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bildete das System aus, und wandte es noch auf andere Verhältnisse des Lebens an. Daß er, sich unterscheidend von den übrigen Gästen, seine Serviette unter dem Kinn fest band, konnte mich nicht überraschen, denn von einem solchen Manne ließ sich nichts Anderes erwarten, als daß er die alte Sitte, Weste und Beinkleider zu schonen, beibehalten werde. Daß er aber genannte Serviette, die während des Gedränges des Essens herabfiel, zur Zeit wenn das Dessert fam und die andern Gäste ihre Serviette zulegten, von Neuem unter dem Kinn befestigte, mußte mir auffallen. Ich dachte gleich: dahinter steckt was es stack wirklich etwas dahinter, wie fich zeigen wird. Er spielte nämlich während der ganzen Mahlzeit, so oft es ihm seine Geschäfte erlaubten, mit der rechten Hand hinter der Serviette, zog fie aber häufig hervor und zeigte, daß sie hohl war. Hiedurch gewöhnte er die Zuschauer an diesen Anblick, so daß sie zuleßt gar nicht mehr darauf sahen. Kam nun das Dessert, dann nahm er ein großes Stück Brod vor sich, wovon er aber nur wenige Brosamen zu der Torte aß. Er ließ das Brodstück auf dem Lischtuche_artige Purzelbäume machen, dann zog er das Schnupftuch aus der Tasche und bediente sich dessen mit vielem Geräusche. Er ahmte hierin glücklich den Taschenspielern nach, die, wenn sie einen großen Streich vorhaben, die Ohren der Zuschauer zu beschäftigen suchen. Ich paßte auf. Husch hatte er die rechte Hand mit dem Brode hinter der Serviette und von da brachte er es unbemerkt in die Tasche, worauf er dann das Schnupftuch wieder einsteckte. Auf dieselbe Art practicirte er einige Birnen in die Tasche; jedoch hat man dieses leßtere Stück schon von Pinetti gesehen. So wendete unser Künstler

die Theorie des Nachtisches auch auf andere Lebensmittel an.

unter

Ach, die menschliche Natur ist nie vollkommen! Die größten Männer haben ihre Schwächen und auch unser Künstler war nicht frei davon. Ich hatte gestern in einem Anfalle von übler Laune in mein Tagebuch geschrieben: und seh eine Frau noch so kluge Wirthschafterin, fie versteht nur die Küche; der Keller ist um mich artig und architektonisch auszudrücken ihrem Verstande." Diese Bemerkung galt der Frau von Staël; aber treffender hätte ich sie auf unsern Eßkünstler anwenden können. Vom Weine hatte er gar keine Kenntnisse, und er trank nur wenige Gläser. Doch hielt er sich für diese einzige Schwäche durch seine. Herzensgüte wieder schadlos, indem er, um zu verbergen, daß ihm der Wein nicht schmecke, was den Wirth hätte kränken können, den übriggelassenen zugleich mit dem Dessert auf sein Zimmer tragen ließ, wo er ihn wahrscheinlich heimlich ausschüttete.

Napoleon fagte nach seinem Rückzuge aus Rußland:,, vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt." Die Kellner, welche unsern Eßkünstler bedienten, machten diesen Schritt, und fanden dessen Kunstansichten lächerlich. Sie waren nicht allein wegen dieser ihrer Unwissenheit zu bedauern, sondern noch mehr darum, daß sie etwas lächerlich fanden und doch nicht lachen durften. Ich konnte ohne das innigste Mitleid nicht sehen, wie diese armen Menschen sich quälen mußten, um die Convulfionen ihres Gefichtes zu verbergen und denjenigen Anstand zu beobachten, den jeder Gast von einem loyalen Kellner fordern kann.

Denkrede auf Jean Paul.

Vorgetragen im Museum zu Frankfurt, am 2. Dezember 1825.

Ein Stern ist untergegangen und das Auge dieses Jahrhunderts wird sich schließen, bevor er wieder erscheint; denn in weiten Bahnen zieht der leuchtende Genius und erst späte Enkel heißen freudig willkommen, von dem trauernde Väter einst weinend geschieden. Und eine Krone ist gefallen von dem Haupte eines Königs! Und ein Schwert ist gebrochen in der Hand eines Feldherrn; und ein hoher Priester ist gestorben! Wohl mögen wir den beweinen, der uns Ersaß gewesen und uns nun unerseßlich geworden. Jedem Lande ward für jedes trübe Entbehren irgend eine freundliche Vergütung. Der Norden ohne Herz hat seine eiserne Kraft; der kränkelnde Süden feine goldene Sonne; das finstere Spanien seinen Glauben; die darbenden Franzosen erquickt der spendende Wig, und Englands Nebel verklärt die Freiheit. Wir hatten Jean Paul, und wir haben ihn nicht mehr, und in ihm verloren wir, was wir nur in ihm befaßen: Kraft, und Milde, und Glauben, und heitern Scherz, und entfesselte Rede. Das ist der Stern, der untergegangen: Der himmlische Glaube, der in dem Erloschenen uns geleuchtet. Das ist die Krone, die herabgefallen: die Krone der Liebe, die den beherrschte, der fie getragen, wie Alle, die ihm unterthan gewesen. Das ist das Schwert, das gebrochen: Der Spott in scharfer Hand, vor dem Könige zittern, und der blutleere Höflinge erröthen macht. Und das ist der hohe

Priester, der für uns gebetet im Tempel der Natur er ist dahin geschieden und unsere Andacht hat keinen Dolmetscher mehr. Wir wollen trauern um ihn, den wir verloren, und um die Andern, die ihn nicht verloren. Nicht Allen hat er gelebt! Aber eine Zeit wird kommen, da wird er Allen geboren, und Alle werden ihn beweinen. Er aber steht geduldig an der Pforte des zwanzigsten Jahrhunderts und wartet lächelnd, bis sein schleichend Volk ihm nachkomme. Dann führt er die Müden und Hungrigen ein, in die Stadt seiner Liebe; er führt sie unter ein wirthliches Dach: die Vornehmen, verzärtelten Geschmacks, in den Palast des hohen Albano; die Unverwöhnten aber in seines Siebenkäs enge Stube, wo die geschäftige Lenette am Heerde waltet, und der heiße beißende Wirth mit Pfef= ferkörnern deutsche Schüsseln würzt.

Jahrhunderte ziehen hinab, die Jahreszeiten rollen vorüber, es wechselt die Witterung des Glücks; die Stufen des Alters steigen auf und steigen nieder. Nichts ist dauernd als Wechsel, nichts beständig als der Tod. Jeder Schlag des Herzens schlägt uns eine Wunde, und das Leben wäre ein ewiges Verbluten, wenn nicht die Dichtkunst wäre. Sie gewährt uns, was uns die Natur versagt: eine goldene Zeit, die nicht rostet, einen Frühling, der nicht abblüht, wolkenloses Glück und ewige Jugend. Der Dichter ist der Tröster der Menschheit; er ist es, wenn der Himmel selbst ihn bevollmächtigt, wenn ihm Gott sein Siegel auf die Stirne gedrückt und wenn er nicht um schnöden Botenlohn die himmlische Botschaft bringt. So war Jean Paul. Er sang nicht in den Palästen der Großen, er scherzte nicht mit seiner Leier an den Tischen der Reichen. Er war der Dichter der Niedergebornen, er war der Sänger

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der Armen, und wo Betrübte weinten, da vernahm man die süßen Töne seiner Harfe. Mögen wir der stolzen Glocke, die an feltenen Festtagen majestätisch schallt, unsere Ehrfurcht zollen unsere Liebe wird der vertrauten Uhr, die jeden Pulsschlag unsers Herzens begleitet, die jede Viertelstunde unserer Freude nachtönt, und alle unsere Schmerzen, Minute nach Minute von uns, nimmt.

In den Ländern werden nur die Städte gezählt; in den Städten nur die Thürme, Tempel und Paläste; in den Häusern ihre Herren; im Volke die Kameradschaften; in diesen ihre Anführer. Vor allen Jahreszeiten wird der Frühling geliebkost; der Wanderer staunt breite Wege und Ströme und Alpen an; und was die Menge bewundert, preisen die gefälligen Dichter. Jean Paul war kein Schmeichler der Menge, kein Diener der Gewohnheit. Durch enge, verwachsene Pfade suchte er das verschmähte Dörfchen auf. Er zählte im Volke die Menschen, in den Städten die Dächer, und unter jedem Dache jedes Herz. Alle Jahreszeiten blühten ihm, sie brachten ihm alle Früchte. Auch der ärmste Dichter, und schlotterte ihm nur eine Saite noch auf seiner kümmerlichen Leier, hat die Feiertage der ersten Liebe besungen. Jean Paul wartet diese heilige Flamme, bis sie mit dem Tode verlischt. Bei jeder goldenen Hochzeit ist er der trauende Priefter, der die alten Herzen noch einmal an einander legt, und die zitternden Hände zum legten Male paart, be vor der Tod ste trennt. Durch Nebel und Stürme, und über gefrorne Bäche, dringt er in das eingeschneite Häuschen eines Dorfschulmeisters, die Christnachtfreuden feiner Kinder zu theilen. Mit vollen Klängen befingt er die königliche Luft, auf den Wonne-Inseln des Lago Ludwig Börne.

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