein und möglicher Weise Bedauern einflößen mochte.

Die Absicht des Königs, ihn im Wartesalon sprechen zu wollen, meldete Benedetti am 14. Juli halb 1 Uhr nachmittags an Gramont. Nach dieser Absendung begab er sich zum Bahnhofe und erwartete hier die ihm versprochene Abschiedsaudienz. Es muß bei dieser Gelegenheit Herrn von Benedetti allerlei zu Ohren gekommen, und ihm namentlich die Überzeugung beigebracht worden sein, daß man preußischerseits durchaus keine Freude über den bevorstehenden Bruch mit Frankreich, aber ebensowenig die geringste Furcht vor einem kriegerischen Austrage zeigte, denn es findet sich in der nächsten Depesche der Ausdruck: „daß die Umgebung des Königs bedauernswerte Sprache führe." Diese „bedauernswerte Sprache" drückte ohne Zweifel Herrn von Benedetti gegenüber Zuversicht und

Kampfeslust aus, wenn Frankreich das Äußerste wagen wolle; man darauf in Paris wohl nicht mit Sicherheit gerechnet.

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Was im Wartesalon geschah erklärt sich am besten durch den Wortlaut der Depesche, welche Benedetti am 14. Juli 3 Uhr 45 Minuten an Gramont sendete. Ich habe soeben den König am Bahnhofe gesehen. Er beschränkte sich darauf, mir zu sagen, daß er mir nichts weiter mitzuteilen habe, und daß die Unterhandlungen, die noch weiter verfolgt werden könnten, von seiner Regierung fortgesett werden würden. Seine Majestät bestätigt mir, daß Seine Abreise nach Berlin am Dienstag Morgen stattfinden werde.“

Von allen in den letzten Stunden, welche der Katastrophe der Kriegserklärung vorausgingen, abgesendeten Depeschen ist diese die wichtigste. Zunächst wird dadurch bewiesen, daß der König jede Verletzung Frankreichs in der Person des Herrn von Benedetti sorgfältig vermied. Waren in der That einige heftige Worte gefallen, wie sie bei ernster Privatunterredung (und eine solche war ja die Promenadenaudienz nur gewesen) wohl gewechselt werden können, so mußte das freundliche Entgegenkommen des Königs in so schwerer Lage der Dinge alles ausgleichen. Zweitens bestätigt Benedetti die Absicht des Königs, noch weiteren Verhandlungen über eine Sache Gehör schenken zu wollen, die im Grunde genommen kaum der Rede mehr wert und thatsächlich abgemacht war.

Von größter Wichtigkeit und Tragweite aber wurde jene Depesche in den nächsten Stunden, wie wir sofort zeigen werden. Sie bildete die Grundlage, auf welcher Gramont seine große Lüge, der König habe die Franzosen in der Person des Botschafters beleidigt, erbaute. Benedetti verließ Ems und fuhr mit dem Nachtzuge nach Paris zurück, — der König fuhr nach Koblenz. Hier schon äußerte sich die enthusiastische Stimmung in der erfreulichsten Weise. Der König besuchte das Konzert in den Rheinanlagen. Als er erschien, erhob sich das gesamte, sehr zahlreich anwesende Publikum mit donnerndem Jubelruf, und alles rief dem geliebten Monarchen die besten Wünsche für den glücklichen Ausgang entgegen.

Um diese Zeit herrschte in Paris eine ganz unbeschreiblich düstere Stimmung. Bekanntlich hatte Gramonts Erklärung die Kammer ebensowenig als das große Publikum befriedigt. Es lag auch gar nicht in des Herzogs Absicht, einen Abschluß in die Sache zu bringen. Er wollte vielmehr vorläufig die Aufregung so hoch als möglichst aufstauen, um dann die Schleusen der angesammelten Wogen plößlich zu öffnen. Die Franzosen mußten warten — sie warteten mit verbissenem Ingrimm. Auch am 14. Juli erhielt Paris und Frankreich mit ihm noch nicht die gewünschten Aufklärungen. Unter der Hand verbreitete sich oder besser wurde verbreitet

die Nachricht, Benedetti habe die Mitteilung gemacht, daß er am näm

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