Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

dem jeweiligen Umsichgreifen der Reaction eine Zuflucht der liberalen Bestrebungen gewesen und hatte dadurch bei der preußischen Regierung wiederholt angestoßen. Sie war außerdem der Siß des überwiegend österreichisch gesinnten Bundestages, von dem die Einwohnerschaft nicht unerheblichen pecuniären Nußen hatte, sie war ferner die Stadt der Vankiers, die aus der trostlosen österreichischen Finanzlage großen Vortheil gezogen, während der geregelte Finanzzustand des Königreichs Preußen keine günstigen Chancen für Anlehen und Papierspeculationen bot: kurz, die Bürgerschaft, wenn auch mit dem österreichischen Regie: rungssystem nicht einverstanden und überall, wo es dem geistigen Fortschritte galt, mit an der Spiße von Deutschland, war immer, wo es sich um die Rivalität der beiden deutschen Großmächte handelte, ein Freund Desterreichs und ein Gegner Preußens. Von Seiten der preußischen Regierung gab sich daher jetzt, wo sich eben wieder die völlige Hülflosigkeit so kleiner Territorien recht klar darstellte, eine Animosität gegen die verlassene Stadt kund, welche dem norddeutschen Großstaate zwar sehr übel anstand und in ganz Deutschland und Europa auch die verdiente Mißbilligung hervorrief, aber nichtsdesto: weniger von Tag zu Tag sich steigern und auch ganz ungestört sich geltend machen konnte, bis der schwere Druck auf die Einwohnerschaft endlich mit der völligen Einverleibung in das Königreich Preußen sein Ziel erreicht hatte.

Als die preußische Mainarmee im nördlichen Bayern erschienen war, hatte der Befehlshaber des achten Bundesarmeecorps, Prinz Alexander von Hessen, den Plan, Frankfurt mit Wällen zu umgeben. Es waren vom Bundestag zu diesem Zweck am 10. Juli 1866 bereits 200,000 Gulden auf das Haus Rothschild angewiesen worden; allein am 11. Juli, wo der Rest der Bundestagsgefandten Frankfurt verließ und nach Augsburg übersiedelte, protestirte der Senat gegen diese Maßregel, indem er dem Lund erklärte, was man hier zum Schuße der Stadt unternehmen wolle, sei ihr gefährlicher, als was ihr drohe; Frankfurt wünsche als offene Stadt betrachtet und behandelt zu wer den. Darauf wurden die Befestigungsarbeiten am 14. Juli eingestellt. Am 16. und 17. Juli rückten sodann 15,000 Mann Preußen unter dem Commando des Generals Vogel von Falckenstein ein, der den Bewohnern auch sogleich (16. Juli) in einer Proklamation ankündigte, daß er jezt hier allein Herr, daß ihm vom König von Preußen die Regierungsgewalt über die Stadt übertragen sei. Der Senat und das Bürgercollegium wurden aufgelöst, die Turner und Wehrvereine mußten ihre Waffen abliefern, alle frankfurter Zeitungen, mit Ausnahme des Frankfurter Journals, wurden verboten, die Einwohner mußten eine Contribution von 6 Millionen Gulden zahlen und außerdem noch

60,000 Paar Schuhe, 300 für die Cavalerie brauchbare Pferde und 30,000 Flaschen Wein für die in Kurhessen stehenden Preußen liefern.*) Am 19. Juli wurde Falckenstein nach Böhmen abgerufen, und der General v. Manteuffel trat an seine Stelle. Dieser löste das frankfurter Bataillon (19. Juli) auf und schrich eine neue Contribution von 25 Millionen Gulden aus, an welcher die ersten 6 Millionen abgerechnet werden sollten; so daß die Stadt außer jenen 6 noch 19 Millionen zu zahlen gehabt hätte. Die Bürgerschaft erklärte, eine solche Zahlung sei der Ruin der Stadt; es sei ihr unmöglich, dieselbe zu leisten. Der Protest war jedoch vergeblich; es wurde den Einwohnern starke militärische Execution in das Haus gelegt, einzelne Bürger erhielten bis zu 50 Mann in's Quartier, um sie zur Zahlung zu nöthigen; doch konnte nur die Erlegung der ersten 6 Millionen erzwungen werden. Der Bürgermeister Fellner, dem befohlen worden war, das Vermögen der Mitglieder des Staatskörpers zu taxiren, um darnach die Quote zu bestimmen, welche der Einzelne an der Contribution zu zahlen hätte, erhängte sich in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli aus Verzweiflung. Am 23. Juli ging der General v. Manteuffel zur Armee ab, die am Main gegen die Bundestruppen operirte, und General v. Röder übernahm statt seiner das Commando in Frankfurt; auch dieser Wechsel brachte den Bürgern jedoch keine Erleichterung. Der Rest der Bundesversammlung in Augsburg erklärte am 26. Juli zu Protokoll, er verwahre sich gegen die Gewaltacte, welche sich das preußische Militär in Frankfurt erlaube, und gebe die Würdigung dieser Handlungsweise dem Urtheile der civilisirten Welt anheim. Dagegen zählte sodann der preußische Staatsanzeiger folgende Ursachen des preußischen Verfahrens auf: Systematische Feindschaft der frankfurter Regierung gegen Preußen; Toleranz der Beleidigung des Königs von Preußen; Verträgeverletzung; Beschädigung des preußischen Eigenthums; Theilnahme an dem Krieg der österreichischen Coalition gegen Preußen. In den ersten Tagen des August 1866 begab sich der frankfurter Bürgermeister Müller mit einer Deputation nach Berlin, um für die Stadt eine billigere Behandlung auszuwirken; er erhielt den Bescheid, man wolle von der Beitreibung der 19 Millionen vorläufig absehen, behalte sich aber weitere Verhandlungen vor, wozu sich Müller und der Senator v. Oven am 15. August wieder in Berlin einfinden sollten. Diese weiteren Verhandlungen gingen, wie vorauszusehen, auf

*) Dies erinnerte ganz an die französischen Requisitionen in den Kriegen Napoleons I., durch welche Preußen damals mehr als andere Staaten mitgenommen wurde. Die Naturallieferungen Frankfurts an Preußen betrugen wiederum 2 Millionen Gulden,

die völlige Annexion Frankfurts hinaus. Schon am 17. August kündigte eine königliche Botschaft der preußischen Kammer die Einver leibung der Stadt zugleich mit jener von Hannover, Nassau und Kurhessen an. Die frankfurter Münze mußte am 11. September das Prägen mit dem frankfurter Stempel einstellen. Es war vergeblich, daß die frankfurter gesetzgebende Versammlung und das Einundfünfziger-Collegium (12. September) den Eid an Preußen verweigerten; der preußische Civilcommissär v. Madai erkärte, diese Weigerung ändere an den Verhältnissen Nichts, die Leistung des Eides sei irrelevant. Am 11. Oktober 1866 wurde die Einverleibung vollzogen. Die Eintreibung der Contribution von 19 Millionen unterblieb; bezüglich der 6 Millionen und der 2 Millionen für Naturallieferungen machten die Frankfurter Anspruch auf Rückersaß, da sie jezt mit Preußen vereinigt seien (Ende Dezember 1866). Die Linke der preußischen_Kammer stimmte für die Zurückstellung der 6 Millionen, da Frankfurt diese Schuld nicht als Stadt, sondern als Staat gemacht habe und Preußen mit der Einverleibung auch die Staatsschulden übernehmen müsse; Frankfurt habe sein Contingent nicht gegen Preußen gebraucht, sei überhaupt die Stadt, welche durch die neuen Verhältnisse am meisten verliere, und es sei daher billig, ihr die Contribution zurückzustellen. Die Kammer ging jedoch, auf den Antrag ihrer Commission, am 22. Januar 1867 über diese Bitte mit Stimmenmehrheit zur Tagesordnung über, da der Regierungscommissär erklärte, für die Rückzahlung sei kein Geld vorhanden. Der preußische Finanzminister von der Heydt richtete in den ersten Tagen des Februar 1867 ein Schreiben an die frankfurter Bürger, welche um Rückerstattung der Contribution von 6 Millionen gebeten hatten, worin er sagte, bei den Verhandlungen des frankfurter Senators Müller mit dem Grafen Bismarck in Brünn habe es die Stadt in ihrer Hand gehabt, durch freiwilligen Anschluß an Preußen jeder Contribution zu entgehen und sich gewisse Privilegien zu sichern. Sie habe dies nicht gewollt. Jeht, nachdem sie nach dem Recht der Eroberung einverleibt sei, könne eine Rückzahlung der 6 Millionen nicht mehr stattfinden. Darauf sandten die Frankfurter Mitte Februar 1867 eine Deputation an den König. Dieselbe erhielt den Bescheid, man solle untersuchen, ob die Contribution von 6 Millionen Gulden dem Staate Frankfurt, oder der Stadt zur Last falle; sei Lezteres der Fall, so wolle der König darauf Bedacht nehmen, daß die Stadt nicht über ein Maß hinaus belastet werde, welches mit der Entwicklung ihres Wohlstandes unverträglich sei*).

*) Ende August 1867, wo dieser Bogen in die Druckerei ging, war die Sache noch nicht entschieden.

Die Urkunden, durch welche das preußische Ministerium die Einverleibung von Hannover, Kurhesssen, Nassau und Frankfurt vollzog, waren für alle diese Länder gleichlautend. Am 17. August 1866 legte der Minister Graf Bismarck der zweiten preußischen Kammer die Einverleibungsbotschaft des Königs und den Geseßentwurf vor. In den ersten Tagen des September 1866 erstattete sodann die ständische Kommission der Kammer über die königliche Vorlage Bericht und for derte die Kammer zur Zustimmung auf. Sie erklärte, Preußen habe das vollste Recht auf die Einverleibung dieser Länder; sowohl das ältere als das moderne Staatsrecht zählten die Eroberung zu den giltigen Rechtstiteln für den Erwerb fremden Staatsgebietes. Die eroberten Staaten hätten selbst die Entscheidung des Krieges herbeigerufen, indem sie in der Bundestagssitung vom 14. Juni 1866 die Mobilmachung ihrer Heere gegen Preußen beschlossen; sie müßten mit vollem Rechte jest auch die Folgen tragen. Die Kommission erkenne in der Einverleibung dieser Länder den Beginn eines neuen Abschnittes nationaler Entwicklung; sie habe die königliche Botschaft und den Geseßentwurf mit hoher Befriedigung aufgenommen und befinde sich mit der Regierung über die Aufgaben, welche der preußische Staat an der Hand dieses Geseßes zu lösen habe, im vollsten Einverständniß. Die Kammer stimmte der Ansicht der Kommission vollkommen bei und nahm den Gesetzentwurf am 8. September 1866 mit 273 gegen 14 Stimmen an. Nach demselben wurde sodann in etwas veränderter Fassung das vom 20. September 1863 datirte Einverleibungsgeset formulirt und am 22. September durch den preußischen Staatsanzeiger bekannt gemacht. Darauf erließ der König von Preußen am 3. Oktober 1866 das Besizergreifungspatent und eine Proclamation an die Einwohner der annektirten Länder. Am 6. Oktober 1866 wurden in Hannover die Behörden und städtischen Collegien im großen Saale des städtischen Residenzschlosses versammelt, um ihnen die Einverleibung bekannt zu machen; eine öffentliche Feier vermied die preußische Regie: rung im Königreich Hannover, weil sie den Anhängern der vertriebenen Königsfamilie keine Gelegenheit zu Demonstrationen geben wollte. In Kassel dagegen wurde die Einverleibungsfeierlichkeit am 8. Oktober öffentlich vor dem Schlosse auf dem Friedrichsplatz abgehalten; der preußische Civilcommissär Möller las das Einverleibungsgesetz und die königliche Proclamation vom Balkon des Schlosses den untenstehenden Truppen, Geistlichen und Vereinen vor und hielt hierauf eine Ansprache, worin er sagte: „Die Tausende, welche hier versammelt find, geben Zeugniß davon, daß das Volk der Hessen die unermeßliche Bedeutung des Ereignisses für sein Glück und seine Wohlfahrt zu erfassen und zu würdigen weiß. Mag auch mancher mit Wehmuth auf den

Untergang des Kurstaates blicken: einst werden Alle diese Wandlung fegnen!" Am Schlusse der Feierlichkeit wurde unter dem Geläute aller Glocken und der Lösung von 101 Kanonenschüssen eine Festhymne gesungen. Auch in Wiesbaden wurde die Einverleibungsfeier (8. Oktober) öffentlich (auf dem Schillerplat) vollzogen unter Anwesenheit der Behörden, der Geistlichkeit, der Schulen und des Militärs, das Carré gebildet hatte. Am Schlusse brachte die Versammlung dem König von Preußen ein Hoch und stimmte das preußische Nationallied an. In Frankfurt dagegen, wo von Seiten der Bevölkerung nicht nur keine Theilnahme, sondern im Gegentheil Störungen zu erwarten gewesen wären, wurde die Feierlichkeit am 8. Oktober nicht öffentlich, sondern im Kaisersaale des Römers in Gegenwart der Geistlichkeit, der Behörden und der Officiere der preußischen Garnison abgehalten. Nachdem der preußische Civilcommissär das Einverleibungspatent und die königliche Proclamation vorgelesen hatte, hielt der preußische Civilgouverneur v. Patow eine versöhnliche Ansprache an die Versammlung, worin er der alten geschichtlichen Bedeutung der Stadt Frankfurt rühmend gedachte und die Bürgerschaft zu einem freudigen Anschluß an die neuen, der deutschen Einigung so förderlichen Verhältnisse ermahnte. Es that freilich noth, von Versöhnung zu sprechen; denn das bisherige Verfahren des preußischen Ministeriums gegen die Stadt war nichts weniger als versöhnlich gewesen und konnte nur Erbitterung hervorrufen. Am Schlusse wurde dem König von Preußen ein Hoch gebracht und auf dem Römer die preußische Flagge aufgepflanzt.

« ZurückWeiter »