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eine Marmorplatte, auf der mit eisernen Buchstaben die Nothwendigkeit geschrieben ist. Ich habe nie be greifen können, wie noch alle Menschen aller Zeiten so diesen Mann verkannt! Daß sie ihn gelästert, ist schön, aber schwach, tugendhaft, aber unverständig, es macht der Menschheit Ehre, aber nicht dem Menschen. Man hat Talleyrand vorgeworfen, er habe nach und nach alle Partheien, alle Regierungen verrathen. Es ist wahr, er ging von Ludwig XVI. zur Republik, von dieser zum Direktorium, von diesem zum Consulat, von diesem zu Napoleon, von diesem zu den Bourbo nen, von diesen zu Orleans über, und es könnte wohl noch kommen, ehe er stirbt, daß er wieder von Louis Philipp zur Republik überginge. Aber verrathen hat er diese Alle nicht, er hat sie nur verlassen, als sie todt waren. Er saß am Krankenbette jeder Zeit, jeder Regierung, hatte immer die Finger auf dem Pulse, und merkte es zuerst, wenn ihr das Herz ausgeschlagen. Dann eilte er vom Todten zum Erben; die Andern aber dienten noch eine kurze Zeit der Leiche fort. Ist das Verrath? Ist Talleyrand darum schlechter, weil er klüger ist als Andere, weil fester, und sich der Nothwendigkeit unterwirft? Die Treue der Andern währte auch nicht länger, nur ihre Täuschung währte länger. Auf Talleyrands Stimme habe ich immer gehorcht, wie auf die Entscheidung des Schicksals. Ich erinnere mich noch, wie ich erschrak, als nach der Rückkehr Napoleons von Elba Talleyrand Ludwig XVIII. treu ge= blieben. Das verkündigte mir Napoleons Untergang. Ich freute mich, als er sich für Orleans erklärte; ich sah daraus, daß die Bourbons geendet. Ich möchte diesen Mann in meinem Zimmer haben; ich stellte ihn wie einen Barometer an die Wand, und ohne eine Ludwig Börne.

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Zeitung zu lesen, ohne das Fenster zu öffnen, wollte
ich jeden Tag wissen, welche Witterung in der Welt ist.

Talleyrand und Lafayette find die zwei größten
Charaktere der französischen Revolution, jeder an seiner
Stelle. Auch Lafayette weiß Seyn vom Schein, Leben
vom Tod zu unterscheiden; aber jedes Grab war ihm
eine Wiege, und er verließ die Gestorbenen nicht. Er
glaubt an eine Fortdauer nach dem Tode, an eine See-
lenwanderung der Freiheit; Talleyrand glaubt nur,
was er weiß. Wäre nur Napoleon wie Talleyrand
gewesen! da er nur der Zeit zu dienen brauchte, keinen
Menschen, weil er selbst der Höchste war: hätte er mit
befferer Einsicht sich selbst besser gedient, er wäre noch
auf dem Throne der Welt. Was habe ich dem Kaiser
nicht alles gesagt! Heine hätte es hören sollen! Ich
war allein im Saale, und stellte mich mit verschränkten
Armen vor ihn hin, wie er es zu thun pflegte. Ich
wollte ihn damit verspotten, und Narr! habe ich
ihn geheißen. Ich hätte ihn Bösewicht nennen kön-
nen, aber das hätte ihn nicht beleidigt. Nein, nie
verzeihe ich dem Manne, was er sich selbst gethan,
wollte ich ihm auch verzeihen, was er der Welt ge=
than. Sich mit der Gemeinheit zu_besudeln,_und_sich
aus Eitelkeit mit Schmuß zu bedecken, um sich einen
Schein von abgenußtem Alter zu geben! Er hat die
Freiheit um ihre schönsten Jahre gebracht, er hat sie
um ihre Jugend betrogen, und jezt muß sie mit
grauen Haaren noch auf der Schulbank sizen, und erst
lernen, was sie längst könnte vergessen haben. Che
ich ging, lachte ich ihm noch einmal freundlich zu. Für
die Dummheit, die du Andere begehen machtest, will
ich dir deine eigene verzeihen. Du warst der starke
eiserne Reif, der die Faßdauben der Welt zusammen

gehalten. Und die Narren Fürsten haben dich zerschlagen, und gleich hat der gährende Wein das Faß auseinander gesprengt, und schweres Holz ist an hohle Schädel gefahren! das war schön!

Von Napoleons Krönung weg, ging ich zu einem andern Schauspiel, das meinem Herzen wohler that. Ich besuchte den edlen Medor. Wenn man auf dieser Erde die Tugend mit Würden belohnte, dann wäre Medor der Kaiser der Hunde. Vernehmen Sie seine Geschichte. Nach der Bestürmung des Louvres im Juli begrub man auf dem freien Plaße vor dem Palaste, auf der Seite, wo die herrlichen Säulen stehen, die in der Schlacht gebliebenen Bürger. Als man die Leichen auf Karren legte, um sie zu Grabe zu führen, sprang ein Hund mit herzzerreißendem Jammer auf einen der Wagen, und von dort in die große Grube, in die man die Todten warf. Nur mit Mühe konnte man ihn herausholen! Ihn hätte dort der hineingeschüttete Kalk verbrannt, noch ehe ihn die Erde bedeckt. Das war der Hund, den das Volk nachher Medor nannte. Während der Schlacht stand er seinem Herrn immer zur Seite, er wurde selbst verwundet. Seit dem Tode feines Herrn verließ er die Gräber nicht mehr, umjammerte Tag und Nacht die hölzerne Wand, welche den engen Kirchhof einschloß, oder lief heulend am Louvre hin und her. Keiner achtete auf Medor, denn Keiner kannte ihn und errieth seinen Schmerz. Sein Herr war wohl ein Fremder, der in jenen Tagen erst nach Paris gekommen, hatte unbemerkt für die Freiheit seines Vaterlandes gekämpft und geblutet, und war ohne Namen begraben worden. Erst nach einigen Wochen ward man aufmerksamer auf Medor. Er war abgemagert bis zum Gerippe und mit eiternden Wun

den bedeckt. Man_gab ihm Nahrung, er nahm fie lange nicht. Endlich gelang es dem beharrlichen Mitleid einer guten Bürgersfrau, Medors Gram zu_lindern. Sie nahm ihn zu fich, verband und heilte seine Wunden, und stärkte ihn wieder. Medor ist ruhiger geworden, aber sein Herz liegt im Grabe bei seinem Herrn, wohin ihm seine Pflegerin nach seiner Wiederherstellung geführt und daß er seit sieben Monaten nicht verlassen. Schon mehremale wurde er von habsüchtigen Menschen an reiche Freunde von Seltenheiten verkauft! Einmal wurde er dreißig Stunden weit von Paris weggeführt! Aber er kehrte immrer wieder zurück. Man sieht Medor oft ein kleines Stück Leinwand aus der Erde scharren, sich freuen, wenn er es gefunden, und dann es wieder traurig in die Erde legen und bedecken. Wahrscheinlich ist es ein Stück von dem Hemde seines Herrn. Giebt man ihm ein Stück Brod, Kuchen, verscharrt er es in die Erde, als wollte er seinen Freund im Grabe damit speisen, holt es dann wieder heraus, und das sieht man ihn mehreremale im Tage wiederholen. In den ersten Monaten nahm die Wache von der National-Garde beim Louvre jede Nacht den Medor zu sich in die Wachtstube. Später ließ sie ihm auf dem Grabe selbst eine Hütte hinfeßen, und folgende Verse darauf schreiben, die beffer gemeint als ausgeführt sind:

Depuis le jour qu'il a perdu son maitre,
Pour lui la vie est un pésant fardeau;
Par son instinct il croit le voir paraître;
Ah! pauvre ami, ce n'est plus qu'un tombeau.

Medor hat schon seinen Plutarch gefunden, seine Rhapsoden und Maler. Als ich auf dem Plaz vor dem Louvre kam, wurde mir Medor's Lebensbeschreibung, Lieder auf seine Thaten und sein Bild feil geboten. Für 10 Sous kaufte ich Medor's ganze Unsterblichkeit. Der kleine Kirchhof war mit einer breiten Mauer von Menschen umgeben, alle arme Leute aus dem Volke. Hier liegt ihr Stolz und ihre Freude be graben. Hier ist ihre Oper, ihr Ball, ihr Hof und ihre Kirche. Wer nahe genug herbeikommen konnte, Medor zu streicheln, der war glücklich. Auch ich drang mich endlich durch. Medor ist ein großer weißer Pudel, ich ließ mich herab, ihn zu liebkofen, aber er ach tete nicht auf mich, mein Rock war zu gut. Aber nahte sich ihm ein Mann in der Weste oder eine zerlumpte Frau und streichelte ihn, das erwiederte er freundlich. Medor weiß sehr wohl, wo er die wahren Freunde seines Herrn zu suchen. Ein junges Mädchen, ganz zerlumpt, trat zu ihm. An diesem sprang er hinauf, zerrte es, ließ nicht mehr von ihm. Er war so froh, es war ihm so bequem, er brauchte, um das arme Mädchen etwas zu fragen, es nicht wie eine vornehme gepußte Dame, sich erst niederlassen, am Rande des Rockes zu faffen. An welchem Theile des Kleides er zerrte, war ein Lappen, der ihn in den Mund paßte. Das Kind war ganz stolz auf Medor's Vertraulichkeit. Ich schlich mich fort, ich schämte mich meiner Thränen. Wenn ich ein Gott wäre, ich wollte viele Freuden unter die armen Geschöpfe der Welt vertheilen! Aber die erste wäre: Ich weckte Medor's Freund wieder auf. Armer Medor! Könnte ich den treuen Medor nur einmal in die Deputirten-Kammer locken! Hörte er dort die Verhandlungen dieser Tage, vernähme er,

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