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diese Hinrichtung erst aus der Abendzeitung. So ist Paris! Es war schon vier Uhr. Ich warf mich in ein Cabriolet, noch den fürchterlichen Schauplah zu erreichen. Den Palast der Tuilerien vorüber, den Tell's Enkel bewachen; das Louvre vorbei, aus dessen Fenster Carl IX. in der Bartolomäus- Nacht auf die Herzen seiner Unterthanen gezielt; am Pont-Neuf vorüber, worauf das Standbild des guten Heinrichs, dessen fromme Augen der Richtstätte gerade zugewendet sind; bis auf den Chatelet- Plaz weiter konnte ich nicht dringen, die Wachen hielten den Weg gesperrt. Eine Brücke, pont-au-change genannt, geht auf diesen Plag aus. Ueber diese Brücke, jenseits der Seine her, wo das Gefängniß ist, mußten die Verurtheilten geführt werden, um zum Greve-Plaß, der am diesseitigen Ufer liegt, zu gelangen. Ein großes, mit einem Balkon versehenes Speisehaus gab den besten Standpunkt, den traurigen Zug, der kommen sollte, zu übersehen. Dieses Gebäude steht auf der Stelle, wo le grand châtelet war, eine Burg, die Julius Cäsar erbaute, und deren Grundmauern im Jahre 1802 niedergerissen worden. Ich stieg in den großen, herrlichen Saal, wo viele Menschen guter Dinge waren. Ich sah mitleidige Weiber mit bleichen Wangen und schwer gehobener Brust; aber sie aßen und kranken doch. Der Dichter, welcher fang: Süß ist's, vom sichern Hafen aus Schiffbrüchige zu sehen“. der kannte das menschliche Herz! Keiner wagte die Empfindungen, die er hatte, laut werden zu lassen, nur die Spione sprachen EmÞfindungen aus, die sie nicht hatten. Für diese Würmer war heute gutes Wetter, denn die Fäulniß ist ihre Wiege. Höher als sonst svigten die Horcher ihre Ohren, denn in diesem Saale konnten Wein und Mit

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leid auch ängstlich verschlossene Lippen öffnen. Einer kam, auch mir den Puls zu betasten. Einen Blick zum Fenster hinaus auf die Volksmenge und die bewaffnete Macht werfend, sprach er mit sööttischer Miene vor sich hin:,,il leur faut quatre mille hommes pour quatre!" Ich schwieg.,,Ces jeunes hommes ont bien merité un petit châtiment, ils ont voulu renverser le gouvernement, mais..." Ich schwieg. ,,Paris dort!" fagte der sentimentale Spion. Ich schwieg, aber ich dachte: Paris schläft nicht, es wacht, kennt die Furcht, bedenkt, zaudert und läßt geschehen. Denn schliefe dieser tausendarmige Riese, und reckte seine Glieder und wendete sich um, wie man es im Schlafe bewußtlos thut, dann würden an dieser gedankenlosen Bewegung die Bajonette dort zerknicken und vier Mütter weinten nicht um ihre Söhne.

Jest wälzte sich ein breites Gemurmel vom jenseitigen Üfer herüber. Wir sprangen von unsern Tischen auf, und eilten auf den Balkon. Der Zug kam näher, die Beurtheilten, in bürgerlicher Kleidung mit ent blöstem Haupte, saßen rückwärts, je zwei auf einem Karren. Jeder hatte einen Geistlichen zur Seite. Die Jünglinge schenkten ihnen aber keine Aufmerksamkeit, sondern wendeten ihr Gesicht der andern Seite, der versammelten Menge, zu, diese immerfort freundlich grüßend. Sie schienen ruhig, ja heiter. Sie zogen vorüber. Noch eine halbe Stunde vor ihrer Hinrichtung war der Prokurator des Königs im Gefängnisse bei ihnen. Das Geständniß der Wahrheit hätte die Hoffnungslosen vielleicht, eine willkommene Lüge sicher gerettet. Sie schwiegen und starben. Bald kehrten die Karren mit vier Leichnamen zurück. Die bewaffnete Macht ging auseinander. Die klugen Stellungen,

welche diese genommen, das Volk im Zaum zu halten, hatte ich mit Bewunderung angesehen. Schaudernd verehrte ich die Macht des menschlichen Geistes, die Werke seiner Wasserbaukunst, wie er das Meer bändigt, und der kleinen Kraft die Herrschaft über die größere sichert. Da, zum erstenmale in meinem Leben fiel mir bei: Regierungen sind wohl von Gott eingefeßt wie hielten sich sonst manche!

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Die Straße war frei geworden, ich ging nach dem Greve Play. Dort war man beschäftigt, das Schaffot auseinander zu legen. Eimer mit Wasser wurden über den blutgedrängten Boden ausgeschüttet. Ich dachte an der Lady Macbeth Hand. Ich fragte den und jenen, wie die Jünglinge gestorben. Sie waren festen Schrittes die rothe Treppe hinaufgestiegen. Vive la liberté! waren ihre leßten Worte.

Die Nacht war angebrochen. Die Uhr des Stadthauses wurde beleuchtet. Eine nachahmungswürdige Einrichtung! Der Greve-Plaß ist auf drei Seiten von Gebäuden umgeben. Die vierte Seite ist offen und der Seine zugewendet. Das Hôtel de ville und alle Häuser auf dem Plaße sind von alterthümlicher Bauart, wie auch in deutschen Städten Märkte und Rathhäuser beschaffen find. Auf dem Greve-Play findet sich viel nachzusinnen, was ist hier nicht Alles ge= fchehen! Ich dachte: wenn Frankreich keine Humoristen hat, sie wohnen hier; wenn es keine Schelme hätte, sie wären hier gewiß zu finden; wenn es die Empfindsamkeit nicht kennt, hier sucht man sie nicht vergebens. Denn Allen, die seit drei und dreißig Jahren auf dem Greve - Plaß wohnen welche andere Wahl könnte ihnen bleiben, als über die Herren der Schöpfung zu lachen, Schelme zu werden, oder vor

Wehmuth zu zerfließen? Ich hatte einen großen Gedanken: die Hauptsache ist, daß man beim Leben bleibt! Die erste Hinrichtung, die auf diesem Plage geschah, wurde im Jahre 1310 an Margare the Porette, einer Keßerin, vollzogen. Diese Unglückliche freilich hätte auch bei der größten Gunst der Parzen ihr Leben nicht bis auf unsere Tage erstrecken können. Aber die sieben und dreißig Bürger, die bei einem Aufstande am 24. August 1787, da das Volk noch nicht Herr war, von einer einzigen Gewehrladung der bewaffneten Macht fielen? Aber alle die Schlachtopfer der Revolution, die hier gemordet wurden? Aber Arena und seine vier Genossen, und der Chef der Chouanen, Cadoudal, die, beschuldigt, dem ersten Konsul Bonaparte nach dem Leben getrachtet zu haben, hier hingerichtet worden? Wie geehrt lebten fie jest!... Und was ist in diesem Rathhause nicht Alles geschehen! Ein Tollhaus ist es zu nennen. Am 2. Nov. 1793 beschloß die Stadtgemeinde, daß ferner den Zuckerbäckern für ihre Näschereien kein Zucker verabfolgt werden dürfe. Am 29. Pluviose des nämlichen Jahres: daß alle Personen für verdächtig zu erklären feyen, die bei den Speisewirthen nur die Kruste vom Brode effen und die Krume liegen lassen! Ein Mitglied des Gemeinderaths bringt einige Wochen sväter eine Anklage gegen diejenigen vor, welche die Haare der Guillotinirten kauften, besonders gegen die alten Weiber, die sich Perrücken daraus machen ließen! Am nämlichen Tage sendete die Polizei die Liste der gefangenen Personen ein. Deren Zahl belief sich auf 7090, beiderlei Geschlechts. Am 21. Floreal des näm lichen Jahres befiehlt die Gemeinde, die mitgetheilte Nachricht, daß man 1684 Staatsverbrecher guillotinirt

oder erschossen habe, wäre im Protokolle mit Ehren zu erwähnen! Fünf Tage später wurde beschlossen, daß das französische Volk ein höchstes Wesen anerkenne. Im Jahre 1804 gab die gute Stadt Paris in ihrem Rathhause dem Kaiser Napoleon, zur Feier seiner Krönung, ein prächtiges Fest. Am 29. August 1814 gab genannte gute Stadt auch Ludwig XVIII. ein Fest, feine Rückkehr zu feiern. Lobenswerthe Unparteilichkeit! So ist Paris, so ist der Mensch, so ist die Welt!

Der Garten der Tuilerien.

Es ist noch gar nicht lange (erst fünf Minuten), daß ich die Ursache entdeckt, warum ich in Paris stärker, häufiger und lieber philosophire, als ich in Deutschland gethan. Es ist damit so arg geworden, daß ich, um in die Tuilerien zu kommen, den Weg über die Kritik der reinen Vernunft nehme, welches der kürzeste Weg nicht ist, sondern der längste. Ich thue es blos aus einer hypochondrischen Aengstlichkeit für die Gesundheit meines Geistes, die mich in Paris befallen. Eine bekannte diätetische Klugheitsregel schreibt vor, man folle sich im nüchternen Zustande keinem ansteckenden Kranken nähern, sondern vorher etwas genießen; auch wird in diesem Falle angerathen, sich den Mund mit Weinessig auszuspülen. Das Philosophiren ist mein Weinessig, der mich gegen die mancherlei Seelenkrankheiten schüßt, von denen man in Paris angesteckt werden kann. Man kann dort fangen: Habsucht, Unduldsamkeit, Gott

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