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schränkung. Für leßtere war Shakspeare zu königlich, für erstere hatte er eine zu klare Weltanschauung; er steht keinen Widerspruch zwischen Seyn und Schein, er sieht keinen Irrthum. Oft zeigt er uns lächelnd des Lebens verstellten, doch nie spottend des Lebens lächerlichen Ernst. Doch im Hamlet finde ich Ironie, und keine erquickliche. Der Dichter, der uns immer so freundlich belehrt, uns alle unsere Zweifel löst, verläßt uns hier in schweren Bedenklichkeiten und bangen Besorgnissen. Nicht die Gerechten, nicht die Tugendhaften gehen unter, nein schlimmer, die Tugend und die Gerechtigkeit. Die Natur empört sich gegen ihren Schöpfer und fiegt; der Augenblick ist Herr und nach ihm der andere Augenblick; die Unendlichkeit ist dem Raume, die Ewigkeit ist der Zeit unterthan. Vergebens warnt uns das eigene Herz, das Böse ja nicht zu achten, weil es stark, das Gute nicht zu verschmähen, weil es schwach ist; wir glauben unsern Augen mehr. Wir sehen, daß wer viel geduldet, hat wenig gelebt, und wir wanken. Hamlet ist ein christliches Trauerspiel.

Die Welt staunt Shakspeare's Wunderwerke an. Warum? Ist es denn so viel? Man braucht nur Genie zu haben, das Andere ist leicht. Shakspeare wählt den Samen der Art, wirft ihn hin, er keimt, sproßt, wächst empor, bringt Blätter und Blüthen und wenn die Früchte kommen, kommt der Dichter wieder und bricht fie. Er hat sich um nichts bekümmert, Luft und Sonne seines Geistes haben Alles gethan, und die Art ist sich treu geblieben. Aber den Hamlet staune _ich_an. Hamlet hat keinen Weg, keine Richtung, keine Art. Man kann ihm nicht nachsehen, ihn nicht zurechtweisen, nicht prüfen. Sich da nie zu vergessen! Immer daran zu denken, daß man an nichts zu denken habe! Ihn

Nichts und Alles feyn zu lassen! Ihn immer handeln und nichts thun, immer sich bewegen und nie fortkommen zu lassen! Ihn immer sich als Kreisel drehen lass sen, ohne daß er ausweiche! Das war schwer. Und Shakspeare ist ein Britte! Hätte ein Deutscher den Hamlet gemacht, würde ich mich gar nicht darüber wundern. Ein Deutscher brauchte nur eine schöne, leserliche Hand dazu. Er schreibt sich ab, und Hamlet ist fertig.

Der dritte von uns oben erwähnte Artikel „Henriette Sonntag in Frankfurt" hat einen wesentlich andern Charakter, und zeigt uns Börne's Kritik im Gewande des Scherzes. Dieser Artikel hat seiner Zeit überall Aufsehen gemacht der darin regierende Humor ist unübertrefflich.

Der Artikel lautet:

Henriette Sonntag in Frankfurt.

Seit die holde Muse des Gesangs, Henriette Sonntag, vor einem Jahre in Weimar erschienen, und die frommen deutschen Sternpriester, unter Zither- und Zimbelklang, diese Constellation zweier Größen auf eine so seltsamliche, spanisch-maurische, hyacinthenduftige, süß dämmerliche Weise gefeiert und sie gesungen haben:,,der Dichterkönig hat das Wunderkind gepflegt

mit Speise und Trank,“ statt zu berichten: Fräulein Sonntag hat bei Herrn v. Göthe zu Nacht gegeffen

seitdem bin ich ganz toll geworden über das toll gewordene Volk, das über Nacht umgesprungen und, gewohnt wie es war, an der Flamme des Prometheus nur seine Kartoffeln zu kochen, plöglich Feuer schluckte und, gewohnt wie es war, seine mäßige Genießbarkeit unter bittere und harte Schalen zu verbergen, auf einmal anfing süß zu werden und zu schwabbeln und zu gleißen und zu liebäugeln wie Gelée. Ich hatte die aufgebrachtesten Dinge im Sinne, die ich alle wollte drucken laffen; aber wohl mir, daß ich mich bedacht und es nicht gethan. Wie hätte man des unbeugfamen Rhadamanthus gespottet, der endlich der Feder-Vasall eines schönen Mädchens geworden! Wahrlich seit ich die Zauberin selbst gehört und gesehen, hat fie mich bezaubert, wie die Andern auch, und ich weiß nicht mehr, was ich spreche. Nur im Dämmerlichte, wie eines Traumes, erinnere ich mich, daß ich vor meiner Seelenwanderung der Meinung gewesen: es sey doch nicht recht, daß wir Deutsche, die wir uns so schwer begeistern, die wir erst zu trinken anfangen, wenn Andere schon Kopfschmerzen haben daß wir unser jungfräuliches Herz, das noch nie ge liebt, gleich der ersten lockenden Erscheinung hingeben, die, wenn auch schön, doch nicht unverwelklich, wenn auch wohlthuend, doch nicht wohlthätig ist. Es sey eine unbesonnene Verschwendung, erinnere ich mich ge dacht zu haben. Jezt aber denke ich anders, und ich sage: es ist schön, laßt uns des Augenblicks genießen, wozu für unsere Enkel sparen? Wer weiß, wie lange es dauert, bis man uns wieder einmal erlaubt, unsere Bewunderung laut auszusprechen und einer Gottheit

zu huldigen, die wir gewählt, der wir nicht zugefallen. Nun möchte ich diese Zauberin, die ein solches Volk umgestaltet, loben, aber wer gibt mir Worte? Selbst die ungeheure Vasse von Papierworten, die wir hier in Frankfurt geschaffen, seit uns der baare Sinn ausgegangen, felbst diese ist erschöpft. Man könnte einen Breis von hundert Dukaten auf die Erfindung eines neuen Adjektives sehen, das für die Sonntag nicht verwendet worden wäre, und Keiner gewönne den Preis. Man hat sie genannt: die Namenlose, die Himmlische, die Hochgepriesene, die Unvergleichliche, die Hochge feierte, die himmlische Jungfrau, die zarte Perle, die jungfräuliche Sängerin, die theure Henriette, liebliche Maid, holdes Mägdelein, die Heldin des Gesanges, Götterfind, den theuern Sangeshort, deutsches Mädchen, die Perle der deutschen Oper. Ich sage zu allen. diesen Beiwörtern ja, aus vollem Herzen. Selbst nüchterne Kunstrichter haben geurtheilt: ihre reizende Erscheinung, ihr Spiel, ihr Gesang, könnte auch jedes für sich verglichen werden, so habe man doch die Vereinigung aller dieser Gaben der Kunst und der Natur noch bei keiner andern Sängerin gefunden. Auch diesem stimme ich bei, ob mich zwar die Seltenheit dieser Vereinigung nicht bestechen konnte; denn mit der größ- · ten Anstrengung war es mir nicht gelungen, fie zugleich zu sehen und zu hören, und ich mußte ihre einzelnen Vorzüge zusammenrechnen, um die Summe ihres Werthes ganz zu haben. Daran halte ich mich: was eine wochentägliche deutsche Stadt in so festliche Bewegung bringen konnte, ohne daß es der Kalender oder die Polizei besohlen, das mußte etwas Würdiges, etwas Schönes seyn. Unsere Sängerin zu preisen, will ich von dem Taumel reden, den sie hier hervorgebracht;

denn ein so allgemeiner Rausch, lobt er auch die Trinker nicht, so lobt er doch den Wein.

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Henriette Sonntag könnte, mit einer kleinen Veränderung, wie Cäsar sagen: ich kam, man sah, ich fiegte. Der Sieg ging vor ihr her, und ihr Kampf war nur ein Spiel zur Feier des Sieges. Die erste Huldigung, die sie in dem überwundenen Frankfurt gefunden die erste, aber zugleich die wichtigste Huldigung, weil sie guten deutschen treuen Sinn und hohe, innigste Verehrung bezeichnete war ihr von dem hiesigen Fremdenblättchen dargebracht,_welches ihre Ankunft mit den Worten verkündigte:,,Fräulein Sonntag, königlich preußische Kammersängerin, mit Gefolge und Dienerschaft." Es ist nämlich zu wissen, daß unser täglich erscheinendes Fremdenblättchen den Werth und die Würde der Reisenden auf eine höchst sinnreiche, genaue_und_streng staatsrechtliche Weise bezeichnet. Ist ein Fremder reich, dann hat er einen Bedienten, ist er sehr reich, hat er Bedienung; ist er zugleich vornehm, hat er Dienerschaft; und ist er sehr vornehm, hat er Gefolge und Dienerschaft. Statt Gefolge wird zuweilen Suite gebraucht; was aber diese zarte Feudal-Schat= tirung ausdrücken solle, darüber sind die Frankfurter Lehnrechtslehrer nicht einig. Fürstliche Personen reisen mit hohem Gefolge und Dienerschaft. Indem man also der Fräulein Sonntag Gefolge und Dienerschaft zuerkannte, hat man sie bis an die Stufen des Thrones geführt, und ohne Rebellion konnte ihr mehr Ehre gar nicht erzeigt werden. An diese erste Huldigung reihet sich am schicklichsten die legte an, die sie hier gefunden. Nämlich der Wirth des Gasthauses, in welchem Fräulein Sonntag vier

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