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gesucht hatte. Auch die Grafschaft Nizza war noch kein echter italienischer Boden, sondern zählte sich zur Provence.

Schon während des Feldzuges im Jahr 1859 waren Gerüchte gegangen, daß Savoyen und Nizza an Frankreich würden abgetreten werden; sie verstärkten sich, als Victor Emanuel factisch in den Besitz der Lombardei getreten war. Im Januar 1860 fingen französische Blätter an, ganz offen von der Annexion der beiden sardinischen Landestheile an Frankreich zu sprechen; die Einwohner selbst hatten bis jezt an Dergleichen nicht geglaubt, nun aber wurden sie regsam. Am 29. Jauuar 1860 zog in der savoyischen Hauptstadt Chambery eine große Volksmasse vor das Haus des sardinischen Gouverneurs und erklärte: die Savoyarden wollen nicht französisch werden, sie wollen frei bleiben unter der sardinischen Regierung! Der Gouverneur antwortete, die Regierung habe nie die Absicht gehabt, Savoyen abzutreten. Er wußte vielleicht selbst nicht um den Plan; schon nach wenigen Wochen aber sollten die Einwohner über das Bestehen desselben Gewißheit erhalten. Am 1. März 1860 erklärte der französische Kaiser in der Rede, womit er den gesetzgebenden Körper eröffnete, er habe sich entschlossen, Savoyen und Nizza zurückzufordern; Sardinien, welches im vorigen Jahre durch die Lombardei vergrößert worden sei, werde für Frankreich als Grenzstaat zu mächtig, wenn es die beiden Landestheile nicht abtrete; Frankreich brauche dieselben zur besseren Vertheidigung seiner Grenzen. Die Bevölkerung selbst wünsche den Anschluß an Frankreich; doch solle derselbe nur stattfinden, wenn sich die Volksabstimmung dafür entscheide. Die Sache machte in Europa Aufsehen; besonders erregte der Ausdruck revendication, Zurückforderung, Bedenken, den Napoleon in seiner Rede gebraucht hatte; denn derselbe that kund, daß es dem Kaiser beliebe, alle vormaligen Eroberungen Napoleons I. als französisches Eigenthum zu betrachten, das er zurückfordern könne, und daß vielleicht gar demnächst französische Reunionskammern nach Art Ludwigs XIV. bevorstünden. Der Gegenstand kam sofort auch in der turiner Kammer zur Sprache; Garibaldi verwahrte sich hier in den stärksten Ausdrücken dagegen, daß man seine Vaterstadt Nizza an Frankreich verhandeln wolle; allein die Mehrheit war für das Vorhaben des Königs, sie dachte an die Zukunft Italiens. Eben war man mit der Einverleibung Toscana's, Modena's, Parma's und der Romagna in das Königreich Sardinien beschäftigt; Napoleon ließ es geschehen, ohne auf den Artikel 19 des Züricher Friedens zwischen Frankreich und Desterreich zurückzukommen, welcher bestimmte, daß mit diesen Territorien ohne Zustimmung der wiener Congreßmächte keine Veränderung vorgenommen werden dürfe. Eine solche Nachsicht, die, wenn Oesterreich gewollt hätte, von neuem zum Kriege hätte führen können, verlangte auch von Seiten

der Italiener eine Gefälligkeit; es lag am Tage, daß man ohne den französischen Kaiser in der italienischen Sache nicht weiter kommen könne; sowie er es nicht mehr zuließ, war es mit den Annexionen zu Ende; man mußte ihn also bei gutem Willen erhalten; und außerdem konnte man sich nicht verhehlen, daß der Kaiser doch auch seinen Franzosen für ihr Geld und Blut Etwas müsse bieten können, wenn sie der Sache Italiens zugethan bleiben sollten. Am 2. März 1860 fandte der Minister Cavour eine Note an den sardinischen Gesandten in Paris, worin er sagte, Sardinien fühle sehr wohl, zu wie großem Danke es dem französischen Kaiser verpflichtet sei, und stehe nicht an, die gewünschten Provinzen an Frankreich abzutreten, wenn sich die Volksabstimmung in denselben dafür erkläre.

Diese Volksabstimmung, von welcher man nach den kundgegebenen Grundsätzen Napoleons III. das Recht auf den Besitz eines Landes ableiten sollte, und die demnach die Hauptsache hätte sein müssen, wurde jedoch völlig als Nebensache behandelt. Man setzte das zustimmende Resultat als selbstverständlich voraus und brachte die Verhandlungen völlig in's Reine, ohne noch die Bevölkerung gefragt zu haben. Die Municipalität von Nizza übergab dem König Victor Emanuel am 19. März 1860 eine Protestation gegen die Einverleibung; aber umsonst. Am 13. März erließ das französische Kabinet eine Note an die Mächte des wiener Congresses von 1815, worin denselben angezeigt wurde, daß die Veränderungen in Italien für Frankreich die Annexion Savoyens und Nizza's nothwendig gemacht hätten; Frankreich bedürfe dieser Vergrößerung, um gewachsen zu sein, wenn sich etwa einmal Sardinien mit einer benachbarten Großmacht gegen Frankreich verbünden sollte. Die Mächte ließen die Annexion geschehen; man besann sich und wird sich wohl auch ferner besinnen, einen kostspieligen Krieg zu beginnen, um in fremdem Interesse einem Staate ein Stückchen Land wieder abzujagen; die Engländer meinten, es komme ja wenig darauf an, daß Frankreich um einige kahle Berggipfel größer sei. Der schweizerische Gesandte in Paris übergab am 15. März 1860 dem dortigen Ministerium einen Protest gegen die Einverleibung, die ohne Genehmigung der wiener Congreßmächte nicht stattfinden dürfe; die Schweiz vernahm es allerdings sehr ungerne, daß sie nun auch im Süden von Frankreich umlagert werden sollte, und sah Streitigkeiten über einige vom wiener Congreß zu Gunsten der Eidgenossenschaft für neutral erklärte savoyische Distrikte voraus. Die wiener Congreßacte hatte nämlich im Artikel 92 bestimmt, daß das savoyische Gebiet von Chablais und Faucigny neutral, wie die Schweiz, sein und im Falle eines Krieges von den Schweizern besetzt werden solle. Anfangs zeigte sich das französische Kabinet bereit, bei der Annexion diese Districte an die Schweiz abzu

treten; allein später erhob dasselbe Schwierigkeiten, und wiewohl die Schweiz an die wiener Congreßmächte appellirte, konnte sie doch Nichts erreichen. Freiwillig trat Frankreich die Districte nicht ab, und Krieg wollten die Mächte um diese Kleinigkeit nicht anfangen. Das französische Kabinet erklärte, die Schweiz habe sich in die Verhandlungen Frankreichs mit Sardinien nicht zu mischen; die Verträge von 1815 seien veraltet, und übrigens sei die Neutralität der genannten Districte damals nur im Interesse Sardiniens zugestanden worden. Der Vertrag über die Abtretung Savoyen's und Nizza's an Frankreich wurde am 24. März 1860 zu Turin unterzeichnet und am 30. März im Moniteur bekannt gemacht, noch che eine Volksabstimmung vorge nommen worden war. Er bestand aus 8 Artikeln. Der erste Artikel sagte, der König von Sardinien willige in die Vereinigung von Savoyen und des Arrondissements Nizza mit Frankreich und verzichte für sich und seine Nachkommen und Nachfolger zu Gunsten des Kaisers der Franzosen auf dieses Eebiet. Die Vereinigung solle ausgeführt werden unter Zustimmung der Bevölkerung, und beide Monarchen würden sich über die besten Mittel vereinbaren, den Volkswillen zu constatiren. Der zweite Artikel handelte von den neutralen Theilen in Savoyen. Victor Emanuel erklärte, er übergebe dieselben an Napoleon mit denselben Rechten, mit welchen er sie selbst besessen habe, und überlasse cs dem Kaiser, sich darüber mit der Schweiz und den wiener Congreßmächten zu verständigen.

Nachdem auf diese Weise die Sache bereits abgemacht und den Einwohnern deutlich kund gegeben war, daß ihr Wille keinen Ausschlag mehr geben werde, ging man an die Volksabstimmung. Napoleon hatte beide Ländchen mit französischen Emissären überschwemmt, welche dem Volke von dem Glücke vorsprechen mußten, das die Vereinigung mit Frankreich mit sich bringen werde. Den Senator Laith hatte er nach Savoyen, den Senator Pietri nach Nizza gesandt, um diese Bearbeitung des Volkes zu leiten. Was die materielle Stellung anlangte, so mochte die Verbindung mit Frankreich für die Bevölkerung eher vortheilhafter sein, als jene mit Italien; dagegen befanden sich die Italiener unter einer aufrichtig constitutionellen Regierung, während die Regierungsform in Frankreich fast absolutistisch war. Doch der leztere Punkt macht auf den gemeinen Mann wenig Eindruck; materielle Vortheile überwiegen; die erregten Hoffnungen auf französische Garnisonen, neu zu errichtende Aemter, anzulegende Strassen, Verminderung der Abgaben u. s. f. thaten ihre Wirkung. Es war am 21. März 1860 auf Anregung der französischen Commissäre eine aus neunzehn Personen bestehende sardinische Deputation beim Kaiser in Paris erschienen, um vor dem Throne den Wunsch des Herzogthums niederzulegen,

mit Frankreich vereinigt zu werden; der Kaiser erklärte ihr, die Vereinigung sowohl Savoyens als Nizza's mit Frankreich sei eine beschlos= sene Sache. Freilich hatte die neunzehn Herren Niemand in Savoyen beauftragt, im Namen der Bevölkerung zu sprechen; aber der Erfolg der Abstimmung rechtfertigte ihre Erklärung. Am 27. März 1860 entband Victor Emanuel durch eine Proclamation die Einwohner von Savoyen und Nizza ihres Unterthaneneides; an demselben Tage wurde in der savoyischen Hauptstadt Chambery die sardinische Fahne eingezogen und die französische aufgepflanzt. Tags darauf rückte ein französisches Infanterieregiment in die Stadt ein, und dies Alles geschah, ohne daß man noch den Volkswillen befragt hatte; der Bürgermeister von Chambery und der Major der Nationalgarde gaben hierauf ihre Entlassung. Noch einmal wollte Garibaldi am 7. April in der Kammer gegen die Einverleibung seiner Vaterstadt Nizza in Frankreich protestiren; Cavour entgegnete ihm aber, die Kammer sei noch nicht constituirt. Am 15. April fand endlich die Volksabstimmung zunächst in Nizza statt. Die Zahl der Stimmberechtigten war 30,706, von diesen gaben 25,933 ihre Stimme ab. Mit Ja stimmten 25,743, mit Nein 160, ungültig waren 30 Stimmen. Vom Militär stimmten 1200 mit Ja, 186 mit Nein. In Savoyen wurde die Volksabstimmung am 22. April 1860 abgehalten. Hier war die Zahl der Stimmberechtigten 135,449; von diesen stimmten 130,839. Für die Annexion waren 130,533, gegen dieselbe 235, ungültig 71 Stimmen. Die Militärpersonen waren fast alle für Frankreich, 5847 stimmten mit Ja, nur 290 mit Nein; 26 Stimmen waren ungültig. Mit diesen Abstimmungen waren nun alle italienischen Debatten und Beschwerden über Völkerhandel niedergeschlagen; die Bevölkerung hatte sich nahezu einstimmig selbst dahin entschieden, lieber Frankreich, als Italien anzugehören. Man hat auch seitdem keine Aeußerungen aus diesen Provinzen vernommen, daß die dortigen Einwohner den Wechsel bereuten. Am 29. Mai 1860 erfolgte die Anerkennung der Cession von Seite der sardinischen Kammer; 229 Deputirte stimmten für, 33 gegen die Abtretung, 23 enthielten sich der Abstimmung. Der sardinische Senat erklärte sich am 10. Juni 1860 gleichfalls mit 92 gegen 10 Stimmen für die Abtretung. Darauf wurde von König Victor Emanuel am 11. Juni ein förmlicher Cessionsvertrag, welcher die Zustimmung beider Kammern beurkundete, unterzeichnet, und am 12. Juni 1860 erklärte der französische Senat einstimmig, daß er die Einverleibung der neuen Provinzen in Frankreich genehmige. Am 14. Juni 1860 nahmen. französische Beamte feierlich von der neuen Erwerbung Befit; die französischen Geseze sollten vom 1. Januar 1861 an zur Geltung kommen.

Traité

de réunion de la Savoie et de Nice à la France.

Au nom de la très-sainte et indivisible Trinité.

Sa Majesté l'Empereur des Français ayant exposé les considérations qui, par suite des changemens survenus dans les rapports territoriaux entre la France et la Sardaigne, lui faisaient désirer la réunion de le Savoie et de l'arrondissement de Nice (circondario di Nizza) à la France, et Sa Majesté le Roi de Sardaigne s'étant montré disposé à y acquiescer, leursdites majestés ont décidé de conclure un traité à cet effet, et ont nommé pour leurs plénipotentiaires, savoir:

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Sa Majesté l'Empereur des Français, M. le Baron du Talleyrand-Périgord, etc., etc., et M. Vincent Benedetti, etc., etc.;

Et Sa Majesté le Roi de Sardaigne, son Excellence M. le Comte Camille Benzo de Cavour, etc., et son Excellence M. le Chevalier Charles-Louis Farini etc., etc.;

Lesquels, après avoir échangé leurs pleins pouvoirs, trouvés en bonne et due forme, sont convenus des articles suivans:

Art. 1. Sa Majesté le Roi de Sardaigne consent à la réunion de la Savoie et de l'arrondissement de Nice (circondario di Nizza) à la France, et renonce, pour lui et tous ses descendans et successeurs, en faveur de Sa Majesté l'Empereur des Français, à ses droits et titres sur lesdits territoires. Il est entendu entre leurs majestés que cette réunion sera effectuée sans nulle contrainte de la volonté des populations, et que les gouvernemens de l'Empereur des Français et du Roi de Sardaigne se concerteront le plus tôt possible sur leurs meilleurs moyens d'apprécier et de constater les manifestations de cette volonté.

Art. 2. Il est également entendu que Sa Majesté le Roi de Sardaigne ne peut transférer les parties neutralisées de la Savoie qu'aux conditions auxquelles il les possède lui-même, et qu'il appartiendra à Sa Majesté l'Empereur des Français de s'entendre à ce sujet, tant avec les puissances représentées

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