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solchen Beurtheilung, „habe ich nie verstanden; ich habe nie verstanden diese Mischung von antiker und romantischer Denkweise, dieses christliche Heidenthum. Entweder ist der Tod ein liebender Vater, der sein Kind aus der Schule des Lebens abholt, und dann ist das Schicksal untragisch; oder es ist der menschenfressende Kronos, der seine eigenen Kinder verschlingt, dann ist es unchristlich. Euer Schicksal ist ein Zwitter, unfähig zum Zeugen, wie zum Gebären." Seine Analysen solcher Dramen gelten bis heute als Meisterstücke. Zu den berühmtesten Kritiken Börnes gehörten jedoch die erst ein volles Decennium später entworfenen Besprechungen des „Hamlet“ und des „Wilhelm Tell." „Das hat mir viele Mühe gemacht. Ich habe tief graben müssen," sagte Börne, und strömte wie immer in Bewunderung Shakespeares über, den er Gott ähnlich pries, dem nichts verborgen, der Alles kenne, das Tiefste und Höchste, vor dem in der Natur und der menschlichen Seele kein Geheimniß unergründet bleibe; er schloß mit den bezeichnenden Worten: „Die Welt staunt Shakespeares Wunderwerke an. Warum? Ist es denn so viel? Man braucht nur Genie zu haben, das Andere ist leicht. Shakespeare wählt den Samen der Art, wirft ihn hin, er keimt, sproßt, wächst empor, bringt Blätter und Blüthen, und wenn die Früchte kommen, kommt der Dichter wieder und bricht sie. Er hat sich um nichts bekümmert, Luft und Sonne seines Geistes haben alles gethan, und die Art ist sich treu geblieben. Aber den Hamlet staune ich an. Hamlet hat keinen Weg, keine Richtung, keine Art. Man kann ihm nicht nachsehen, ihn nicht zurechtweisen, nicht prüfen. Sich da nie zu vergessen! Immer daran zu denken, daß man an nichts

zu denken habe! Ihn nichts und Alles sein zu lassen! Ihn immer handeln und nichts thun lassen, immer sich bewegen und nie fortkommen zu lassen! Ihn immer sich als Kreisel drehen zu lassen, ohne daß er ausweiche! Das war schwer. Und Shakespeare ist ein Britte! Hätte ein Deutscher den Hamlet gemacht, würde ich mich gar nicht darüber wundern! Ein Deutscher brauchte nur eine schöne leserliche Hand dazu. Er schreibt sich ab, und Hamlet ist fertig." 1) (II. 198.) Das Schiller'sche Drama ist zwar auch ihm eines der besten Schauspiele, das die Deutschen haben; doch wären die Fehler des Gedichtes die Tugenden des Dichters. Aus Schillers liebevollem, weltumfluthenden Herzen entsprang Tells beschränktes häusliche Gemüth und seine kleine enge That." Tell erscheint ihm nicht als der Freiheitsheld, sondern ein ehrsamer Philister und feiger Meuchelmörder. „Es thut mir leid um den guten Tell, aber er ist ein großer Philister. Er wiegt all sein Thun und Reden nach Drachmen ab, als stünde Tod und Leben auf mehr oder weniger. Dieses abgemessene Betragen, im Angesichte grenzenlosen Elends und unermeßlicher Berge, ist etwas abgeschmackt. Man muß lächeln über die wunderliche Laune des Schicksals, das einen so geringen Mann bei einer fürstlichen That Gevatter und durch dessen linkisches Benehmen die ernste Feier lächerlich werden ließ. Tell hat mehr von einem Kleinbürger als von einem schlichten Landmann. Ohne aus seinem Verhältnisse zu treten, sieht er aus seinem Dachfenster über dasselbe hinaus; das macht ihn klug, das macht ihn ängstlich. Als braver Mann hat er sich zwar den Kreis

1) Vergl. Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft XVI, 274 ff.

seiner Pflichten nicht zu eng gezogen; doch thut er nur seine Schuldigkeit, nicht mehr und nicht weniger. Er hat eine Art Lebensphilosophie und ist mit Ueberlegung, was seine Landesleute und Standesgenossen aus bewußtlosem Naturtriebe sind. Er ist ein guter Bürger, ein guter Vater, ein guter Gatte. Es ist sehr komisch, daß er seinen gesunden Bergesknaben, starken Kindern einer rauhen Zeit, eine Art Erziehung gibt, wie sie Salzmann in Schnepfenthal den seidnen Püppchen des achtzehnten Jahrhunderts gab. Er härtet sie freilich ab, sie sollen ausgerüstet werden gegen das Ungemach des Lebens, ja er bemüht sich sogar, ihren Verstand aufzuklären und die abergläubische Wirkung der Ammenmärchen zu zer= stören. Tell hat den Muth des Temperaments, den das Bewußtsein körperlicher Kraft gibt; doch nicht den schönen Muth des Herzens, der selbst, unermeßlich, die Gefahr gar nicht berechnet. Er ist muthig mit dem Arm und furchtsam mit der Zunge; er hat eine schnelle Hand und einen langsamen Kopf, und so bringt ihn endlich seine gutmüthige Bedenklichkeit dahin, sich hinter den Busch zu stellen, und einen schnöden Meuchelmord zu begehen, statt mit edlem Troße eine schöne That zu thun . Man muß das Bürgervolk nur immer in Masse kämpfen lassen; man darf keinen Helden aus seiner Mitte an eine Spize stellen. Der schönste Kampf kommt in Gefahr, dadurch lächerlich zu werden Tell hätte nicht schießen dürfen, und wäre darüber aus der ganzen schweizerischen Freiheit nichts geworden . . Aus Ehrsucht hat er freilich den Landvogt nicht getödtet, doch mit Nothwehr sollte diese ja, gegen eine rechtliche Obrigkeit, so rechtlich stattfinden können — fann er sich nicht entschuldigen. Damals, wenn er, um den

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Schuß von seinem Kinde abzuwenden, den Bogen nach Geßlers Brust gerichtet hätte, wäre es Nothwehr gewesen, später war es nur Rache, wohl auch Feigheit - er hatte nicht den Muth, eine Gefahr, die er schon mit Zittern kennen gelernt, zum zweiten Male abzuwarten." (II, 54 f.)

Im Uebrigen war Börne besonnen genug, selbst die Vielseitigkeit des Kozebue'schen Talents anzuerkennen, wenn er ihn auch mit der bittersten Lauge übergoß, wenn fich der durchtriebene Kenner der Bühne, der deutsche Scribe, herausnahm, von uns für seine erlogenen Thränen Mitgefühl zu fordern. So oft die Gemeinheit Kozebues erhaben werden will, war fie auch ihm unerträglich (I, 64 f.). Ueber die „Spieler“ von Iffland heißt es: „Die Spielsucht auf die Bühne bringen? Man könnte ebenso gut die Schwindsucht dramatisiren, durch alle Stadien hin, von dem Augenblicke, da der junge Mensch nach einem Walzer ein Glas kalten Wassers trinkt, bis er seinen Geist aufgiebt. Sagt mir, Jhr lieben Leute, wie ertragt Ihr es nur, auf der Bühne alle den oberflächlichen Jammer und die kleinen bürgerlichen Verlegenheiten darstellen zu sehen, die Ihr in Eurem Hause so viel natürlicher habt? Kein Geld, Schulden, nichts zu frühzustücken, ein treues Weib, das jeden Mangel geduldig erträgt sind dieses so seltene Erscheinungen, daß man deren Anblick erst erkaufen muß? Auf der Bühne soll der Mensch eine Stufe höher stehen, als im Leben. Zur Heldenzeit der Griechen und Römer spielten Fabeln und Göttergeschichten darauf; wir, die weniger sind, haben nicht nöthig, so hoch zu steigen; wir brauchen nur die wirklichen Menschen der alten Völker darzustellen. Wir Werkeltagsnaturen, die im ganzen Leben nichts

Großes erfahren, und denen das furchtbare Schicksal, höchstens unter der Gestalt eines Polizeidieners oder Unteroffiziers erscheint, wir dürfen nur in den Feierkleidern unserer Leidenschaften auf die Bühne kommen. Also doch Leidenschaften? . . . . ja, aber Spielen ist nur eine Schwäche. Was ist der Menschheit daran gelegen, ob ein Taugenichts bei Gelde sei oder nicht? Was kann daraus Großes entstehen? Oder meint Ihr, die Bühne soll eine Sittenschule sein? Erwachsenen ist nur die Welt eine. Hat man zur Badezeit nöthig, ins Schauspiel zu gehen, um zu lernen, in welchen Abgrund die Spielsucht stürze? -" (I, 31 f.). Von Raupachs Talent, das sich damals erst entwickelte, hatte Börne kein schmeichelhaftes Vorgefühl; sein Trauerspiel „Isidor und Olga“ unterzog er einer äßenden Kritik (I, 1—12). Mit warmer Anerkennung sprach er von Immermann's „Trauerspiel in Tirol", obzwar ihn auch an dieser Dichtung vieles störte, um nur zu einigem Vollgenusse zu gelangen (I, 179—210). Ein gleiches Schicksal widerfuhr Immermanns, Cardenio und Celinde" (I, 135-147) und dem „Correggio“ von Dehlenschläger (I, 103-105). Von Immermann heißt es u. A.: „Wir find so ungewohnt, bei den dramatischen Dichtern unserer Tage Fülle der Gesundheit, Kraft und Muth zu finden, daß die Freude über diese schönen Gaben, wo sie ja einmal uns überrascht, uns zur Nachsicht stimmt, und wir der Fülle die Ungemessenheit, dem Muthe den Uebermuth und der Kraft ihre Rauhheit gern verzeihen. Der Dichter. hat sich als ein solcher gezeigt, dem wenig mangelt, der aber vieles zu viel hat ein erträglicher Fehler, da wir hoffen dürfen, daß die Erfahrung, die leichter nimmt als gibt, ihn verbessern werde. Besonnen

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