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Die Zeit von der Infection bis zum eigentlichen Beginn der Krankheit betrug durchschnittlich 8-14 Tage. Prodromalerscheinungen waren wenig oder gar nicht vorhanden; der eigentliche Krankheitsanfang markirte sich immer durch einen mehr oder minder stark entwickelten Frost, nach welchem sich rasch ein Krankheitsbild entrollte, das in seinen Hauptzügen ähnlich, jedoch je nach der mehr oder minder hohen Körperwärme, nach der Ausprägung der nervösen Erscheinungen und den Veränderungen auf der Haut resp. den Schleimhäuten eine individuell verschiedene Gestaltung erlangte. Der Puls hatte 100, 120, 140 Schläge, die Temperatur des Abends 39, 40, 41" und mehr mit morgendlicher Remission um 5 und mehr Zehntel Grade. Am Ende der 2. oder Anfangs der 3. Woche trat, in der Regel mit reichlichen Schweissen und einem oft 24-36 stündigem Schlafe verbunden, manchmal unter kurz vorhergehenden sehr stürmischen Erscheinungen, ein jäher Abfall der Temperatur und damit dauernde Entfieberung ein. Am frühesten erschien die Defervescenz am 10. Krankheitstage, zusammentreffend mit profusen Blutungen und Abortus bei einer im 5. Schwangerschaftsmonat befindlichen Erstgeschwängerten, die sehr hochgradiges Fieber und ein über die ganze Körperdecke (auch das Gesicht) entwickeltes Exanthem zeigte, während an dem Foetus nicht die Spur einer Hautveränderung zu entdecken war.

Von der Höhe des Fiebers allein hing nicht immer die Schwere des Krankheitsfalles ab; auch verhältnissmässig niedrige Temperaturgrade (38,5—39,5) zeigten mitunter ein so ungewöhnliches Ergriffensein des ganzen Organismus, dass man sich zur Erklärung solcher Veränderungen an die gewaltige Einwirkung halten muss, welche die Einverleibung des Krankheitsgiftes ausüben kann. So habe ich das Temperaturverzeichniss der Frau eines Postschaffners vorliegen, dessen Maximum nur an einem Tage 39,6 erreichte, während der ganzen Krankheitsdauer bewegte sich die Körperwärme zwischen 38 und 39o. Dabei bot aber die Patientin ein so schweres Bild der Erkrankung, wie es manche Kranke mit Temperaturen von 40° und darüber nicht zeigten.

Die Hautveränderung, die sich im Allgemeinen als Roseola charakterisirte, trat vom 2.-7. Tage in die Erscheinung und erlitt oft nach 2-3 Tagen eine petechiale Umwandlung. Zuerst erschien sie am Stamm, besonders am Rücken, dann über die

Extremitäten, aber nur einmal im Gesicht, verschwand mit dem Eintritt der Defervescenz und war nur ein einziges Mal mit sichtbarer kleienförmiger Abschuppung verbunden.

Die Zahl und Intensität der Flecke stand durchaus nicht in geradem Verhältniss zur Schwere der Erkrankung, und besonders hebe ich hervor, dass ich sehr bedeutende, tödtlich verlaufende Krankheitsfälle mit nur blassem und spärlichem Ausschlag gesehen habe. Bei sämmtlichen Erkrankungen einer Familie hatten die Hautveränderungen eine scorbutähnliche Beschaffenheit, indem sie sich bei ihrem Erscheinen sofort als Petechien präsentirten, nicht nur über die allgemeine Decke mit Ausnahme des Gesichts verbreitet waren, sondern sich auch noch über die Schleimhaut des Mundes und Rachens, wahrscheinlich auch über den Kehlkopf hinaus erstreckten und mit Blutungen aus der Mundhöhle und den Lungen complicirt waren. In einem dieser Fälle verursachten profuse Lungenblutungen ein letales Ende, in einem anderen den vorhin erwähnten Abortus, ohne dass eine individuelle oder familiäre constitutionelle Anomalie vor der Erkrankung bestanden hätte oder besonders schädliche hygieinische Verhältnisse in der Familie oder deren Wohnung obwaltend gewesen wären.

Als ein für den Practiker bemerkenswerthes Zeichen muss ich den gleich von Anfang der Krankheit an in einem Grade vorhandenen Kopfschmerz und Schwindel anführen, wie ich beide noch in keiner anderen Krankheit beobachtet habe. Viele Kranke fielen ausserhalb des Bettes nicht nur um, sondern konnten im Bette nicht sitzen, selbst wenn sie unterstützt wurden.

Constante Erscheinung war der Katarrh der Respirationsschleimhaut und der Conjunctiva, gewöhnlich mit ganz beträchtlicher Lichtscheu verbunden. Ich führe dies um so lieber an, als gerade diese Erscheinungen in dem ersten derartigen Krankheitsfalle dem Arzte Täuschungen verursachen, ihn zur Annahme einer Masernerkrankung verleiten können, um so leichter, wenn er das sich entwickelnde Exanthem mit in Betracht zieht, das in den meisten Fällen dem Masernexanthem so überaus ähnlich sieht.

Von Seiten der Digestionsorgane waren die Störungen die einer jeden fieberhaften Krankheit, Darmkatarrh mit Diarrhoe eine Seltenheit, Obstipation eine gewöhnliche Erscheinung.

Eine Milzvergrösserung war fast immer nachweisbar, in einzelnen Fällen bei jugendlichen Individuen mit geringem Fettpolster

konnte man sogar den unteren Milzrand durch die Bauchdecken beim Exspiriren sich markiren sehen, und ich müsste mich sehr getäuscht haben, wenn nicht in allen Erkrankungen ein Druck unter dem Rippenbogen nach der Milzgegend hin viel deutlichere Schmerzensäusserungen hervorgebracht hätte, als an einer beliebigen anderen Körperstelle.

Die Reconvalescenz war in allen Fällen eine verhältnissmässig rasche und brachte immer eine ganz üppige Gesundheit und meistens Ausfallen des Kopfhaars. Zwei Kranke boten in diesem Stadium ein aussergewöhnliches Interesse durch Alterationsstörungen ihres Nervensystems und zwar von ganz circumscriptem Gebiete desselben. Während nämlich der eine 11jährige Knabe wochenlang fast täglich Angstanfälle zeigte, ohne Grund weinte, seine Eltern bat, ihn nicht zu verlassen, bekam der andere, ein Junge von 13 Jahren, in der 3. Woche seit dem Krankheitsbeginn, plötzlich ohne Vorboten klonische Zuckungen, die nach kurzer Zeit in eine ganz langsame Bewegung der Arme übergingen, als wollte der Junge nach Etwas in der Luft greifen. Diese Krampfformen waren bei dem Kranken gleichzeitig mit der Unfähigkeit verbunden, auch nur ein Wort zu sprechen, während die geistige Thätigkeit nach jeder Richtung ungestört erschien, die Sinnesorgane vollkommen intact waren, so dass der Junge z. B. weinen musste, als noch ein anderer ihm bekannter Arzt während eines solchen Anfalls mit mir an sein Bett trat und Erkundigungen nach seinem Befinden anstellte, die der Kranke zwar vollkommen verstand, aber nicht beantworten konnte. Ein solcher Anfall währte etwa eine halbe Stunde, war gefolgt von einem längere Zeit dauernden Schlaf, nach welchem der Kranke sein Sprachvermögen wieder besass, aber einen sehr ausgeprägten Depressionszustand, namentlich in seinem Gesichtsausdruck, darbot, so dass ich den Jungen zu dieser Zeit mit Nichts besser zu vergleichen wusste, als mit einem Menschen, der nicht vollständig ausgeschlafen hat. Bei allmählichem Seltener- und Schwächerwerden der einzelnen Anfälle waren dieselben in drei Wochen ganz verschwunden. Die körperliche Untersuchung lieferte nicht den geringsten Anhaltspunkt zur Erklärung dieser Erscheinungen; es waren auch nicht Krankheitsfälle, die mit sehr hoher Temperatur verlaufen waren, so dass die nervösen Alterationen in durch zu hohe Wärmegrade erzeugten centralen Veränderungen hätten ge

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sucht werden können. Es sind deshalb wohl auch diese Symptome nur Aeusserungen der durch das Krankheitsgift verursachten Veränderungen der nervösen Sphäre.

Die Sterblichkeit der Epidemie, die sich von November 1872 bis Ende März 1873 über 48 Personen, 29 männliche und 19 weibliche, in einem Alter von 5-75 Jahren erstreckte, war eine sehr grosse. Von den 14, die über 40 Jahre alt waren, starben 12, von den 34 unter 40 nur 3. Es bestätigt also auch diese Epidemie die Gefahr, welche ein Alter von 40 Jahren bei dieser Krankheit schon mit sich führt.

Eine medicinische Behandlung genossen ganz leichte Erkrankungen gar nicht. Möglichst reine Luft, frische Leibwäsche, tägliche mehrmalige Abwaschungen des ganzen Körpers wurden als wohlthuend gepriesen und gern angenommen; leider war bei allen Insassen des Armenhauses und manchen anderen Kranken auch die Anwendung selbst dieser einfachen Sachen eine Unmöglichkeit. Dabei liess ich im Allgemeinen und namentlich in den Fällen, die sich durch schweres Ergriffensein des Nervensystems auszeichneten, roborirende Kost in passender Form, namentlich Wein in dreister Gabe reichen.

Wenn beim Abdominaltyphus als Regel gilt, die planmässige antipyretische Behandlung schon bei einer Temperatur von 39" und 39,5° einzuleiten, so gilt dies, wenigstens nach meinen Beobachtungen, nicht für den Flecktyphus. Bei dieser Krankheit werden entschieden höhere Wärmegrade ertragen. Ob die verhältnissmässig kurze Dauer der Krankheit dies allein bedingt, weiss ich nicht; aber davon habe ich mich überzeugt, dass Temperaturen bis 40° und einige Zehntel mehr bei sonst günstigen Verhältnissen sehr wohl ertragen werden, und dass also eine forcirte antipyretische Behandlung gewiss erst mit dieser Fieberhöhe zu beginnen hat.

Die Anwendung kalter Bäder war in vielen Fällen eine materielle und locale Unmöglichkeit, in anderen wurde sie nicht geduldet und in den 2 Fällen, wo ich sie unbeschränkt gebraucht' habe, lieferten sie wohl eine prompte jedesmalige Erniedrigung der Körperwärme, aber keinen früheren Eintritt der Defervescenz, als derselbe in gleichen Fällen auch ohne sie zu Stande kam.

Ich war unter den oben angegebenen Verhältnissen in fast allen Fällen mit hoher Körpertemperatur auf hohe Chin indosen

angewiesen, die wohl auch eine Temperaturerniedrigung von bis 1o bewirkten; aber das baldige Wiederansteigen der Körperwärme und die Unmöglichkeit, diese starken Dosen sobald zu wiederholen, waren fühlbare Missstände. In 2 Fällen, in welchen durch die der Defervescenz kurz vorhergehenden sehr stürmischen Erscheinungen (die Kranken waren nicht im Bette zu halten) die Angehörigen der Kranken ganz ungemein sich ängstigten, versuchte ich Injectionen von Morphium und hatte den Erfolg, dass die Angehörigen sich mit den Kranken beruhigten, letztere sich gewissermassen in die Defervescenz hineinschliefen.

Die Entstehungs- und Verbreitungsart der Infectionskrankheiten bildet schon seit längeren Jahren einen beliebten Gegenstand eifriger Forschungen und Arbeiten; trotzdem sind die Ansichten über dieselben bis heute noch sehr auseinandergehend. Fehlt es doch sogar nicht am Vertreter des Extrems, der mit Kühnheit und souveräner Verachtung die ganze Lehre von der Verbreitung der Infectionskrankheiten in das Reich des Aberglaubens und Schwindels verweist! Auch über Entstehung und Verbreitung des Flecktyphus herrscht noch grosse Meinungsverschiedenheit, indem derselbe von einer Seite als rein contagiöse Krankheit, von anderer Seite als miasmatisch-contagiöse Affection erklärt wird, von manchem Beobachter eine spontane Entwicklung angenommen, von anderen eine solche als mit dem heutigen Stande der Wissenschaft unvereinbar verworfen wird. Ich kann in diesen Streit nicht mit eingreifen, wenn ich etwa eine autochthone Entwicklung der hiesigen Epidemie annehmen wollte, um so weniger, als es mir sehr wohl bewusst ist, dass am Ende die Verschleppung des Krankheitskeimes auf Wegen und unter Umständen erfolgen kann, die unserer Wahrnehmung entgehen, von denen wir vor ihrer glücklichen Klarlegung nicht einmal eine Ahnung haben. Aber das weiss ich, dass mich meine sorgfältigsten Nachforschungen nach einer Einschleppung der Krankheit im Stiche gelassen haben; ich behaupte auch, dass eine solche nicht einmal sehr wahrscheinlich ist, da die Lage unseres Orts fern von allem Weltverkehr sich befindet, in der ganzen Nachbarschaft sich keine derartige Krankheit zeigte und die Ersterkrankten sowie ihre Angehörigen weder aus ihrem Wohnorte gekommen, noch mit Fremden in Berührung getreten waren, noch überhaupt auf irgend eine denkbare Weise durch dritte Personen, Körper oder Gegen

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