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§ 23. Die katholische Kirche in Frankreich.

Die Februar-Revolution des Jahres 1848 hatte in wenigen Tagen den Thron des Bürgerkönigs umgestürzt. Ruhmlos gab ihn Ludwig Philipp I. auf, floh wie ein Geächteter nach England, wo er am 3. März landete, und wo ihm sein Schwiegersohn König Leopold I. von Belgien das Schloß Claremont einräumte. Da starb er am 26. August 1849; am 24. März 1866 aber seine muthigere Gattin Königin Marie Amélie (geboren 26. April 1732, als die Tochter Ferdinands I. (IV.) Königs beider Sicilien, und Marie Caroline, der Tochter der Kaiserin Maria Theresia). 1)

Wie bei der ersten großen Revolution die Encyklopädisten Haß und Verachtung gegen Christenthum und Kirche schürten, so thaten dies jetzt von dem Katheder aus, vor der Februar-Katastrophe ein Jules Michelet (schrieb später unter Anderem „la bible de l'humanité"), Edgar Quinet und Andere.

In den Abgrund der entseßlichen Corruption, welcher fast alle Schichten der Gesellschaft verfallen waren, 2) ließ z. B. der Vergiftungsproceß der Lagrange, und jener des Herzogs von Praslin, des Mörders seiner Gattin, einen Blick werfen. War's zu verwundern, da man sich von derlei Geistesproducten nährte, als da sind eines Victor Hugo, des emancipirten Weibes George Sand (Madame Dudevant), dieser Apologetin der Fleisches-Emancipation, (geboren 1804 zu Paris, gestorben am 8. Juni 1876 mit der Kirche ausgeföhnt; sie selbst bat um ein kirchliches Begräbniß) eines Balzac, Soulie, Montepin, Dumas, Paul de Coq, Janin, Alfred de Vigny,

1) Die sterblichen Ueberreste Louis Philipp's und der übrigen Orleaniden wurden im Juni 1876 nach Dreng in Frankreich durch den Grafen von Paris abgeführt, zur Beiseßung in der dortigen Familiengruft.

2) In der Pariser Pfarre Notre Dame de Victoire wurden seit der Julirevolution fast keine Sacramente mehr administrirt. Der seelencifrige Pfarrer Carl Eleonor Dufriche-Desgenettes (geboren 1778 zu Aleniou) gründete die „Erzbruderschaft zum Hl. Herzen Mariä“ und wirkte mit sichtbar gesegnetem Erfolge. Er starb am 24. April 1860. Eine ähnliche Heldin christlicher Liebe war Magdalena Louise Sophie Barat (geboren 1779 zu Joigny, gestorben 25. Mai 1865), Stifterin und General-Oberin des Ordens „der Frauen vom hl. Herzen Jesu“. Ihr Hauptaugenmerk war eine bessere Erziehung der weiblichen Jugend.

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Merimée, eines heuchlerischen Eugen Sue, welcher, während er in seinen Geheimnissen aus Paris" die Noth der Proletarier mit glühenden Farben schilderte, in seinem Hause einen mehr als fürstlichen Luxus entfaltete; der in seinem ewigen Juden“ zum giftigsten Hasse gegen die Kirche aufstachelte; in seinem Martin und sieben Hauptsünden“ nackte Unzucht und Gotteslästerung lehrte? Victor Cousin (gestorben 1867, nachdem er doch gebeichtet) framte pantheistische Weisheit aus. Aehnlich der genannte Edgar Quinet (gestorben 1875), August Comté. Der Saint-Simonismus hatte seine reformatorische Rolle ausgespielt. Die Koryphäen desselben waren glückliche Speculanten geworden. So Père Enfantin, der im August 1864 starb. Aus jüngster Zeit erwähnen wir nur der schlechten Tendenzromane „Le Maudit“ und „La Religieuse“.

Die „Union du libre mourir", gegründet zu Amiens, organisirt die Opposition gegen das kirchliche Begräbniß. In Paris existirt eine eigene Verbrüderung zur Verhinderung des Empfanges der Sterbesacramente.

Die blutigsten Kämpfe, welche die Straßen von Paris je früher gesehen, waren jene der Arbeiter und Blousenmänner gegen die Truppen der Republik in den Junitagen (23. bis 26.) 1848. Da war es, wo spät am Abende des 25. der Erzbischof von Paris, Dionys August d'Affre als Friedensprediger auf einer Barrikade von einer Kugel getroffen fiel (gestorben 27. Juni). Mit außerordentlicher Anstrengung gelang es dem General Cava ignac, welchem die Nationalversammlung die Dictatur während des Kampfes übertrug, und unter dem auch Lamorcière befehligte, der Emeute Herr zu werden (Abends ant 26. Juni). Der Socialismus unterlag für diesmal. Cavaignac trat einstweilen als Präsident an die Spitze der Regierung.

Am 10. December 1848 erfolgte die definitive Wahl des Präsidenten der Republik auf vier Jahre. Mit mehr als 51⁄2 Millionen Stimmen stieg aus den Wahlurnen der Name Louis Napoleon's hervor. Er war der dritte, am 20. April 1808 zu Paris geborne Sohn Ludwig Napoleon's, des Bruders Napoleon's I. und ehemaligen Königs von Holland (gestorben 25. Juli 1846) und seiner Gemahlin Hortensia (Napoleon's I. Stieftochter, nämlich Tochter der Kaiserin Josephine aus ihrer ersten Ehe mit Beaumarchais,

gestorben 5. October 1837). Bereits im August 1848 war er durch fünf Departements zum Mitgliede der constituirenden Versammlung gewählt worden. Am 20. December beschwor er die neue Verfassung - auf wie lange, zeigte sich bald. Am 21. und 22. December 1851 wurde er zum Präsidenten der Republik auf zehn Jahre gewählt mit 7,439.216 Stimmen. Seine „Idées Napoliennes" reiften nun der vollen Verwirklichung entgegen. Die ihn für unfähig hielten, wie Thiers, oder als unfähig absichtlich ausschrieen, wie Victor Hugo in seinem Pasquill „Napoleon le petit", und ihn etwa als Mittel für ihre Zwecke brauchen zu können meinten, sollten sich gar bitter enttäuscht und in ihren Erwartungen betrogen sehen.

Die Eingangs erwähnte Revolution übte auf die Kirche in Frankreich keinen so zerstörenden Einfluß aus, als die früheren. Im Gegentheile, Kirche und Clerus schienen wenigstens anfänglich zu größerer Freiheit zu gelangen, als ihnen unter Ludwig Philipp I. zu Theil war. Diese Revolution ging zunächst vom Volke aus, welches doch noch einen größeren Fond von Religion besaß, als die höheren Stände.

Als dasselbe am 24. Februar die Tuillerien plünderte, darin alles zerschlug, den Thron Ludwig Philipp's auf die Straßen schleppte und dort verbrannte, begrüßte es mitten in seiner Wuth ein schönes in den königlichen Gemächern vorgefundenes Crucifig von Elfenbein mit Ehrfurcht. Alle zogen davor den Hut ab, und man trug es in die Rochuskirche. Gewiß auch ein Beweis der geheimnißvollen Macht der Religion selbst über verwahrloste Gemüther.

Louis Napoleon kannte es sehr wohl, daß, wenn er sich auf den Kaiserthron schwingen wolle (der noch immer seiner Wünsche leztes Ziel war, wie einst bei den verunglückten, tollkühnen Versuchen am 30. October 1836 zu Straßburg und am 4. August 1840 zu Boulogne, wovon er den ersten mit der Verbannung nach Amerika, von wo er aber im nächsten Jahre schon wieder nach der Schweiz zurückkehrte, welche seine Ausweisung auf Ludwig Philipp's Postulation standhaft verweigerte; den zweiten mit der Gefangenschaft auf der Fe= stung Ham büßte, von wo er am 26. Mai nach London entfloh), er einer solchen Macht, wie sie noch der Clerus ausübte, nicht vor den Kopf stoßen dürfe. Uebrigens waren die Franzosen, wie schon angedeutet, während der Juliregierung der Religion und Kirche gar sehr entfremdet worden. Zumal die sogenannte Bourgeoisie war mehr noch

als die höheren Stände vom Voltairianismus; die Arbeiter und Armen aber vom Communismus und Socialismus angesteckt, zu dessen Hauptpredigern P. J. Proudhon (gestorben 1865), der in seiner Brandschrift: „Qu'est-ce que la propriété ?" gegen das Eigenthum dieses geradezu als Diebstahl erklärte; ') Pierre Leroux, Considerant, Theodor Jouffray, der närrische Cabet mit seinem „Icarien" und Louis Blanc mit seinem Werke über die „Cr ganisation der Arbeit" (1841) gehörten.

Louis Napoleon war endlich Kaiser geworden. Das Plebiscit vom 21. und 22. November 1852 erwählte ihn mit 7,864.189 Stimmen gegen 231.145 zum erblichen Kaiser. Am 2. December 1852 nahm er den Titel: Napoleon III., Kaiser der Franzosen an. Als Kaiser machte er mit den Häuptern der Socialisten und Demokraten wenig Umstände. Die Geheimbünde der „Marianne“, der „allgemeinen Menschenrechte", des „Aide toi, et le ciel l'aidera" und Andere wurden gesprengt und ihre Führer in die Strafcolonien nach Lambessa (in Algier): und Cayenne (in Französisch-Guyana) deportirt.

Daß sich Louis Napoleon durch die Unterdrückung der Revolution in Rom um den Papst und um die ganze katholische Kirche verdient gemacht habe, unterliegt keinem Zweifel. Aber Befremden erregte schon sein vertrauliches Schreiben an Edgar Ney, seinen OrdonnanzOfficier in Rom (1849), worin er für die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes, außer der zu gewährenden allgemeinen Amnestie, auch noch folgende Bedingungen aufstellte: Besetzung aller Regierungsstellen und Aemter durch Laien und Einführung des Code Napoleon, welcher sogar die Civilche gestattet. Freilich Zwang solle dem Papste nicht angethan werden, weil Pius für diesen Fall gedroht hatte, Rom nie wieder betreten und sich lieber in den leßten Winkel der Erde zurückziehen zu wollen.

Am 17. September 1849 wurde die Provincialsynode von Paris eröffnet, was unter der früheren Regierung nicht so leicht hätte geschehen können. Das neue Unterrichtsgesetz (25. März 1850), welches immerhin ein Schritt zur Befreiung des niederen und mittleren (Elementarund Gymnasial) Unterrichtes aus den Fesseln des Staatsmonopols

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1) Sagte er ja offen: „La propriété c'est le vol!" Zwei andere seiner berüchtigten Säße heißen: „Dieu c'est le mal" und ,,Le meilleur gouvernement c'est l'anarchie!"

war, enthielt einige Bestimmungen, welche den Bischöfen Frankreichs nicht unbegründete Bedenken einflößten; als: die staatliche Ueberwachung der kleinen Seminarien, die Berufung der Bischöfe in den obersten Unterrichtsrath, an welchem zugleich zwei protestantische Geistlichen und ein Rabbiner theilnahmen; ferner die wenigstens provisorische Errichtung sogenannter gemischten Schulen, d. i. für Katholiken und Protestanten zugleich.

Aufsehen erregte das Zerwürfniß des Erzbischofs von Paris, August Sibour, mit dem alten verdienten Bischof von Chartres Dominique Clauzel de Montals, weil dieser den Hirtenbrief seines Erzbischofs, worin er dem Clerus verbot, mit politischen Angelegenheiten sich zu befassen, im „Univers“ angegriffen hatte. Der Bischof fand einen Widerspruch darin, daß der Erzbischof selbst am 24. Februar 1851, am dritten Jahrestage der Proclamation der Republik, zur Julisäule ging, als sie die Republikaner bekränzten. Der Erzbischof lud ihn vor das Provincialconcil (18. März 1851). Die Sache wurde beigelegt.

Noch im selben Jahre (1851) gab Louis Napoleon das Pantheon mit seiner stolzen Aufschrift „Aux grands hommes", und worin auch die Asche Voltaire's aufbewahrt ist, dem katholischen Cultus zurück; es wurde wieder ein Gotteshaus (als welches es 1757 erbaut worden), der hl. Genofeva, Patronin von Paris, geweiht. Einen Zwiespalt sogar unter dem französischen Episkopat verursachte (1852) der vom Abbé Gaume, Generalvicar von Nevers, den alten griechischen und lateinischen Classikern freilich wohl wegen der Gefahr, welche deren einseitiger Gebrauch mit sich bringt --- angekündigte Krieg, worin ihm außer dem „Univers" auch einige Bischöfe beistimmten, als Peter Ludwig Parisis, Bischof von Arras (gestorben 1866); indes andere, als: der Bischof von Orleans, Dupanloup, der Erzbischof von Paris, sogar der Erzbischof von Lyon, Cardinal Bonald und der Cardinal - Erzbischof von Bordeaux, Donnet, sich der geächteten Classiker im Interesse der humanen Bildung annahmen, selbstverständlich ohne die nöthige Vorsicht und Auswahl für die studirende Jugend auszuschließen. Gaume's Ansichten erhielten auch in Rom nichts weniger, als volle Billigung. Der Erzbischof von Paris, kein Gegner der sogenannten gallicanischen Freiheiten, verbot (17. Februar 1853) seinen Geistlichen sogar das Lesen des „Univers“, welchen hin

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