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zehn Tage gewohnt, schlug bei ihrer Abreise jede Bezahlung aus, und veredelte und verjüngte dadurch den alten römischen Kaiser zu einem Prytaneum, in welchem ruhmvolle Deutsche im Namen des Vaterlandes bewirthet werden. Zwischen diesen beiden Huldigungen breiteten sich die andern in unzähliger Menge aus. Fräulein Sonntag war hier in einer Zeit erschienen, wo die allgemeine Aufmerksamkeit zu beschäftigen, viel schwerer war, als sie zu verdienen. Die Nachricht von der Schlacht bei Navarin und dem kriegerischen Troße der Ungläubigen war kurz vor der Sängerin hier angelangt, und dennoch sprach man von der leztern auch, obgleich jeder kleine Funken von Zwietracht zwischen den Mächten das staatspapierne Frankfurt gleich_in_helle lichte Flammen sezt. Die wilde türkische Musik, durchtönt von einer süßen Nachtigall, war gar wunderlich zu hören. Der Sultan und die Sonntag, Codrington und Othello, der Divan und der Barbier, das wurde alles unter einander gemischt. Sogar die Juden bekamen einen leichten Schwindel, und wenn man sie auf der Börse von Achteln und Quarten sprechen hörte, wußte man nicht, ob sie Takte oder Procente meinten. Die Eingangspreise in das Schauspielhaus wurden verdoppelt, und das sagt viel! denn uns Frankfurtern, so reich wir auch find an Geld, ist jede ungewöhnliche Ausgabe eine unerträgliche. Die Zuschauer strömten in großen Schaaren herbei, und nicht bloß die hiesigen Einwohner, nicht bloß die Bewohner der nahe gelegenen Städte, gar weit her, von Cöln und Hannover kamen die Fremden. Es war wie bei den olympischen Spielen. Ein Engländer, der keinen Logenplaß mehr be kommen konnte, wollte das ganze Parterre für sich

allein miethen, und zeigte sich, als man ihm bemerkte, daß dieses schicklicher Weise nicht auszuführen sey, sehr erstaunt über die wunderliche Continental -Prüderie. Ein junger Mensch machte den Weg von dem acht Stunden entfernten Wiesbaden zu Fuße, langte ge= rade hier an, als das Haus geöffnet wurde, erstürmte fich einen Sig, war so guthmüthig, diesen einer matten Dame abzutreten, stellte sich, ward dann ohnmächtig, ehe die Vorstellung begann, wurde, weil in Ohnmacht zu fallen kein Plaß da war, stehend und leb los von Hand zu Hand zur Thüre hinaus geschoben, erholte sich erst wieder, als der Vorhang schon gefallen war, und kehrte noch in der nämlichen Nacht zu Fuße nach Wiesbaden zurück. Einen hiesigen Einwohner hatte die Enge und die Schwüle só erschöpft, daß er nach Hause gehen mußte und noch denselben Abend starb. Von einigen Verlegungen und Erkrankungen, von Solchen, die mehrere Tage das Bette hüten mußten, hat man sich erzählt. In diesen Tagen war das Intelligenzblatt wie besät mit verlornen Ketten, Ringen, Armbändern, Schleiern und andern Dingen, welche Weiber im Gedränge verlieren können.

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ich am Tage des ersten Auftretens der Sonntag zum Optiker kam, um mein zur Ausbesserung dahin gegebenes Perspektiv zu holen, mußte es unter andern fünfzig Ferngläsern, die alle in gleicher Absicht dort versammelt waren, hervorgesucht werden. Es war

eine allgemeine Augenrüstung der ganzen waffenfähigen Mannschaft in Frankfurt, und die vielen hundert im Glanze des neuen Kronleuchters schimmernden Fernröhren, die alle auf ein schwaches Mädchen gerichtet waren, boten einen furchtbaren, kriegerischen Anblick dar. Doch nie war eine Artillerie schlechter bedient

worden, denn der Feind wurde gar nicht, nur die ungeschickten Artilleristen wurden beschädigt.

Das Schauspielhaus wurde zwei Stunden früher als gewöhnlich geöffnet, und schon lange vorher war der große Plag vor demselben mit Menschen bedeckt. Die Hälfte der Menge war gekommen, in das Haus zu dringen, die andere Hälfte hinter der Fronte dem Kampfe zuzusehen. Ein hiesiger Theater-Kritiker hat das Gedränge sehr treffend mit den Worten geschildert: ,,Man hätte glauben sollen, dem ersten eintretenden Fuße wäre ein Paar goldene Stiefel zugedacht." Nun denke man ja nicht, es sey etwas Kleines, es sey ein bloßes Luftgefecht, in das hiesige Theater zu stürmen. Das Haus ist gar nicht gebaut, den Eingang zu erleichtern, sondern vielmehr ihn zu erschweren, es ist wie eine Festung gebaut, der sich Vauban nicht zu schämen hätte. Eine schmale und steile Treppe von etwa zwölf Stufen führt unmittelbar von der Straße das Haus hinauf, und diese Treppe wird von der engen Eingangsthüre in zwei Hälften geschieden, ohne daß außer und innerhalb der Thüre ein Absaß ist. Dieses Pförtchen öffnet sich nach außen, und wird, im dramatischen Style, plöglich, rasch und unerwartet, wie ein Theatercoup, und zwar von innen aufgestoßen, so daß die auf der Treppe stehende Menge mit Leichtigkeit herabgestürzt werden kann. Wenn man noch nie gehört, daß bei solchen Gelegenheiten Frankfurter den Hals gebrochen, so haben sie dieses blos ihrer vortrefflichen gymnastischen Erziehung zu verdanken, die sie von Kindheit an in diesen gefährlichen Stürmen geübt hat. Hat man nun die erste Thür und die zweite Treppenhälfte zurückgelegt, dann gelangt man an eine andere Thüre, die halb offen steht.

Hinter ihr aber steht ein Riese mit breiter Brust und ausgebreiteten Armen und wehrt den Eindringenden. Wer etwas klein ist, schlüpft dem Riesen unter den Armen durch, die Großen aber müssen warten, bis die Schlagbäume sich aufthun.

Eine so hochgespannte Erwartung zu befriedigen, habe ich, ehe ich die Wirklichkeit erfahren, nicht für möglich gehalten. Aber alle Zuschauer gestanden, daß Fräulein Sonntag jede Erwartung übertroffen habe. Und hier, wo der Schein zum Wesen gehört, was könnte verführt, was geblendet haben? Eine bezau bernde, unbeschreibliche Anmuth begleitet alle Bewegungen dieser Sängerin, und man weiß nicht, ob man ihr Spiel oder ihren Gesang als den schönen Puz einer vollkommenen Schönheit ansehen soll. In scherzhaften Rollen bewahrt sie immer jene weibliche Schicklichkeit, die auf den Brettern so leicht zu verlegen, und in ernsthaften eine Hoheit, die zugleich gebietend und rührend ist. Madame Catalani foll von ihr geurtheilt haben: Elle est unique dans son genre, mais son genre est petit; wer sie aber als Desdemona in Rosfini's Othello gehört hat, wird dieses Urtheil sehr ungerecht finden. Man vergaß_ganz den abgeschmackten Tert des Roffinischen Othello, man sah und hörte Shakspeare's Desdemona. Sie ist eben so bewunderungswürdig im einfachen Gesange, der zu dem Herzen spricht, als im verzierten, der nur mit dem Ohre plaudert. Man sah alte Männer weinen eine solche Wirkung bringt eine bloße Künstelei, sey sie noch so unvergleichlich und unerhört, nie hervor. Ihre kleinen Löne, ihre wundervollen Verschlingungen, Triller, Läufe und Cadenzen gleichen den anmuthigen kindlichen Verzierungen an einem gothischen Gebäude, die dazu die

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und

nen, den strengen Ernst erhabener Bogen und Pfeiler zu mildern, und die Lust des Himmels mit der Luft der Erde zu verknüpfen, nicht aber jenen Ernst zu entadeln und herabzusehen. Die Begeisterung, welche Henriette Sonntag als Desdemona entzündet, glich einem griechischen Feuer, das gar nicht zu löschen war, Doch jezt klammere ich mich an den Felsen der Besonnenheit, der sich einzig mir zur Rettung darbietet. Vielleicht war es auch der Strudel, der mich fortgerissen, vielleicht war es nicht blos eine Art zu reden, wenn ich früher sagte:,,ich weiß nicht mehr, was ich spreche." Sollte so etwas geschehen, follte mir etwas Menschliches begegnet seyn will ich mich nicht allein dem spottenden Mitleide preisstellen, sondern mich unter meine schiffbrüchigen Leidensgenossen mischen, und will darum Einiges von dem erzählen, was einige Theater-Kritiker und Dichter hier und in Darmstadt von der Sonntag gesagt, ge= fungen und gewüthet haben. So verbunden spotten wir der Spötter.

dann

Mir schwindelt! Ich habe trunkene Deutsche gesehen aber nicht betrunken von Wein, sondern trunken von Begeisterung! Die Zeit ist im Gebähren, das Jahrhundert wird Vater werden, und große Dinge werden geschehen. Was ist gedichtet, was ge= fabelt worden! Es war ein Landsturms aufgebot im Olymp; selbst die Weiber, Kinder, Greise und Veteranen der Mythologie mußten die Waffen ergreifen. Kritische alte Weiber haben der Sängerin Liebeserklärungen gemacht, und düstere Recensenten haben mit ihr gekos't. Schwere Philologen haben leichte Ge= dichte gemacht, und tändelnde Anakreons haben mit dem schönen Mädchen von Tod und Unsterblichkeit ge=

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