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Der 12. Juli brach von hellem Hoffnungsschimmer umleuchtet an. Alle Welt atmete doppelt leicht, denn der Telegraph verkündete die Nachricht:

"

,Prinz Leopold von Hohenzollern hat der Kandidatur für den spanischen Thron entsagt, um der spanischen Regierung die Freiheit der Initiative zurückzugeben. Er ist fest entschlossen, eine untergeordnete Familienfrage nicht zum Vorwande für den Krieg heranreifen zu lassen.“ Die Pariser Nachricht traf gegen Mittag ein. Auch sie that viel zur Beruhigung der noch Zagenden, denn sie meldete:

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Der spanische Botschafter Olozaga hat heute mittag dem Herzoge von Gramont amtlich mitgeteilt, daß der Prinz von Hohenzollern auf seine Kandidatur verzichte."

Somit war jeder, auch selbst der unscheinbarste Vorwand zur Kriegserklärung gefallen, und die schwärzesten Seher schienen beruhigt. In den Bädern packte man die schon für die Abreise gefüllten Koffer aus. Andre Reiselustige begannen ihre Tour, und General von Moltke fertigte noch am 13. Juli Urlaubsgenehmigungen für höhere Generalstabsoffiziere aus. Die Flotte unter dem Prinz-Admiral erhielt Ordre, ruhig ihre Übungsfahrt nach dem Südmeere anzutreten. Es läßt sich nach allen vorhergegangenen Ereignissen und den Plänen des französischen Kabinetts, soweit sie zur Schau traten, leicht einsehen, wie unwillkommen diese Wendung dem Kaiser Napoleon und seinen Ministern war. Man hatte auf Preußens Hartnäckigfeit gerechnet, die sicherlich in den Vordergrund treten mußte, sobald das französische Kabinett Drohungen aussprach; in solchem Falle kalkulierte man, mußte die Friedensliebe weichen. Aus diesem Grunde war den Unterhandlungen, wenn man die Vorfälle mit solchem Namen überhaupt belegen kann, von vornherein der Ton einer Gereiztheit, einer gewissen impertinenten Zudringlichkeit sicher mit Absicht verlichen worden. Man forderte heraus. Diese Absicht wird dem Unbefangensten flar, wenn er einigermaßen aufmerksam die Aktenstücke durchliest, welche durch die Zeitungen in die Öffentlichkeit kamen. Dadurch nun, daß des Prinzen Verzicht= Leistung amtlich bestätigt wurde, fiel das ganze Objekt, welches einer Drohung wert scheinen konnte, fort. Den Aussäern der Drachenzähne war also jedes Stücklein Ackergrund genommen. Aber die Meister am Herenkessel zu Paris zagten deshalb nicht. Hält man wieder genau die Zeitpunkte zusammen, in denen sich die verschiedenen Ereignisse berühren, so stellt sich ziemlich deutlich heraus, daß mit dem Eintreffen der Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen Benedetti auch jedenfalls neue Befehle erhalten hat, die Sache bis aufs äußerste zu treiben. Es

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scheint indes, daß Herrn von Benedetti doch ein wenig schwül geworden sei, denn es ist erwiesen, daß noch am 12. abends spät von ihm eine Depesche nach Paris abgefertigt wurde, also nach erhaltener Kunde von der Verzichtleistung. Daß der Botschafter bei seinem Kabinette anfragt, was nun geschehen solle, ist sehr begreiflich; die Antwort ging auch nachts noch ein, und diese Antwort, dieser Befehl ist ohne Zweifel derjenige gewesen, welcher so furchtbar und verhängnisvoll für den Frieden, für das Geschick Frankreichs werden sollte. Freilich war der lezte Befehl noch nicht gegeben.

Am 13. Juli promenierte in Ems der König Wilhelm wie gewöhnlich. Für ihn war die Nachricht von der Verzichtleistung eine der hochwillkommensten, welche wohl je ein Herrscher empfangen. Konnte er doch seinem Lande den Frieden erhalten, waren doch die Verhandlungen troß des Lärmens in Paris nicht aus den Grenzen konversationeller Besprechung zwischen dem König und Benedetti herausgetreten. In freudiger Stimmung schreitet der König mit dem Adjutanten Grafen Lehndorff durch die Anlagen, von jedermann ehrfurchtsvoll begrüßt, die meisten der Promenierenden in gewohnter Leutseligkeit anredend. Als der König sich dem Ende der Promenade näherte, erschien der Graf von Benedetti. Die gute Stimmung, in welcher der König sich befand, übertrug er, der nicht lange zürnen kann, auch auf den französischen Botschafter. Der König stand viel zu erhaben über den kleinmütigen Unverschämtheiten der Franzosen, als daß er ihrer jezt noch hätte gedenken sollen. Er reichte freundlich dem Botschafter die Hand. Benedetti verbeugte sich tief. In diesem Augenblicke waren der König und Benedetti ein wenig von dem dienstthuenden Adjutanten isoliert, und der Botschafter begann sofort ein neues Feuer von Tiraden, Bitten, wie sie die Bettler mit bloßem Degen zu thun pflegen. Er ward von dem Könige unterbrochen, der ihm lächelnd ein Extrablatt der Kölnischen Zeitung entgegenhielt. in welchem die Depesche der Verzichtleistung des Prinzen abgedruckt war. Die Depesche datierte aus Sigmaringen. Der König fügte hinzu, es sei ihm noch kein Schreiben aus Sigmaringen zugegangen, indessen sehe er dem Eintreffen eines solchen noch im Laufe des Tages entgegen. Benedetti stuzte. Er schien einen Anlauf nehmen zu wollen und begann denselben damit, daß er dem Könige eröffnete, er habe schon am verflossenen Abende (also am 12.) die Mitteilung von der Verzichtleistung aus Paris er halten. Hierauf trat eine kurze Pause ein. Der König nickte befriedigt mit dem Haupte. Herr von Benedetti schien Kraft zu der neuen Belästigung schöpfen zu wollen. Er begann nach leisem Hüsteln die Pression. Der König erwiderte kurz: Er sehe die Angelegenheit als eine erledigte an. Benedetti plaßte jet heraus. Es mag ihm freilich nicht sonderlich wohl zu Mute gewesen sein, aber er fühlte

das Knittern der Depesche auf seiner Brust, er trug das verhängnisvolle Papier bei sich, wie die Schergen des Dschingis-Chan immer die schlimmen Befehle ihres Herrn mit sich herumtrugen, um in Fällen einer Anwandlung von Besonnenheit oder milden Regung sich durch Anschauen des Dokumentes für ihren traurigen Beruf zu stärken. Benedetti erwiderte dem König plöglich: Seine Majestät möge die Versicherung aussprechen, niemals ihre Einwilligung zu geben, wenn etwa die Kronfrage und des Prinzen Kandidatur wieder auftauchen sollte. Der König blieb einige Sekunden stumm, die Frechheit der Zumutung hatte ihn so empört, daß er nicht sofort zu entgegnen vermochte. Mit bewunderungswürdiger Fassung, ein Meister auch in der Herrschaft über sich selbst, entgegnete er fast ohne merkliche Erregung, daß er eine solche 'Anforderung auf das entschiedenste abweisen müsse. Benedetti ließ nicht ab. Er begann aufs neue in den König zu dringen. Er gestikulierte dabei so heftig, daß die Promenierenden aufmerksam wurden. Es scheint, daß dem Botschafter hierbei wohl Andeutungen entschlüpft sein mögen, welche den Charakter einer Drohung trugen - denn damit war die Langmut des Königs erschöpft. Benedettis lehte Worte zum Könige waren: „Wenn diese Erledigung nicht stattfindet - dann ist es nicht mehr abzuändern und ich bestehe — Weiter kam er nicht. Zornig wandte der König sich von ihm ab. Er hatte mit größter Kraft an sich gehalten; aber jest trat eine persönliche Beleidigung anihn heran, eine Beleidigung, welche durch die Frechheit herbeigeführt ward, mit welcher der Franzose im Namen seines Kaisers auf Fortsehung einer Unterredung bestand, welche der König bereits für abgebrochen ansehen wollte. König Wilhelm hätte vielleicht den blinden Eifer eines diplomatischen Agenten verziehen, der in übertriebener Sucht, die heilige Sache durchführen zu wollen, zu weit in seiner Zudringlichkeit ging. Er würde Benedetti einfach verabschiedet haben. Er konnte nach des Botschafters Drohungen nicht mehr die Milde walten lassen. Der König stand dem Botschafter gegenüber als erhabener Repräsentant seines ganzen Volkes, ja des gesamten deutschen Landes. Durch die Herausforderung des Botschafters war nicht allein die Person des Königs es war mit ihr, in ihr das ganze Volk beleidigt. Nicht sich allein, sondern seinen deutschen Völkern durfte der König nicht in dieser Weise entgegentreten lassen, die Unverschämtheit, welche dem Monarchen nicht nur, welche auch dem würdigen Manne sich frech in den Weg warf, mußte eine herbe Züchtigung erfahren, die Brutalität der Zumutung mußte mit dem empfindlichsten Schlage, der sie treffen konnte, gestraft werden, mit dem öffentlich gegebenen Beweise der Nichtachtung, die zugleich mit Benedetti auch die Machthaber in Paris vom Kaiser an bis zu den Kreaturen Gramonts traf. König Wilhelm hatte im Umschen mit der Schnelle des Blizes

diese Strafe erdacht und zur Anwendung gebracht, denn er blickte sich im gerechten Zorne nach dem Adjutanten um und sagte, ohne Benedetti weiter anzusehen:

„Sagen Sie doch diesem Herrn, daß ich ihm nichts weiter mitzuteilen habe.“

Nach diesen Worten verließ der König sofort die Promenade und kehrte in sein Hotel zurück. Herr von Benedetti hatte keine Lust, aus dem Munde des Adjutanten einen zweiten Bescheid zu vernehmen; auch er trat den Heimweg an.

Dieses Ereignis war viel schneller bekannt, als man wohl höheren Ortes geglaubt, vielleicht selbst gewünscht hatte. Des Königs liebenswürdiges und taktvolles Auftreten in der ganzen Sache war jedoch so allgemein bekannt, seine Langmut so sehr bewundert worden, daß diese Katastrophe, herbeigeführt durch eine beispiellose Keckheit, nicht lange der Öffentlichkeit entzogen werden konnte. Dennoch wäre alles bald genug beigelegt worden; der König zeigte wenige Tage darauf, daß er selbst die Person des Grafen Benedetti von der Unverschämt heit zu trennen wußte; er sagte sich wohl, daß der Botschafter nur das bedauernswerte Werkzeug seiner Pariser Machthaber sei. Allein der Graf von Benedetti war es, der nicht ablicß die Sache bis zum Äußersten zu treiben. Nach der Scene auf der Promenade arbeitete der Telegraph sogleich wieder. Antwort aus Paris, woselbst man höchst gespannt der Entscheidung entgegensah, traf schnell ein. Diese Antwort brachte die lezten Befehle an Benedetti. Sie müssen mit großer Bestimmtheit abgefaßt und von absonderlichen Verhaltungsmaßregeln begleitet gewesen sein, denn Herr von Benedetti rüstete sich trotz seines Abfalles auf der Promenade eine nochmalige Audienz zu verlangen. Unterdessen aber war aus Sigmaringen die offizielle Anzeige von der Verzichtleistung eingetroffen und gegen 2 Uhr nachmittags sendete Seine Majestät den Oberstlieutenant und Flügel-Adjutanten Prinzen Radziwill zu Herrn von Benedetti mit der Meldung, daß durch schriftliche Mitteilung des Fürsten zu Hohenzollern Seine Majestät die Bestätigung dessen, was die Depesche gebracht, erhalten habe. Der Prinz von Hohenzollern leiste Verzicht auf die spanische Thronkandidatur. Benedetti erklärte dem Prinzen

Radziwill: er habe unterdessen (!) eine zweite Depesche des Herzogs von Gramont erhalten, welche ihm auftrage eine nochmalige Audienz bei Seiner Majestät zu verlangen. In dieser Audienz solle er erstens darauf bestehen, daß der König die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern approbiere, zweitens daß Seine Majestät die Versicherung erteile, jedes nochmalige Auftreten der hohenzollernschen Thronkandidatur in Zukunft verhindern zu wollen. Der König licß darauf erwidern, daß Er die Verzichtleistung des Prinzen in demselben Sinne und Umfange approbiere, wie er dies vorher mit der Annahme der Kandidatur gethan

hätte. Eine schriftliche Verzichtleistung befinde sich in des Königs Händen. In betreff der Versicherungen für die Zukunft berufe sich Seine Majestät auf das, was Sie dem Grafen am Morgen auf der Promenade selbst erwidert hätten.

Es war in der That ein neuer Beweis für die Friedensliebe des Königs, daß derselbe nochmals in aller Form durch einen höheren Offizier mit Herrn von Benedetti unterhandelte, der überhaupt gar nicht als Beauftragter oder Unterhändler aufgetreten war, sondern den ganzen Verhandlungen den Charakter von Privatgesprächen verliehen hatte. Herr von Benedetti nahm die Mitteilungen des Prinzen Radziwill scheinbar sehr freudig auf, erklärte, diese Äußerungen sogleich nach Paris berichten zu wollen, fügte aber hinzu: er müsse zur Erledigung des zweiten Punktes eine nochmalige Audienz bei Seiner Majestät nachsuchen, um womöglich aus des Königs Munde die Worte zu vernehmen, welche der Prinz ihm überbracht habe es seien in der für ihn (Benedetti) neu eingetroffenen Depesche Argumente enthalten, welche er Seiner Majestät unterbreiten wolle.

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Der eigentliche Wortlaut dieser Depesche ist wohl niemand bekannt geworden, und es ist anzunehmen, daß sie jene abscheuliche Weisung erhielt, welche das Blut jedes Deutschen sieden machte, jene freche Autorisierung zu einem Attentat auf die Person des Königs, das dem Anfalle mit Pistol oder Dolch fast gleich kommt, und welches Herr von Benedetti begehen sollte, als man ihm aus Paris den Befehl telegraphierte: Brusquez le roi! Was kann man dem Herzoge von Gramont nicht alles zutrauen? Ihm war es darum zu thun, die furchtbare Katastrophe herbeizuführen, eine Beleidigung zu wagen, welche die Nation nicht ruhig hinnehmen konnte. Das Kabinett von Paris hatte Deutschland in der Person König Wilhelms angegriffen. Benedetti war der Kommissionär seiner Auftraggeber, er rüstete sich eilig, sein Geschäft abzuschließen.

Mit der für seine schlimmen Aufträge notwendigen Dreistigkeit vollkommen ausgestattet, erschien Benedetti im Hotel des Königs. Man war nicht wenig erstaunt, ihn ganz urplößlich im Vorzimmer erscheinen zu sehen. Er verlangte hier ziemlich geräuschvoll, man möge ihm die verlangte Audienz bei Seiner Majestät sofort ausmachen. Es wurde ihm ganz vergeblich bedeutet, daß Seine Majestät bereits die bündigste Erklärung abgegeben hätten. Der Franzose war entschlossen, seinen Weisungen von Paris her auf das pünktlichste nachzukommen und die Aufregung, welche infolge dessen unter den anwesenden Preußen entstand, mag wohl auch bis zum Könige gedrungen sein, der sogleich den Prinzen Radziwill beorderte, dem Agenten des Herzogs von Gramont den letzten Bescheid zu bringen, denn der Prinz erhielt auf die dem Könige gemachte Meldung von Benedettis Anwesenheit die Weisung: „Sagen Sie dem Herrn Grafen, daß ich meiner Entscheidung

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