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7.

Ein Fall von Luftathmen im Uterus

mitgetheilt

von

Prof. Eduard Hofmann in Innsbruck.

Die medicinische Literatur enthält bekanntlich eine nicht mehr geringe Anzahl von Fällen, in denen trotz notorischer Todtgeburt die Lungen des betreffenden Kindes lufthaltig gefunden wurden unter Umständen, die nur auf ein innerhalb des Uterus geschehenes Luftathmen schliessen lassen *).

Seitdem bezüglich der Ursache des Beginnens der Lungenrespiration wesentlich geklärte, d. h. richtigere Anschauungen zur Geltung gekommen, sind uns solche Fälle verständlicher geworden, als sie es vordem waren, und Niemand wird heutzutage mehr zweifeln, dass eine Frucht, bei welcher es in Folge vorzeitiger Unterbrechung der Placentarrespiration noch innerhalb des Uterus zu Athembewegungen kommt **), mit diesen auch Luft in ihre Lungen bringen kann, wenn solche zu dieser Zeit sich vor den Inspirationsöffnungen befand. Nicht so geklärt sind aber die Ansichten bezüglich der Bedingungen, unter welchen während eines Geburtsaktes der Zutritt der Luft in das Innere der Gebärmutter und damit zu den Inspirationsöffnungen der Frucht sich ereignen kann.

Fast sämmtliche bisher beschriebenen Beobachtungen von Luftathmen der Frucht während des Geburtsaktes betreffen Fälle, in

1856.

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*) Eine Reihe solcher freilich eigenthümlich gedeuteter Fälle enthält das Buch von C. Ch. Hueter: Die Lehre von der Luft im menschlichen Eie." Marburg, Eine neuere Zusammenstellung derartiger Beobachtungen giebt C. H. Müller in seiner Dissertation Ueber Luftathmen der Frucht während des Geburtsaktes, nebst Mittheilung eines einschlägigen Falles.“ Marburg, 1869.

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**) Conf. u. A. meinen Aufsatz: „Ueber vorzeitige Athembewegungen in forensischer Beziehung." D. Zeitschr. N. F. XIX. S. 217 ff.

denen wahrend der Entbindung eingreifende geburtshülfliche Operationen, wie Wendung, Anlegung der Zange, Kephalotripsie u. dgl. ausgeführt worden waren, und man schloss daraus, dass nur durch solche grössere Eingriffe der äusseren Luft Zutritt in den Uterus verschafft und damit die Möglichkeit zum Luftathmen vor der Geburt gegeben werden könne.

So lange nur diese Ansicht galt, konnte dem intrauterinen Luftathmen keine forensische Bedeutung vindicirt und insbesondere nicht zugegeben werden, dass durch derartige Fälle der Werth der Lungenprobe für die Diagnose des nach der Geburt stattgehabten Lebens je in Frage kommen könnte, da ja bei heimlichen, in der Einsamkeit abgemachten Entbindungen, mit denen es der Gerichtsarzt zu thun hat, die Annahme des Stattgefunden habens der bezeichneten Operationen entfällt.

Einzelne neuere Beobachtungen haben jedoch gezeigt, dass der während der Entbindung normale Abschluss der äusseren Luft von den inneren Genitalien schon durch verhältnissmässig unbedeutende Eingriffe aufgehoben und hiermit die Bedingung zum Luftathmen im Uterus gesetzt werden kann. Ich meine die Beobachtungen von Breisky, Hecker und C. H. Müller.

Breisky („Einige Beobachtungen an todtgeborenen Kindern." Prager Vierteljahrsschr. 1859. III. 177.) fand bei der frischen Leiche eines todtgeborenen Mädchens Meconium in den Luftwegen und einzelne kleine luftgefüllte Lobuli im vorderen Rande des rechten unteren und des linken oberen Lungenlappens bei sonst vollkommener Atelektase des Lungenparenchyms. Das Kind stammte von einer jungen Erstgebärenden und war nach 20 stündigem Kreisen auf der Klinik geboren worden. Die Lage war eine normale Schädellage, die Herztöne wurden noch kurz vor dem Einschneiden des Kopfes gehört. Die Geburt erfolgte spontan. Ausser wiederholten Untersuchungen mit dem Finger war Nichts mit der Gebärenden unternommen worden.

Hecker (Zur Frage über das Vorkommen eines intrauterinen Lungenemphysems." Virchow's Arch. 1859. XVI. S. 535.) constatirte bei einem weiblichen, ausgetragenen, todtgeborenen Kinde, welches 6 Stunden nach der Geburt secirt wurde und keine Fäulnisserscheinungen darbot, vollkommen lufthaltige Lungen und an vielen Stellen der Lungenoberfläche insbesondere an den Rändern Emphysem. Die Mutter war eine Erstgebärende, die Geburt (erste Schädellage) durch die um 1 Zoll verkürzte Conjugata des Beckeneinganges verzögert. Die Herztöne noch eine Stunde vor der Geburt zu hören. Das Fruchtwasser war 17 Stunden vor der Geburt abgeflossen, und die Kreissende war sehr häufig behufs Constatirung der Beckenenge auch öfters mit der halben Hand untersucht worden.

Sehr interessant ist der von Müller (1. c.) aus der Marburger Gebärklinik publicirte Fall:

Die 22 jährige, kräftige und gesunde Erstgebärende kam am 28. Februar 9 Uhr Morgens auf das Geburtsbett. Um 10 Uhr fand man bei stehender Blase eine pulsirende über dem Schädel hinweg verlaufende Nabelschnurschlinge, die trotz angeordneter Lageveränderungen nicht zurückging. Um 2 Uhr Nachmittags wurde erfolglos der Versuch gemacht, die Schlinge mit zwei eingeführten Fingern zu reponiren. Um 4 Uhr wurde die Pulsation in der vorliegenden Nabelschnur schwächer, um 6 Uhr hörte sie ganz auf, obgleich der Foetalpuls noch schwach in einer Frequenz von 72 Schlägen in der Minute zu hören war. Um 6 Uhr Blasensprung und Abgang meconiumhaltigen Fruchtwassers. Um 8 Uhr die Eröffnung des Muttermundes vollendet, die pulslose Nabelschnurschlinge vor der Schamspalte liegend. Foetalpuls noch immer an der früheren Stelle zu hören, 64-68 in der Minute, wurde um 9 Uhr undeutlich. Um 1 Uhr erfolgte in normaler Weise die Ausstossung des vollkommen leblosen Kindes. Die nach 13 Stunden vorgenommene Section der ganz frischen Leiche ergab Meconium in den Luftwegen und an beiden Lungen subpleurale Ecchymosen. Die linke Lunge völlig atelektatisch, dagegen finden sich in der rechten, inselförmig zerstreut, besonders im oberen und mittleren Lappen reichlich lufthaltige Stellen. Mindestens der 3. Theil der Oberfläche des oberen und mittleren Lappens der rechten Lunge ist in dieser Weise von Luft ausgedehnt.

Ich bin nun in der Lage, diesen drei Fällen einen neuen selbst beobachteten beizufügen. Derselbe betrifft ein auf der hiesigen Gebärklinik am 9. Mai 1874 todtgeborenes Kind. Die auf die Mutter und den Geburtsverlauf bezüglichen Daten sind nach den Mittheilungen des Assistenten der genannten Klinik, Herrn Dr. Innerhofer, folgende:

Maria M., 33 Jahre alt, ledige Dienstmagd, Erstgebärende. Körper klein, schlecht genährt; Muskulatur schlaff. Die Haut blass mit einem Stich ins Gelbliche. Letzte Menstruation am 24. Juli 1873. Während der Schwangerschaft litt die M. öfters an Appetitlosigkeit, Stuhlverstopfung abwechselnd mit Diarrhoe, ferner sehr häufig an kolikartigen Schmerzen im Unterleib. Die ersten Wehen traten am 5. Mai Abends ein, hielten die ganze Nacht an und verschwanden unter Tags fast vollständig. Dasselbe wiederholte sich am 6. und 7. Mai. Erst am 8. Mai war der Scheidentheil vollständig verstrichen und der Muttermund für die Spitze des Zeigefingers durchgängig. Der vorliegende Kindstheil (erste Hinterhauptslage) noch sehr hochstehend und schwer zu erreichen. Die Wehen sehr kurz und zeigen dieselben einen spasmodischen Charakter, indem die Schmerzen bald ausschliesslich nur im Kreuze, bald nur im Bauche empfunden werden; auch bleibt der Uterus während der Wehenpause immer etwas gespannt und schmerzhaft. Um 11⁄2 Uhr Nachmittags erfolgte der Blasensprung und es ging eine beträchtliche Menge etwas dunkel gefärbten Fruchtwassers ab. Der Uterus legte sich hierauf nicht so eng an die Frucht an, wie dies gewöhnlich geschieht. Abends 7 Uhr Muttermund kreuzergross, Kopf noch immer sehr hochstehend. Wegen der ausserordentlich schmerzhaften Wehen erhielt die Gebärende 2 granige Dowerische Pulver in 2 stündigen Zwischenpausen und ferner um 9 Uhr Abends und 12 Uhr Nachts je ein stündiges Dunstbad. Am 9. Mai 4 Uhr früh Muttermund 20 kreuzerstückgross,

vordere Muttermundslippe etwas angeschwollen und schmerzhaft; der Kopf kaum eine Spur tiefer getreten. Warme Bähungen mit in Chamillenthee getauchten Tüchern über die Genitalien. 8 Uhr Vormittags konnte man noch deutlich die Herztöne in der Frequenz von 140-150 Schlägen in der Minute hören. Um 9 Uhr Vorm. Muttermund ein Guldenstück gross, um 12 Uhr Mittags verstrichen; Herztöne nicht mehr zu hören. Um 2% Uhr Nachm. erfolgte die Geburt. Das Kind kam todt zur Welt mit welker etwas grünlich verfärbter Nabelschnur. Gleichzeitig ging mekoniumhaltiges, übelriechendes Fruchtwasser und eine Menge Gase mit gurren dem Geräusch ab. Der Abgang der Placenta erfolgte Stunde nach der Geburt und gleichzeitig eine nicht unbedeutende Hämorrhagie, bedingt durch ungleiche Zusammenziehung des Uterus, der an einer Stelle weich erschien, an einer anderen hornartig hervorgetrieben war. Belebungsversuche wurden der bereits welken Nabelschnur wegen mit dem Kinde nicht vorgenommen, dasselbe wurde vielmehr der pathologisch-anatomischen Anstalt nach einer Stunde übergeben und dort an einem kalten Orte über die Nacht aufbewahrt, wobei zu bemerken ist, dass gerade zu dieser Zeit die Frübjahrsfröste herrschten, die in der Nacht die Temperatur bis auf -3° R. sinken machten.

Die Section wurde am 10. Mai um 3 Uhr Nachmittags vorgenommen und ergab:

Die Leiche eines gut genährten weiblichen Kindes von 20 Zoll Länge und 5 Pfd. Gewicht. Die allgemeinen Decken blassrosenroth mit einzelnen verwaschenen hellrothen Flecken am Halse und am oberen vorderen Theile des Brustkorbes. Dichtes Wollhaar am Rücken und an den Schultern. Reichliche käsige Schmiere in den Hautfalten. Nirgends Spuren von Fäulniss. Der Kopf in Folge beträchtlicher Kopfgeschwulst gegen das Hinterhaupt zu verlängert. Das Gesicht livid, etwas gedunsen. Beide Conjunctiven besonders an den Uebergangsfalten ecchymosirt, die Hornhäute vollkommen klar und glänzend. Der Nabelschnurrest 4 Zoll lang, welk, etwas grünlich verfärbt. In der unteren Epiphyse des Oberschenkelknochens ein linsengrosser Knochenkern.

Ueber der vorderen Portion des linken Scheitelbeins zwei braunroth vertrocknete Druckstellen über der Haut von Kreuzergrösse, deutlich suffundirt. Grosse, Ecchymosen enthaltende Kopfgeschwulst über der rechten Lambdanath. Zahlreiche Ecchymosen zwischen den weichen Schädeldecken. Fontanellen und Nähte weit, gelockert. Mehrere Linien dickes Extravasat zwischen Dura mater und weichen Hirnhäuten über die ganze linke Hemisphäre, das Tentorium und die Schädelbasis ausgebreitet. Die linke Sichel des Tentoriums am centralen Ende unregelmässig eingerissen. Das Gehirn und seine Hüllen blutreich. In den Venensinus viel dunkelflüssiges Blut. Beide Paukenhöhlen ausgefüllt mit gelblichen eiterähnlichen Massen, die unter dem Mikroskop aus Eiterzellen, Körnchenzellen und grossen Plattenepithelien bestehend sich erwiesen. Die Auskleidung der Paukenhöhlen geröthet, geschwellt und stellenweise ecchymosirt.

In der Mund- und Rachenhöhle mekoniumhaltiger zäher Schleim, ebenso im Kehlkopf und in der Trachea. Nach Eröffnung des Thorax sind sofort die vorderen, stellenweise hellrothen Ränder der Lungen sichtbar, ohne dass jedoch von ihnen der Herzbeutel bedeckt wurde. Beide Lungen zeigen ganz gleiche

Beschaffenheit. Sie sind mit zahlreichen, theils flohstichförmigen, theils bis linsengrossen, subpleuralen Ecchymosen bedeckt, in ihren hinteren und seitlichen Partien fast vollkommen atelektatisch, während die vorderen Partien, besonders die Ränder lufthaltiges Parenchym theils in zusammenhängenden, theils in insel förmig gruppirten Stellen zeigen. Die Lungenzellen sind an diesen Stellen gleichmässig mit Luft gefüllt, nirgends emphysematös ausgedehnt. Die Lungen fühlen sich an den vorderen Partien luftkissenartig, an den übrigen ziemlich fest und derb an und werden auf's Wasser gelegt sowohl in Verbindung mit dem Herzen als ohne dasselbe durch die nach oben strebenden Ränder schwimmend erhalten. Sie knistern beim Einschneiden und entleeren am Durchschnitt blutigen Schaum in mässiger Menge. Die grösseren Bronchien enthalten mekoniumhaltigen Schleim, der auch aus einzelnen Durchschnitten kleinerer Bronchien in Form gelblich-grünlicher Pfröpfe hervortritt. Von den zerschnittenen Lungen halten sich die den Rändern und vorderen Theilen angehörigen Stücke vollkommen über der Wasseroberfläche, während einzelne Stücke aus den abwärtigen Lungenpartien ziemlich schnell untersinken. Aus der Mitte des Organs genommene Stückchen schwimmen ebenfalls fast sämmtlich, die meisten jedoch von ihnen sinken, sobald sie zwischen den Fingern mässig ausgedrückt werden.

Beide Blätter des Pericardium ecchymosirt. Rechtes Herz strotzend von dunkelflüssigem Blut, ebenso die grossen Venen.

Der Magen und das Duodenum lufthaltig, der übrige Darm vollkommen luftleer. Im Magen etwas grünlicher Schleim. Meconium nur in der Flexura sigmoidea. Leber und Milz blutreich, ebenso die Nieren. Die linke Niere grösser als die rechte. Das Nierenbecken daselbst, sowie die Nierenkelche erweitert. Der linke Ureter dreimal so weit als der rechte, dessen Einmündung in die Blase verengt, nur für eine feine Sonde durchgängig. Aus der Hymenöffnung ragt ein halberbsengrosser, birnförmiger, durchscheinender, zart vascularisirter Polyp hervor, dessen fadenförmiger Stiel von der hinteren unteren Wand des Scheidenkanals ausgeht.

Wie man sieht, schliesst sich dieser Fall vollkommen den von Breisky, Hecker und Müller veröffentlichten an, insofern als es erstens keinem Zweifel unterliegen kann, dass die Frucht wirklich noch im Uterus Luft geathmet hatte und in Folge dessen trotz notorischer Todtgeburt lufthaltige Lungen aufwies, und als zweitens während der Entbindung keine grösseren manuellen oder instrumentellen Eingriffe stattgefunden haben, die das Eintreten der äusseren Luft in die Gebärmutterhöhle leicht begreiflich machen würden.

Was den ersten Punkt anbelangt, so ist derselbe insofern sicher gestellt, als zunächst durchaus kein Grund vorliegt, den Luftgehalt der Lungen auf eine andere Ursache zurückzuführen. Von Fäulnissgasen kann keine Rede sein, da die Lungen nicht

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