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Leichensteine begrabener Geschlechter, und ihr Ruhm wird mit Füßen getreten. Welche aber das Geschick begünstigt, die läßt es am Anfange einer neuen Zeit auftreten. Sie wachsen dann in das zarte Jahrhundert hinein, mit ihm gegen den Himmel, und werden unsterblich. Göthe und Napoleon gehören zu den Einen; Voltaire, Rousseau, Washington, Lafayette zu den Andern.

Die Deutschen erreichen später als andere Völker ein Ziel, es sey in Kunst, Wissenschaft oder im bürgerlichen Leben. Nicht etwa, daß sie den kürzesten Weg nicht kennten, oder zu träge fortwanderten sie haben nur darum einen längern Weg zum Ziele, weil sie weiter herkommen. Sie gehen überall von Grundfäßen aus, und ist ein Fettflecken vom Rockärmel wegzubringen, studiren sie die Chemie vorher, und studiren so lange und so gründlich, bis der Rock darüber in Lumpen zerfällt. Aber das gerade ist ihnen Recht, aus Lumpen machen sie Schreibpapier. Sie machen aus Allem Papier.

Als Pythagoras seinen bekannten Lehrsag entdeckte, brachte er den Göttern eine Hekatombe dar. Seitdem zittern die Ochsen, so oft eine neue Wahrheit an das Licht kommt.

Leichter ist eine Zeit zu schaffen als umzuschaffen, Leichter fie umzuschaffen, als eine alternde zu verjüngen. Ludwig Börne,

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Ist es etwas Erfreuliches, durch mühsame Heilkunst und lästige Lebensordnung ein hinfälliges Daseyn zu fristen? Der denkende Baumeister hilft einem baufälligen Gebäude zu schneller Zerstörung, nur daß er es während dem Niederreißen stüßt damit herabfallende Balken nicht beschädigen.

und

Der Geist des Mannes ist sonnenlichter Tag, der Geist des Weibes gleicht mondheller Nacht der trübste Tag ist heller, als die hellste Nacht. Aber der Tag verdunkelt die Sterne und macht alles Leben irdisch, und die Nacht ruft alle Welten hervor und macht das Leben himmlisch. Der Tag bringt Glut und Dürre und Háß; Allés uns trocknend, beleuchtend, entzweit er die verwandtesten Dinge, bis selbst auf ihre Schatten; die Nacht bringt Milde und Thau und Liebe, und alle Gränzen verwischend, verschwistert ste, was sich feind oder fremd war. Der Geist des Mannes steht überall im Mittelpunkte der Betrachtung, von welchem er die ganze Welt übersieht. Er denkt hinaus und fühlt herein; sein_Wissen ist ganz, feine Empfindungen find Brüche. Frauen stehen mit ihrem Geiste nur auf diesem oder jenem Punkte der Kreislinie. Nicht überschauen und umschauen können sie die Welt, fie umschiffend, und sind sie am Ziele, so stehen sie doch wieder am Anfange der Reise; fie fühlen hinaus und denken herein; ihre Empfindung ist vollständig, ihr Wissen ein Bruchstück. Sv wäre Verlust und Ersaß dem Manne und dem Weibe in gleichem Maße zugetheilt.

Rousseau hatte ein deutsches Herz und einen britischen Geist; französisch war nichts an ihm, als die Sprache.

Der vierte Band enthält die schon erwähnten „Schilderungen aus Paris, 1822 und 1823,“ sowie ,,Aus meinem Tagebuche.“

Die Schilderungen aus Paris find nicht allein das Beste, Eleganteste, Geistreichste, was Börne überhaupt geschrieben hat, sondern sie sind auch noch bisher von keiner der Zeichnungen der französischen Hauptstadt übertroffen worden, welche unsere Literatur so zahlreich aufzuweisen hat. Seite für Seite sind gleich anziehend geschrieben, es ist uns nicht leicht geworden, das nachfolgende aus dem Ganzen auszuwählen, denn Wort für Wort hatte zu dieser Auswahl die gleiche Berechtigung. Wir geben aus den 26 einzelnen Abschnitten den,,Grève - Plaz,“ den „Garten der Tuilerien," die ‚Schwefelbäder von Montmorench,“ und die „,englische Schauspielergesellschaft.“

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Der Greve - Plak.

Ein aufgeschlagenes Buch ist Paris zu nennen, durch seine Straßen wandern heißt lesen. In diesem

lehrreichen und ergößlichen Werke, mit naturtreuen Abbildungen so reichlich ausgestattet, blättre ich täglich einige Stunden lang. Es war zwei Uhr, da ich aus dem Hause trat. Unfehlbar um diese Zeit spielt der fleißige Tischler gegenüber ein Viertelstündchen mit seinen Papageien; dann wird der Hobel von Neuem gerührt. Der deutsche Baron, mein Nachbar, war eben heimgekehrt, und hüpfte, wie ein Spaß, aus seinem Tilbury. Ein leichtfüßiger Herr! Das Pferd, auf dem Wege zum Stalle, wird kaum fühlen, daß seine Last leichter geworden. Bald kam ich in die Straße Vivienne. Hier ist das Paradics der weiblichen Welt, da findet sich Alles, was die Häßlichkeit braucht, sich zu verbergen, und die Schönheit, sich zu verrathen. Hüte, Blonden, Schleier, Geschmeide von Gold und Edelsteinen, und Alles in so reichem und kostbarem Vorrathe, daß selbst eine Königin mit Bedenken wählen müßte. Vor einem Puzladen hielt eine glänzende Kutsche; der gemächlichen Dame öffnete ein Mohr den Schlag. Ich sah_mir das Wappen an ein ganzes Stickmuster von farbigen Feldern, nebst Klauen- und Schnabelthieren aller Art. Fünf Minuten später warf ich den Blick durch die geöffnete Pforte des Tempels der Eitelkeit, und säh für einen Hut einen Bankzettel hinlegen. Das waren, wenn nicht tausend, wenigstens fünfhundert Franken. Darauf wurden zwei Goldstücke herausgegeben. Der Hut war schöner als ihn eine männliche Feder beschreiben kann: ein Paradiesvogel mit seinem ganzen Gefieder umschimmerte den Kopf. Habe so etwas in meinem Leben noch nicht gesehen! Doch vielleicht hätte die edle Frau Rang und Reichthum gern für das hübsche Gesicht hingegeben, das neben mir lechzende Augen nach Hut und Bankzettel

schickte. Ich ging weiter, ein kleiner Menschenkreis zeg mich an, ich drängte mich durch. Zwei Lumpensaminler waren in heftigen Wortwechsel gerathen. Ihr kümmerliches Gewerbe folgt dem des Bettlers. Der eine hatte einen handbreiten wollenen Lappen im Kuhmist ausgestöbert, der Andere als gleichzeitiger Entdecker machte Ansprüche darauf, hob drohend seinen Stock mit eisernem Haken in die Höhe und sprach mit wüthenden Geberden: veux tu lâcher cela? Unweit davon zeichnete ein Mann stehenden Fußes Etwas in seine Schreibtafel ein, so ernst, so andächtig dabei, als hätte ihm der liebe Gott seine zehn Gebote in die Feder gesagt. Ein schnarrendes Gare! weckte ihn aus seinen frommen Träumen. Er mochte wohl ein Wechselmäkler seyn, denn er war von der Seite der Börse hergekommen. Jest ging ich den Perron hinab in das Palais-Royal. Dieses Lustlager ist wohl Jedem bekannt. Alles findet sich hier, selbst menschliches Elend nicht dessen Schein. Die Armuth ist vergoldet, der Hunger scherzt, das Laster lächelt.

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So war ich zwei Stunden_lang__umhergewandert, und hatte auf allen Straßen das regste Leben gefunden. Es hüpfte, sang und lachte zwar nicht immer dieses Leben, es schlich, stöhnte und weinte wohl auch — doch es lebte. Und in dieser nämlichen Stunde, in dieser nämlichen Stadt, athmeten vier Jünglinge ohne zu leben, denn, wenn nicht Verzweiflung, war Verklärung über sie gekommen, schon waren sie keine Menschen mehr. Die Soldaten, welche wegen Theilnahme an der Verschwörung von Rochelle zum Tode verurtheilt wor den, sollten um vier Uhr auf dem Greve-Play hingerichtet werden. Das hatte ich erst auf der Straße erfahren. Vielleicht eine halbe Million Menschen erfuhr

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