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Ursache sich verzögerte und wenn vielleicht zu dem Momente der langen Geburtsarbeit noch andere, z. B. schwächliche Constitution, unzweckmässige Körperhaltung (Knieellenbogenlage) hinzukamen. Diese Thatsache würde allerdings keine forensische Bedeutung besitzen, wenn solche Geburten nicht verheimlicht werden könnten, wie hie und da eingeworfen wird. Ich glaube jedoch, dass man in dieser Beziehung zu weit gegangen ist. Bekanntlich leisten gerade die heimlich Entbindenden in Selbstüberwindung mitunter Erstaunliches. Warum sollte der Fall nicht denkbar sein, dass eine Gebärende die moralische und physische Kraft besässe, eine tagelang sich verzögernde Geburt zu überwinden, ohne Hülfe in Anspruch zu nehmen? Und ist es nicht bekannt, dass viele solcher Geburten schliesslich doch ohne Kunsthülfe beendigt werden? Ist ja auch in den beschriebenen 4 Fällen die Geburt schliesslich nur durch Naturkräfte erfolgt.

Wenn wir sonach die Möglichkeit eines heimlichen Abthuns einer verzögerten Geburt nicht bestreiten können, so müssen wir auch zugeben, dass in einem solchen Falle auch der zweite zum Eindringen der Luft in den Uterus erforderliche Faktor vorhanden sein kann..

Als dritte Bedingung haben wir eine gleichzeitig bestehende Insufficienz des Verschlusses am Os uteri bezeichnet. Dieses Moment ist unstreitig das wichtigste; denn nur wenn dieses gegeben, kann, wenn der intraabdominelle Druck unter den erwähnten Umständen in die negative Phase tritt, eine Aspiration von Luft in die Gebärmutter erfolgen.

Dieser Verschluss wird bekanntlich bewirkt durch den vorliegenden Kindstheil und den um diesen sich anschliessenden Muttermund. Ersterer wirkt nach Art eines Kugelventils und wird durch von Innen wirkende Kräfte gegen den Becken- und Muttermundsring angepresst, letzterer vorzugsweise durch Atmosphärendruck an den vorliegenden Kindstheil.

Ist es nun möglich, dass auch während einer verheimlichten Entbindung dieser Verschluss insufficient werden kann in der Art, dass, wenn die Umstände sonst günstig sind, ein Eindringen von Luft in den Uterus erfolgen muss?

Im vorliegenden Falle haben wir angenommen, dass durch das Touchiren mit dem Finger der durch den Muttermund bewerkstelligte Verschluss überwunden und damit der äusseren Luft

Zutritt in den Uterus verschafft wurde. Acceptiren wir aber diese gewiss natürlichste Deutung als die richtige, so müssen wir auch bei einer heimlichen verzögerten Geburt mit einer solchen Möglichkeit rechnen, sobald erwiesen ist, dass während des Entbindungsaktes analoge Manipulationen in den Geburtswegen stattgefunden haben. Dass Derartiges vorkommen kann, lässt sich nicht in Abrede stellen. Eine verheimlichte und in kindsmörderischer Absicht verheimlichte Entbindung schliesst die Mitwirkung von Complicen nicht aus; warum sollte es nicht einem solchen einfallen können, durch Eingriffe die Geburt beschleunigen zu wollen. Man kann auch Laien Solches zumuthen, wenn man liest, dass schon Schneider mit ihrer Scheere und Friseure mit ihren Brenneisen den Abortus provocirt haben; und man wird die Möglichkeit nicht zurückweisen können, dass der Complice auch ein Sachverständiger sein kann.

Für solche Fälle hätten die beschriebenen Beobachtungen entschiedenen Werth und bei der Beurtheilung des Befundes lufthaltiger Lungen würde jedenfalls die Möglichkeit eines im Uterus stattgefundenen Luftathmens mit in das Bereich der Erwägungen gezogen werden müssen.

Dasselbe müsste geschehen, wenn erwiesen wäre, dass die Entbundene selbst aus irgend einem Grunde sich während der Entbindung Gegenstände in die Genitalien eingeführt hätte, die geeignet waren, bis zum Muttermund einzudringen und dort den normalen Verschluss aufzuheben oder zu lockern. Auch solche Fälle sind möglich; denn einestheils zeigt die Erfahrung beim verbrecherischen Abortus, dass Schwangere mit Instrumenten verschiedener Art in den eigenen Uterus einzudringen versucht haben und wirklich eingedrungen sind*), andrerseits ist es weder unbegreiflich noch ganz unlogisch, wenn eine Gebärende, bei welcher sich die Geburt verzögert, auf die Idee geräth, die Entbindung durch Einführung eines Instruments zu beschleunigen.

Von ungleich grösserer forensischer Bedeutung wären aber die mitgetheilten Fälle, wenn zugegeben werden müsste, dass auch ohne mechanische Einwirkungen der erwähnte Verschluss während eines verzögerten Entbindungsaktes insufficient werden kann.

* Einen solchen neueren auch des Verlaufes wegen interessanten Fall von Graves vide Virchow's Jahresbericht, 1869. II. Bd. 3. p. 608.

Leider existirt aber keine einzige Beobachtung, bei welcher mit Bestimmtheit behauptet werden könnte, dass die Insufficienz am Os spontan aufgetreten wäre; denn bei allen 4 hier in Betracht gezogenen, sowie bei den zahlreichen anderen analogen Fällen, in welchen geburtshülfliche Operationen vorgenommen worden waren, wird man immer einwenden können, dass die Luft nicht in den Uterus gekommen wäre, wenn die betreffenden manuellen oder instrumentellen Eingriffe nicht stattgefunden hätten. Wenn man jedoch in Folge der mitgetheilten Beobachtungen gegenwärtig zugeben muss, dass entgegen den bisherigen Anschauungen, wenn sonst die Umstände günstig sind, schon unbedeutende Eingriffe, wie das Touchiren mit dem Finger, genügen, den physiologischen Verschluss am Os zu überwinden, so wird man die Möglichkeit, dass in einem gleichen Falle eine solche Insufficienz spontan sich einstellen kann, nicht mehr unbedingt zurückweisen können.

Jedenfalls schliesse ich mich der Ansicht Hecker's (1. c. 538) an, dass dem Luftathmen in utero nicht blos ein klinisches, sondern auch ein forensisches Interesse zukommt, und bei der Meinung, dass sobald in einem forensischen Falle sich aus den Erhebungen ergiebt, dass die betreffende Entbindung nicht glatt verlief, sondern eine unregelmässige, besonders eine verzögerte Geburt stattfand, der Gerichtsarzt verpflichtet ist zu erwägen, ob, wenn lufthaltige Lungen gefunden wurden, nicht Bedingungen vorhanden waren, welche ein Luftathmen während des Entbindungsaktes wenigstens möglich erscheinen lassen.

Ich bin weit entfernt zu läugnen, dass Fälle, in denen Grund zu solchen Erwägungen besteht, ausnehmend selten in der forensen Praxis vorkommen dürften, glaube aber, dass eben bei der gerichtsärztlichen Beurtheilung solcher Ausnahmsfälle besonders rigorös und kritisch vorgegangen werden soll.

8.

Anwendung der §§. 222. und 230. des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich auf Medicinal

personen.

Von

Sanitätsrath Dr. Jacobs,

Kreisphysikus in Cöln.

,,

Nomina sunt odiosa,

Die §§. 222. und 230. des Deutschen Strafgesetzbuches fangen an, ihre Wirkung auf die Medicinalpersonen auszuüben, indem vor wenigen Wochen eine Hebamme und vor wenigen Tagen ein ärztlicher College wegen Fahrlässigkeit", erstere mit Gefängniss von 2 Monaten, letzterer mit Gefängniss von 4 Wochen betraft wurden. Die Hebamme hatte die Herbeiholung eines ihr vorgeschlagenen (wahrscheinlich ihr nicht hefreundeten) Geburtshelfers abgelehnt, und war dadurch die Wendung so erschwert worden, dass das Kind starb. Da ich in letzterem Falle als Sachverständiger fungirt habe, so halte ich mich verpflichtet, den Fall zur Warnung und Beherzigung in Kürze mitzutheilen. Diese Warnung soll darin bestehen:

,,Möge kein Arzt eine Geburt ohne Hebamme übernehmen!" Befolgen wir diesen Rath nicht, so wird uns früher oder später dasselbe Loos wie den verurtheilten Collegen treffen, weil es jedem nur einigermassen beschäftigten Arzte unmöglich ist, dem Geburtsgeschäfte von Anfang bis zu Ende beizuwohnen und die Kreissende vom Beginn der Geburtsthätigkeit bis zur Vollendung derselben nicht mehr zu verlassen. Können wir das nicht, so laufen wir bei jeder Uebernahme einer Geburt ohne Hebamme Gefahr, uns der Fahrlässigkeit schuldig, d. h. der unabsichtlichen Nachlässigkeit, Unvorsichtigkeit, des Leichtsinns oder der Unbesonnenheit schuldig zu machen. Der Grund, weshalb in diesen Paragraphen des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich eine Verschärfung

der in den §§. 184. nnd 198. des Preussischen Strafgesetzbuches enthaltenen Strafbestimmungen stattgefunden, ist nicht recht ersichtlich, namentlich dem ärztlichen Stande gegenüber, dem man wenig giebt, aber von dem man viel verlangt. Das Gesetz ist einmal gegeben und de lege lata lässt sich nicht mehr streiten. Bekanntlich lautet der §. 222. des Deutschen Strafgesetzbuches: Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Gefängniss bis zu drei Jahren bestraft. Wenn der Thäter zu der Aufmerksamkeit, welche er aus den Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war, so kann die Strafe bis auf fünf Jahre Gefängniss erhöht werden."

وو

"

Der §. 184. des Preussischen Strafgesetzbuches heisst einfach: Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen herbeiführt, wird mit Gefängniss von zwei Monaten bis zu zwei Jahren bestraft."

Man fragt nun: was ist Fahrlässigkeit? Man antwortet: Fahrlässigkeit ist gar kein medicinischer Begriff. Aber das öffentliche Ministerium verlangt, wie wir unten sehen werden, von dem Gerichtsarzte nicht blos ein bestimmtes Urtheil, „ob in einem gegebenen Falle Fahrlässigkeit vorhanden war", sondern sogar, „ob nach unserer Ansicht gerade durch die Fahrlässigkeit des Dr. N. der Tod des Kindes herbeigeführt worden sei." Hiernach erscheint denn wirklich die von gewisser Seite aufgeworfene Frage: Wie können Juristen über ärztliche Fahrlässigkeit urtheilen? nicht unberechtigt und keineswegs mit der Gegenfrage beantwortet: Warum sollen Juristen nicht darüber urtheilen können, da eben Fahrlässigkeit für sich von jedem beliebigen Menschen unter beliebigen Verhältnissen ausgeübt werden kann?

Der College Dr. N. war nach seinem eigenen Bericht vom 7. Mai d. Js. Morgens gegen 8 Uhr zu der Mehrgebärenden X. gerufen worden. Er fand den Muttermund von der Grösse eines Fünfgroschenstücks und die Wehen noch schwach, weshalb er sich wieder entfernte. Um 10 Uhr wurde er wieder gerufen, weil die Wehen stärker geworden waren. Er untersuchte und sagte der Frau, sie möge von nun an im Bette liegen bleiben, weil die Nabelschnur sonst leicht vorfallen könnte. Um 12 Uhr wurde er wieder gerufen. Bei der Untersuchung faid er ,,den Muttermund 2 Thaler gross und die Blase durch ihn ins Becken hineinreichend." Gegen 3 Uhr wurde Dr. N. wieder gerufen, weil nach Aussage mehrerer Zeugen die Wehen und das Schreien der Gebärenden sehr arg waren. Dr. N. gab dem Rufe keine Folge, weil er nock Kranke abzufertigen hatte.

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