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Die Interpellation von Reichensperger (Olpe) im Landtage (27. November 1872) bezüglich Dr. Wollmann's beantwortete der Cultusminister Falk - dem Sinne nach dahin, daß Wollmann Staatsbeamter sei, und nur nach den Staatsgefeßen ent lassen werden könne. (!) Die Regierung „wolle und könne nicht entscheiden, was Dogma in der katholischen Kirche ist“ sie halte die beiden innerhalb der katholischen Kirche kämpfenden Parteien für Katholiken, und schüze deshalb Wollmann in seiner Stellung. Sie acceptire das Unfehlbarkeitsdogma nicht, und könne auch dessen Consequenzen nicht anerkennen. - Reichensperger's Motion fiel mit 264 gegen

83 Stimmen.

Vom 19. bis 22. September 1872 tagte in Köln der zweite General Congreß der sogenannten Altkatholiken. Zum Präsidenten wurde Professor Dr. J. R. von Schulte aus Prag gewählt. Vom Auslande waren u. A. anwesend die anglicanischen Bischöfe von Lincoln, Mary land und Ely; der jansenistische Bischof Heinrich Loos von Utrecht, der Rector der geistlichen Akademie von St. Petersburg, der anglicanische Geistliche Langdon aus Florenz, der anglicanische Dechant. von Westminster in London u. A. Eingeladen war auch der grie chisch-schismatische Erzbischof von Syra und Tunis, Alexander. Er entschuldigte sich mit seinen Geschäften in Constantinopel, ddo. 1. (13.) September, unter Versicherung seiner Sympathie für die Be strebungen des Congresses.

Professor Dr. H. Reusch erläuterte einen von einer Commission ausgearbeiteten Antrag in 14 Paragraphen, darunter auch über die Wahl, Dotation, staatliche Stellung altkatholischer Bischöfe; Prüfung von Mißbräuchen und Durchführung der entsprechenden Reform, welche ,,den verfassungsmäßigen Organen der Kirche vorbehalten bleibt" und dergleichen. Aus dem Munde der Professoren Dr. Schulte, Reinkens u. A. fielen so harte Worte und Urtheile über Papst, Bischöfe, Mißbräuche in der Kirche u. dergl., wie sie auch auf einem „Prote stantentag" noch kaum schärfer gelautet haben. Bluntschli, der auch sprach, drückte sich gleichfalls derb aus. Es wurde auch die Bildung eines Central Comité's beschlossen, und zwar in München für Süddeutschland und in Köln für Norddeutschland.

Die preußische Regierung ging auf dem Wege der Maßregelung katholischer Geistlichen und Lahmlegung der katholischen Kirchengewalt

mit eiserner Consequenz vorwärts. Geistliche Schulinspectoren wurden entseßt — auf andere Priester das Lu y’sche Geseß angewendet; klösterliche Institute geschlossen, z. B. jenes der Sacré coeur - Damen zu Aachen; Missionspriester ausgewiesen u. s. w.

Wir sind nun beim förmlichen sogenannten Culturkampfe_angelangt.

Wie er zu diesem Namen kam? Wohl vom Gegentheile dessen, was er zu sein vorgab. Die unparteiische Nachwelt wird ihn als das bezeichnen, was er in Wirklichkeit war - als den Kampf nicht nur gegen die katholische Kirche als solche, sondern gegen das christliche Gewissen überhaupt; als den Kampf rücksichtsloser, auf ihre vermeintliche Allmacht pochender Staatsgewalt gegen freie christliche Ueberzeugung ; - als den Kampf gegen Cultur, deren Trägerin auch in Preußen durch geraume Zeit die katholische Kirche fast allein gewesen ist, und für welche sie auch jezt noch in ihren gut geleiteten Lehr- und Humanitätsanstalten als die eifrige uneigennüßige Pflegerin sich bewährt hatte.

Der Sturm erregt von undankbarer Selbstüberschäßung und Unduldjamkeit hat diese Anstalten hinweggefegt; dafür aber die Wege geebnet für Verwilderung, Glaubenslosigkeit und für alle Umsturzpläne des Socialismus.

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Wenn wir ob auch mit Widerwillen im folgenden Paragraphe Thatsachen und Scenen aus diesem Culturkampfe aufführen, so werden dieselben es sind nicht alle leider hinreichen, obiges Urtheil zu rechtfertigen.

§ S. Fortschung. Aus dem sogenannten Culturkampfe. Gegen Ende 1872 wurde dem Landtage folgender Geseßentwurf vorgelegt:

"

§ 1. Kein Religionsdiener ist befugt, Straf- und Zuchtmittel anzudrohen, zu verhängen und zu verkünden, welche weder dem rein religiösen Gebiete angehören, noch lediglich die Entziehung eines innerhalb der Kirche, der Religionsgesellschaft wirksamen Rechtes oder die Ausschließung aus den lezteren betreffen.“

§ 2. Kein Religionsdiener ist befugt, geseßlich zulässige Strafoder Zuchtmittel zu verhängen oder zu verkünden wegen Vornahme einer Handlung, zu welcher die Staatsgeseße oder die von der Obrig=

keit innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten. Ebenso wenig ist er befugt, derartige Straf- oder Zuchtmittel anzudrohen, zu verhängen oder zu verkünden, um dadurch zur Unterlassung einer der vorbezeichneten Handlungen zu bestimmen.“

§ 3. Kein Religionsdiener ist befugt, gesetzlich zulässige Strafoder Zuchtmittel zu verhängen oder zu verkünden, weil öffentliche Wahloder Stimmrechte in einer bestimmten Art ausgeübt, oder weil sie nicht ausgeübt worden sind. Eben so wenig ist er befugt, derartige Strafoder Zuchtmittel anzudrohen, zu verhängen oder zu verkünden, um da durch eine bestimmte Art der Ausübung oder die Nichtausübung öffentlicher Wahl- oder Stimmrechte herbeizuführen. “

§ 4. Kein Religionsdiener ist befugt, gesetzlich zulässige Strafund Zuchtmittel unter Bezeichnung der davon betroffenen Person öffentlich bekannt zu machen."

§ 5. „Wer den Vorschriften der Paragraphe 1-4 zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu 1000 Thalern, oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. Daneben kann auf Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Aemter, einschließlich der Kirchenämter, auf die Dauer von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden. Der Versuch ist strafbar."

§ 6. Zu den Religionsdienern im Sinne dieses Gesetzes gehören alle Personen, welche in der evangelischen, der römisch-katholischen Kirche oder in einer anderen Religionsgesellschaft als deren Organe, als Geistliche oder als Beamte thätig sind.“

Der Erzbischof von Posen und Gnesen, Graf Ledochowski, erließ einen Hirtenbrief, worin er zu Gebeten für die bedrängte katholische Kirche aufforderte, und diese unter den Schuß des heiligsten Herzens Jesu" (8. December) stellte Um die Abhaltung der diesbezüglichen, in dem am 1. December überall verlesenen Hirtenschreiben angeordneten Andacht zu verhindern, befahl die Regierung, die darin eine Demonstration gegen sie erblickte, daß am 8. December sowohl in der Gymnasialkirche in Posen, als auch in allen der Regierung gehörigen (?) katholischen Gotteshäusern in der ganzen Erzdiöcese der Gottesdienst zu unterbleiben habe. (!)

Die königliche Cabinetsordre vom 21. December 1872 enthob den Fürsten Bismarck auf sein Anlangen von dem Präsidium des Staatsministeriums, welches künftig an den ältesten Staatsminister überzugehen

habe. Jezt wurde der Kriegsminister Graf Roon Ministerpräsident. Da aber der Reichskanzler Bismarck fortan dennoch die leitende Seele des Ministeriums blieb, so änderte dies an der preußischen Politik gegenüber der katholischen Kirche nichts. Es wäre keine Wendung zum Besseren eingetreten, auch wenn nicht die päpstliche Allocution vom 23. December dazwischen gekommen wäre. Diese lieferte nur den willkommenen Vorwand zu noch rücksichtsloserem Vorgehen.

Die officiellen Blätter fanden darin eine förmliche „Kriegserklärung" des Papstes an Deutschland und speciell eine unerhörte persön liche Beleidigung des Königs und Kaisers Wilhelm. Es wurden sogar Blätter blos deswegen confiscirt, weil sie die Deutschland betreffende Stelle der päpstlichen Allocution in deutscher Ueberjebung () brachten.

Am 29. December schickte die eben in Bonn tagende Versammlung des Mainzer Katholikenvereines ein Telegramm an Cardinal Antonelli ab, worin der Dank an den hl. Vater für die Allocution ausgedrückt war. Dagegen richteten am 5. Jänner 1873 mehrere Einwohner Bonn's eine Adresse an den Kaiser und König Wilhelm, worin sie ihrer Indignation über jenes Telegramm und ihrer Treue zu Diesem Ausdruck geben. Das große Wort führte hiebei Professor von Sybel, Protestant. Gegen die zwei adeligen Unterzeichner des Telegramms wurde sogar die Anklage wegen „Majestätsbeleidigung“ erhoben, nämlich gegen den Grafen Ferd. von Hompesch - Boll= heim und Freiherrn E. von Böselager. Das Urtheil lautete aber auf Freisprechung in allen Punkten. Der Staatsanwalt hatte eine Gefängnißstraße von drei Monaten beantragt.

Selbst liberale, einigermaßen unabhängige Preßorgane fragten sich erstaunt, worin denn eigentlich die unerhörte Beleidigung des Königs und Kaisers in der Allocution liege? Auch wir fragen uns so, und geben den Text in wortgetreuer Uebersetzung im § 16.

Verschärfte Maßregeln gegen die katholische Kirche ließen nicht lange auf sich warten. Zwar wurde das Project der obligatorischen Civilehe vorläufig wieder fallen gelassen; aber zumeist nur deshalb, weil man mit Grund besorgte, daß dieselbe mehr der evangelischen, als der katholischen Kirche zum Schaden gereichen werde.

Gegen den Gesezentwurf über die Errichtung von Kirchenvorständen und Gemeindevertretungen für die katholische Kirche in Preußen,

welchen das königliche Ministerium einigen nicht allen — Bischöfen zur Begutachtung mittheilte und worüber es im Erlasse vom 30. October 1872 gewisse Fragen an die katholischen Pfarrer stellen ließ, legte der Bischof von Paderborn, welcher keine amtliche Mittheilung erhielt, an den Cultusminister Dr. Falk unterm 17. December g. J. Verwahrung ein. Das Gleiche that unterm 31. December g. 3. der Bischof von Münster, welcher bemerkt, daß dem Gesezentwurfe die irrige Ansicht zu Grunde liege, als sei die katholische Kirche in Preußen bis jezt in corporativer Beziehung ohne rechtliche Existenz gewesen.

Am 9. Jänner 1873 brachte der Cultusminister Dr. Falk im Abgeordnetenhause zum ersten Male einen Gesezentwurf zur Sprache, betreffend den Austritt aus der Kirche, geltend von allen Religions genossenschaften mit Corporationsrechten. Zugleich brachte er aber auch zwei Gesezentwürfe zur verfassungsmäßigen Behandlung, von denen einer die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen, der andere die kirchliche Disciplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten betrifft. Dieselben heben geradezu den Artikel XV der preußischen Verfassungsurkunde über die Selbständigkeit der Kirche auf ihrem eigenen Gebiete auf. Sie schreiben unter Anderem ein dreijähriges Universitätsstudium für Theologen und eine Staatsprüfung nach zurückgelegtem theologischem Studium als Bedin gung der Anstellung von Geistlichen vor; ferner seßen sie die bestehen. den Knabenseminarien und Convicte auf den Aussterbe-Etat und untersagen die Gründung neuer solcher Anstalten, und gestatten und regeln den sogenannten recursus ab abusu.

Die Stimmung der Katholiken war schon düster genug. Der westphälische Adel z. B. hatte den Beschluß gefaßt, allen Festlichkeiten für die laufende Wintersaison zu entsagen. Derlei neue Maßregeln gegen die Kirche mußten die Gemüther noch mehr erregen.

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Der Staats- Anzeiger" veröffentlichte diese drakonischen Geseßentwürfe.

Am 16. Jänner begann im Abgeordnetenhause die Berathung derselben, und zwar zuerst über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen. Als Erster bekämpfte Abgeordneter Reichensperger (Olpe) die Vorlage vom katholischen Standpunkte aus. Nach ihm that das Gleiche Abgeordneter Duncker, wenn auch aus anderen Motiven. Er wünscht Cavour's freie Kirche im freien Staate" (?!) auch in

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